Report - Nachfolgeregelung
Freundliche Übernahme
Schon bei der Einstellung von Timo Wecek dachte Frank Rottstock: »Das könnte vielleicht einmal mein Nachfolger sein. Und im Laufe der letzten drei Jahre ist der Entschluss immer mehr gereift«, erklärt der 53-Jährige. Wann Rottstock wirklich aufhören will zu arbeiten, und Fahrrad Rottstock in Gütersloh an Wecek übergibt, ist noch nicht genau geklärt. »Vielleicht mit 60?«, überlegt er. Aber der Zeitpunkt des Austritts muss auch noch gar nicht feststehen. »Mir war wichtig, dass ich mir früh genug Gedanken mache und anfange, eine Nachfolgeregelung in die Wege zu leiten.« In Gesprächen mit Andreas Lübeck vom Bielefelder Beratungsunternehmen LBU wurde die Idee weiterentwickelt. Im Januar 2017 wird Rottstocks Mitarbeiter Wecek, heute 30 Jahre, in die GmbH eintreten, um dem Ganzen eine rechtliche Basis zu geben. »Mir ist klargeworden, dass man sich früh damit beschäftigen muss. Es gibt viel zu regeln«, so Rottstock. Nicht nur für den Nachfolger-Suchenden: Wecek, der das Geschäft mit 340 Quadratmetern übernehmen soll, muss die Möglichkeit bekommen, die finanziellen Mittel aufzubringen. Das Konzept ist einfach: Wecek arbeitet deutlich mehr und wird auch entsprechend dafür bezahlt, und Rottstock tritt einen Schritt zurück. So kann der Nachfolger in spe durch höheren Verdienst und seine entsprechende Beteiligung am Warenbestand sich immer mehr in das Unternehmen einbringen. Ein schöner Nebeneffekt des Konzepts: Die beiden umgehen das Problem, beim terminierten Wechsel den vorherrschenden Warenbestand schätzen zu müssen, beziehungsweise sich auf einen Wert des Bestands zu einigen. Und das kann unter Umständen viel Wert sein, wie wir noch sehen werden. »Außerdem sieht die Bank, dass es auf der Seite Weceks einen großen Warenbestand gibt – und das hilft bei der Kreditvergabe. Das ist schon eine fast luxuriöse Situation für uns. Und der Wechsel ist nicht etwas Abstraktes, was plötzlich eintritt. Er ist heute greifbar.« Sehr angenehm – aber auch notwendig bei dieser Art von Geschäftsnachfolge – ist, dass das persönliche Verhältnis der beiden passt. Das macht nicht nur im Alltag locker und umgänglich: »Wir haben dieses Konzept auch gewählt, weil ich will, dass mein Laden und damit mein Nachfolger eine echte Perspektive haben«, so Rottstock. Und diesen Wunsch hat der scheidende Unternehmer gemeinhin eher, wenn der Nachfolger ihm persönlich am Herzen liegt.
Gleitender Übergang
Diese Regelung in Gütersloh ist ein Beispiel für eine geschmeidig durchgeführte Übernahme. Ein Gesellschaftervertrag, kürzere Arbeitszeiten für den Ausscheidenden bei voller Bezahlung – Modelle, die einen weichen Übergang möglich machen.
Auffällig ist, dass gegenwärtig überdurchschnittlich viele Unternehmer in der Branche aufhören wollen. »Es gibt derzeit einen unglaublichen Bedarf an Beratung in Sachen Nachfolge«, sagt Ulf-Christian Blume, Jurist und Unternehmensberater bei LBU in Bielefeld. Das hat demografische Gründe: In den 80er-Jahren erlebte das Fahrrad einen Boom, befeuert vor allem durch das Mountainbike. »Viele junge Unternehmer haben sich damals entschlossen, einen Fahrradladen zu gründen. Und viele von Ihnen gehen in diesen Jahren in den Ruhestand«, erklärt Blume. Andererseits ist – trotz des gerade herrschenden E-Bike-Booms – das Fahrradgeschäft für die meisten Unternehmensgründer nicht erste Wahl. Viel Arbeit bei wenig Rendite, so oft der Tenor. Das bedeutet einerseits, dass Nachfolgewillige rar sind. Positiv kann man daran sehen, dass sich tendenziell nur Menschen um eine Nachfolge bemühen, die bereits ein Faible für Fahrräder besitzen, und sich nicht aus rein finanziellen Gründen für das Unternehmertum in der Branche entscheiden.
Grundsätzlich sind drei Arten von Nachfolge in der Branche typisch: Das Eingangsbeispiel zeigt die Übernahme durch einen Mitarbeiter. Ein häufiger Fall ist auch die Übergabe an Familienmitglieder, meist Kinder des Unternehmers. Und es gibt die Übernahme durch bislang unbeteiligte Personen – der seltenste, für den Nachfolge suchenden oft aber auch der unkomplizierteste Weg. Blume weiß: »Häufig sind es Überzeugungstäter, die einen Radladen leiten wollen. Die Perspektive, damit viel Geld zu verdienen, ist nicht die erste Triebfeder.«
Wert-Schätzung
»Bei jeder Nachfolge, egal welcher Art, gibt es zwei gegensätzliche Interessen«, sagt Blume. Der eine will möglichst viel für sein Geschäft bekommen – weil es ja oft auch so etwas wie sein Lebenswerk darstellt –, der andere will möglichst wenig dafür bezahlen. Der Preis für ein Fahrradgeschäft teilt sich grob in drei verschiedene Bereiche auf, die es zu bewerten gilt: Wie sieht es mit der Geschäftsimmobilie aus – ist sie im Eigentum des Händlers und soll mitverkauft werden, kann sie angemietet werden und zu welchen Bedingungen? Oder ist der Vermieter ein Dritter, der möglicherweise keine langjährigen Zusagen mehr machen will? Auch die Geschäftsausstattung des Unternehmens wird finanziell berücksichtigt, also alle Einrichtung und Geräte, Werkzeuge und dergleichen. Ihre Bewertung stellt aber meist kein großes Problem dar.
Schwieriger aber kann die Warenbestandsbewertung, also die Schätzung der vorhandenen Lagerwerte sein. Nicht immer gelingt der Abverkauf von Altware wie erwartet, jeder Händler hat »Leichen im Keller«. Hier sind Fingerspitzengefühl und Branchenkenntnis gefragt, um den Warenbestand für beide Parteien zufriedenstellend zu bewerten.
Schließlich kommt dann drittens noch der ideelle Geschäftswert dazu, hierzu zählt z. B. der Kundenstamm. Wie viel sind 1.000 feste Kunden bei einem Radgeschäft im Premium-Sektor wert? 10.000 Euro? 100.000 Euro? Für den aktuellen Händler wohl eher letzteres – aber für den Nachfolger? »Die Frage nach der Höhe des ideellen Werts ist schwierig zu taxieren; zum einen, weil sich viele Händler kein für einen Unternehmer angemessenes Gehalt auszahlen. Würde man ein normales Geschäftsführergehalt ansetzen, bliebe wenig Gewinn übrig. Zum anderen gibt es durch die Schnelllebigkeit und Veränderung der Branche, u. a. E-Commerce und E-Mobilität, keine längerfristigen festen Renditeerwartungen. Jeder Fall anders und fast immer sind in diesem Punkt die Erwartungen des Händlers viel höher, als das, was er hinterher herausbekommt.« Bei einer Bewertung kommen oft Berater wie Lübeck und Blume ins Spiel. Sie haben als Insider Marktkenntnis und wissen: Was gibt der Markt her, wie ist der Abverkauf? Auch die Fragen, welche Marken der Händler hat und welches Konzept hinter seinem Portfolio steckt, sind relevant. Und hat der Händler nachhaltige Beziehungen zu seinen Lieferanten?
Weiter: Wie sieht die Werkstatt aus – wird sie als notwendiges Übel betrachtet oder dient sie auch als gute Einnahmequelle, bzw. kann man sie dazu machen?
Geld und Gefühl
Die Suche nach einem Nachfolger im Fahrradhandel ist ein Thema, in der Finanzielles die Hauptrolle spielt – aber es geht ganz viel auch ums Bauchgefühl. Spricht man mit Blume über Nachfolge, kommt ein Begriff in verschiedensten Ausprägungen immer wieder: Vertrauen. Stimmt die Chemie zwischen den beiden Parteien, ist diese Herausforderung relativ einfach zu managen. Stimmt sie nicht, wird’s schwierig bis unmöglich. Wird der Betrieb von einem Mitarbeiter übernommen, kann sich das menschliche Miteinander dort verkomplizieren. »Das muss strukturiert werden«, sagt der Berater. Beide Seiten müssen sich klar darüber sein, dass verlässliches Verhalten und Umsetzen von aufgestellten Vereinbarungen die Minimalanforderungen sind, nach denen eine solche Übernahme funktioniert. Wenn also vereinbart wird, dass der Übernehmende ab einem gewissen Zeitpunkt bestimmt, in welche Richtung die Entwicklung des Ladens geht, ist es wichtig, dass der bisherige Eigentümer sich konkret zurücknimmt. »Nachfolge in diesem Zusammenhang ist vor allem auch eine menschliche Herausforderung«, so Blume.
Weiterentwicklung plus Nachfolge
Mitten in einer Nachfolgeregelung ist auch das Radgeschäft Flizz Eurobike in Aachen, bisher von drei Gesellschaftern geleitet. Jonas Scholz übernimmt das Fachgeschäft in mittlerer Zukunft von ihnen. Einer der drei Gesellschafter ist Gerd Scholz, sein Vater. Der Sohn war vorher in der Automotive-Branche unterwegs. Mit 29, vor sieben Jahren, ist er in den Betrieb eingetreten, damals als Werkstattleiter; seit fünf Jahren ist klar, dass er ihn übernehmen wird. »Wir machen das mit einem Berater, der uns über den ganzen Weg begleitet«, erzählt er. Der ist in vielerlei Hinsicht wichtig. Ein Kernpunkt der Aufgaben, die nun über die nächsten Jahre gelöst werden sollen, ist die neue Verteilung der Aufgabenbereiche. »Vorher hatte jeder der drei Chefs seinen Bereich, den er gut abdecken konnte. Jetzt muss neu geregelt werden, wie letztendlich die gesamte Leitung übergeben werden kann. Also müssen wir herausfinden, wo man neue Mitarbeiter in leitender Funktion einstellen sollte oder ob ich selbst leitende Aufgaben übernehmen kann.« Ein festen Termin für den Ausstieg der »Senioren«, wie das Dreigestirn intern respektvoll genannt wird, gibt es nicht. »Die treten jetzt kürzer, haben aber nach wie vor viel Spaß bei ihrer Arbeit. Sie sind alle so fit, dass sie die nächsten fünf bis zehn Jahre noch sehr aktiv sein wollen. Keiner von ihnen muss aufhören.« Es geht hier nicht um einen kleinen Eckladen: Auf den 1.000 Quadratmetern Grundfläche arbeitet ein fester Stamm von 35 Leuten, insgesamt sind es 47; schon die Werkstatt ist mit 12 Mitarbeitern besetzt.
»Für uns war wichtig, dass es eine gestaltete Übergabe gibt«, bekräftigt Scholz. »Alles nach Plan. Denn die Alternative – dass jemand plötzlich aus irgendeinem Grunde aussteigt oder aus gesundheitlichen Gründen von einem Tag auf den anderen nicht mehr kann, wäre der Super-Gau für uns.« Daher nimmt man auch die interne Kommunikation sehr ernst. »Alle im Unternehmen wissen, dass ich die Nachfolge anstrebe und kommen gut damit zurecht«, so Scholz. Und: Es soll nicht einfach irgendwie weitergehen – »wir wollen weiterhin ein fortschrittliches Fahrradhaus bleiben. Mein Vater beispielsweise hatte immer Freude daran, eine Werkstatt sehr modern zu strukturieren. 80 Prozent der Fahrradläden sind ja heute noch nach einem sehr einfachen System gestrickt. Und wir wurden immer schon für unsere Vorreiterrolle gelobt worden. Das soll auch so bleiben.«
Vertrauen als Vorschuss für den Nachfolger
orstellungen über den gemeinsamen Weg zur Deckung zu bekommen. Auch hier ist der Berater unerlässlich. Nachfolger Jonas Scholz ist in die GmbH eingestiegen. Natürlich ist es nicht möglich, den Aussteigenden Abfindungssummen zu zahlen, die das System gar nicht hergibt. Eine Möglichkeit, sie trotzdem entsprechend abzusichern – auch für die Zukunft – wurde mit einer eigenen Gebäudegesellschaft gefunden: Die drei Senioren vermieten nun das Gelände an die GmbH. Auch das ist eine Möglichkeit, sich die Leistung, das Unternehmen aufgebaut zu haben, honorieren zu lassen.
Ein ganz wichtiger Punkt im Zwischenmenschlichen ist einmal mehr: Das Vertrauen zueinander – etwa dafür, dass neue Aufgaben ernst genommen werden. »Natürlich ist vertrauen können auch eine Typ‑Frage«, erklärt Scholz. »Aber man kann das auch durchaus unterstützen: Ich habe für mich eine Entscheidung getroffen, und jeder sieht, dass ich meine Energie deutlich und klar für das Ziel einsetze und viel Lernwilligkeit zeige.« Umgekehrt hat Scholz keine Bedenken, was die Fähigkeit der Kollegen anbelangt, tatsächlich auch Führung abzugeben. Eine wichtige Basis.
Ein Fall für die Verbände
Das Thema ist allgegenwärtig, das merkt man auch in den Verbänden. »Egal wo und wann Nachfolge zur Sprache kommt – immer melden sich Händler, die Interesse an Unterstützung haben«, so Jörg Müsse, Geschäftsführer des Einkaufsverbands Bico. »Egal, wie der Fall aussieht, es kommen bei jeder Übernahme Probleme auf, die zunächst niemand auf dem Schirm hat. Deshalb wollen wir diesen Weg in Zukunft von Anfang bis Ende begleiten!« Ein »geregelter Übergang« solle es den Abgebenden und den Nachfolgenden so leicht wie möglich machen, so Müsse weiter. Ein umfassendes Konzept ist in Arbeit, einige Projekte liefen bereits: Mit einem bundesweiten Fachverband als Partner soll eine Nachwuchsbörse eingerichtet werden, die Jungunternehmer und Abgabewillige zusammenbringt. Schon bei der positiven Darstellung des Berufsbildes soll diese Börse ansetzen. Jungunternehmer sollen technisch weiter geschult werden – »ein Programmpunkt, der in der Branche allgemein oft vernachlässigt wird«, meint Müsse. Über den Fachverband sollen die Einsteiger auch kaufmännische Qualifizierung erhalten.
Die Unternehmensübergabe selbst wird personell aktiv begleitet. »Wir fahren zu den Händlern und beraten sie, welche konkreten Schritte notwendig sind. Wir unterstützen aber auch bei der Nachfolgerfindung.«
Für eine sichere und effiziente Übernahme arbeitet die Bico mit Partnern wie dem Unternehmensberater Jörg Küster zusammen. Da diese Beratungen förderungsfähig sind, fallen hierbei für den Unternehmer nur verhältnismäßig geringe Kosten an. »Ziel ist, die Bico zu stabilisieren. Von etwa 700 deutschen Händlern schließen etwa sechs pro Jahr«, so Müsse. »Es muss auch darum gehen, die Jungen zu begeistern und zu motivieren, Verantwortung für ein Geschäft zu übernehmen.«
Praxisnahe Workshops für Nachfolger
Auch der Verband Service und Fahrrad, VSF, hilft seinen Mitgliedern beim Thema weiter: Seit 2015 gibt es ein Grundlagen-Seminar zur Nachfolgeregelung unter Leitung eines Unternehmensberaters. »Mit Fallbeispielen, Checklisten für den Nachfolge Suchenden bis hin zu so vermeintlich banalen Dingen wie den benötigten Unterlagen für beide Seiten«, erklärt Uwe Wöll, Produktmanager des VSF. In Zukunft sollen Workshops aber noch praxisnäher orientiert sein: »Es wird ein Seminar geben, in dem konkrete Details zum Thema gemacht werden. Und wir werden ein zweites anbieten, das sich speziell an potenzielle Nachfolger richtet.« Beide Kurse sollen im Herbst 2017 erstmals durchgeführt werden. »Der VSF hat Interesse daran, sich um das Thema zu kümmern. Denn Gründe für einen schleichenden Rückgang der Fahrradhändler gibt es genug, wie zum Beispiel Fachkräftemangel, der Online-Handel und die nachlassende Attraktivität des Einzelhandels.« Wöll weiß selbst um die Probleme, die bei der Nachfolgesuche auftreten können: Er führte das »Radwerk« in Marburg 16 Jahre lang, bevor er zum Kölner Unternehmen Zwei plus Zwei ging und sich der Marke Wanderer widmete.
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