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Messe - Eurobike-Nachbericht

Frankfurter Fahrradfreuden

Inspirierend, einsichtsreich und ganz schön groß: An keinem anderen Ort und zu keiner anderen Zeit kann man die Fahrradbranche so intensiv erleben wie während der Eurobike-Tage. Das galt auch in diesem Jahr.

Am besten fängt man bei einer solchen Nachbetrachtung vermutlich beim Produkt selbst an. Es mangelte hier nicht an Neuheiten, die das Fahrrad in all seinen Facetten nochmal voranbringen werden. Neue Antriebe, neue Schaltungen, neue Marken, neue Trends in den Segmenten und neue Services zeigen auf, dass auf keiner Ebene die Fahrradentwicklung stillsteht. Viele Innovationen, wie beispielhaft die Motor-Gearbox-Unit von Pinion, zeigen zudem, dass es den Fortschritt nicht umsonst geben wird: Das High End im Markt wird auch preislich noch ein bisschen »higher« angesiedelt. Das Fahrrad, insbesondere in seiner elektrifizierten Version, ist heute ein komplexes Stück Technologie. Bange werden muss einem deswegen nicht, es gab daneben genug erschwingliche und attraktive Ware zu sehen, die das Produkt Fahrrad nicht nur am Geldbeutel, sondern auch emotional vermitteln kann. 200 »Weltpremieren« vor Ort zeigen, dass man in Frankfurt den größten Aufmerksamkeitsschub für die eigenen Neuheiten erwartet. Auch wenn diese Präsentationen aus den verschiedensten Bereichen kamen, wurde einmal mehr klar, dass die Zukunft des Fahrrads im Kern elektrisch sein wird.
Dass Mikromobilität heute nicht mehr automatisch und ausschließlich Fahrrad bedeutet, zeigte sich in der riesigen Halle 8, wo in diesem Jahr abgesehen von Ninebot/Segway das Who‘s who der hiesigen E-Scooter-Anbieter zugegen war. Dieses Segment war im Vorjahr noch deutlich weniger präsent. Angesichts der wahrgenommenen Besucherdichte und dem Feedback der Aussteller scheinen sich inzwischen auch Händler und Verbraucher für dieses Segment zu interessieren. Es schadet sicher nicht, wenn diese Marktteilnehmer die Eurobike für sich als geeignete Plattform entdecken.
Genauso umfassend vor Ort waren die Anbieter von Lastenrädern, die Digital- und Finanz-Services ebenso wie die Infrastruktur-Gestalter, die im Rahmen des NRVK die Gelegenheit nutzten, mal zu sehen, für welche Fahrradzukunft sie eigentlich planen. Das dazugehörige Rahmenprogramm der Eurobike, das sich bemühte, Synergien zwischen den verschiedenen Playern herzustellen, dürfte genau richtig gewesen sein, damit sich die verschiedenen Akteure rund ums Fahrrad kennenlernen und weiter vernetzen können.
Um all diese Menschen zusammenzuführen, braucht es eine ausgeklügelte Logistik. Bei der zweiten Auflage der Eurobike in Frankfurt war einiges schon deutlich vertrauter. Die Laufwege haben sich im zweiten Jahr nun halbwegs eingeprägt, die Orientierung auf dem Gelände fällt leichter. Das ändert aber nichts daran, dass man am Tagesende trotzdem ziemlich viele Kilometer gelaufen ist. Wer gar den Anspruch hatte, alles anschauen zu wollen, was auf den 150.000 Quadratmetern gezeigt wurde, kam auch mit guter Orientierung leicht auf Marathon-Distanzen über die Messetage. Dafür konnte man auf der Strecke viele interessante Eindrücke mitnehmen.

Zwischen Hoffen und Bangen

Besonders aufschlussreich waren die Gespräche mit den Ausstellern. Vermutlich gibt es keinen besseren Ort, der Branche den Puls zu fühlen als im Messeumfeld mit der Möglichkeit zu kleinen und großen Gesprächen. Nach wie vor bestimmendes Thema war der vorhandene Warenüberhang, dessen Abbau wohl noch geraume Zeit in Anspruch nehmen wird und nicht ohne Schmerzen ablaufen wird.

Kleine und große Highlights gab es an den Messeständen zu entdecken. Entweder ließ man sich von BMX-Profis die ersten Tricks erklären (unten) oder versuchte sich selbst in sicherer Umgebung am Manual (oben bei Sports Nut).

Trotzdem war während der Messetage nur wenig Jammern zu hören. Gleichzeitig wurde auch klar, dass einige Unternehmen gerade ernste Herausforderungen zu bewältigen haben. Die Erwartung ist im Kern, dass nach dieser aktuellen Durststrecke das Fahrradgeschäft wieder auf Erfolgskurs schwenken wird. Die aktuellen Pro­bleme haben nichts mit der Beliebtheit und Akzeptanz des Fahrrads zu tun. Stattdessen ist die Branche über die eigenen Füße gestolpert und es steht zu befürchten, dass nicht alle wieder auf die Beine kommen, aber den meisten sollte es doch gelingen.
Insgesamt konnte die Messe die Branche für sich gewinnen. Das Fachbesucherplus von knapp drei Prozent im Vergleich zum Vorjahr kann sich sehen lassen. Dass das Plus nicht größer ausgefallen ist, zeigt vermutlich vor allem, dass es genug Marktteilnehmer gibt, die gerade den Gürtel etwas enger schnallen wollen und müssen. Trotzdem fanden Teilnehmende aus 122 Ländern ihren Weg nach Frankfurt. Es fiel auf, dass die Eurobike-Teilnahme vielen wieder als Pflichtveranstaltung gilt.

Großer Zuspruch an Publikumstagen

Eine der besonders erfreulichen Entwicklungen für die Eurobike dürfte der Besucherzuwachs an den Publikumstagen sein. 31.840 Endverbraucher bedeuten ein Plus von über 16 Prozent zum Vorjahr (als noch 27.370 Menschen den Weg aufs Messegelände fanden). Damit zeigt sich, dass die Veränderung beim Marketing und der Fokus auf die Aktionen auf dem Messegelände gefruchtet haben. Die Besucherinnen und Besucher bekamen ein attraktives Programm geboten, das von actionreicher Unterhaltung, dargeboten von Extremsportlern, bis zum Kriterium auf dem Messegelände reichte. Vor allem dürfte aber das umfassende Testangebot der Aussteller dazu geführt haben, dass sich die Menschen zum Messebesuch entschlossen. Dass Frankfurt und sein Speckgürtel sich mit ihrer Fahrradattraktion vor der Haustür allmählich anfreunden, dürfte auch in anderer Hinsicht interessant sein: Viele potenzielle Aussteller, die wenig Bezug zum Fachhandel haben und stattdessen im Direktvertrieb agieren, dürften mit diesem Besucherandrang ins Grübeln geraten, ob ein Messebesuch zumindest an diesen Tagen für sie sinnvoll wäre. Schon in diesem Jahr waren knapp 20 Aussteller, darunter Specialized, nur an den Publikumstagen vor Ort. Man darf gespannt sein, ob der Zuspruch auch in dieser Richtung wirken kann. In jedem Fall ist die Eurobike nach einer Phase des Zweifels wieder ohne Frage die Weltleitmesse für das Fahrrad in all seinen Facetten. Angesichts der aktuellen Marktpro­bleme ist das keine kleine Leistung. Die nächste, 32. Eurobike findet dann im Sommer 2024 vom 3. bis 7. Juli statt. Bis dahin wird sich die Fahrradwelt einmal weitergedreht haben und es wird wieder viele neue Themen zu besprechen und neue Produkte zu bestaunen geben. //

31. Juli 2023 von Daniel Hrkac

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