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Report - Jugendmobilität

Generation Zukunft

Die Generation Z denkt ökologisch – und handelt pragmatisch. Flexibel, schnell und bequem soll ein Verkehrsmittel sein. Unterschiede im Mobilitätsverhalten sind erkennbar. Aber wie groß sind sie wirklich?

Mobilitätsentscheidungen Jugendlicher fallen unterschiedlich aus: abhängig von der speziellen Altersgruppe und der sozialen Lage, von Bildungsgrad, Verkehrsprägung in der Kindheit durch das Elternhaus, Stadt oder Land. Zur aktuellen Generation Z (Gen Z), den sogenannten Post-Millennials, gehören junge Menschen, die zwischen 1997 und 2012 geboren sind. In diversen Studien werden manchmal frühere Jahrgänge angesetzt. Zu den jüngeren Befragungen über das Verkehrsverhalten der Gen Z gehört die »Mobility Zeitgeist«-Studie von 2020. Sie wurde für Ford vom Zukunftsinstitut erstellt.

Führerscheinfrage: Weniger Bock auf den Lappen?

Die pauschale Aussage, der Führerschein würde unter jungen Erwachsenen an Bedeutung verlieren, stimmt nur teilweise. Nach der Ford-Studie besitzen in der Gen Z (18 bis 23 Jahre) nur noch 72 Prozent einen Pkw-Führerschein. Zum Vergleich: In der Gen Y (24 bis 39 Jahre) waren es noch 87 Prozent. Das Deutsche Kraftfahrtbundesamt veröffentlicht in seinem Zentralregister (ZFER) jährliche Bestandszahlen auch nach Alterskohorten. Während der Führerscheingesamtbestand bei Menschen bis 17 Jahren von 2013 (270.526) bis 2022 (126.953) rückläufig ist, liegt er unter den 21- bis 24-Jährigen in den letzten Jahren konstant bei knapp 2,6 Millionen. Bei der Interpretation der Zahlen gilt zu beachten: Gleichzeitig sank der Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung. Das Statistische Bundesamt gibt an, dass zum Jahresende 2021 etwa 8,3 Millionen Menschen 15 bis 24 Jahre alt waren. Das entspricht einem Anteil von 10 Prozent an der Gesamtbevölkerung. 2013 lag sie noch bei 10,8 Prozent. Zudem gibt das ZFER keine Auskunft über die Ursache rückläufiger Zahlen bei den Erstanwärterinnen und -anwärter auf den Führerschein. Möglicherweise verfahren jüngere potenziell Berechtigte nach dem Motto »aufgeschoben ist nicht aufgehoben«. Dr. Juliane Stark vom Institut für Verkehrswesen an der Uni Wien sagt für das Nachbarland: »Dass das Führerscheineintrittsalter gestiegen ist, lässt sich signifikant an Zahlen belegen. Für Österreich verschiebt sich der Führerschein von 18,5 auf 20 Jahre.«

Lieber Reisen, Auslands-

studium oder ein Fahrrad

Klar scheint indes: Der Führerscheinerwerb steht bei den jüngsten Anwerbern nicht an erster Stelle. Das mag am Budget liegen. Immerhin kostet ein Führerschein Klasse B mittlerweile bis zu 3500 Euro. Zugleich steigt die Gen Z später in Beruf und Verdienstmöglichkeiten ein als frühere Generationen. So muss der Führerschein hinter anderen Konsumwünschen anstehen. Schon länger wird beobachtet, dass sich die Präferenzen verschieben: »Jung, deutsch, autolos«, brachte vor wenigen Jahren die Deutsche Welle das gesunkene Jugendinteresse am Auto auf den Punkt. Dort sagte der Wirtschaftssoziologe Holger Rust: »In den Wirtschaftswunderjahren war die individuelle Motorisierung so etwas wie das eingelöste Versprechen der Nachkriegsdemokratie. Beruflicher und persönlicher Erfolg zeigten sich in der Wahl des Autos. Über die Jahrzehnte hat das Auto dann als Statussymbol langsam seine Bedeutung verloren.« Nach Rust zeigen junge Menschen ihre Milieuzugehörigkeit übers Smartphone, ein bestimmtes Fahrrad oder die Einrichtung ihrer Wohnung. Entsprechend die Ergebnisse der Zeitgeist-Studie: Unter den Top-Konsumentscheidungen rangiert das Auto nur bei 18 Prozent. Bevorzugt genannt werden Reisen oder ein Auslandsstudium. Besaßen in der Gen Y noch 71 Prozent ein Auto, sinkt die Zahl innerhalb der nachfolgenden Gen Z auf 58 Prozent.

Sharing statt Besitz – außer

auf dem Land

Der Trend geht also vom Besitz zum Sharing. So leihen sich 32 Prozent ein Auto lieber innerhalb der Familie. 29 Prozent suchen nach Mitfahrgelegenheiten. Lediglich 4 Prozent nutzen eine Autovermietung oder Car-sharing. Dabei fällt auf, dass das Auto dann als Alternative genannt wird, wenn es an der Infrastruktur hapert.

Für junge Erwachsene verbindet sich Mobilität mit dem Wunsch nach Autonomie. Zugleich werden die kostengünstigeren Verkehrsmittel bevorzugt.

Tenor: »Wenn ich schnell mal irgendwo hinkommen muss und öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad zu langsam oder zu umständlich sind.«
Dies betrifft besonders ländliche Verkehrsräume mit infrastruktureller, aber auch tradierter Fixierung auf das Auto, die von Kindheit an geprägt wird. Hinzu kommt ein schlecht ausgebauter öffentlicher Verkehr. Auf einen beachtlichen Unterschied zwischen Stadt und Land verweist die Zeitgeist-Studie auch beim Autobesitz: Demnach geben 46 Prozent der Befragten aus der Gen Z in der Stadt an, ein eigenes Auto zu besitzen. Auf dem Land hingegen sind es noch 71 Prozent.
Mobilitätsforscher Weert Canzler schreibt in einem Beitrag für den Datenreport 2021: »Ein Hinweis auf die sich öffnende Schere zwischen Stadt und Land sowie zwischen Jung und Alt könnte sich in der Entwicklung des Pkw-Besitzes von 2002 bis 2017 zeigen. In allen Regionstypen mit Ausnahme der Metropolen ist in diesem Zeitraum der Pkw-Besitz bezogen auf 1000 Einwohnerinnen und Einwohner gestiegen. Das Wachstum ist in den dörflichen und kleinstädtischen Räumen am stärksten. Ein wichtiger Grund dafür dürften fehlende digital unterstützte intermodale Verkehrsangebote sein.« Die Ursache für eine Negativspirale: »Wo es keine Bus- und Bahnanbindungen mehr gibt, werden beispielsweise auch keine Mietrad- oder E-Scooter-Angebote installiert, wie man sie in fast allen großen Städten kennt. Das bedeutet zugleich, dass die Abhängigkeit vom Auto weiter steigt.«

Klimakrise nicht die einzige Sorge

Umgekehrt lädt eine entsprechend entwickelte Infrastruktur auch Jugendliche zur Nutzung klimafreundlicher Verkehrsmittel ein. Die Ford-Studie fragt nach den Verkehrsmitteln, die am häufigsten an einem Tag genutzt werden. Unter den umweltfreundlichen liegt das Zufußgehen mit knapp 60 Prozent an erster Stelle. Es folgen der ÖPNV mit 47 Prozent und das Fahrrad, das von einem knappen Drittel genutzt wird. Unter den Sharing-Modellen stehen E-Scooter mit 20 Prozent an erster Stelle. Leihfahrräder werden von 14 Prozent, Cargo Bikes von 6 Prozent genutzt.
Laut der Trendstudie »Jugend in Deutschland – Sommer 2022« der Jugendforscher Simon Schnetzer und Klaus Hurrelmann sorgen sich 55 Prozent der 14- bis 29-Jährigen in Deutschland um den Klimawandel. Dazu passt, dass 58 Prozent laut Ford-Umfrage ein »ökologisch nachhaltiger, sozial verantwortungsvoller« Lebens- beziehungsweise Konsumstil wichtig ist. Trotzdem steht unter den fünf häufigsten Gründen, warum die Gen Z kein Auto nutzt, die Klimakrise nicht an erster Stelle. Nur 22 Prozent geben an, aus Umweltgründen aufs Auto zu verzichten. Weitere 13 Prozent sagen, sie verzichten »aus Überzeugung«. Mehr als die Hälfte, 56 Prozent, nutzt stattdessen öffentliche Verkehrsmittel.

Die Studie fragte nach den fünf am häufigsten genutzten Verkehrsmitteln an einem normalen Tag. In der Grafik fehlt der Favorit: 56 Prozent gehen zu Fuß.

Rund ein Drittel fährt lieber Fahrrad oder geht zu Fuß. Abschreckend wirken Anschaffung und Unterhalt. Mit 31 Prozent geben ein knappes Drittel an, dass ihnen die Kosten zu hoch sind.
»Jedes Verkehrsmittel hat seine Vor- und Nachteile. Als ›ideal‹ wird oft pragmatisch das Verkehrsmittel genannt, das am besten in die derzeitige Lebenssituation der Jugendlichen passt.« Zu diesem Schluss kommt die Sinus-Jugendstudie, die sich 2016 noch explizit mit der Mobilität von 14- bis 17-Jährigen beschäftigte. Weiter heißt es dort: »Vorteile des Fahrrads sind, dass es (fast) nichts kostet, nicht von einem Fahrplan abhängt und schneller sein kann, da es nicht anfällig für Staus und Streiks ist. Welches Verkehrsmittel am besten ›passt‹, hängt vom Reisezweck ab.«
Juliane Stark weist darauf hin, dass Flexibilität, Schnelligkeit und Bequemlichkeit eine sehr große Rolle spielen: »Da hat das Fahrrad natürlich einen großen Vorteil.« Isoliert von individueller Abhängigkeit kann die Motivation zur Verkehrsmittelwahl nicht betrachtet werden. Insbesondere bei den jüngeren Altersgruppen stellt sich die Frage, wie autonom Verkehrsentscheidungen überhaupt getroffen werden können, wenn sie von den Eltern fremdbestimmt sind.

Gesundheitsfaktor Bewegung

Dabei hat die Verkehrsmittelwahl Auswirkungen auf die Gesundheit junger Menschen. Lediglich ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland erreichen die Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation. Untersuchungen zeigen, dass gleichzeitig die Raten von Fettleibigkeit in jungen Altersgruppen steigen. Mehr als 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind übergewichtig. Juliane Stark konstatiert eine zunehmende Institutionalisierung der Jugendorte.
Ebenso wenig außer Acht gelassen werden kann die Verkehrssicherheit Jugendlicher: Häufiger als andere Altersgruppen verunglücken die 18- bis 24-Jährigen mit dem Auto. Das Statistische Bundesamt spricht in diesem Zusammenhang von den sieben risikoreichsten Jahren. Schlüsselt man die Todesopfer im Verkehr 2020 nach Verkehrsbeteiligung auf, verunglückten rund 63,4 Prozent der jungen Erwachsenen als Pkw-Insassen. 23.791 dieser jungen Menschen waren Fahrerinnen und Fahrer und 8.030 Mitfahrerende. Unter den Ursachen liegt eine »nicht angepasste Geschwindigkeit« vorn.

Wünsche für die Zukunft

Die Forscherinnen und Forscher des Sinus-Fahrradmonitors 2021 fragten die Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen, welche Verkehrsmittel sie in Zukunft gerne häufiger nutzen würden. Die Hälfte der Befragten nannte das Fahrrad und das Pedelec an erster Stelle. Mit Blick auf Veränderungswünsche für die Zukunft sprachen sich in der Ford-Studie 56 Prozent für eine Stärkung des Radverkehrs durch den Ausbau von Radwegen sowie mehr Stellflächen für Fahrräder aus. 45 Prozent teilten die Ansicht, es sollte in den Metropolen mehr autofreie Zonen geben, die mehr Raum für Fahrradfahrende und Fußgängerinnen bieten. Der Fahrradmonitor erkundete auch das Pendelpotenzial durch Radschnellwege unter den 14- bis 29-Jährigen, die das Fahrrad für den Weg zur Schule, Uni oder zu ihrer Ausbildungsstätte nutzen. Im Ergebnis können sich satte 78 Prozent vorstellen, die Strecke mit dem Rad häufiger als bisher zurückzulegen.
Von der Gen Z wird eingefordert, bestehende Mobilitätsdefizite zu schließen. Auf die Frage »Wo ist Ihrer Meinung nach der Bedarf zur Verbesserung der Mobilität am größten?«, antworten 54 Prozent »im ländlichen Raum«, 46 Prozent »beim Pendeln zwischen Umland und Städten«. 30 Prozent sehen Bedarf bei der »Mobilität innerhalb der Stadt«.
Schließlich halten junge Erwachsene die Multimodalität im Sinne einer Vernetzung der Verkehrsmittel für zukunftsfähig. So sprechen sich 56 Prozent für Mobilitätssysteme aus, »die automatisch für eine schnellere, reibungslose Mobilität mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln sorgen«. Die Hälfte wünscht sich Mobilitätsservices, die selbstständig Verkehrsmittel und Mobilitätsoptionen kombinieren, sodass sie problemloser von Haustür zu Haustür unterwegs sein können. //

4. August 2023 von Wolfgang Scherreiks
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