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Familienurlaub im Fahrradsattel
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Report - Radreisen mit Kindern

Familienurlaub im Fahrradsattel

Sommerzeit ist Radfahrerzeit. Bei gutem Wetter tummeln sich die Radler auf gut ausgebauten Wegen. Immer häufiger trifft man dort auch Eltern mit ihren Kindern an. Radfahrer sind eine interessante Zielgruppe für Touristiker. Ebenso wie Familien. Aber Familien, die auf Radreise gehen, werden von Veranstaltern und Touristenverbänden oftmals vernachlässigt. Einige Regionen und Anbieter machen vor, wie es auch anders geht.

Der erste Radurlaub mit ihren Kindern war eine spontane Idee. Die Sommerferien hatten begonnen, verreisen war nicht vorgesehen, aber das Wetter war so gut, dass Regine Gwinner, Chefredakteurin des Magazins »Verträglich Reisen«, sich kurz entschlossen für eine Radreise entschied.
Als sie ihren acht- und neunjährigen Kindern sagte, dass sie mit ihnen die Dinosaurier-Ausstellung in einem Salzbergwerk besuchen will, außerdem das Sealife-Center, verschiedene Schleusen und Schwimmbäder und dann noch die Oma, waren die beiden hellauf begeistert. Die Tatsache, dass sie mit dem Fahrrad unterwegs sein würden, haben sie eher beiläufig zur Kenntnis genommen.
Viele Familien träumen davon, auf so spartanische Art mit ihren Kindern unterwegs zu sein. Aber oftmals mangelt es den Eltern an Mut, um einfach loszufahren. »Ihnen fehlt ein sicherer Rahmen«, stellt Regine Gwinner immer wieder während ihrer Arbeit fest. Noch ist für Familien das Angebot an organisierten Radreisen in den Ferienregionen Deutschlands und in Europa recht übersichtlich. Das ist erstaunlich. Schließlich sind Radfahrer als Zielgruppe seit langem beliebt bei Touristikern.
Das gilt besonders, seit der Deutsche Tourismusverband (DTV) vor ein paar Jahren in seiner Studie gezeigt hat, dass Radler lukrative Kunden sind. Ihnen verdankt die Branche demnach einen Umsatz von 9,16 Millarden Euro im Jahr. Seitdem gilt diese Zielgruppe als Dauerbrenner mit großem Wachstumspotenzial.
Mit verschiedenen Themenrouten, hochwertigen Fahrradverleihstationen und Gepäcktransport von Hotel zu Hotel stellen sich die Regionen immer gezielter mit ihren Angeboten auf ihre radaffine Kundschaft ein und gestalten entsprechend ihr Marketing.
Familien werden dabei häufig übergangen. Sie kommen in der Werbung und in Angeboten einfach nicht vor. Dabei sind viele der ausgewiesenen Strecken durchaus für Familien mit kleinen oder auch älteren Kindern geeignet. Der ADFC weist in seinem Magazin »Deutschland per Rad entdecken« die geeigneten Routen stets explizit als familienfreundlich oder sogar kinderanhängerfreundlich aus. Das ist aber nicht die Regel. »Beim Marketing fehlt die Erkenntnis, Familien und Radfahrer zu kombinieren«, stellt auch Iris Hegemann überrascht fest, die beim DTV für Fachthemen und Kooperationen zuständig ist.
Einen Grund dafür gibt es nicht. Denn neben Radfahrern werden auch Familien durchaus als attraktive Feriengäste eingestuft. Tourismusverbände verwenden Marketingetats, um diese Zielgruppe auf die Region aufmerksam zu machen. »So gibt es in Süddeutschland die Marke Kinderland Bayern und im Norden die Marke kinderfreundliches Niedersachsen«, sagt Hegemann. Damit soll Eltern beispielsweise die Suche nach kinderfreundlichen Unterkünften und Reiseangeboten erleichtert werden.

Kinderfreundliche Radrouten

Allerdings sind einige Regionen auch schon einen Schritt weiter. Das Sauerland wirbt bereits mit verschiedenen kinderfreundlichen Routen und wer in der Eifel Urlaub macht, kann unter der Bezeichnung »Kinderradweg Eifel« zwischen verschiedenen Tourvorschlägen wählen. Die Routen in der Eifel werden über Schautafeln an einzelnen Stationen von den Comicfiguren Biggi Biene, Elli Eule, Freddi Fledermaus und Willi Basalt begleitet, die speziell jüngere Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter ansprechen sollen. An Erlebnisstationen, Spiel- und Rastmöglichkeiten sowie Abstechern erläutern die vier gezeichneten Experten auf Schautafeln Wissenswertes etwa zu erloschenen Vulkanen, wassergefüllten Maaren, trutzigen Burgen oder seltenen Fledermausarten.
Die Touren in der Eifel sind für Urlauber gedacht, die eine feste Unterkunft haben. Von dort können sie Tagesauflüge unternehmen. Einige Eltern wollen aber auch gern mehrtägige Radreisen mit ihren Kindern unternehmen. »Die Nachfrage in diesem Bereich wächst«, stellt Regine Gwinner fest, »und der Markt springt nach und nach darauf an«.
Ein Reiseanbieter, der für Experten hier als Gradmesser gilt, ist Vamos aus Hannover. Der Reiseanbieter hat sich auf hochwertige Eltern-Kind-Reisen spezialisiert. »Wenn es bei Vamos läuft, ist es ein Trend«, sagt Gwinner. Tatsächlich hat der Veranstalter nach eigenen Angaben bereits seit 1999 Radreisen für Erwachsene und Kinder im Programm. In den vergangenen Jahren wurde das Angebot zudem deutlich aufgestockt. Mittlerweile gibt es sechs verschiedene Touren in Frankreich und Italien.
Das geschah nicht ohne Grund. Immer wieder hatten Eltern gezielt nach Radreisen in Südeuropa gefragt. Ein Renner ist das Angebot jedoch nicht. »Die Radreisen für Familien sind vom Umsatz her eher ein Nischenprodukt. Sie machen gerade einmal ein Prozent unseres Gesamtumsatzes aus«, sagt Beate Dalkowski, Pressesprecherin von Vamos. Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 66 Familienradreisen gebucht.
Die Radreisen bei Vamos sind keine Gruppenreisen. Der Veranstalter schafft den Familien eigentlich nur den sicheren Rahmen für ihre Radtour im Ausland. »Von der Idee her ist jede Familie für sich allein unterwegs«, sagt die Sprecherin. Manchmal fahren die Familien auch gemeinsam, das sei dann aber eher ein Zufall.
Sämtliche Strecken werden vorab von einem Vamos-Mitarbeiter vor Ort abgefahren. »Die einzelnen Tagesetappen werden detailliert beschrieben und es gibt viele Hinweise auf Möglichkeiten für Pausen und kleine Entdeckungsreisen abseits der Strecke«, sagt die Sprecherin. Wann jedoch Zeit für eine Pause sei, entscheiden die Familien selbst.
Enttäuschungen versucht der Veranstalter möglichst zu vermeiden. So bietet er für die Reise von Bozen nach Venedig zwischenzeitlich einen Shuttle Service an. So können im Notfall auch einige Etappen mit dem Zug zurückgelegt werden. Die Wegestrecken sind mit 30 bis 68 Kilometern die längsten im Programm und werden auch erst für Kinder ab 12 Jahren empfohlen.
Derart ausgeklügelte Programme geben Familien oft erst die Sicherheit, um den Spagat zu wagen zwischen aktivem Radurlaub und der Prise Abenteuer, die so eine Tour für manche Menschen darstellt.

Es geht auch anders

Es muss aber nicht immer die organisierte Radreise sein. Gabi Bangel, die Tourismus-Expertin vom ADFC stellt fest, dass immer mehr Familien auch gern allein mit ihren Kindern per Rad unterwegs sind. »Die Menschen wollen aktiv sein und Radfahren macht Kindern mehr Spaß als zu Fuß zu gehen«, sagt sie.
Oft sind es die Mütter und Väter, die vor der Erziehungszeit bereits einige Urlaube im Sattel verbrachten, die experimentierfreudiger sind und die Angebote der Fahrradbranche nutzen. Erst ziehen sie ihren Nachwuchs im Anhänger, dann im Nachlaufrad und später radeln die Jungs und Mädchen selbst.
Speziell in der jüngeren Vergangenheit habe sich viel verändert, findet Bangel. »Seit der DTV-Studie von 2009 hat der Radreise-Tourismus große Sprünge gemacht.« Radfahren sei Trend. Das spiegelt sich auf der Straße und in den Medien wider. Große Tageszeitungen wie der Tagesspiegel aus Berlin, die Welt aus Hamburg oder die Süddeutsche Zeitung aus München bringen in den Sommermonaten Sonderseiten, Serien oder Magazine mit Ausflugstipps für Fahrradfahrer. Auch Apothekenzeitschriften oder Krankenkassen werben mit Radtouren. »Hier steckt noch viel Werbepotenzial in den einzelnen Regionen«, sagt sie.
Allerdings muss das Angebot stimmen. Das beginnt mit Leihrädern. »Radler haben ein gutes Auge für die Qualität«, sagt sie. Mit einem guten Sortiment an Mietvelos für Kinder wie für Erwachsene und einen guten Service können Regionen punkten. Dazu gehört für sie unter anderem auch die One Way Vermietung. Die Familien steigen aus dem Zug aus, mieten sich Räder und geben sie abends an einer anderen Verleihstation wieder ab. So ein Kundendienst erleichtert vielen Menschen die Entscheidung für einen Kurzurlaub mit dem Rad.
Aber auch die Eltern sind in der Pflicht. »Tagestouren oder ein verlängertes Wochenende sind eine gute Vorbereitung für die Reise«, sagt Bangel. Auf diesen Ausflügen können die Kinder ruhig leichtes Gepäck und ihre Trinkflasche transportieren. Flache Strecken entlang an Flüssen oder Seenrouten wie die Buga-Route durch die brandenburgische Seenlandschaft eignen sich ihrer Meinung nach besonders für kurze oder auch längere Touren mit selbst fahrenden Nachwuchs.

Flexibel sein

Wie so häufig sind die Bedürfnisse von Eltern und Kindern bei Radreisen ebenfalls grundverschieden. »Erwachsenen ist die Gegend wichtig, das Essen und die Kultur«, sagt Bangel. Bei Kindern heißt gutes Essen oftmals Pommes Frites. Die Landschaft interessiert sie weniger, dagegen die Geschichten, die ihnen auf einer ausgewiesenen Kinderrouten wie in der Eifel erzählt werden, umso mehr. Sie müssen jedoch gut erzählt werden.
Natürlich geht es auch anders. Mit dem richtigen Kartenmaterial und viel Zeit und Muße können Väter und Mütter ihre Routen auch selbst zusammenstellen. Das ist bedeutend aufwendiger, aber auch individueller und besser auf die Kinder zugeschnitten.
Regine Gwinner hat sich die Mühe gemacht. Ihre beiden Kinder bekamen auf dem Weg zur Oma etwas Gepäck in die Satteltaschen und damit auch etwas Verantwortung übertragen. Dann ging es los. Das Dreier-Gespann radelte von Mannheim über Speyer, Heidelberg, Bad Friedrichshall und Kocher bis nach Schwäbisch Hall. Die Kinder erzählten jedoch nie von den Städten sondern von der Dino-Tour, dem Sealife-Center, den vielen Schleusen und den Spaßbädern, die sie alle besucht hatten.
Für die drei sollte es die erste Tour von vielen weiteren werden. »Radreisen sind unvergessliche Familienerlebnisse und unglaublich teambildend«, schwärmt Regine Gwinner heute. Wenn eins ihrer Kinder nicht mehr konnte, hat das andere sein Fahrrad abgestellt und das Geschwisterkind hoch geschoben.
»Kinder sind leistungsfähiger als man denkt«, sagt sie. Auch Siebenjährige könnten bereits mithalten, sofern die Eltern nur die Etappenziele nur richtig auswählen.
Für ihre Familie war die Erfahrung, als Team zusammenzuhalten, eine große Bereicherung, die weit über den Urlaub hinaus gewirkt hat.

15. Juli 2015 von Andrea Reidl
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