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Beruf - Weiterbildung und Schulungen

Große Freude auf Präsenzseminare

Berufliche Weiterbildung stärkt den Betrieb und die Mitarbeitenden, die daran teilnehmen. Mit der Corona-Pandemie änderten sich die Schulungsformate grundlegend. Aktuell planen Hersteller und Verbände ihr Programm 2022/23. Was nehmen sie aus den letzten beiden Jahren mit? Wird es wieder Präsenzschulungen geben?

Die Corona-Pandemie veränderte die betriebliche Weiterbildung in den letzten beiden Jahren grundlegend. Präsenzschulungen waren nach dem Infektionsschutzgesetz vorübergehend verboten. Waren sie möglich, vereitelten die Abstandsregeln das praktische Üben am Objekt Fahrrad. Hersteller und Verbände stiegen auf Online-Schulungen um, manche nur schweren Herzens. »Unser alljährlicher Hase-Bikes-Händlerworkshop Anfang November auf der Alten Zeche Waltrop im Ruhrgebiet hatte vor Corona einfach Tradition. Es war deshalb wirklich nicht leicht, vom Schrauben, Ausprobieren, Diskutieren und sich Vernetzen in Präsenz auf Onlineworkshops umzustellen. Außerdem fehlte uns ja wie sicher allen anderen auch die Erfahrung. Auch wir mussten uns erst einmal das nötige Equipment beschaffen, Konzepte für die Onlineworkshops schreiben, neue Strukturen schaffen«, berichtet Dario Valenti, bis dato zuständig für die Messe- und Eventabteilung bei Hase Bikes, rückblickend auf das Jahr 2020.
Derzeit planen die meisten Unternehmen das Schulungsprogramm 2022/23 für den Herbst und Winter. Dieses kleine Zeitfenster, in dem die Corona-Infektionszahlen eventuell wieder hochgehen, macht die Planung nicht leichter. Trotzdem müssen Entscheidungen getroffen werden: Soll man sich von den Online-Formaten wieder verabschieden und ausschließlich in die Präsenzsituation gehen oder ist es vorausschauender, beide Varianten im Blick zu haben? Gilt Letzteres, stellt sich die Frage, welches Format sich dann für welchen Inhalt besonders gut eignet?

Der Blick zurück

»Für unsere Produktvorstellungen, für Basiswissen und Theorie eignen sich Online-Schulungen besonders gut«, berichtet Peter Wöstmann, bei Ortlieb für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich, von den zurückliegenden Monaten im Online-Modus. Axel Patzer, der heute die »ABUS-Akademie Mobile Sicherheit« leitet, ergänzt noch die Themen Verkaufstipps und Argumentation. Vorteilhaft sei auch, dass Online-Schulungen ständig verfügbar sowie orts- und zeitunabhängig seien. »Sie können zudem super für das Onboarding von neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verwendet werden«, erzählt Wöstmann aus der Praxis. Stephan Fuchs, Leiter der Akademie beim Verbund Service und Fahrrad (VSF) betont die Niedrigschwelligkeit, die mit Online-Schulungen einhergeht: »Dadurch finden eindeutig mehr Termine beziehungsweise Veranstaltungen statt, selbst in den hochintensiven Phasen der Saison.«
Auch die Vermittlung des Dienstradleasing-Konzepts von Jobrad gelang digital sehr gut. »Trotzdem holte sich die Schulungsabteilung Input und Feedback von den Fachhandelspartnern. Diese erachteten insbesondere die Themen Jobrad-Services und Akquise für besonders wichtig«, berichtet die Pressesprecherin Lara Burger.

Den direkten Austausch, den Seminare in Präsenz ermöglichen, haben in den letzten beiden Jahren viele Anbieter vermisst.

Sebastian Sterniak, der das Kompetenzzentrum des niederländischen E-Bike-Herstellers Qwic leitet, schätzt die Vorteile des digitalen Lernens ähnlich ein, weist aber darauf hin, dass komplexere Werkstattthemen kaum online zu simulieren seien. Thomas Wilkens, Vertriebsleiter bei HP Velotechnik, teilt diese Einschätzung: »Unsere Spezialräder sind zum Teil sehr erklärungsbedürftig, da sie über weltweit einzigartige Technologien verfügen. Bei unseren Trikes zum Beispiel sind die Vorderräder wie im Automobilbau gefedert und gelenkt. Auch die patentierte Falttechnik ist eines der komplexen Themen, die online weniger gut funktionieren.«
Dario Valenti von Hase Bikes erinnert sich noch genau an seinen ersten Online-Auftritt: »Unser erster digitaler Workshop war die Vorstellung unseres neuen ›Pino-Steps‹-Modells. Im Dreier-Team – Kirsten Hase als Moderatorin, ich als Dozent für die technischen Feinheiten und ein Kollege, der im Chat live Fragen beantwortete – gingen wir dann nach einigen Probeläufen an den Start. Und es lief super. Wir bekamen sehr gutes Feedback und waren richtig erleichtert.«
Der Bike-Komponentenhersteller Magura nutzte die zweijährige Online-Phase, um über Online-Schulungen europaweit Händlerinnen und Händler zu erreichen. »Unser Händlernetzwerk in Europa wächst seit Jahren stetig, aber wir konnten bisher nicht in jedem Land dem Wunsch nach Präsenzschulungen nachkommen«, erzählt Timo Kieninger, Leiter der Marketing- und Vertriebsabteilung. Über Online-Schulungen gäbe es nun aber ein flächendeckendes, europaweites Angebot.

Besondere Online-Formate

Manche Unternehmen wie Bosch eBike Systems waren schon vor Corona digital unterwegs. Armin Harttig, Leiter der dortigen Vertriebs- und Serviceabteilung, verweist auf verschiedene Formate wie Web-based-Trainings mit Zertifizierung oder Videotutorials.

Schulungen sind notwendig für den Erhalt von Lizenzen für die Bosch Diagnose-Tools.«

Bosch eBike Systems

Magura und SQLab dachten vor Corona auch schon über E-Learning nach. »Gestartet sind wir aber mit Corona«, erzählt der Schulungsleiter Andre Künne von SQLab. Konzeptionell verfolgt man dort die Idee, digitale Schulungen als Nachschlagewerk aufzubauen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch die Firma Abus, die auf die Schulungsplattform Myagi setzt. Axel Patzer erklärt das Prinzip der Plattform so: »Ein Kurs besteht aus mehreren Lektionen. Denkt man zum Beispiel an den Kurs ›Faltschlösser‹, so kann der schon einmal aus bis zu 20 Lektionen bestehen. Und aus der Erfahrung wissen wir, dass es wichtig ist, dass eine Lektion nicht länger als 4 Minuten dauert.«

Die Reichweite der Schulungsvarianten

Viele Hersteller wie Ortlieb, Qwic und Hase Bikes erzielen online eine höhere Reichweite. Dario Valenti von Hase Bikes nennt Zahlen: »Wir konnten bei der Live-Übertragung eines Onlineworkshops in der Regel 30 bis 100 Händlerinnen und Händler beziehungsweise Mitarbeitende erreichen. In der Summe waren das online also mehr Menschen pro Workshop als in Präsenz.« Positive Erfahrungen machte man auch bei Jobrad: »Durch das Online-Angebot haben wir mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer gewonnen: An der JobRad-Akademie 2021/2022, die rein virtuell durchgeführt wurde, haben wir zum ersten Mal seit Start 1.600 Teilnahmen von Fachhändlern in ganz Deutschland gezählt.« Bei Abus spiegelt ein Rechenspiel die Akzeptanz der Online-Schulungen beim Handel wider: »Wir hätten eineinhalb Jahre reisen müssen, um die ganzen Vor-Ort-Schulungen live durchzuführen, die wir bis heute in der ersten Jahreshälfte online realisiert haben. Auch die Teilnehmerzahl stieg deutlich. In den letzten beiden Jahren hat sich diese verachtfacht.« Auch bei Magura stieg die Zahl der Teilnehmenden online um mehr als 60 Prozent, wobei diese aus 28 Ländern kamen.
Das sind Erfahrungen, die der Spezialradhersteller HP Velotechnik so nicht machte. Die Firma erreicht aufgrund der Komplexität der Produkte über Inhouse-Präsenzschulungen mehr Teilnehmende als über virtuelle Kanäle. Dabei kratzt die Zahl der Teilnehmenden am dreistelligen Bereich, da sich in vielen Fällen Händlerinnen und Händler gleich mit mehreren Mitarbeitenden zu den Schulungen anmelden. Auch die Händlerinnen und Händler, die mit SQLab zusammenarbeiten, »haben regelrecht nach Präsenzseminaren geschrien und waren sehr froh, dass wir sie unter Corona-Bestimmungen endlich wieder stattfinden lassen konnten«, freut sich Schulungsleiter Andre Künne.

Nicht alles geht online

Was online außen vor bleibt, sind die Werksführungen und der soziale Austausch. Sehr viele vermissen online das Anfassen, das selbst Montieren und Schrauben.

»Sollte uns Corona noch einmal einen Strich durch unsere Rechnung machen, können wir schnell auf online umstellen. Diese Flexibilität haben wir uns in den letzten beiden Jahren erarbeitet.«

Dario Valenti, Hase Bikes

Dario Valenti von der Spezialradmanufaktur Hase Bikes bringt es auf den Punkt: »Wer zum Beispiel selbst einen Motor eingebaut hat, weiß, was zu Hause in der eigenen Werkstatt zu tun ist. Wer von der eigenen Werkstatt aus online zugeschaut hat, muss vielleicht noch einmal bei uns nachfragen, wenn er vor der Aufgabe steht.« Auch Diskussionen und Rückfragen sind online trotz Chat-Funktion nur ein Abklatsch des Möglichen. Stephan Fuchs vom VSF dazu: »Eine gelungene Schulung sorgt für mehr als nur für den Zugewinn von Fach-Know-how.«

Zurück zu Präsenzschulungen?

Ortlieb setzt wie auch Bosch eBike Systems, Magura und andere zukünftig auf einen Mix aus Online- und Präsenzschulungen. Sollten Präsenzveranstaltungen ausgebucht sein, könne man so auf das Online-Format ausweichen. Der VSF kombiniert die beiden Formate bei seinen Verkaufstrainings konzeptionell: »Auf jedes zweitägige Treffen in Präsenz folgen mehrere, eineinhalbstündige digitale Vertiefungstreffen.« Was allerdings auf wenig Begeisterung stößt, sind Hybrid-Veranstaltungen, auch wenn sie für manche Hersteller technisch möglich wären.
Bei Jobrad vermisst man zwar den Eventcharakter der Präsenzveranstaltungen, »doch 87 Prozent all unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer der letzten Akademie sprachen sich für eine Fortführung des Online-Formats aus. Diesem Wunsch unserer Partner gehen wir gerne nach. Aber auch aufgrund der Unsicherheit, inwiefern die Pandemie den kommenden Herbst noch einmal beeinflussen wird, macht für uns das reine Online-Format aktuell einfach Sinn«, begründet Lara Burger das Festhalten am Online-Format in diesem Herbst. »Ein weiteres Argument ist, dass die Teilnehmerzahlen der Online-Schulungen nicht begrenzt sind. Unsere Präsenzschulungen waren in der Vergangenheit zum Teil bereits nach einem Tag ausgebucht. Dennoch beschäftigen wir uns auch wieder mit dem Thema Schulungsveranstaltungen in Präsenzform und behalten diese Möglichkeit im Auge.«
Anders fiel die Entscheidung bei Hase Bikes aus: »Wir kehren in diesem Herbst wieder zu Präsenztreffen zurück und bauen sie sogar aus«, erzählt Dario Valenti von den Planungen. So gibt es die Idee, neben dem großen Treffen im November einige kleine Präsenz-Workshops über die Saison verteilt zu initiieren. »Daran haben wir früher gar nicht gedacht.« Auch der niederländische E-Bike-Hersteller Qwic kehrt im vierten Quartal 2022 wieder zu Präsenzschulungen zurück. Bosch eBike Systems schlug diesen Weg bereits im Herbst 2021 ein und erreichte mit Präsenzschulungen trotz erschwerender Corona-Maßnahmen europaweit knapp 14.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
HP Velotechnik will nächstes Jahr unbedingt wieder die jährliche große Schulung in Präsenz anbieten. »So gut wie unsere Monteurinnen und Monteure sowie Entwicklerinnen und Entwickler weiß sonst keiner, wie man zum Beispiel am besten, schnellsten und effizientesten eine Komplettverkabelung in einen faltbaren, längenverstellbaren Dreirad-Rahmen einbaut.«

Zertifikate zeigen, was man kann

HP Velotechnik empfiehlt seinen Händlerinnen und Händlern dringend, sich jährlich zu schulen, wofür auch Peter Wöstmann von Ortlieb plädiert. Schließlich ziehe die Branche auch immer mehr Quereinsteigerinnen und -einsteiger an, die Grundlagen und Basiswissen benötigen.
Zertifikate, die auch Abus und der VSF ausstellen, eignen sich in den Betrieben als Referenz, indem sie im Verkaufsraum auffällig platziert werden. Magura führte sogar eigene Umfragen zum Nutzen der Zertifikate durch. Timo Kieninger fasst das Ergebnis zusammen: »Bescheinigungen sind auch weiterhin sehr gefragt. Beispielsweise zur Vorlage beim Arbeitgeber oder als Kompetenznachweis bei zukünftigen Bewerbungen.«
Der E-Bike-Hersteller Qwic verpflichtet seine Händlerinnen und Händler ab einer gewissen Abnahmezahl dazu, mindestens an einer technischen Schulung pro Jahr teilzunehmen, die mit Zertifikat abgeschlossen werden kann. Bei Bosch eBike Systems haben die Schulungen ebenfalls verpflichtenden Charakter: »Sie sind notwendig für den Erhalt von Lizenzen für die Bosch-Diagnose-Tools.«
Bei Jobrad werden die Zertifikate auf Wunsch ausgestellt. Auf der Homepage der Händlerinnen und Händler exponiert gezeigt, stärken sie laut Lara Burger auch das Vertrauen von Kundinnen und Kunden. »Fachhändler, die mit Jobrad kooperieren, verpflichten sich dazu, sich über Neuerungen im Dienstrad-Leasing zu informieren.« Deshalb empfiehlt sie auch, regelmäßig an den Schulungsangeboten teilzunehmen. //

19. Juli 2022 von Dorothea Weniger

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