
Report - Frankreich
Drei Zentren für eine starke Fahrradindustrie
Die aktuelle Marktsituation hat dazu geführt, dass Unternehmen, Hersteller und Marken stärker zusammenarbeiten als zuvor. Dafür gibt es einen guten Grund: Französische Fahrradhersteller haben ihre Prognosen und ihren Optimismus nach unten korrigiert. Es wird erwartet, dass sich der Markt erst Ende dieses Jahres oder sogar erst Anfang 2026 normalisiert. »Die Marktlage bleibt angespannt, die Lagerbestände sind groß und der Konsum bleibt schleppend«, kommentiert die Manufacture Française du Cycle (Intersport-Gruppe), die mehr als die Hälfte aller in Frankreich montierten Fahrräder zusammenbaut.
So gingen die Verkäufe neuer Fahrräder bereits im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 14 Prozent zurück und es wurden nur noch etwa 2,2 Millionen Einheiten verkauft, wie aus offiziellen Zahlen des »Observatoire du Cycle« von der USC (Union Sport et Cycle – der Berufsorganisation für Sport und Freizeit) hervorgeht. Die Zahl der in Frankreich montierten Fahrräder ist dabei um 24 Prozent gesunken. Im folgenden Jahr 2024 lag der Rückgang bei der Zahl verkaufter Neufahrräder laut Patrick Guinard, Präsident von France Vélo, in der gleichen Größenordnung. Allerdings spiegele sich in der Statistik weder der Boom des Gebrauchtmarktes noch jener des Leasings wider. »Die Zurückhaltung ist immer noch spürbar. Wenn Fahrradmarken ihre Lagerbestände räumen, werden die Margen kompliziert. Der OEM-Markt dürfte sich Anfang 2026 erholen, aber es ist immer noch schwierig, den Markt insgesamt vorherzusagen«, schätzt François Joly, Global Sales Director bei Mavic.
_Die Fahrradindustrie in Frankreich weist einige Besonderheiten auf. Mit der Situation in Deutschland ist sie kaum zu vergleichen. _
»In den letzten Jahren verlief die Entwicklung etwas ungleichmäßig. Es gibt eine Abfolge von sehr guten und katastrophalen Zeiten«, bemerkt Fabien Bonnet von Cattin Cycles, einem Hersteller von maßgefertigten Rädern. Komplizierte Jahre, die eine stärkere Zusammenarbeit fördern. Gestärkt werden soll das nicht zuletzt durch regionale Schwerpunkte, also Zentren der Fahrradwirtschaft, die wieder neu an Bedeutung gewinnen.
Drei historisch starke Regionen
In Frankreich ragen historisch gesehen drei Regionen in der Fahrradindustrie heraus. Zu nennen sind Annecy und die Alpen, insbesondere mit Saint-Etienne, einer historischen Stadt der Fahrradindustrie, als Nächstes der große Westen mit einem starken Netzwerk von Herstellern, darunter MFC, das die Hälfte der in Frankreich montierten Fahrräder herstellt und wo auch Reifenhersteller Hutchinson angesiedelt ist, und schließlich die Region Okzitanien im Südwesten, in der sich etwa der Hauptsitz von Cyclelab befindet (insbesondere bekannt als Fahrradfilialist Culture Velo und die Messe Pro Days). Trotzdem herrschen große Distanzen. »Das Bike Valley in Portugal ist ein echtes Bike Valley; andere rücken näher zusammen, wie in Rumänien. In Frankreich unterscheiden wir mit der Region Aura, Okzitanien und dem Westen drei starke Regionen unserer Branche. Aber nehmen wir das Beispiel des großen Westens mit MFC in Loire Atlantique, Velox in Ile et Vilaine und NeoMouv in Sarthe: Da sprechen wir von mehreren Hundert Kilometern Distanz zwischen den Unternehmen. Dies ist nicht mehr die Definition eines Tals. In Portugal geschieht alles in einem Umkreis von 20 Kilometern«, ergänzt François Joly.
In Frankreich spielen lokale Behörden eine große Rolle bei der Strategie zur Förderung der Fahrradindustrie.
Das liegt auch daran, dass in Frankreich die lokalen Behörden eine führende Rolle spielen. Der Fahrradplan der Regierung, der vom neuen Premierminister Francois Bayrou wieder eingeführt wurde, ist hauptsächlich der Entwicklung der Infrastruktur gewidmet. Er ist ein positives Signal an die Branche, denn indirekt fördert der Ausbau der Radwege die urbane Mobilität, auch bezeichnet als die sogenannte sanfte Mobilität. »Ich habe die Geburt des Bike Valley in Portugal miterlebt. Es beruht auf dem Willen dreier Hauptakteure: des Staates, der lokalen Industrie und der Großkunden. In Frankreich sind die Unternehmen oft kleiner. Und die Wünsche kommen von den lokalen Behörden, denen der Staat selbst nicht immer folgt«, sagt Damien Félix, der nach über zwanzig Jahren Tätigkeit für große Marken schließlich Obvious Cycles gründete und sich auf Titanrahmen spezialisiert hat. Tatsächlich gibt es in Frankreich drei Cluster (Gruppen von regionalen Behörden, Unternehmen und Forschungsinstituten), die die Fahrradindustrie unterstützen. Eines ist Cara in der Region Rhône-Alpes mit 400 Mitgliedern, darunter 160, die im Bereich Radfahren und Mikromobilität aktiv sind, Velo Vallée im Südwesten mit 63 Mitgliedern und schließlich Cygo für den Westen Frankreichs mit rund sechzig Mitgliedern. »Den Portugiesen gelang der Zusammenschluss ihrer Kräfte, weil sie im Wesentlichen Industrielle sind. In Frankreich handelt es sich um Marken, die auf dem Markt miteinander im Wettbewerb stehen, und das bremst die gegenseitige Unterstützung in gewisser Weise. Zwischen Marken sind weniger Synergien möglich als zwischen Herstellern«, sagt Guillaume Boutte, General Manager von Mach1.
Annecy – ein kreatives Bike Valley?
Obwohl allgemein anerkannt ist, dass es in Frankreich kein echtes Bike Valley gibt, glauben manche, dass die Region um Annecy doch ein kreatives Bike-Zentrum des Landes ist. Wie Biarritz in den 90er-Jahren für das Surfen, bringt die Alpenregion viele Manager/innen, Designer und Fahrer rund um den Outdoor-Sport zusammen. Lange vor den dem Radsport gewidmeten Clustern wurde 2010 der Verein OSV (Outdoor Sports Valley) gegründet, der über 500 Mitglieder vereint, von denen 169 in der Welt des Radsports aktiv sind.
In der Zentrale von Mavic wird nicht nur der heimische Fahrradmarkt beobachtet, es werden auch internationale Entwicklungen verfolgt.
Nicht zuletzt findet dort auch wesentliche Produktentwicklung statt.
Ehemalige Manager mit ihrem Netzwerk, traditionelle Outdoor-Spezialisten (Wandern, Camping), Lauf-/Trail-Marken, aber auch Mountainbike-Marken. »Ich glaube nicht, dass wir von einem Bike Valley sprechen können. Aber Radfahren wird immer wichtiger. Darüber hinaus haben wir uns von einer Surf-Lifestyle-Mode zu einer Outdoor-Mode im weiteren Sinne entwickelt. Aus diesem Grund haben viele Outdoor-Marken spezielle Produktlinien für Fahrräder. Bei uns entwickeln sich Start-ups oft in Nischensegmenten. Tatsächlich besteht in allen Regionen Frankreichs der Wunsch, den Fahrradsektor zu stärken«, bemerkt Richard Collom-Patton, General Manager von Scott France und Vizepräsident des OSV. Abgesehen von Mach1-Werkzeugmaschinen sind in der Region aber kaum Produktionsmittel vorhanden. Andererseits findet in den Alpen Produktentwicklung und der Test neuer Modelle statt. »Die Leute, die sich hier niederlassen, tun dies vor allem, um ihrer Leidenschaft nachzugehen, ein bisschen wie die Surfer in Biarritz. Dadurch entstehen ein starkes Netzwerk von Enthusiasten und ein ideales Umfeld für Innovationen«, kommentiert der Experte. Annecy ist weniger als zwei Stunden von Lyon und etwas mehr von Saint-Etienne entfernt, dem historischen Zentrum des französischen Radsports, wo 1866 das erste Fahrrad des Landes hergestellt wurde. //
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