Technik - Akkus
Entwicklung unter Strom
Wenn es einen Bereich in der Welt der Forschung gibt, der abseits von Impfstoffen besonders viel Beachtung erfährt, dann dürften das Akkus sein. Der Aufwand, der global auf diesem Gebiet betrieben wird, ist so hoch, dass er sich vermutlich hinter keinem anderen Forschungsgebiet verstecken muss.
Spätestens seit absehbar ist, dass der Elektroantrieb ein wesentlicher Be-standteil auf den Straßen dieser Welt sein wird, legt auch die Batterieforschung ein atemberaubendes Tempo vor. Das hat auch Auswirkungen auf die Fahrradwelt.
Der betriebene Aufwand zeigt schon längst Folgen. Akkus sind bereits heute ungemein leistungsstark, aber noch längst nicht ausentwickelt. Da lohnt sich ein Blick auf ein paar wesentliche Entwicklungen, die gerade stattfinden.
Welche Zelltypen gibt es?
Bereits die Frage nach den vorhandenen Zelltypen und ihre enthaltenen Chemien führt zu einem unübersichtlichen Buchstabensalat: LFP, NMC, NMH, NCH, LCO, NCA stünden zur Wahl, daneben gibt es noch vielfältige Alternativen. Was bedeuten diese Kürzel? Sie stehen für die verwendete Materialkombination, die ihrerseits ausgewählt wird, um bestimmte Charakteristika des Akkus zu erreichen.
So gibt es je nach Anwendung verschiedene Anforderungen. Dazu gehören neben der Energiedichte auch die Schnellladefähigkeit und Entladeströme, Zyklenfestigkeit, Sicherheit im Betrieb, Temperaturbeständigkeit und andere Eigenschaften, die mehr oder weniger relevant für das Fahrrad sind.
Man darf davon ausgehen, dass derzeit die Kompetenz bezüglich derartiger Batteriespezifikationen vorwiegend bei den Zell- und Akkupack-Herstellern angesiedelt ist und weniger bei den Produktmanagern der E-Bike-Hersteller. Bei vielen Systemanbietern haben sie auch gar keinen Einfluss auf die tatsächliche Zellchemie. Statt maßgeschneiderter Akkus mit jeweils eigenen Eigenschaften geht es dann meist nur um die verfügbaren Wattstunden. Dabei wird das Wissen um die Entwicklungen in der Batteriewelt für die Fahrradbranche absehbar immer wichtiger werden. Es gibt einfach zu viele mehr oder weniger relevante Faktoren, mit denen Hersteller vertraut sein müssen, allein schon, um mögliche Baugrößen und Designs der Zukunft realistisch einschätzen zu können.
Hoffnungsträger Zellchemie
Neben NCE- und NMC-Batterien gibt es noch viele weitere Zusammensetzungen von Zellchemie. Die meisten davon werden bisher aber kaum besprochen, da ihre Eigenschaften oder Kapazitäten noch nicht mit den heute verbauten Zellen mithalten können. Auf dem Sprung, zu den gebräuchlichsten Zellen aufzuschließen, sind Akkus auf Basis von Lithium-Eisenphosphat. Bisher steht in den Büchern, dass diese Zellen etwa die Hälfte der Energiedichte von Lithium-Ionen-Zellen aufweisen. Dass sie trotzdem im Automobilbereich an Wertschätzung gewinnen und etwa von Tesla verbaut werden, liegt an jüngsten Fortschritten und ihren geringeren Kosten bei gleichzeitig höherer Haltbarkeit.
Ein weiterer Praxisvorteil dieser neuen Zellchemie besteht darin, dass für sie ein anderes Ladeverhalten empfohlen wird, als es die meisten Anwender inzwischen für Li-Ion-Akkus verinnerlicht haben. Statt immer irgendwo zwischen 20 bis 80 Prozent Ladestand zu liegen wird ausdrücklich empfohlen, mindestens einmal die Woche den Li-FE-Akku voll aufzuladen, da dies der Lebensdauer zugutekommt. Ein echter Vorteil, der zu weniger Nachdenken im Alltag führt. Für die Fahrradwelt bleiben diese Akkus aber bis auf Weiteres Außenseiter. Ihre Energiedichte ist noch geringer als bei Lithium-Ionen-Akkus, was mehr Volumen und/oder mehr Gewicht bedeutet. Noch gibt es keine ausreichenden Reserven, als dass diese Technik demnächst ans Fahrrad finden könnte.
Ein nicht unerheblicher Faktor bei Batteriezellen ist ihr Format. 18650er-Zellen, also Akkus in der Größe 18 mm Durchmesser und 65 mm Höhe sind seit Langem der Standard in Fahrrad-Akkupacks. Vor ein paar Jahren wurde die Größe 21700 vorgestellt, die aber nur vereinzelt verbaut wurde, obwohl sie eigentlich bessere Eigenschaften mitbringt als das bewährte 18650er-Format. Der Grund ist natürlich vor allem auf der Kostenseite zu suchen. Der Schritt zu dem größeren Format scheint sich aber fortzusetzen.
Treiber der neuen Größe war einmal mehr Tesla, die erst vor kurzem ein neues Format namens 4680 vorgestellt haben, also Zellen mit einem Durchmesser von 46 mm und einer Höhe von 80 mm. Die deutlich dickeren Zellen ähneln damit den Mono-Taschenlampenbatterien, sind aber noch größer. Das Format könnte auf den ersten Blick auch für Fahrräder interessant werden, entspricht der Durchmesser doch in etwa dem eines Oversized-Unterrohrs. Diese Zellen kommen auf ein gut achtfaches Volumen im Vergleich zur 18650er-Zelle, entsprechend andere Leistungswerte bringen sie mit. Es wird von fünffacher Energiedichte gesprochen bei gleichzeitig halben Kosten.
Im Moment ist das aber noch fernere Zukunftsmusik, da dieses Format derzeit nur von Tesla propagiert wird. Wann diese Ankündigung dann tatsächlich in Fahrzeugen anzutreffen sein wird, ist noch nicht ganz klar, Tesla spricht von 12 bis 18 Monaten, bis eine Volumenproduktion dieser Zellen für den Einsatz an den eigenen Fahrzeugen möglich sein wird. Bis diese dann auch für Fahrradhersteller verfügbar sein könnten, wird absehbar noch viel mehr Zeit vergehen. Ob sie dann tatsächlich am Rad sinnvoll eingesetzt werden können, ist noch eine andere Frage, denn sie würden ja in einem »normal« dimensionierten Rohr in Reihe stehen statt parallel wie im Auto. Ob sich bei einer solchen Bauweise die Vorteile nutzen lassen, ist nicht ganz klar, es scheinen aber erhebliche Zweifel zu bestehen.
Weg mit dem Kobalt
Wer sich ein bisschen mit dem Abbau von Kobalt aus afrikanischen Minen beschäftigt, versteht schnell, warum die westliche Welt möglichst bald von diesem Material wegkommen will. Die Bedingungen für die Arbeiter sind so unattraktiv, dass es ein schlechtes Licht auf alle damit verbundenen Unternehmen wirft. Man muss aber davon ausgehen, dass es vor allem die hohen Kosten für diesen Stoff sind, die für die Ausstiegsbemühungen sorgen. Seit Jahren nimmt der Gehalt an Kobalt in den Zellen stetig ab, in einigen Jahren, eher früher als später, soll das Material dann komplett aus aktuellen Akkuzellen verschwinden. Die Forschung richtet ihr Augenmerk auf Materialien, die leichter zu fördern, weiter verbreitet, ökologisch verträglicher und in der Summe dieser Eigenschaften letztlich günstiger zu haben sind. Da diese Entwicklung dann Akkus, und damit auch das Fahrrad, nachhaltiger macht, ist sie zu begrüßen.
Haltbarkeit reicht aus
Inzwischen erreichen aktuelle Zellen eine beachtliche Lebensdauer. Im Wesentlichen wird diese durch eine höhere Zahl an erreichbaren Ladezyklen erzielt. Nach dem Meilenstein 1000 Zyklen kam recht schnell die Eine-Million-Meilen-Zelle in die Schlagzeilen, die praktisch das Problem der begrenzten Lebensdauer löst. Im Oktober 2020 stellten Batterieforscher dann sogar die Drei-Millionen-Kilometer-Zelle vor, die im Prinzip bei einer Nutzung in Teilzyklen sogar schon unbegrenzt haltbar sein soll. Es ist die Frage, ob solche Zellen auch einmal am Fahrrad verbaut werden. Einerseits dürfte die gefahrene Distanz praktisch nie an derartige Kilometerstände heranreichen. Andererseits wäre es für den denkbaren Weiterverkauf ein hübscher Bonus, wenn der Käufer sicher sein könnte, dass er das Fahrzeug noch lange nutzen können wird. Schon heute können Verkäufer damit der Kundschaft die Angst vor schnell verschleißenden Akkus nehmen. Schlecht ist dies höchstens für den Markt der Ersatzakkus, der aber vor allem von Spezialisten bespielt wird und bisher noch kein großer Umsatztreiber war.
Gretchenfrage Preis
Ob dieses Argument trägt, wird nicht zuletzt davon abhängen, wie teuer ein neuer Akkupack sein wird. Die Preise für die gespeicherte Kilowattstunde im Akku sinken seit Jahr und Tag kontinuierlich. Einst aufgerufene 1000 Dollar pro Kilowattstunde erscheinen heute als blasse Erinnerung. Aktuell findet der Kampf um die 100-Dollar-Grenze pro Kilowattstunde auf Ebene der Zellen statt. Langfristig soll dieser Wert sogar noch halbiert werden. In jedem Fall werden sich Kunden die Frage stellen, warum sie dann etwa für einen Bosch-Ersatzakku viele Hundert Euro zahlen sollten. Natürlich handelt es sich dabei um eine Kalkulation für Ersatzteile, die vorhersehbar viele Kunden nicht verstehen werden. Den Fahrradfachhandel dürften die hohen Ersatzakku-Preise eher wenig stören. In Verbindung mit immer leistungsfähigeren Akkupacks steigert dieser Umstand den Neupedelec-Verkauf. Nennenswert günstiger sollten die Ersatzakkus aber absehbar doch werden.
Ob angesichts günstigerer Akkus, die heute meistens das teuerste Bauteil am E-Bike sind, auch die Gesamtpreise sinken werden, ist dennoch zweifelhaft. Zum einen werden immer größere Energiespeicher verbaut, zum Zweiten herrscht bis auf Weiteres Zellknappheit und drittens schafft dies zumindest theoretisch Raum, sonst mit allzu spitzer Feder kalkulierte Räder besser auszustatten.
Keine Probleme in der Praxis
Im Verkaufsalltag spielen derart feine Unterscheidungen von Zelltypen und -größen praktisch keine Rolle. Die Kunden wollen in der Regel wissen, wie viele Wattstunden der Akku am Wunschrad bereitstellt. Praktisch nie wird nach Zellchemie, Entladekurven, Ladeströmen und sonstigen Feinheiten gefragt. Auch die Fahrrad- und Systemhersteller halten sich mit solchen Informationen weitestgehend zurück. Wer etwa wissen will, welche Zellen genau in einem Bosch-Akku stecken, muss sich auf eine eher diffizile Suche in den Untiefen des Internets einstellen. Das kann sich noch ändern und wird sich vermutlich auch noch ändern. Spätestens wenn der Markt einen höheren Reifegrad erreicht hat, werden solche Informationen als Distinktionsmerkmale dienen können.
Noch ist es aber viel einfacher: Nach wie vor entwickelt sich die Akkutechnik so schnell weiter, dass jedes Jahr etwa fünf Prozent mehr Energie in eine Zelle gleicher Größe passt (siehe auch das Interview ab S. 22), von möglichen Innovationssprüngen ganz zu schweigen. Solange das so ist, werden Kunden alle paar Jahre gute Gründe finden, ihr altes E-Bike durch ein deutlich leistungsfähigeres zu ersetzen. Das sind rosige Aussichten. Die Fahrradbranche mag nicht mehr die Speerspitze der E-Mobilität sein, aber sie profitiert nach wie vor sehr stark von der aktuellen Entwicklung.
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