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Markt - Digitale Vermessung

Handel reagiert auf Online-Vermessung

Große Online-Anbieter haben in diesem Jahr digitale Vermessungssysteme vorgestellt. Damit sollen Kundinnen und Kunden stets das richtige Produkt in der richtigen Größe auf den Portalen finden können. Doch Anbieter mit stationären Wurzeln haben bereits gute Antworten parat.

Es ist eine Entwicklung, die erst in jüngster Zeit stattgefunden hat und immer noch stattfindet, aber bisher weitgehend unter dem Radar des stationären Handels abläuft: Online-Anbieter haben viele Ressourcen investiert, um nun eine digitale Körpervermessung anbieten zu können. Warum ist das für den stationären Handel wichtig? Einer der Gründe, warum Kundinnen und Kunden lieber stationär kaufen ist nicht zuletzt der Umstand, dass sie dann sicher wissen, dass ihnen die Ware passt, weil sie das jeweilige Produkt bei Bedarf ausprobieren können, sei es ein Trikot, der Sattel oder das ganze Fahrrad. Es ist eines der großen Argumente für einen Ladenbesuch. Wenn nun Online-Kunden genauso sicher sein können, dass die bestellte Ware passt, ist offensichtlich, dass der stationäre Handel einen Vorteil verliert. Nicht vergessen darf man dabei auch das Ziel der Onliner, ihre Retourenquoten zu reduzieren. Entsprechend groß ist das Interesse der Versender, an dieser Stelle mit neuen Ideen und Lösungen anzugreifen.

Zahlreiche Lösungen für Körpervermessungen

Das Problem der passenden Produkte wird von verschiedenen Seiten angegangen: Sizze ist ein Unternehmen, das sich darauf spezialisiert hat, die Bekleidung von Herstellern digital und automatisiert zu vermessen. Dafür genügt ein Foto mit einem Referenzobjekt auf dem Bild. Presize wieder fokussiert sich darauf, die potenziellen Kundinnen und Kunden zu vermessen. Dafür können diese sich über eine App selbst scannen und eine Größenempfehlung bekommen. Wie genau diese Angaben dann sind, sei zunächst einmal dahingestellt.

Tobi Hild möchte mit SQLab dem stationären Handel digitale Tools an die Hand geben, mit denen Beratungsqualität und Kundenzufriedenheit auf ein neues Level gehoben werden können.

Das sind nicht die einzigen Anbieter, die es gibt. Dazu kommen MySizeID, MQfit und viele andere. In der Schuhbranche wird schon seit vielen Jahren an dreidimensionalen Fußvermessungssystemen gearbeitet, doch bisher konnten sie sich nicht flächendeckend durchsetzen. Nun kommt neuer Schwung in dieses Thema, insbesondere von speziell auf die Fahrradbranche zugeschnittenen Lösungen.
Von langer Hand vorbereitet und geplant war auch die Einführung von MQ fit Bike bei Fahrrad.de. Im März dieses Jahres wurde schließlich »künstliche Intelligenz in den Fahrrad-Onlineshop« gebracht.

»Mit unseren Werkzeugenverbessert sich die Leistung im Verkauf auf ganz einfache Weise.«

Tobi Hild, SQ Lab

Hier geht es beim Fahrradverkauf ans Eingemachte: Das System setzt sich zum Ziel, gerade unerfahreneren Käuferinnen und Käufern die Wahl der richtigen Rahmengröße zu erleichtern. Während die alten Hasen mit sicherer Hand zum passenden Rahmen greifen wie andere zur passenden Hutgröße, so gibt es viel weniger Vertrautheit mit fahrradspezifischen Größenangaben, die genauso wenig genormt sind wie alle anderen Maßangaben für menschliche Bekleidung und Ausrüstung.
Der Clou am System von MQ Fit Bike sei natürlich seine besonders leichte Umsetzbarkeit bei gleichzeitig hoher Zuverlässigkeit: »Die Software erfasst zuverlässig exakt alle relevanten Körperdaten wie etwa Größe, Schulterbreite oder die Schrittlänge und erstellt daraus einen 3D-Avatar«, erklärt Prof. Dr. Kai Oberländer, Mitgründer und CEO von Motesque, die in Zusammenarbeit mit Fahrrad.de das Tool entwickelt haben. »Dieser simuliert dann online die Fahrt auf dem gewünschten Fahrrad mit unterschiedlichen Sattelhöhen, Rahmengrößen etc. und ermittelt so innerhalb weniger Sekunden die perfekte Konfiguration für den jeweiligen Kunden.«
Wenn keine Fotos hochgeladen werden, können alternativ über eine Eingabemaske verschiedene Körpermaße eingetragen werden und eine Rahmenempfehlung wird errechnet. Allerdings werde dann nicht die gleiche Präzision erreicht wie beim Fotoscan.

Stationäre Initiative erst in den Startlöchern

All diese Dinge sollten im stationären Handel eigentlich laut die Alarmglocken klingeln lassen, doch bisher läuten sie nur sehr leise. Angesichts der eigenen Erfolge der letzten Jahrzehnte, die mit Ergonomiethemen erzielt werden konnten, sollte kein Zweifel daran bestehen, dass diese Themen wichtig sind.

Der Aufwand, der bei der Entwicklung von digitalen Vermessungssystemen getrieben wird, ist enorm. Das zeigt auch das Beispiel Fahrrad.de bei der Entwicklung von MQ fit Bike.

Es ist inzwischen tief in den Köpfen verankert, dass ein passender Sattel, die richtigen Griffe, korrekte Pedaleinstellungen an der zweckmäßig gewählten Rahmengröße entscheidend sind für den Unterschied zwischen Lust und Frust auf dem Fahrrad.
Was beim Sattel nun seit Jahrzehnten funktioniert, will nicht zuletzt Tobi Hild, Frontmann beim Ergonomiespezialisten SQLab, nun auch auf die Rahmengröße übertragen. »Für den Radhandel war die Ergonomie und die Sitzknochenvermessung jetzt die letzten 20 Jahre ein großer Wettbewerbsvorteil und ist es immer noch. Beim Sattel hat das sehr gut funktioniert. Beim Rad wäre es an sich noch viel besser, dem Kunden genauso wie beim Sattel zu sagen: ›Bei mir wirst du vor dem Radkauf vermessen, damit wir sicherstellen, das dein Rad perfekt für dich passt‹.
Der Händler würde damit mehr Räder verkaufen, er könnte hochwertigere Räder verkaufen, er ist aus dem Preisvergleich raus und muss weniger Rabatte geben. Das macht aber so gut wie kein Händler. Genauso wie vor zwanzig Jahren beim Sattel ist das Testen mehrerer Modelle beim Rad immer noch die Probefahrt von mehreren Modellen die Lösung des Händlers.«
Das Argument ist stark, aber noch fehlt es im Verkaufsalltag in aller Regel an der entsprechenden Beratungspraxis. Zum erfahrenen Bikefitter gehen heute vor allem die sportlich ambitionierten Radfahrenden, die dann auch willens sind, gutes Geld für eine derartige, leistungssteigernde Beratung auszugeben. Die Masse der Fahrradgeschäfte arbeitet anders, und das müsste sich nach Hilds Ansicht möglichst schnell ändern.

Vermessungs-Tools bisher nur selten im Einsatz

»Firmen wir Smartfit/Radlabor, Bodyscanning oder auch wir haben ganz hervorragende Tools entwickelt, die dem stationären Handel ein Stück weit die Zukunft sichern können. Leider kämpfen wir alle immer noch und kaum einer von uns schafft es, am Ende zum Verkäufer durchzudringen. Die Shopinhaber haben sehr wohl die Bedeutung verstanden, nur muss der Verkäufer mit unseren Tools arbeiten und sie einsetzen und dazu muss er sein Verhalten und seinen Beratungsprozess etwas ändern. Das ist nicht so einfach für die meisten. Unsere Vermessungstools sind wie ein Drehmomentschlüssel. Wir schaffen die Jobs nicht ab. Ganz im Gegenteil, mit unseren Werkzeugen verbessert sich die Leistung im Verkauf auf ganz einfache Weise und sie sichern die Jobs im stationären Handel.«
Dafür hat er jüngst ein neues Werkzeug vorgestellt. Das neue Vermessungs-Tool von SQLab heißt Profiler. Innerhalb weniger Minuten soll im Laden der Kunde oder die Kundin per App vollständig vermessen werden können. Auch hier wird mittels Kamera der ganze Körper vermessen, dazu gehört auch eine Handgrößenmessung. Das Verkaufspersonal kann im Gespräch klären, was gerade getan wird und die App bringt am Ende die entsprechenden Produktempfehlungen auf das Display (allerdings noch nicht angebunden an die eigene Warenwirtschaft, stattdessen werden Marken vorausgewählt). Statt langer Probiererei und ausführlichen Gesprächen verkürzt das Tool die notwendige Beratungszeit, ohne dass bei der Kundschaft auch nur ansatzweise der Eindruck entsteht, man würde schnell abgefertigt. Im Gegenteil erfahren die meisten Menschen an dieser Stelle eigene Körpermaße, die sie bisher nicht wussten, wie etwa den Sitzknochenabstand oder ihre Arm- und Beinlänge. Am Ende des Prozesses werden diese Daten auch per E-Mail an die Kundin verschickt, sodass sie eine bleibende Erinnerung an dieses Einkaufs-, aber doch zumindest Beratungserlebnis hat. Der Laden hat im Gegenzug einen wertvollen Kundenkontakt und sich auch sonst sehr wahrscheinlich weit nach vorne geschoben im Kaufprozess.

Vermessungs-Allianz als Lösungsansatz

Wie von Tobi Hild bereits angedeutet, werden derartige Tools noch sehr sporadisch eingesetzt. Das wurmt ihn einerseits, lässt ihn aber auch eine Chance für den gesamten stationären Handel sehen. Ihm schwebt vor, diese brachliegenden Optionen in Form einer Vermessungs-Allianz zu heben. So kann er sich vorstellen, den Händlern einen Einkaufsbonus anzubieten, wenn sie auf ein Vermessungs-Tool einer noch entstehenden Allianz setzen, selbst wenn es ein System eines Wettbewerbers ist. »Ich denke, man muss bei derartigen innovativen neuen Dingen wie Softwaretools im Handel, 3D-Druck und diversen noch kommenden Dienstleistungen und Services anders denken, wenn es um den Wettbewerb geht«, ist Hild überzeugt. Noch steckt eine derartige Allianz aber in den Kinderschuhen. Wenn sie aus diesen herauswachsen könnte, wird sich die Handelslandschaft vermutlich wieder einmal ein ganzes Stück verändern. Kundenbindung und Vertrauensverhältnis würden eine neue Qualität erhalten. Das ist vielleicht auch nötig, denn wie man sieht, gibt es auch im Online-Handel jede Menge kluger Köpfe, die mit ihren Ideen den Markt zu ihren Gunsten verändern wollen. Ergonomie und Vermessung wird dabei eines der wichtigen Themenfelder sein. //

15. Juli 2022 von Daniel Hrkac

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