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Handel & Industrie - Familienfreundliche Unternehmen

Familienfreundlichkeit - das Ass im Ärmel

Die Worte Fachkräftemangel und Familienfreundlichkeit stehen im Duden gar nicht so weit auseinander. Das macht Sinn, denn man kann das eine wunderbar nutzen, um dem anderen die Stirn zu bieten. Auch in den Betrieben der Fahrradbranche sind Fachkräfte nur schwer zu gewinnen. Das Ass im Ärmel: Familienfreundlichkeit.

Am Familientag können sich Eltern über die Unterstützung der Kleinen freuen. In Ausnahmefällen erlauben einige Arbeitgeber auch an »normalen« Arbeitstagen das Mitbringen von Mitarbeiterkindern.

Die verzweifelte Suche nach Verkaufspersonal und Mechanikern eint viele Radladenbesitzer im ganzen Bundesgebiet. Dass zu wenig Schulabgänger sich im Beruf des Zweiradmechatronikers ausbilden lassen, ist die eine Sache. Die andere Seite ist, dass viele Shopinhaber nicht auf die frisch ausgebildeten Fachkräfte warten können, sondern so schnell wie möglich Mitarbeiter benötigen. Deshalb versuchen einige, mit höheren Löhnen zu locken. Anderen fehlt dazu der wirtschaftliche Spielraum. Die gute Nachricht für letztere: Geld ist nicht alles. Wie im Gespräch mit Händlern zu erfahren ist, zählt für die potentiellen Mitarbeiter nicht ausschließlich nur das, was am Ende des Monats auf dem Konto landet. Für die meisten ist ein gelungener Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit viel wichtiger. Insbesondere Mitarbeiter, die Familie haben, bewerten die Vereinbarkeit zwischen Job und Familie oftmals höher als finanzielle Anreize. Doch was können Händler tun, um ihre Attraktivität in diesem Bereich zu erhöhen? Manchmal sind es die kleinen Dinge, die einen großen Unterschied ausmachen können. Kombiniert man sie, können sie die Wahrnehmung eines Unternehmens deutlich verändern.

Familientag

Bei großen Firmen ist er eines der jährlichen Highlights für die Mitarbeiter: der Familientag. Die Angestellten können ihren Partnern, Eltern und Kindern ihren Arbeitsplatz zeigen. Gerade der Nachwuchs kann sich oft nicht vorstellen, was Mama und Papa tagsüber treiben, während sie selbst im Kindergarten mit ihren Freunden spielen oder die Schulbank drücken. Fahrradläden könnten diesen Tag als Tag der offenen Tür gestalten und so gleichzeitig auch den Kunden die Möglichkeit geben, den Betrieb hinter den Kulissen kennenzulernen. Natürlich dürfen Trampolin und Luftballontiere dabei nicht fehlen.

5-Tage-Woche

»Beim letzten Teammeeting kamen der Wunsch nach 5-Tage-Woche und maximal 40-Stunden-Woche als wichtigste Wünsche. Der Wunsch nach mehr Lohn wurde sehr niedrig bewertet«, berichtet Thorsten Larschow von Rad&Tour in Cuxhaven. Alle wissen, dass der Samstag einer der wichtigsten Verkaufstage ist. Wenn an diesem Tag alle Mitarbeiter im Laden gebraucht werden, sollte der Inhaber für einen freien Tag unter der Woche sorgen. Den können Mama und Papa dann mit dem Nachwuchs verbringen, und so den anderen Elternteil entlasten.

Fixe Beratungstermine

Fixe Beratungstermine mit der Kundschaft zu vereinbaren bringt viele Vorteile. In erster Linie steigt dadurch die Kundenzufriedenheit, denn der Interessent hat eine geringere Wartezeit und die Gewissheit, dass sich jemand Zeit für ihn nimmt. Und auch dieser »Jemand«, der Verkaufsberater, hat einen Vorteil: Er weiß, wann er Termine im Kalender hat und wann seine Präsenz nicht unbedingt notwendig ist. Diese Zeit kann der Mitarbeiter zum Beispiel für die Familie nutzen.

Öffnungszeiten

Viele Fahrradläden, inbesondere auf dem Land, öffnen erst um 9 oder 10 Uhr. Manche schließen samstags bereits um 13 Uhr oder haben einen Ruhetag in der Woche. Inhaber tun gut daran, das bereits in der Stellenanzeige zu erwähnen. Der Betrieb kann dadurch für Bewerber mit Familie interessanter werden.

Wenn man mal auf die Schnelle was erledigen muss, gibt’s nur ein kurzes Nicken vom Chef oder vom Abteilungsleiter und dann ist das genehmigt.Klaus SchmittZweiradshop Niederhofer

Flexibilität

Der Mitarbeiter muss wegen Elternabend in der Schule früher gehen? Das Kind ist krank und muss im Hort abgeholt werden? Vormittags mal kurz mit dem Kleinen zum Arzt, weil die Masern-Impfung ansteht? Das ist der große Vorteil in kleinen Betrieben: Die Wege sind kurz. Oder wie Klaus Schmitt vom Zweiradshop Niederhofer in Babenhausen es formuliert: »Wenn man mal auf die Schnelle was erledigen muss, gibt’s nur ein kurzes Nicken vom Chef oder vom Abteilungsleiter und dann ist das genehmigt.« Dass so etwas möglich ist, sollte natürlich angemessen potentiellen Bewerbern kommuniziert werden.

Gleitzeitregelung

Für Mechaniker und Verkaufspersonal ist es unmöglich, die Arbeit mit ins Home-Office zu nehmen. Tätigkeiten, die für Telearbeit oder ähnliches geeignet sind, wie etwa die Buchhaltung, übernimmt meist der Chef selbst. Um die Notwendigkeit der Präsenz im Laden etwas zu lindern, können die Verantwortlichen ein Gleitzeitkonto einführen. Auf dieses kann der Mitarbeiter in den hochsommerlichen Hochphasen einzahlen und die Überstunden im Winter, wenn im Laden naturgemäß weniger los ist, wieder abbauen. Zum Beispiel, wenn die Kinder krank sind oder einfach, um gemeinsam Plätzchen zu backen.

Kinderbetreuung

Für viele Arbeitnehmer, egal ob in der Fahrradbranche oder in anderen Bereichen, stellen die Schulferien ein großes Problem dar. Während sich die übrige Zeit des Jahres durch Nachmittagsbetreuung oder ähnliche Angebote die Versorgung der Kinder gut organisieren lässt, sind Eltern während der Ferien oft gezwungen, Urlaub zu nehmen. Doch in den Sommermonaten ist das im Fahrradladen schlichtweg unmöglich. Deswegen ist es eine riesige Hilfe für Mitarbeiter, wenn der Arbeitgeber bei der Organisation der Ferienbetreuung hilft. Dafür kann er sich mit anderen Betrieben und örtlichen Kindergärten oder der Gemeinde zusammenschließen. Wenn ein solches Angebot besteht, kann man mit diesem Pfund bei vielen Bewerbern mit Familie punkten.

Offenes Ohr

Schlussendlich ist der beste und einfachste Rat, den man Vorgesetzten geben kann: Hört Euren Mitarbeitern zu! Oft gehen private Dinge im Arbeitsalltag unter. Dabei sollte jedem Chef bewusst sein, dass Mitarbeiter nicht nur als Arbeitskraft, sondern auch als Mensch wahrgenommen werden wollen. Mitarbeiter sind dankbar, wenn der Chef nachfragt, wie es daheim läuft – besonders, wenn es gerade nicht läuft. Nicht alle Angestellten trauen sich, von sich aus über private Probleme zu sprechen. Auch, wenn sie eigentlich Unterstützung benötigen – in Form von unvorhergesehenen Urlaubstagen oder weniger Wochenstunden, weil das Kind ins Krankenhaus musste oder Eltern plötzlich pflegebedürftig werden.

Wichtige Komponente im Employer Branding
Während äußere Zwänge den Arbeitgebern im Fahrradeinzelhandel oft wenig Spielraum bezüglich Familienfreundlichkeit lassen, sieht die Lage bei großen Unternehmen der Fahrradbranche oft besser aus. Denn die Ansprüche der Mitarbeitenden haben sich in den letzten Jahren gewandelt, worauf die Arbeitgeber reagieren müssen. Laut dem Unternehmensmonitor Familienfreundlichkeit gaben 2003 noch 47 Prozent der befragten Unternehmen an, dass Familienfreundlichkeit wichtig oder eher wichtig ist. Im Jahre 2016 betrug dieser Wert bereits 74 Prozent. Das sind mehr als leere Worthülsen. Einige Unternehmen haben bereits Programme umgesetzt, um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben. Employer Branding ist das Gebot der Stunde, Familienfreundlichkeit zählt mit zu den vermarktbaren Eigenschaften eines Unternehmens. Die Beispiele von Benchmark-Betrieben wie Riese & Müller, Vaude und SKS zeigen auf, wie die Umsetzung dieser Absichten aussehen kann

SKS: Mitarbeiterkinder machen sich »ein Bild«

SKS

Zubehörhersteller SKS wurde bereits mehrfach als familienfreundlicher Arbeitgeber ausgezeichnet. Laut Christoph Hillebrand aus der Personalabteilung »wird Familienfreundlichkeit bei SKS einfach gelebt«. So erklärt er: »Es ist selbstverständlich, dass ein Mitarbeiter beispielsweise bei Krankheit des Kindes von zu Hause arbeiten kann, sofern die betrieblichen Abläufe dies zulassen. Teilweise werden auch schonmal Kinder mit ins Büro gebracht. Auch dass Väter in Elternzeit gehen, ist bei SKS üblich. Zudem bezuschusst SKS die Ferienbetreuung der Kinder und steht beratend zur Seite.« Regelmäßige Mitarbeiterbefragungen, die etwa im Rahmen der Zertifizierungen stattfinden, zeigen der Geschäftsführung an, wo die Bedürfnisse der Belegschaft liegen. Weiterhin thematisieren Vorgesetzte in den Mitarbeitergesprächen die Familienfreundlichkeit. So kann auf jeden Mitarbeiter individuell eingegangen werden. Nicht zuletzt spielt auch die interne Kommunikation über die Firmenzeitung eine Rolle. Dort werden etwa Mitarbeiterkinder mit Foto abgedruckt oder es wird über neue familienfreundliche Maßnahmen berichtet. Anlässlich der letzten Auszeichnung im Dezember 2019 wurden die Ergebnisse des SKS-Malwettbewerbs veröffentlicht. Mitarbeiterkinder waren aufgerufen, ihre bei SKS arbeitenden Eltern oder Großeltern, sowie auch Produkte oder das Firmengebäude, aus ihrer Sicht darzustellen. Einmal mehr gab SKS ein durchweg positives Bild ab.

Riese & Müller: Geschäftsführung lebt Familienfreundlichkeit vor

Riese&Müller

Die Südhessen begreifen sich selbst als »wertschätzenden Arbeitgeber«. Dabei hilft ihnen ein klares Wertegerüst und eine Vision, auf die Geschäftsleitung und Belegschaft gleichermaßen hinarbeiten. Der Aspekt Familienfreundlichkeit spielt dabei eine wichtige Rolle. Bei Riese & Müller schließt Familie jedoch nicht nur Eltern und Kinder ein, sondern auch die Pflege von Angehörigen. »Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird bei uns bereits durch die Geschäftsführung und Vorgesetzte, die Kinder haben, vorgelebt«, erklärt Jörg Lange, Head of Media Relations bei Riese & Müller. »Wir haben sehr viele individuelle Angebote, die immer für den Einzelfall herangezogen werden. Dazu gehören unter anderem Teilzeitangebote, flexible Bürozeiten und Ähnliches. Es muss immer für den jeweiligen Mitarbeitenden und das Unternehmen passen.« Elternzeit ist bei Riese & Müller sowohl für Männer und Frauen selbstverständlich und wird auch in Anspruch genommen. Außerdem werden Mitarbeiter motiviert, auch schwierige Themen anzusprechen. In regelmäßigen Veranstaltungen werden sie über Angebote informiert und in festen Sprechstunden können individuelle Möglichkeiten besprochen werden.

Vaude: Kein Fachkräftemangel am Bodensee

Vaude

Auch Vaude setzt auf flexible Arbeitszeitmodelle, Teilzeitlösungen und Home-Office-Möglichkeiten, um seinen Mitarbeitenden die Vereinbarkeit von Job und Familie zu ermöglichen. 150 Mitarbeiter von über 500 nutzen regelmäßig die Möglichkeit, von zuhause zu arbeiten. Wie Birgit Weber aus der Unternehmenskommunikation von Vaude mitteilt, verliere »die Präsenz im Büro zunehmend an Bedeutung«, das Unternehmen sei vielmehr von einer Ergebniskultur geprägt. Die Hälfte der Belegschaft arbeitet in Teilzeit, sogar 15 Prozent der Führungskräfte profitieren von dieser Option. Das Kinderhaus, das Vaude in Kooperation mit der Stadt Tettnang betreibt, könnte eine weitere Ursache für den hohen Anteil von Frauen in Führungspositionen sein. Dieser liegt bei Vaude bei über 40 Prozent. Für die männlichen Mitarbeitenden ist Familie nicht minder wichtig: Es gibt kaum einen Vater, der keine Elternzeit nimmt. Sollte das Kind einmal länger krank werden, als es der Gesetzgeber vorsieht, greift die Betriebsvereinbarung für unbezahlten Urlaub. Kommuniziert werden die Möglichkeiten für Eltern im Verhaltenskodex, dem Vaude Wegweiser, sowie über die betriebsinterne Kommunikationsplattform. Auch nach außen hin macht das Unternehmen vom Bodensee über seinen Nachhaltigkeitsbericht seine familienfreundliche Unternehmenspolitik transparent. Für Vaude ist die »Vereinbarkeit von Beruf und Familie beziehungswiese Privatleben mittlerweile ein klarer Wettbewerbsvorteil.« Das zieht Fachkräfte an: »Für viele ist dies ein maßgeblicher Grund, sich bei uns zu bewerben. Auch die hohe Zahl der Bewerbungen, gerade auch Initiativ-Bewerbungen, die bei uns eingehen, hängt sicherlich damit zusammen. Obwohl unser Firmensitz in einer ländlichen Region ist, haben wir keine Probleme, Fachkräfte zu bekommen.«

9. Februar 2020 von Nadine Elbert

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