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Gutes Betriebsklima bindet Mitarbeiter
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Schulung - Personalführung

Gutes Betriebsklima bindet Mitarbeiter

Gutes Personal zu finden, vergleichen viele Händler derzeit mit der berühmten Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Werden sie trotzdem fündig, folgt der Frust, wenn gut ausgebildete Fahrradmonteure und Zweiradmechatroniker weiterziehen. In die Industrie, die mehr zahlt, in andere Branchen oder die Hochschulen, um den nächsten Karriereschritt vorzubereiten. Doch es gibt Strategien, mit denen Händler ihre Mitarbeiter halten können.

Fachkräfte selbst auszubilden birgt viele Vorteile: Man umgeht Fehlbesetzungen, verjüngt gleichzeitig die Belegschaft, sichert sich notwendige Fachkräfte und erspart sich aufwendige Einarbeitungszeiten, da vieles davon die Lehrkräfte in der Berufsschule übernehmen. Viele Händler würden gerne von diesen Vorteilen profitieren, doch finden sie momentan kaum Auszubildende. Ein Grund dafür ist die niedrige Ausbildungsvergütung. So verdient ein Zweiradmechatroniker nach Aussage der Bundesagentur für Arbeit mit Stand vom 2. September 2019 im ersten Ausbildungsjahr je nach Bundesland zwischen 645 und 850 Euro. Damit steht auf seinem Gehaltszettel zwar etwas mehr als bei den Auszubildenden im Bäckerhandwerk, die mit 615 Euro noch darunterliegen und zusammen mit dem Friseurhandwerk zu den Schlusslichtern zählen. Doch große Sprünge sind damit vor allem in attraktiven Städten mit hohen Mieten nicht zu machen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Fahrradindustrie mit 976 bis 1.047 Euro im ersten Ausbildungsjahr mehr zahlt. Ein Unterschied, der sich auch nach abgeschlossener Ausbildung fortsetzt.
»Auf der Eurobike klagten viele, dass sie händeringend Personal, vorrangig im Werkstattbereich, suchen. Auch Headhunter sprachen mich an und fragten, welche Ideen wir zum Thema Mitarbeitersuche und -bindung haben. Gerade große Filialisten arbeiten nicht mehr nur für die Managementebene mit Headhuntern, sondern auch dann, wenn es darum geht, Fahrradmonteure oder -mechatroniker zu finden. Inzwischen gibt es im Fahrradfachhandel sogar Prämien und Lockangebote«, berichtet Marion Fröhlich, Geschäftsführerin bei »Sport-Jobs« Mitte September beim HR-Breakfast in München, das sie zusammen mit Andrea Reif, Gründerin und Geschäftsführerin der HR-Agentur »Seetalent« in Gilching, unter dem Titel »Keep moving – Wie sich das Recruiting im Sportbereich verändern muss, um Bewerberinnen und Bewerber zu erreichen« organisierte. Gleichzeitig raten auch Headhunter Händlern dazu, »dass sie sowohl leistungsgerechte Bezahlung wie auch weitere Benefits ihren potenziellen Mitarbeitern bieten sollten. Das gilt übrigens auch bei der Mitarbeiterbindung. Der Handel könnte sich das auch leisten, denn der E-Bike-Boom hat die Einnahmenseite deutlich verbessert. Doch viele von ihnen nutzen diesen Spielraum nicht – auch nicht für zukünftige Marketingmaßnahmen nach dem Boom.«

Personaldecke checken

Ob die aktuelle Strategie der Personalbindung aufgeht, erkennt der Händler nach einem Check der Altersstruktur, der Zusammensetzung des Teams, der Fluktuation, des Krankenstandes und der Mitarbeiterzufriedenheit. Gehen in naher Zukunft wichtige Mitarbeiter in Rente, geht dem Betrieb auch Wissen und Erfahrung verloren. Um dies zu verhindern, wäre z.B. die Nachfrage, ob sie – auch mit reduzierten Stunden – noch weiterarbeiten würden, sinnvoll. Gleichzeitig gibt die Altersstruktur erste Auskunft über die Teamzusammensetzung. Entscheidende Fragen, die hier gestellt werden sollten: Passt das Team mit der Unternehmensstrategie der nächsten Jahre zusammen? Welche Positionen müssen unbedingt besetzt bleiben, damit die Strategie aufgehen kann? Es ist kein Zufall, dass bei der Suche nach den Antworten der Aspekt der Fluktuation ins Spiel kommt. Ist diese und der Krankenstand des Personals sehr hoch, stimmt etwas nicht. Konstatiert der Händler zudem noch eine hohe Unzufriedenheit der Mitarbeiter, sollte er die Reißleine ziehen, ansonsten wandern gute Mitarbeiter unweigerlich ab.

Wertschätzung bindet Personal

Über Unzufriedenheit klagen viele Beschäftigte, gerade auch in sehr kleinen Betrieben. Andrea Reif, die das HR-Breakfast mitorganisierte, kennt allerdings einen Fahrradhändler vor Ort, »der es sehr gut macht. Die Mitarbeitenden, die ich von dort kenne, sind sehr zufrieden. Ein Grund dafür ist, dass sie sich selbst einbringen können und somit einen eigenen Gestaltungsspielraum haben. Das ist gerade für kleine Betriebe sehr wichtig. Als Agentur für Employer Branding und Digital Recruitung stellen wir fest, dass in sehr kleinen Betrieben, in denen Unternehmer meist Chef und Mitarbeiter in einem ist, sie diese Aufgaben nur schwer abgeben können. Sie sollten aber den Mut haben, ihren Mitarbeitenden etwas zuzutrauen. Das erhöht sicher die Mitarbeiterbindung.« Möglichkeiten des Delegierens gibt es einige. So sind manche Angestellten im Social-Media-Bereich fitter als die Arbeitgeber, berichtet Reif aus ihrer täglichen Praxis. »Bei der Kommunikation nach außen kann der Händler seine Mitarbeiter einbinden und z.B. einen Kanal für einen Tag oder eine Woche in ihre Hände geben. Auch das ist Mitarbeiterbindung, denn der Händler zeigt ihnen damit, dass er sie für kompetent hält.«
Unzufriedenheit resultiert also meist aus fehlender Wertschätzung. Transparenz, Ehrlichkeit und offene Gespräche wirken dem entgegen. Annetta Maiwald, die beim Sportartikelhersteller Ortovox für die Personalabteilung verantwortlich ist und beim HR-Breakfast mit auf dem Podium saß, weiß, welche zentrale Bedeutung der Wertschätzung zugesprochen werden muss: »Schon in der Rekrutierungsphase ist es wichtig, dass man als Unternehmen authentisch ist und nur das verspricht, was man dann auch halten kann. Ein Rat, den natürlich beide Parteien im Bewerbungsgespräch verfolgen sollten. Auch der Bewerber um eine Stelle sollte sich nicht verstellen. Führt das Gespräch zur Anstellung, ist ein weiterer Punkt entscheidend: Wertschätzung! Dafür gibt es einige Dinge, die gar nicht so kompliziert sind. Ein ›Danke‹ oder Auf-die-Schulter-Klopfen durch den Vorgesetzten nicht nur einmal im Jahr im Jahresgespräch, sondern auch im Alltag zwischendurch wirkt Wunder. Hat sich ein Mitarbeiter angestrengt und ist das Ergebnis gut, dann sollte das eine Führungskraft auch würdigen.« Wertschätzung drückt sich aber auch durch Maßnahmen aus, die den beruflichen Alltag zu jeder Zeit schöner machen. Für einen Hersteller wie Ortovox ist hier sicher mehr möglich als für einen Fahrradhändler. Und trotzdem gibt es Varianten, die auch kleine Händler einsetzen können. »Im Büro herrscht meistens gute Stimmung«, erzählt Maiwald, »was ein wichtiger Wohlfühlfaktor ist. Zur guten Stimmung tragen auch kleine Dinge bei. Bei uns steht immer guter Kaffee, frisches Obst und Säfte für alle bereit, um nur eine Annehmlichkeit zu nennen. Wir haben aber auch ein gemeinsames Mittagessen, das frisch von unserem Koch – übrigens in Bio-Qualität – zubereitet wird. Gemeinsame Events gehören natürlich auch dazu und schweißen zusammen, wie beispielsweise unser Sommerfest an einer Wasserskianlage oder die Weihnachtsfeier auf einer gemütlichen Berghütte. Diese Firmenevents finden außerhalb der Arbeitszeit statt, werden aber vom Unternehmen bezahlt. Zum Ausgleich im Alltag können wir dreimal in der Woche unser Sportangebot mit Yoga, Pilates und medizinischer Trainingstherapie nutzen. Auch hier werden die Kosten von der Firma übernommen, die Trainings finden aber außerhalb der Arbeitszeit statt.«

Gesundheitsschutz ist Aufgabe der Arbeitgeber

Ein Sportangebot sollten sich nicht nur die Händler überlegen, die einen hohen Krankenstand haben. »Als Arbeitgeberin habe ich eine Fürsorgepflicht meinen Mitarbeitern gegenüber, weil sie bei mir, wenn sie Vollzeit arbeiten, mehr Zeit als in der Freizeit verbringen. Es ist auch mein Eigeninteresse, dass ihre physische und psychische Gesundheit erhalten bleibt. Diese Fürsorge kann ich nur leisten, wenn ich gut hinhöre und hinsehe. Gerade sehr engagierte Mitarbeiter muss ich auch schützen, das liegt in meiner Verantwortung. Denn irgendwann wird ihr Körper nicht mehr mitmachen, auch wenn sehr motivierte Mitarbeiter selbst etwas anderes von sich denken. Deshalb halte ich einen ›liebevollen Zwang‹ zu gewissen Freizeiten auch für notwendig«, beschreibt Monika Fiedler-Proksch, Geschäftsführerin bei der Sporteventagentur »fiedler concepts« in Augsburg, ihre Aufgabe als Arbeitgeberin. Eine Sichtweise, die Mitarbeiter sehr schätzen, da sie damit als ganzheitliche Personen und nicht nur als arbeitende Beschäftigte wahrgenommen werden. Ergreifen Fahrradhändler Maßnahmen zur Gesundheitsförderung, sollten sie diese auch mit ihrem Steuerberater besprechen, da pro Kalenderjahr und Mitarbeiter bis zu 500 Euro bei der Einkommensteuererklärung (§ § 3 Nr. 34 Einkommensteuergesetz) geltend gemacht werden können.

Flexible Arbeitszeitmodelle bieten Chancen

Dem Gesundheitsschutz stehen die Arbeitszeiten oft entgegen. Hans-Jörg Thomae, der heute Verkaufsleiter bei Sport Sperk ist und früher als Geschäftsführer zwölf Sportgeschäfte und einen Fahrradladen betreute, kennt das Problem: »Das spezielle Thema im Fahrradfachhandel heißt ›Saisongeschäft‹, d.h. du machst deine Hauptumsätze von März/April bis September und dann geht das Geschäft erst einmal wieder runter. Da ist es natürlich schwierig, gute Mitarbeiter zu finden, die bereit sind, in diesen Spitzen sehr viel zu arbeiten und danach weniger. Flexible Arbeitszeiten könnten hier ein Erfolgsrezept sein.« Andrea Reif schlägt darüber hinaus vor, auch mal auf andere Branchen mit hoher Arbeitsbelastung und ihren Ausgleichen sowie Zusatzangeboten zu sehen: »Das wäre meine klare Botschaft an Fahrradhändler: Werfen Sie einen Blick auf Google und Co. Sie liefern so manche Ideen: Diese Unternehmen nehmen ihren Mitarbeitern sehr viele Tätigkeiten ab, die sie in ihrer Freizeit erledigen müssten. Auf den Retail übertragen bedeutet dies: Es gibt Stoßzeiten, doch auch außerhalb dieser Zeiten muss das Geschäft besetzt sein. Das sind die Zeiten, die der Händler mit Angeboten füllen kann: Ein Coaching auf der Fläche z.B. oder ein Englischkurs. Das sind meiner Meinung nach die Modelle der Zukunft.«
Individuell auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter gestaltete Arbeitszeitmodelle sind ein anderer Weg, der Beschäftigte auf Dauer bindet. »Wir haben z.B. mehr als 20 verschiedene Arbeitsvertragsmodelle, die Teilzeit, tageweises Arbeiten, Arbeiten im Block, unbezahlter Urlaub u.a.m. abdecken. Ganz aktuell eingeführt wurde das Angebot eines Sabbaticals mit der Möglichkeit, maximal zwölf Monate betriebsabwesend zu sein«, zeigt Annetta Maiwald die Möglichkeiten auf, die bei Ortovox auch schon auf Herz und Nieren geprüft und für gut befunden wurden.

7. Oktober 2019 von Dorothea Weniger
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