Navigations-App kann arabisch
Fahrrad und Routenplaner machen Geflüchtete mobil
Noch vor wenigen Monaten besteht Amer Abosamras Leben aus etwas mehr als nichts. Was der Syrer hat, ist ein Fahrrad, ein Handy, die wenigen Habseligkeiten auf dem Gepäckträger und das Ziel Deutschland. Was dem 31-Jährigen fehlt, ist die Orientierung auf der Flucht aus seinem vom Krieg gebeutelten Land.
Mazedonien durchquert er auf einem geschenkten Rad, ohne Karte und ohne Verbindung zum Internet, die ihm die Orientierung per Smartphone erleichtern würde. „Wenn du weder Internet noch Karten hast, ist es schwer, die richtige Richtung zu finden“, sagt er. Abosamra verlässt sich auf sein Glück, auf Hinweise von Passanten, auf die Tipps seiner Schicksalsgenossen. Wochen später wird er wohlbehalten im westfälischen Münster ankommen.
„Orientierung bleibt das große Thema“
Neu ist hier für ihn die Gewissheit, sein Leben gerettet zu haben. Geblieben ist Abosamra das Gefühl aus Mazedonien, sich tastend in unbekanntem Gebiet zu bewegen. „Orientierung ist hier weiter das große Thema für die neu angekommenen Menschen“, sagt Rana Siblini, zweite Vorsitzende von AFAQ. Der interkulturelle Verein aus Münster ist aktiv in der Flüchtlings- und Integrationsarbeit und betreut seit 2012 Menschen wie Abosamra bei Behördengängen und Fragen zum Aufenthaltsrecht.
Auch bei der räumlichen Orientierung lassen viele Kommunen in Deutschland die Neuankömmlinge nicht allein. Zahlreiche Hilfsangebote haben damit zu tun, den Menschen mehr Bewegungsfreiheit zu ermöglichen. Münster wird dabei dem Ruf, Fahrradhauptstadt Deutschlands zu sein, auf besondere Weise gerecht. Wie Zahnräder greifen etwa die Initiativen des Vereins IFFM, der Montessori-Schule und des Fahrrad-Routenplaners Naviki ineinander.
Radfahrkurse, Zweiradwerkstatt, App
Das Integrationsforum Flüchtlinge Münster (IFFM) liefert defekte Spendenfahrräder zur Montessori-Schule, wo sie in der Fahrrad-Werkstatt aufgemöbelt werden. Seit Februar hat die Fahrrad-AG unter Anleitung von Lehrer Ansgar Jansen bereits ein Dutzend Räder repariert und an das IFFM zurückgegeben. Das IFFM stattet auf diese Weise Radfahrkurse für geflüchtete Frauen aus, die er gemeinsam mit dem örtlichen ADFC-Kreisverband eingerichtet hat. Die Absolventinnen erhalten im Anschluss nach Verfügbarkeit ein Rad geschenkt.
„Die Werkstatt an unserer Schule hat den schönen Nebeneffekt, dass vier Jugendliche aus Afrika und Syrien mitarbeiten, die ohne Eltern nach Deutschland gekommen sind“, sagt Jansen. Sie greifen mit acht Schülerinnen und Schülern des zehnten Jahrgangs einmal pro Woche zu Schraubenschlüssel und Flickzeug. „Wir verstehen dies auch als aktive Sprachförderung“, so Jansen. „Denn blieben sie unter sich, würden die jungen Männer vermutlich nur sehr wenig Deutsch sprechen.“
Syrischer Flüchtling findet sich leichter zurecht
Eine Brücke baut zudem der weltweite Fahrradrouten-Planer Naviki aus Münster den geflohenen Menschen. Die kostenlose Navigations-App gibt es seit kurzem auch auf Arabisch, es ist die 13. Sprachversion und zugleich die erste für den außereuropäischen Sprachraum. „Dies ist unser kleiner Beitrag zur Willkommenskultur“, sagt Naviki-Sprecher Achim Hennecke. „Je besser Menschen sich auskennen, umso leichter identifizieren sie sich mit ihrer neuen Heimat.“ Der Syrer Khaled Al-Hamwi findet die Möglichkeit vorteilhaft, maßgeschneiderte Strecken planen zu können: „Das macht es mir sehr einfach, zu meiner Wohnung zurückzufinden.“ Das jeweilige Ziel ist in der App auf Deutsch einzugeben, „so können die Flüchtlinge sich an die für sie neue Schrift und Sprache gewöhnen“, so Hennecke.
Die Aktiven von AFAQ, IFFM, Montessori-Schule und Naviki sind überzeugt, dass die Mobilität der Flüchtlinge in ihrer jeweiligen Stadt am einfachsten mit dem Rad gefördert werden kann. Diese Ansicht teilt auch Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe. Die Initiativen passten „zu Münster als Fahrradhauptstadt“. Er freue sich, so Lewe weiter, „dass für den Fahrrad-Routenplaner Naviki nun auch eine Version in arabischer Sprache zur Verfügung steht. Dies kann auch den Menschen aus diesem Sprachraum, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, helfen, sich vor Ort mit dem Fahrrad besser zu orientieren.“ Eine Orientierung, die Amer Abosamra jetzt leicht fällt, viel leichter als während seiner Flucht.
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