Messe Intermot 2018
Gasgriff statt Pedale?
ob die Zeiten für das E-Bike auf der Messe nicht gezählt sind.
Das lag auch an der Neustrukturierung des Bereichs, den die Intermot „E-Motion“ nennt, unter den die Räder mit Rückenwind fallen: jeweils der hintere Bereich der Hallen 7.1 und 8.1 war für den Sektor reserviert. Für Pedelec-Aussteller hätte das nun bedeutet, versprengt irgendwo zwischendrin in 8.1 sein Fleckchen zu behaupten, in der Hoffnung, dass Motorroller-Interessierte oder -Händler mit E-Bike-Interesse vorbeilaufen. Angenommen wurde das von Pedelec-Marken entsprechend sehr wenig, Ausnahmen waren Namen wie HNF und Prophete oder Kreidler mit kleinen Ständen. Blieb noch die Präsenz am Testparcours in 8.1., wo Roller und Räder ausprobiert werden konnten. Hier herrschte an den Publikumstagen teilweise guter Betrieb, aber nicht durchgehend sprach man dabei von großem Erfolg: Der weitaus größte Stand der E-Bike-Abteilung gehörte dem Fast-noch-Newcomer Trenoli. Die Präsenz fußte allerdings vor allem darauf, dass Trenoli die Tochterfirma von MSA ist, seines Zeichens Importeur des asiatischen Roller-Giganten Kymco und daher auf der Intermot stark vertreten. „Sicher ist es auch gut, dass die Endverbraucher uns durch den Stand und die Testmöglichkeit hier kennenlernen können, auch wenn das für Aussteller viel Aufwand bedeutet“, sagt Holger Schulze, Außendienstmitarbeiter. „Aber wir haben es hier natürlich vor allem auf Händler abgesehen, und die kommen kaum hierhin. Ohne MSA wäre Trenoli auch nicht hier.“ Grundsätzlich sieht man bei den Weidenern die Zukunft des E-Bikes nicht ganz so rosig wie sonst vielerorts in der Branche – zumindest nicht so rosig wie die des E-Rollers, der bei Kymco gerade in einer neuen, smarten Generation verfügbar ist. Unter anderem schlechte Rad- und E-Bike-Infrastrukur in Deutschland könnte auf Dauer Mobilitäts-Bedürftigen eher in Richtung Roller treiben, glaubt man bei MSA. Allerdings ist das eine Einschätzung, die durchaus auch vom eigenen Standpunkt in der motorisierten Welt mitgeprägt sein dürfte.
Nische Cargobike erfolgreich auf der Messe
Viel positiver sieht man die Fahrradzukunft bei Colognecargo.bike. Das dürfte auch am Trend-Thema Lastenrad liegen, dem sich der gerade einmal ein Jahr alte Kölner Betrieb verschrieben hat. Er führt derzeit etwa 10 Marken, darunter Johnny Loco, Butchers & Bicycles oder Radkutsche, aber auch so exklusive Marken wie Kargon aus Darmstadt. „Das ist der Hammer, wie das hier läuft“, sagt Dhyan Broghoff von Colognecargo, der an den Endverbraucher-starken Tagen wie dem Feiertag am Mittwoch gut damit zu tun hatte, seine Testfahrer zu bedienen. „Wir freuen uns, dass wir uns als Händler hier für die Kölner Region so in die Wahrnehmung der Kunden bringen können.“
E-Roller drehen auf
Wie rosig die Roller-Zukunft erscheint, zeigt der deutsche Importeur und Großhändler Karcher, der seit 23 Jahren die Rollermarke Keeway vertreibt und mitentwickelt. „Sehr stark“ nennt Dennis Teschner vom Unternehmen das derzeitige Wachstum des E-Sektors. Für die E-mobile Zukunft wurde eine eigene, neue Marke Ujet und ein entsprechendes Roller-Modell entwickelt, das extrem zukunftsorientiert wirkt. Der 49 Kilogramm schwere Ujet ist faltbar und damit auch besser transportierbar als herkömmliche Modelle. Mindestens genauso offensichtlich wie sein futuristisches Design sind aber technische Features wie die exzentrisch gelagerten Felgen. Die Daten sind für ein L1e-Fahrzeug typisch: 4 Kilowatt Leistung, 90 Newtonmeter Drehmoment. 17 Kilogramm soll der größere von zwei Akkus wiegen und den E-Roller damit bis zu 170 Kilometer weit fahren lassen. 9.890 Euro soll das Fahrzeug kosten – eher kein Gefährt für den Arbeitspendler, der eine günstige Auto-Alternative sucht, vielleicht ein reines Trendsetter-Fahrzeug?
Apropos Akku: Unternehmen wie der asiatische Roller-Gigant Kymco denken auch hier weiter. Zusammen mit neuen E-Rollern stellt man ein Batterie-Ladesystem vor, wie es sich manche für die Bike-Branche vor Jahren schon gewünscht hätten: An öffentlich zugänglichen Einrichtungen, aber auch Cafés etc. sollen kompakte Ladestationen entstehen. Dazu sei man schon im Gespräch mit Partnern, sagt Simon Wittman von MSA, dem deutschen Vertreiber von Kymco.
Zur Ionex-Ladeinfrastruktur gehört aber auch ein Verleihsystem: Die Batterien können an jeder Station ausgeliehen und wieder zurückgegeben werden. Die Farbe Rot wird dabei Leih-Batterie bedeuten, die weißen sind Akkus aus dem Lade-Netzwerk.
Die Akkus verschwinden unter dem Kunststoffboden des Rollers. Zwei davon sind dort angeschlossen. Aber es gibt noch eine weitere, sogenannte Kernbatterie, die von den beiden gespeist wird und die auch kurze Reichweiten ermöglicht, sollten beide Akkus gleichzeitig aufgeladen werden. Es kann also auch futuristisch zugehen, ohne dass es besonders futuristisch aussehen muss.
Viele, viele bunte Scooter
Wer sich dagegen mit E-Kickboards beschäftigt, wird im E-Motion-Bereich der Messe vielfach fündig. Dabei geht es fast durchwegs um Produkte, die jenseits von deutschen Bestimmungen unterwegs sind. Oft sind sie nicht zulassungsfähig, schaffen mehr als 20 oder 25 Stundenkilometer und fahren per Knopfdruck – eine Einordnung in die bestehenden gesetzlichen Schubfächer ist oft grundsätzlich nicht gegeben. Der vielleicht interessanteste Ansatz, das E-Kickboard – also ein Tretroller, der wie ein Pedelec den Schub des Fahrers unterstützt, aber nicht aus eigener Kraft rollt – ist noch nicht offiziell in der StVZO verankert. Da hilft es zunächst wenig, dass viele asiatische Unternehmen wie Yexing Zhe Hightech-Scooter vorstellen können, die pannensichere Solid Tyres, Vollfederung und Scheibenbremsen aufweisen, und der pfiffige Flynn von BFO, vorgestellt im velobiz-Magazin 1/2018 wartet daher auch noch auf sein Coming Out. In Österreich beispielsweise ist zumindest schon klar, dass E-Kickscooter wie Fahrräder behandelt werden. In Deutschland scheint man da immer noch nachzudenken – ein Entwurf für die Einordnung von sogenannten „Elektrokleinstfahrzeugen“ ist leider noch nicht abgesegnet. Liegt's an der Bürokratie – oder der Autolobby, fragt sich vielleicht mancher.
E-Roller statt Rad?
Wer unter den Anbietern motorisierter Roller noch keine E-Roller-Marke im Portfolio hatte, der beschaffte sich in den letzten Jahren eine. Da ist zum Beispiel die KSR Gruppe, die unter anderem mit ihrer eigenen Tochter KSR Moto und der Marke Niu gerade die urbane E-Mobilität voranbringen wollen. Der österreichischen Roller- und Kleinkraftrad-Spezialist ist mit seinen Marken auch immer mehr in Deutschland unterwegs. „Wir setzen seit drei Jahren auf die Elektro-Sparte,“ erklärt Christian Osanger, Marketing Services, „und haben seither mit Nju auch den Weltmarktführer in Sachen Smart Scooter im Portfolio. Der Trend gerade in diesem Bereich ist gar nicht zu übersehen.“ Glaubt man den Österreichern, wird der E-Mobilitätssektor den urbanen Bereich schon sehr bald vollständig verändern. „Dabei kommt es in naher Zukunft nicht darauf an, dass die Leute, die auf Verbrenner stehen, umsteigen – das ist eine andere Kundenschicht, der Umstieg wird so schnell nicht passieren. Aber das Pendlerfahrzeug wird in Zukunft immer mehr ein E-Zweirad sein – da sind schon die Laufkosten viel geringer. Es wird sich mit der Kurzstrecken-E-Mobilität von Rollern und Ähnlichem eine weitere Sparte zu den Verbrennern entwickeln.“
Dabei ist das mit der Sparte nicht so genau zu nehmen. Auch wenn sich die Produktarten mit Vorzeichen „E“ vorerst nicht vermischen werden, dürfte das jedoch für die Infrastruktur zutreffen. „Das sehen wir ja heute schon“, erzählt Osanger, „moderne Mobilitätshändler haben E-Bikes wie E-Kick-Scooter und Roller im Programm.“ Eine Chance für den Fahrradhandel, der sich damit noch viel breiter aufstellen könnte? Vielleicht.
Die E-Mobilitätsbranche rüstet jedenfalls auf, und technologisch sind die Roller sicher nicht hinter aktuellen E-Bikes zurück – vieles an der E-Technik ist übergreifend. Dass viele die Bereiche E-Bike und E-Roller gar nicht so genau abgrenzen (wollen), zeigen auch Zusammenschlüsse wie die Sachs Micro Solutions GmbH, der Zusammenschluss von Autozulieferer ZF, Magura, BFO und BMZ
(velobiz.de berichtete)
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Einmal weiter gesponnen: Könnte der Fahrradhändler zum Mobilitätshändler werden, das E-Bike neben dem Scooter und dem E-Roller stehen? War es nicht vor 50, 60 Jahren ähnlich? Der Zweiradhändler bot Fahrräder, oft Mofas, Mopeds, manchmal auch Motorräder an. Allerdings waren das unter anderem technologisch gänzlich andere Zeiten. Oder: Werden E-Roller- und E-Scooter das Pedelec und seinen 45er-Pendant aus dem Verkehr verdrängen? Die Meinungen gehen auseinander. „Nein, es gibt ein Klientel, das pedalieren will, und eines, dass sich aufs Fahrzeug setzen und einfach gefahren werden will“, sagt man bei MSA.
Positives Messe-Resumee
Die Messemacher selbst sehen sich in Sachen E-Mobility-Sektor bestätigt: Die Neuausrichtung des E-Motion-Bereichs sei gut angekommen, die Hersteller von Elektrofahrzeugen (also wohl der E-Roller und Scooter) seien sehr zufrieden mit der Umlegung der Abteilung Roller in Halle 7, erklärt man im Schlussbericht. Fraglich ist allerdings: Wird es bei dieser Aufteilung in der nächsten Ausgabe überhaupt noch E-Bikes auf der Intermot geben?
Insgesamt zählte die Koelnmesse rund 220.000 Besucher aus etwa 100 Ländern auf der Intermot 2018. Das entspricht in etwa dem Rekordergebnis der letzten Ausgabe 2016. Der Fachbesucheranteil wurde bei etwa einem Viertel gemessen. Davon seien 35 Prozent aus dem Ausland gekommen, um 1.041 Aussteller zu sehen.
Eine interessante Entwicklung: die Zunahme der Besucher unter 21 Jahre. In dieser Altersgruppe habe sich laut Messe um satte 50 Prozent erhöht – vielleicht eine Hoffnung für eine mittelfristige Verjüngung des Klientels. Gut für die Motorrad-Branche. Vielleicht aber eher schlecht für die Bike-Wirtschaft.
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