Portrait - Bosch eBike Systems
Elektrisierende Synergien
Die Robert Bosch GmbH ist eine der größten GmbHs in Deutschland: 1,2 Milliarden Euro Stammkapital sprechen für sich. Als sich 2010 abzeichnete, dass der Konzern ins E-Bike-Business einsteigen würde, war das nicht nur für Branchenkenner so etwas wie ein Indikator dafür, dass das Pedelec auf dem richtigen Weg ist – nach dem Motto: »Wenn die Großen von außen einsteigen, muss das Thema Zukunft haben.« Gebaut werden die Bosch-Motoren für E-Bikes seit 2012 ausschließlich im ungarischen Miskolc – in einer riesigen Produktionsstätte, die zur Abteilung Bosch Power Tools des Konzerns gehört. Aber auch Kleinmotoren für den Automobilbereich, etwa für Fensterheber, werden hier hergestellt. Etwa 5000 Leute arbeiten dort – allerdings nur vielleicht ein Prozent am E-Bike – genaue Zahlen gibt Bosch hier nicht an. Auf etwa 200 Quadratmeter der riesigen Halle finden sich die Produktionslinien für die Antriebe. Kein Wunder, dass das reicht: »Komponenten werden hier nicht produziert, die bekommen wir zugeliefert«, erklärt Claus Fleischer, Bereichsleiter E-Bike Systems bei Bosch. In Sachen Fertigungstiefe läuft Miskolc auf der zweiten Stufe der Wertschöpfung. Trotzdem, Fleischer zeigt auf einen Bosch-Antrieb: »Hier drin ist kein Teil, das man aus einem anderen Produkt kennt!«
Active Line und Performance Line, die beiden Varianten des Bosch-Motors, werden auf einer gemeinsamen Produktionslinie entwickelt. Vieles läuft hier in Handarbeit – die niedrigen ungarischen Lohnkosten waren schließlich für viele große deutsche Unternehmen Anlass für den Werksbau hier. Eines der ersten war Audi, Bosch folgte bald. Für den Standort Miskolc selbst gibt es auch gute Gründe. Einer davon ist die technische Universität vor Ort – Bosch ist ein beliebter Arbeitgeber auch für Hochqualifizierte. »Jährlich kommen 50 bis 100 Ingeniere von der Uni hierhin«, erklärt Max Nietzsche, Werksleiter in Miskolc.
Per Servolenkung über den Radweg
Der E-Bike-Antrieb ist nicht so weit vom Auto weg, wie mancher Fahrradfan es vielleicht gerne sehen würde: Das Herzstück des Motors kommt ursprünglich aus dem Automotive-Bereich und wurde vom Motor einer Lenkunterstützung – vulgo: Servolenkung – abgeleitet. Aber: »Bosch eBike Systems sind absolut Non-Automotive«, erklärt Fleischer. »Wir arbeiten in und mit den Strukturen der Bike-Industrie. Aber natürlich nutzen wir die vielen Synergien, die sich für uns mit dem Automotive-Bereich ergeben.« Und die sind nicht ohne, wie man in Miskolc schnell feststellen kann. Zum einen steckt unglaublich viel und unbezahlbarer Erfahrungsschatz bezüglich E-Motoren im Konzern. Des weiteren hat man hier als Laie den Eindruck, dass sich die Produktion der E-Bike-Motoren nahtlos in Produktionsstrukturen anderer automotiver oder Power-Tool-Komponenten eingliedert.
Die etwa 200 Quadratmeter, die eBike Systems in der hunderte mal so großen Halle zur Verfügung hat, sind wandelbar. Doch so oder so, es drängt sich geradezu auf: Der Sektor Bosch eBike Systems, in der Branche der größte Motorenhersteller – 2013 wurden gut 30 Prozent aller Antriebe für den deutschen Markt hier produziert – ist zuhause im eigenen Reich eine kleine Nummer. Die etwa 300.000 E-Bike-Antriebe jährlich (2013) verschwinden hinter den 80 Millionen Motoren im Automobil-Bereich oder über 32 Millionen Power Tools. Was weiterhin unübersehbar vor Augen ruft, welche Welten die E-Bike-Branche noch von wirklich großen Industriezweigen trennen. Nebenbei: Das Werk in Miskolc ist eines von 300 Werken weltweit.
Jeder Arbeitsschritt wird hier direkt kontrolliert. Und auch die Drive Unit selbst unterliegt einer 100-prozentigen mechanischen und elektronischen Qualitätskontrolle. Außerdem kann der Weg jedes einzelnen Motors auch nach dem Kauf des Pedelecs genauestens bis zur Entstehung des Antriebs zurückverfolgt werden – alles wird elektronisch dokumentiert, um die Bosch-Philosophie der Null-Fehler zu gewährleisten. Auch alle Leistungsdaten aller Antriebe werden gespeichert.
Das E-Bike als Zwischenstation?
Warum Bosch als Motorenhersteller überhaupt in die Branche einstieg, erklärt Fleischer vor allem mit Studien aus dem letzten Jahrzehnt, die Trends und Entwicklungslinien hin zu einer elektrischen Mobilität herausarbeiteten: zunehmender Mangel an fossilen Brennstoff-Ressourcen, Umweltverschmutzung und andererseits erhöhtes Bewusstsein für den Umweltschutz, der zunehmende Lifestyle-
Faktor der Elektromobilität … In letzter logischer Instanz steht hier das E-Bike, weil Akkukapazitäten und Kosten noch die Reichweiten größerer Fahrzeuge allzu sehr begrenzen, doch den E-Roller baut Bosch in Asien bereits sehr erfolgreich. Wer bei dieser Erklärung gut aufpasst, meint herauszuhören, dass der E-Bike-Motor Zwischenstation und Erfahrungssammlung für in großer Serie gebaute E-Autoantriebe darstellen könnte. Wie auch immer – das Pedelec wurde und wird bei Bosch immer noch ganz klar als Wachstumsmarkt gesehen. Schließlich benutzt kein Mensch mehr einen Bohrer mit Handbetrieb, um Löcher in die Wand zu bohren, argumentiert Fleischer, und genauso wird es mit dem Fahrrad mit reinem Pedalantrieb enden.
Die 2014 eröffneten Büros für E-Bike-Systems in USA und China zeugen davon, dass man in Reutlingen, dem Hauptsitz dieses Bosch-Segments, in internationalen Dimensionen denkt. Amerika ist momentan noch ein schwieriger Markt für E-Bikes, doch er bewegt sich. Fleischer erzählt gern die Geschichte vom Händler, der auf einer Messe von der Probefahrt zurückkehrte und zu den Bosch-Leuten meinte: »I hate me for loving it!«
Mit den Neuheiten für 2015 prescht Bosch nun auch deutlich an der Konkurrenz vorbei und versucht, Meilensteine zu setzen beziehungsweise das Lifestyle-Umfeld des E-Bikes neu abzustecken: Vor allem mit dem Bike-Computer Nyon, der unter anderem ein aufwendiges und sehr komfortorientiertes Navigationssystem mit hochwertigem Display bietet, aber auch die am Handy eingegangene SMS anzeigen kann, demonstriert man, wie trendiges Hightech, kombiniert mit neuen Funktionen, das unterstützte Fahrrad zum Must-Have machen könnte.
Für den Einstieg in die Branche gab es übrigens keine Kapitalaufnahme von außen, es wurde Eigenkapital verwendet. Alle drei Monate gibt es eine Aufsichtsratssitzung, bei der die Leiter der Abteilungen Zahlen und Perspektiven vorlegen müssen. Doch es sieht gut aus: »Der Break Even Point ist klar in Sicht«, freut sich Fleischer. Anderes wäre bei diesem Start wohl auch seltsam.
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