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Markt - Triathlon

Goldgrube Triathlon?

Triathlon ist heute ausgesprochen beliebt, zunächst bei den Athleten, aber durchaus liebäugeln auch Fahrradeinzelhändler mit diesem Bereich. Denn die Klientel gilt als kaufkräftig und -freudig. Aber geht Triathlon »einfach so« oder »nebenbei«?

Triathlon gilt als Hidden Champion. Die Zahl der Mitglieder in Vereinen ist laut Deutscher Triathlon Union seit 2007 von 27.192 auf 58.644 gestiegen, 2017 nahmen mehr als 270.000 Athleten an den rund 630 Veranstaltungen in der Bundesrepublik teil. Beim Hamburg Wasser Triathlon, dem größten Triathlon der Welt, gehen jedes Jahr rund 10.000 Sportler auf die verschiedenen Strecken und laut einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach interessierten sich im vergangenen Jahr 3,82 Millionen Menschen in Deutschland ganz besonders für Triathlon sowie 12,84 Millionen auch für Triathlon. Jede Menge Potenzial, das sich auch vom Fahrradeinzelhandel nutzen lässt.
Denn der Radpart nimmt mit knapp 50 Prozent (bei den Profis) nicht nur die meiste Zeit im Wettkampf ein, sondern summiert auf sich auch die meisten Trainingsstunden. Entsprechend bedacht sind Triathleten darauf, ein hochwertiges (Triathlon-)Bike zu fahren, auf dem es sich 180 Kilometer und mehr aushalten lässt. Und ein solches Bike hat seinen Preis. Aber: »Als Nebengeschäft geht Triathlon eher nicht, den muss man leben, auch als Händler«, sagt Chris Frenssen, Triathlon Project Manager bei Giant Bicycles, die im Kona Bike Count 2019 auf Rang 9 landeten.

Expertise ist gefragt

Der Grund: Sobald man sich im Bereich spezieller Triathlonräder bewegt, hat man es als Händler mit einer vergleichsweise sehr gut informierten Zielgruppe zu tun: »Die Triathleten bringen schon viel Wissen über die Produkte und den Markt mit. Sie belesen sich in Fachmagazinen oder haben in ihren Trainingsgruppen bereits Fahrer, die ein spezifisches Triathlonbike besitzen. Daher fängt man meist nicht bei null an, sondern bespricht schnell Details der einzelnen Bikes mit der Zielgruppe«, beschreibt Juliane Bötel, PR-Verantwortliche bei Specialized (Kona Bike Count 2019: Platz 4) die Situation. Da ist es nicht nur von großem Vorteil, sondern essenziell, dass sich der Verkäufer genauestens mit den Produkten auskennt, um sich mit dem potenziellen Käufer mindestens auf Augenhöhe unterhalten und ihm Antworten auf oft sehr spezifische Fragen geben zu können.
Dafür genügt es nicht, ein Experte im klassischen Straßenradsport-Segment zu sein. Die Bestimmungen des Radsport-Weltverbands UCI gelten nämlich nicht für Triathlonwettkämpfe. Das heißt: Ein Zeitfahrrad, auf dem ein Christopher Froome bei der Tour de France unterwegs ist, unterscheidet sich mitunter stark von einem, mit dem ein Jan Frodeno bei der Ironman-WM auf Hawaii antritt: Die Geometrie ist anders (z.B. steilerer Sitzwinkel), die Rohre sind teils abenteuerlich geformt oder fehlen wie u. a. beim »Schwingenprinzip« des Cervélo PX3, Transportsysteme für Verpflegung und Reparaturkit sind mittlerweile oft ins Bike integriert. Während bei Zeitfahrern reguläre Sättel noch weit verbreitet sind, tummeln sich im Triathlonbereich auch verschiedene Modelle mit gekappter oder gesplitteter Front. »Ohne sich in der Szene zu bewegen wird das nichts«, erklärt Jürgen Schulz von Radsport Schulz im fränkischen Neuenmarkt. Obwohl das Segment in seinem »gemischten« Radgeschäft gut läuft, hat auch er die Erfahrung gemacht, dass es schwierig ist, die Balance zwischen den Zielgruppen zu finden: »Das muss sich über die Jahre im Geschäft einspielen«, glaubt er – und auch, dass es recht schwer ist, sich als regulärer Radhändler ein zusätzliches Triathlonstandbein aufzubauen, wenn man nicht willens ist, (Fortbildungs-)Zeit und (Überzeugungs-)Arbeit zu investieren. »Es gibt viele Händlerkollegen, die das Vermessungssystem mal eben rauskramen, wenn es gewünscht ist. Da kann sich kein Vertrauen aufbauen«, ist er überzeugt.

»So individuell wie die Bike-Kategorie ist, so individuell muss auch die Zielgruppe angesprochen werden«Juliane BötelSpecialized

Bike ist nicht gleich Bike

Schafft man es jedoch, das Vertrauen der Triathleten-Zielgruppe zu gewinnen, hat man treue Kunden beziehungsweise welche, die einen weiterempfehlen: »Wir erreichen die Triathleten ganz klar durch Mund-zu-Mund-Propaganda«, erzählt Benita Wesselhoeft vom Fahrradhaus Langbehn im schleswig-holsteinischen Wedel. »Wenn man in etwas gut ist, spricht sich das sehr schnell rum. Wenn man dann auch noch alles individuell anpasst, viele Tipps gibt und sich mit dem Material wirklich auskennt, dann braucht man selbst kaum Werbung machen.«
Zwar ist Triathlon bei Langbehn momentan noch eher eine Nische. Allerdings eine, die immer größer wird, denn: »Wir verkaufen zwar nicht jeden Tag ein Triathlonrad, aber die Triathleten, die wir als Kunden haben, kaufen auch andere Räder, lassen ihre Bikes bei uns warten oder machen hier regelmäßig Leistungsanalysen und Bikefitting.« Dafür schickt Wesselhoefts Chef Frank Robben, selbst Triathlontrainer, seine Mitarbeiter auf Schulungen. Unter anderem, weil seiner Erfahrung nach die Räder anderes Technik-Wissen erfordern: »Innovative Tri-Bike-Konzepte weichen schon deutlich von denen der Rennräder ab. Der Anteil an Aero-Verkleidungen, innenverlegten Zügen und Elektroleitungen, besonders aufwendigen Sattelstützen-Konzepten und Trinksystemen stellt Techniker oft vor neue Gedanken- und Lösungsansätze. Hier ist im Aufbau und der Reparatur oft ein doppelt kalkuliertes Zeitfenster nötig«, zählt er auf. Auch Hersteller Giant setzt auf Nischen-Fachkompetenz und plant regionale »Performance Hubs«, um kompetente Beratung und guten Kundenservice sicherzustellen. Das sind gezielt ausgesuchte Händler mit Triathlon-Netzwerk, die dann mit Instore-Aktionen wie Shop-in-Shop-Systemen oder Zwift-Rides unterstützt werden sollen, berichtet Chris Frenssen.

Onlinelastige Gemeinde

Triathlon ist ein Markt, der Begehrlichkeiten weckt. Schon vor einigen Jahren zeigte die Equipment-Umfrage der Zeitschrift Triathlon, dass Radpreise zwischen 1000 und 3000 Euro bei Triathleten durchaus eher die Regel als die Ausnahme sind. Sehr ambitionierte Sportler legen auch mal 5000 Euro oder mehr für ihren fahrbaren Wettkampfuntersatz hin. Aber Achtung: Auch wenn die Klientel im Schnitt wohl ein gutes Einkommen hat, wird der mögliche Umsatz meist überschätzt, wie Radhändler Jürgen Schulz sagt: »Es ist halt doch eine kleine Gemeinde, die zudem auch noch sehr onlinelastig ist. Das Triathlon-Segment ist aktuell wirklich nur für einige wenige Spezialisten von Bedeutung.« Auch Giant-Triathlonexperte Chris Frenssen glaubt, dass Triathlonräder, die sich im technischen Highend-Bereich bewegen, zu aufwendig und pflegeintensiv sind, um sich als Händler nur mal nebenbei damit zu befassen.
»So individuell wie die Bike-Kategorie ist, so individuell muss auch die Zielgruppe angesprochen werden«, rät Juliane Bötel von Specialized. Das kann über den eigenen Verein sein, wenn man als Händler bereits im Triathlon aktiv ist, das kann über Messestände bei Triathlonwettkämpfen geschehen, über Fortbildungen, Schulungen und die Unterstützung lokaler Athleten, Clubs und Veranstaltungen. Wer eine gewisse Nachfrage seiner Kunden verspürt, kann Triathlonprodukte in sein Sortiment aufnehmen, sollte sich aber darauf einstellen, dass es eine ganze Weile dauern kann, bis er in der Szene akzeptiert ist.
Wer es jedoch schafft, Triathleten als Klientel zu gewinnen, hat die Möglichkeit, sich in einer Nische zu etablieren, die sehr wahrscheinlich auch weiterhin wachsen wird. Und die neben dem reinen Radverkauf auch viele Möglichkeiten für Zusatzgeschäfte wie Bikefitting, Leistungsdiagnostik, Accessoires und Anbauteile eröffnet. Oder wie Radhändler und Triathlonexperte Frank Robben es ausdrückt: »Neben der Entdeckung des Frauenradsports ist sicher der Triathlonbereich der am stärksten wachsende Markt überhaupt. Durch die City-, Kurz-, Sprint- und Staffel-Distanzen wird der Einstieg in die Szene auch Anfängern sehr leicht gemacht. Das Engagement der Verbände ist hier sehr groß und wirkungsvoll. Sich in Zukunft also nicht mit diesen beiden Kernzielgruppen zu beschäftigen, ist aus meiner Sicht fahrlässig – aus visionärer, aber vor allem auch kaufmännischer Sicht.«

1. Juni 2020 von Carola Felchner

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