Report - Newcomer
Gründergeschichten
Wie so oft entstand die Idee aus einem Bedarf heraus, die handelnde Person ist in diesem Fall aber eher ungewöhnlich: Eva Vogel-Kaup, ausgebildete Opernsängerin und Alltags-Fahrradfahrerin mit ästhetischem Anspruch, fand keinen Helm, der ihr optisch auch nur halbwegs zusagte – weder beim Händler, noch auf Messen. Also machte sie sich selbst Gedanken: Wie sollte er aussehen, der sichere Helm, mit dem ich mich auch im Alltag sehen lassen kann und will, und was kann funktional gegenüber dem herrschenden Angebot verbessert werden? Networking ist angesagt. Vogel-Kaup setzt sich mit Designern zusammen. Wichtig ist ihr, dass die Entwickler vorher nichts mit Helmentwicklung zu tun gehabt haben. Damit wird verhindert, dass nur »dasselbe in Grün« entsteht. So kam ein Helm zustande, der zum Beispiel kein Inmold-Produkt war: Hier trifft die Kunststoff-Hardshell auf eine textile Softshell-Haut, die wiederum das sogenannte RIAS (Rockwell Impact Absorption System) beherbergt. Dieses Herzstück der Dämpfung ähnelt im weitesten Sinn einem Eierkarton: Es ist eine durchbrochene Fläche mit aufgesetzten, halbkugelförmigen Eps-Kernen. Diese Struktur kann der individuellen Kopfform sehr genau angepasst werden. Dadurch wird auch ein sehr hoher Tragekomfort erreicht. Und das Inlay gewährleistet, entsprechend eines Tests bei Achim Schmidt von der Sporthochschule Köln, sehr guten Wärmeabtransport sowie eine vorteilhafte Ventilierung. Ein weiterer, ganz besonderer Vorteil: Durch die drei unterschiedlichen Bestandteile kann jeder seinen Helm farblich individuell anpassen, denn jede der drei Lagen ist in unterschiedlichen Farben beziehungsweise Designs erhältlich – insgesamt 128 Konfigurationen! Einheitlich ist dabei nur das Flechtmuster der Oberschale.
Multiple Einsatzbereiche
Durch die Sandwich-Bauweise lassen sich auch ohne viel Aufwand Helme für unterschiedliche Sportarten konzipieren. »Geplant ist bereits eine Ski-Variante«, erzählt Thomas Schirmer, Co-Founder von Rockwell, »doch jetzt liegt der Fokus zunächst auf dem urbanen Rad.« Der Betriebswirt lernte Vogel-Kaup 2012 zufälligerweise kennen, als er gerade ein anderes Start-Up-Unternehmen, einen Service-Dienstleister für Verlage, erfolgreich ans Laufen gebracht hatte. »Mir geht’s eigentlich immer eher um Geschäftsmodelle als um die Produkte«, meint er, doch als Radfahrer und begeisterter Skifahrer und -Lehrer musste Schirmer nicht lange überlegen, ob er bei Rockwell dabei ist. Die Firma selbst wurde 2012 mithilfe von externem Risikokapital gegründet.
Den Ansatzpunkt für den Weg auf den Markt sah man bei Rockwell vor allem bei den Messeauftritten: Bereits 2013 nahm die junge Firma an der Berliner Fahrradschau teil, sammelte erste Erfahrungen mit den Erwartungen der Händler und Endkunden. Auf der Eurobike 2013 erhielt Rockwell viel mediale Aufmerksamkeit. Der Serienstart war zunächst Ende 2013 geplant, doch die Produktion machte einen Strich durch diese Rechnung. »Das Konzept ist für die Zulieferer in Asien deutlich komplexer als erwartet«, so Schirmer. Daher konnten Liefertermine nicht eingehalten werden. »Ein weiteres Mal mit Prototypen auf die Messe zu kommen, erschien uns nicht sinnvoll«, erklärt Schirmer die Tatsache, dass es 2014 keinen Rockwell-Stand gab. So nutzte er die Messe in diesem Jahr vor allem für Treffen mit Zulieferern und möglichen Distributoren. Aber im November sind die Werkzeuge fertig, und zur ISPO soll der Verkauf gestartet werden.
Doch schon jetzt haben die Newcomer aus Düsseldorf bereits eine beachtliche Bekanntheit erreicht. Eine professionelle und übersichtlich gestaltete Internetseite trägt sicher dazu bei. »In unseren Augen ist das Internet ein Plus für den Händler: Es macht ihm die Arbeit leichter – zum Beispiel was die individuelle Konfiguration der Helme ausmacht.« Interessierte Kunden können darüber hinaus so auch schnell erfahren, wo sie ein Modell in der jeweiligen Konfiguration in Natura sehen und anprobieren können. »Multi-Channelling« ist für Schirmer ein Must: »Neben den Messen ist das Mailing das wichtigste Instrument, Interesse beim Händler zu wecken und Partner zu akquirieren.« Nicht ganz einfach, wenn man bedenkt, dass es momentan noch keine Serienmodelle gibt. Schließlich müssen sie die Normtests für Helme bestehen, um die nötigen Zertifizierungen zu erhalten. Doch da macht sich Schirmer keine Gedanken: Die Prototypen durchliefen bisher erfolgreich alle Testverfahren.
Komfort voll im Griff
Klaus Mildenberger ist Tischler und Objektdesigner. Als solcher sollte er 2010 für einen Kunden Komfortgriffe mit Handballenauflagen aus Holz entwickeln. Ein Bajonettverschluss – um die Griffe abnehmen zu können – hatte den willkommenen Nebeneffekt, dass der Griff sich ein Stück drehen ließ und dann in die Ausgangslage zurückkehrte, sprich: federte. Die angenehme Haptik des hochwertigen Holzes zusammen mit der dämpfenden Funktion – da sah Mildenberger Potenzial. Der Bajonettverschluss erwies sich als unnötig: Die Handschmeichler verloren dank der aufwendigen Bearbeitung auch bei schlechtem Wetter ihre edle Optik und Haptik nicht. Bis 2012 wurde getestet, eine Firmengründung aber immer weiter hinausgeschoben. Bis ein Gründerwettbewerb mit 50.000 Euro Zuschuss und Medienbegleitung lockte. Da ging Mildenberger die Sache an, machte sich an die erforderlichen Voraussetzungen wie einen Business-Plan und nahm teil. Die Financial Times Deutschland, Ausrichter des Wettbewerbs, wurde kurz darauf eingestampft, das Ganze fiel ins Wasser. Doch jetzt war die Firma schon mitten im Entstehungsprozess. Mildenberger stieß auf die »Aktivsenioren Bayern«, die ihn – ehrenamtlich – bei der Gründung beratend unterstützten. »Hier habe ich eigentlich alles über den Weg zur GmbH gelernt«, erzählt der Gründer.
Ein Problem: die Finanzierung. Trotz zu erwartender Fördergelder war ein Kreditangebot der Sparkasse für Mildenberger absolut unattraktiv. Schließlich investierte der Gründer seine Lebensversicherung in die Velospring GmbH: Mit 90.000 Euro und einem Privatkredit von 15.000 Euro konnte die Firma am 31. Januar 2013 schließlich starten – zusammen mit zwei Studenten als Teilhaber, die Mildenberger schon länger zur Seite standen. Eine befreundete Designerin entwickelte Logo und Geschäftspapiere, die Website und die erste Produktverpackung.
Das Wichtigste: Die richtigen Fragen stellen!
»Es gibt zu jedem Thema Fachleute, die man fragen kann. Zu finden sind sie durch Internet-Recherche oder hartnäckiges Nachfragen. Das Wichtigste ist, die richtigen Fragen zu stellen«, weiß der Münchner heute. Und das geht nicht immer beim ersten Anlauf: Wer noch nicht weit in eine Materie eingearbeitet ist, der kann nur allgemeine Fragen stellen – und bekommt oberflächliche Antworten. »Erst bei der Schilderung des konkret auftretenden Detailproblems bekommt man dann die Antwort, die einen in der Situation weiterbringt.« So lernt man quasi auf dem Weg zum Markt, ihn zu gehen.
Die aufwendige Technik des ausgereiften Sen Comfort: Der Holzgriff mit Ballenauflage wird von einem Adapter im Lenkerinneren gehalten, der durch eine Klemmvorichtung fixiert ist. Eine Torsionsfeder in diesem Adapter sorgt dafür, dass der Griff sich unter Druck auf den Ballen-Flügel dreht und danach wieder in die Ausgangslage zurückgeht – also federt.
Laut Mildenberger werden die einzelnen Teile hierfür vor allem von kleinen Betrieben in Deutschland in Handarbeit gefertigt – ein Kennzeichen eines nachhaltig erzeugten Produktes. Für den Griff selbst wird Nussbaumholz aus einem nachhaltig arbeitenden forstwirtschaftlichen deutschen Betrieb verwendet.
2013 dann kontaktierte seine »Pressefrau« 35 Magazine, die sich daraufhin teils durchaus für den Sen Comfort interessierten. Über die Internetsuche stoßen immer mehr Verbraucher auf Velospring und schreiben Mildenberger an. Und selbst das Retro-Kaufhaus mit den »guten alten Dingen«, wird auf ihn aufmerksam.
September 2013 werden die ersten 20 Testgriffe vergeben – und positiv aufgenommen. Allerdings gibt es ein praktisches Problem: die variierenden Innendurchmesser der Lenkerbügel. Die Nachrüstung ist häufig aufwendig. Velospring reagiert mit einem Spezialwerkzeug für die Händler, das die Anpassung an den Lenker erheblich vereinfacht. Alternativ werden die Lenker gegen andere ausgetauscht. Nach wie vor ist das Produkt erklärungsintensiv, doch mittlerweile werden – auch durch die Präsenz auf der Eurobike am Stand von bySchulz (Speedlifter) und vor allem den Eurobike Green Award 2014 – etwa 55 Händler gewonnen.
Eine Kooperation mit einem großen deutschen Lenkerhersteller kam leider – vor allem wegen unterschiedlicher Mengenvorstellungen – nicht zustande. In naher Zukunft will Velospring den Händlern eigene mit Innen-Adaptern bestückte Lenkervariationen anbieten, und so auch an den Endkunden herankommen. Außerdem soll es bald Kunststoff-Griffe zu einem deutlich geringeren Einstiegspreis geben. Was das Marketing angeht, will man unter anderem eine Partnerschaft mit BySchulz nutzen.
Wer kein Glück hat, braucht mehr Motivation
Glück gehört auf dem Weg in den Markt dazu, und Velospring hatte es nicht immer. Beispiele: Ein Journalist des Bayerischen Rundfunks plante einen Beitrag über Design, u. a. mit Velospring. Doch bei der Schlussplanung wurde die Firma aus dem Konzept gestrichen; Wanderer-Räder sollten mit den Griffen ausgestattet werden – doch bekanntlich wurde die Marke 2013 vom damaligen Anbieter eingestellt; beim Eurobike Award 2013 fielen die Griffe durch – sie waren nicht auf Lenker montiert worden, die Funktion so für die Jury nicht nachvollziehbar. Und schließlich genannter Start-Up-Wettbewerb, der nicht zustande kam – aber immerhin dafür sorgte, dass Velospring als Firma gegründet wurde. Andererseits stehen seit der Eurobike 2014 die Zeichen noch deutlicher auf Erfolg, und auch beim ISPO-Brand-New-Wettbewerb kam Velospring unter die Finalisten.
Purismus zum Greifen
Das Thema Lenker geht Stephan Vahle von der minimalistischen Seite an. Er integriert die Griffe in den Lenker. So entstand die Idee: In seiner Zeit als Fahrradkurier in Berlin wurde ihm sein Rad gestohlen. Sein eigenes Bike bekam er kurz danach von den jungen Dieben, die ihn nicht als Besitzer erkannten, zum Verkauf angeboten. Er erhielt es zurück. Die Griffe hatten die Diebe allerdings bereits abmontiert und verkauft. Ab da fuhr Vahle also ohne Griffe – und kam auf die Idee, das Konzept zu perfektionieren. Immerhin ist ein griffloser Lenker leichter, wirkt minimalistischer und vermittelt noch direktere Kontrolle. Als gelernter Architekt und nach einigen Semestern Maschinenbau ist er mit technischen Grafiken geübt, Vahle macht sich ans Werk. Schon beim Prototypen aus Stahl kommt die Einsicht, dass er ein hartes Stück Arbeit vor sich hat. Doch er glaubt daran, dass der grifffreie Lenker Zukunft hat. Die 2009 gerade entstehende Fixie-Szene macht ihm Mut. Für diese Klientel ist der Bügel wie geschaffen. Die wichtigste Detaillösung für das Produkt entsteht noch beim Kurierfahren: Metall ist nicht gerade atmungsaktiv – der durch den Zugriff beim Fahren erzeugte Schweiß muss abtransportiert werden, sonst wird das Material sehr rutschig, die Haptik unangenehmem. Die Lösung: Sein Seegras-Lenker aus Alu hat an den Enden so viel Durchmesser wie ein mittelstarker Griff. In jedem dieser Griffenden sind 814 kleine Bohrungen, die den Wasserdampf durchlassen und eine angenehme, rutschfeste Haptik erzeugen. Außerdem erwärmt sich das Metall dadurch sehr viel schneller – auch im Herbst oder Winter bekommt man vom Seegras-Lenker laut Hersteller keine kalten Hände. Der Lenker hat eine Vorbau-Aufnahme von 25,4 Millimeter und wird in den Breiten 450 und 500 Millimeter angeboten – so schmal, wie Fixie-Fahrer und Singlespeeder es gern haben. Der Lenker ist nach der härteren MTB-Norm 14766 geprüft. Und zu 100 Prozent in Deutschland hergestellt.
Der lange Weg zur Serie
»Knapp fünf Jahre hat es schließlich gedauert, neben dem Brotjob den Lenker auf den Markt zu bringen – von der Patentanmeldung bis hin zur Marktreife«, erklärt Vahle. Er scheint ein Mensch zu sein, den nichts so schnell aus der Fassung bringt. Dennoch meint er: »Wenn ich gewusst hätte, wie anstrengend der Weg von der Idee zur Serienreife ist, hätte ich es wahrscheinlich gelassen. Aber es hat enorm Spaß gemacht.« An was man alles denken muss! Neun Arbeitsschritte sind es, die das Material durchläuft. »Alleine die Bohrungen in den Griffenden sind enorm aufwendig«, erklärt er. »Aber das Lasern wäre etwa fünfmal so teuer! Schon das Biegen, der erste Arbeitsschritt nach dem Guss, ist hochkompliziert bei einem Alurohr mit unterschiedlichen Durchmessern.«
Vahle hat bislang 30.000 Euro in Entwicklung und Marketing investiert, »ohne Fahrtkosten«, setzt er schnell hinzu. Er hat sich seine Partner in der Herstellung sehr genau ausgesucht und alle einzeln besucht. »Viel ging da neben dem fachlichen Können auch über die Sympathie«, meint er. »Das hört sich vielleicht nicht professionell an, aber ich muss ja eventuell durch dick und dünn mit denen gehen.« Schnell kommt er aber auch darauf, dass es meist angesagt ist, sich an die Mittelständler zu halten, auch wenn es um kleine Stückzahlen geht: Die kleinen »Klitschen« haben oft nicht die nötigen, teuren Maschinen für hochwertige Produkte oder können nur Einzelstücke, aber keine Serie herstellen.
Das angesprochene Marketing »läuft allerdings immer noch nicht nach einem festen Konzept«, ergänzt Vahle lächelnd. Das steht noch aus. Derzeit klappert er selbst Händler ab, die die passende Klientel für sein Produkt haben könnten. Natürlich geht es hier vorrangig in Großstädten. In Berlin, Bochum, Bonn, Köln und Leipzig gibt es mittlerweile Partnerhändler. Auf der Eurobike 2014 war – wie schon bei der diesjährigen Berliner Fahrradschau – sein Lenker am Stand von Mika Amaro zu sehen. Zu den minimalistischen Designer-Bikes passte der Lenker gut. Seegras selbst hatte keinen Stand bekommen.
Derzeit arbeitet Vahle an einem viralen Werbe-Video, um den Lenker für 160 Euro ins Bewusstsein der potenziellen Kundschaft zu bekommen. »Das ist der richtige Kanal für ein solches Produkt«, meint er bestimmt.
Was die Robustheit anbelangt, konnte sein eigener Lenker den Autor bereits mehrmals überzeugen. Auf dem Weg zum Interview hatte Vahles Lenkerbügel eine unerwartete Begegnung mit einer Taxitür. Die trug eine kleine Beule davon. Am Lenker ist, wie auch zum Glück am Fahrer selbst, nichts zu sehen.
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