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Erfolg ohne Vision
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Portrait - Marcus Pürner

Erfolg ohne Vision

Der Mann hinter Deutschlands größter Radmarke tritt nicht häufig in die Öffentlichkeit. Über den Unternehmer Marcus Pürner und seinen Glauben an den Handel.

Wenn jemand Erfolg hat, liegt es nahe, die eigenen Entscheidungen zu feiern – oder gar den Weitblick, den diese Person irgendwann einmal gehabt haben muss. Doch wer sich mit Entscheidungstheorie und den Zufällen des Lebens ein wenig genauer beschäftigt, kennt die Stolperfallen dieser Gedanken. Einer, der besonders erfolgreich war in den vergangenen zweieinhalb Jahrzehnten, wehrt sich gleich ganz gegen nachträgliche Interpretationen. »Wir hatten keine Riesenvision oder so – das würde ich gern sagen, aber das hatten wir einfach nicht.«

Der das sagt, ist heute nach eigenen Angaben der größte Fahrradhersteller in Deutschland und damit in der Branche auch international einer der führenden Köpfe: Marcus Pürner, 52 Jahre alt, Chef der Firma Pending System GmbH & Co. KG – besser bekannt für seine Marke Cube. In seiner Heimat, dem oberpfälzischen Waldershof gleich an der Grenze zum oberfränkischen Marktredwitz, hat er ein riesiges Unternehmen aufgebaut, das immer weiter expandiert. Mehr als 600.000 Räder produziert das Werk im Jahr, 2016/17 erzielte die Muttergesellschaft einen Umsatz von mehr als 393 Millionen Euro. Cube ist für die Radbranche seit Langem systemrelevant – mit einem Allroundansatz und einer starken Ausrichtung auf den stationären Fachhandel.

Der Mann hinter diesem Erfolg drängt sich nicht in den Vordergrund. Dafür ist er zu klug und wirkt auch nicht so, als suche er vom Naturell her die Bühne. Aber er ist oft dort zu sehen, wo die Wichtigen der Branche zusammenkommen, wie man hört. Pürner gilt als jemand, der auch heute noch ganz genau weiß, wie sich die Prozesse und Kosten der eigenen Produkte optimieren lassen. Sein oberster Produktmanager Harald Lucas arbeitet seit seiner Lehrzeit mit Pürner zusammen – er war der erste Azubi des Unternehmens. Noch heute, sagt Lucas, sei der Chef voll ins Geschehen eingebunden und treibe Dinge voran. »Er kommt und er sagt: ›Hier brauchen wir auch noch etwas.‹«

Organisch gewachsen

Die Marke Cube und die Firma in Waldershof sind organisch gewachsen – man kann sich das gut vor Augen führen, wenn man die Verwaltungsgebäude besucht und die großen Produktions- und Lagerhallen einige Hundert Meter entfernt. Alles wächst, überall entstehen neue Dinge. In der Zentrale, in der auch Marcus Pürner sein Büro hat, fällt die Orientierung zuerst nicht leicht. Neue und alte Trakte sind miteinander verbunden, leicht ergraute Funktionsarchitektur und modernes Office-Design finden sich unter einem Dach, es gab bislang 15 Bauabschnitte. Alles ist sehr nah beisammen – und das Interview, das Pürner für diesen Artikel mit uns führt, findet auch mitten im Raum statt, gleich gegenüber der Küche, wo die Mitarbeiter sich mittags ihr Essen warm machen. Pürner sitzt also da, mitten in dem Betrieb, und redet offen mit den Besuchern.

2018 feierte Cube sein 25. Markenjubiläum, doch den Einstieg ins Geschäft hatte Pürner schon vor 1993 gewagt. Er hatte sich nach dem Abitur und der nicht unbedingt einfachen Bundeswehrzeit nach München zum Studieren begeben, ein Wirtschaftsstudium aufgenommen – doch die große Stadt war nicht so recht sein Ding. Gemeinsam mit drei Freunden, die ebenfalls in München studierten, überlegte er, ob man die sich türmende Mountainbike-Welle für ein eigenes Geschäft nutzen konnte. Beisammen saßen damals Pürner, Michael Prell, bis heute Konstrukteur bei Cube, sowie »der ­Kalliwoda Uwe und der Möhwald Klaus«, wie Pürner in der heimatgefärbten Sprache die beiden Männer benennt, die später mit der Marke Ghost ihre eigene Erfolgsgeschichte schreiben sollten.

Vom Studentenjob zum Marktführer

Los ging es mit dem Verkauf von modifizierten Rädern eines bayerischen Mitbewerbers, die Pürner und Prell am Wochenende über das Garagentor des väterlichen Stuhlbaubetriebs verkauften. Das war ein klassischer studentischer Nebenverdienst. »Andere arbeiten in der Kneipe. Wir haben gesagt, wir machen Fahrräder.« Sein Vater hingegen, erinnert sich ­Pürner, war zwar immer hilfreich – aber er habe ihm auch geraten, das Geschäft lieber bleiben zu lassen. »Es bringt nichts.« So unterschiedlich kann der Blick sein. Sinnlos, sagt Pürner, sei wiederum das Studium gewesen. Der einzige Vorteil: Er hatte Zeit.

Pürner war damals beeindruckt von dem, was sich in den späten Achtzigern und Anfang der Neunziger von den USA aus im Fahrradmarkt tat. »Die Philosophie war geprägt davon, dass der Markt damals amerikanisch dominiert war. Wir haben gedacht, vielleicht gelingt es uns, Fahrräder zu machen, wie sie für unseren heimischen Markt passen«, erinnert sich Pürner an den frühen Wunsch, den globalen Geist an den hiesigen Durchschnitt anzupassen, den Trend auf die Region runterzubrechen – bei sehr begrenztem Know-how und Kapital. »Wir haben einfach nur gemacht.«

Pürners Effekt ist das Understatement: »Was wir damals gemacht haben, das hat jeder gekonnt.« Tange-Rahmenrohre, Ritchey-Sattel, Shimano-Teile zusammenbauen – das klingt nicht nach Wissenschaft. War es auch nicht: »Unser allererstes Engineering war, Zeitschriften zu nehmen, zu schauen, was es am Markt gibt und zu sehen, was gut getestet wurde.« Das Glück: Es brauchte damals keine großen Investitionen in Maschinenparks oder Werkzeuge. In der Gründerzeit war viel mehr möglich, als es heute denkbar wäre.

Heute steht Marcus Pürner hinter einer Marke, die man international kennt. Cube ist ein Anbieter, den Händler schätzen, weil er Menschen in die Läden zieht. Ein Vollsortiment-Hersteller, der nicht auf Eliten zielt, sondern die Masse erreichen kann – mit Produkten, die gut getestet werden und oft erstaunlich günstig sind. Das wiederum, sagen Insider, funktioniert natürlich über die Skaleneffekte: Wenn Cube einkauft, steckt dahinter mehr Marktmacht als bei vielen anderen Herstellern.

Die erste Entscheidung war die schwerste

Das Geschäftsleben, sagt Marcus Pürner, ist voll von schwierigen Entscheidungen. Aber eigentlich habe es nur eine gegeben, die zwischen all den anderen – dem Bau neuer Anlagen, dem Einstieg in neue Segmente – herausragt: die Order des ersten Containers mit Rädern. Der Cube-Gründer musste 160 Räder kaufen und 40.000 Mark bezahlen. »Ich dachte: Wenn das schief geht, bist du den Rest deines Lebens pleite.« Gemeinsam mit Michael Prell stemmte er die Investition. Den zweiten Container musste er gar ganz allein bezahlen. »Alle anderen Entscheidungen danach waren eigentlich kleiner. Auch wenn die Auswirkungen späterer Schritte größer erscheinen, waren alle Schritte seither kleiner.«

Und es waren einige Schritte seither. Die Marke, die zuerst Slickrock hieß, kurz Move und dann seit 1993 Cube, ist heute nicht mehr nur ein Mountainbikename, sondern steht auch auf Triathlon-, Renn-, Stadt-, Kinder- und E-Rädern. Mit E-Bikes legte man eher etwas später los – heute aber expandiert Cube hier gewaltig. Auch das E-Rennrad ist ein Hin­gucker und soll neue Zielgruppen er­schließen. Das war auf den ersten Messen kaum zu glauben, wo Cube sich mit sieben Rädern zeigte – sechs Mountainbikes und einem Crosser. »Bis wir Allrounder waren, hat es 15 Jahre ­gedauert.«

Auch hier gab es keinen ­Masterplan. Sondern eine Beobachtung: Die Händler hörten auf, Marken in ihren Geschäften zu sammeln. Mit einem Vollsortiment von einem Hersteller ließen sich die neuen Wünsche der Kundschaft besser adressieren – also lohnte es sich, die Marke Cube zu pflegen und auch zum Aus­hängeschild für Filialen zu machen.

Cube und der Fachhandel

Bis heute bleibt man dem Handel treu und hat mit den Cube Stores ein klares Zeichen gesetzt. Es gibt die Räder auch im Netz, aber nicht auf kannibalisierende Weise. »Natürlich setzen wir uns immer mit der Frage auseinander, ob der Vertriebsweg der richtige ist«, sagt Pürner, »wir haben das bislang immer bejaht und sehen das auch mittelfristig so.« Das Thema beschäftigt ihn sehr. Er kennt Roman Arnold gut, da klingt viel Respekt durch für den Mann hinter der Marke Canyon. Aber Pürner hinterfragt, ob ein Rad vom Versender wirklich immer günstiger sein wird als das Exemplar vom Fachhändler. »Wir sind dabei, Strukturen zu schaffen, mit unseren Partnern im Handel, die am Ende genauso wettbewerbsfähig sind wie ein Direktversand – oder vielleicht sogar wettbewerbsfähiger.« Man denke nur an die Probleme mit zurückgegebener Ware, sagt Pürner. Das kostet eben auch den Versender – im Zweifel mehr als den Fachhändler vor Ort, der mit Rückgaben anders umgehen kann.

Das Unternehmen und die Räder macht Pürner natürlich nicht alleine. Sein Understatement mag sehr gepflegt und bewusst sein, aber die Fakten sprechen dafür, dass es auch echt ist. Pürner umgibt sich mit Menschen, die das Unternehmen vorantreiben, die neue Ideen einbringen und die Marke prägen. Und viele dieser Menschen bleiben dem Unternehmen lange verbunden. Überhaupt ist es in vielen Fällen nicht Pürner, der das Unternehmen nach außen vertritt, sondern einer seiner vielen maßgeblichen Mitarbeiter. »Mit geht es nicht darum, im Mittelpunkt zu stehen oder mich zu profilieren«, sagt Marcus Pürner, »das macht mich nicht zu einem besseren Menschen. Ich will, dass sich das Unternehmen weiterentwickelt, das will ich für die Menschen hier im Unternehmen.«

Pürner ist keine Plaudertasche. Er erzählt ungezwungen, aber er drückt einem auch keine privaten Storys auf. Ganz im Gegenteil. Wenn man mit ihm länger spricht, wird klar, dass er sich genau bewusst ist, was er sagen möchte – und was er von sich zeigen will. Auf Bildern sieht man ihn in Poloshirt und weißen Sneakers, mit seinen länglichen Haaren, die immer noch etwas vom ­Studenten haben. Aber er fährt auch mit dem Luxusmarken-SUV rüber zur ­Fabrikhalle. Das sieht man nicht auf den Bildern. Und viel Privates hört man auch nicht von ihm. Wieso auch? Es täte nichts zu dieser Geschichte. Aber es unterscheidet ihn von anderen.

Regional verwurzelt

Pürner berichtet davon, dass sein erstes Rennrad ein Puch war, für 1100 Mark gekauft als er 16 war, und dass er heute nur noch mit dem E-Bike fährt. Ein Thema, das sich im Gespräch mit Pürner durchzieht: Die große Verbundenheit zur Heimat. »Ich hänge wirklich an der Region.« Man kann aus dem Fenster bei Cube das Krankenhaus sehen, in dem er zur Welt kam. Man muss nur ein paar Schritte gehen, um das Garagentor zu sehen, wo er und sein Freund damals die ersten Räder zusammenbauten. Und man kann in der Zeitung lesen, dass ­Pürner privates Geld in ein Bauprojekt in Marktredwitz investiert. »Da steht die wirtschaftliche Entwicklung nicht im Vordergrund.«

Ihm geht es vielmehr darum, dass diese Gegend attraktiv bleibt. An ihrem wirtschaftlichen Aufschwung vom Zonenrandgebiet zum Idyll mit Vollbeschäftigung hat Pürner jedenfalls persönlich mitgewirkt. Als wir auf die Lagerhalle schauen, kommt dann die Frage: Kann er sich vorstellen, hier auch mal Bürgermeister zu sein? Da muss er lachen. Auf keinen Fall, sagt Pürner, das wäre nicht seine Welt. Gemeinde-Politik läuft anders als die Leitung eines Unternehmens, findet er.

In seiner Firma ist er sehr präsent. Vor allem redet er und hört genau hin, mit den Mitarbeitern, Partnern, Zulie­ferern. Er mag nicht herumstolzieren oder brüllen, aber er ist der Boss: »Jemand muss die Leute zusammenbringen, die Ideen vereinen und am Ende den Weg und die Strategie vorgeben«, sagt Pürner. »Das bin immer noch ich – und das ist auch notwendig.« Auch wenn er früher keinen Plan für das hatte, was später alles passieren würde – dies hier hat Pürner gelernt: »Ich glaube, dass ich sehr gute Fähigkeiten habe – auch aus der Erfahrung – den Markt zu antizipieren.« Man könnte es gelernten Weitblick nennen.

10. Dezember 2018 von Tim Farin

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