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Hip! Hip? Hurra!
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Report - Wie geht Trend?

Hip! Hip? Hurra!

Immer wieder suchen wir ihn, lauern ihm bei Messebesuchen auf. Aber was ist das überhaupt, ein Trend? Wie funktioniert er? Wer setzt ihn? Und wie sieht das alles in der Fahrrad-Welt aus?

Gesagt oder geschrieben ist das Wort schnell. Aber wenn man anfängt, sich Gedanken darüber zu machen, wird es immer schwieriger zu verstehen, was es eigentlich meint: Der Trend ist wie ein Wesen, das wir zu kennen glauben, solange wir es nicht beschreiben müssen. Wenn wir es festklopfen und definieren wollen, nimmt es Reißaus. Was ist ein Trend? Oder, andersherum gefragt: Ist das E-Bike ein Trend? Bart tragen? Tätowierungen? Kann, was alle machen, Trend sein?
Andere Fragestellungen sind vielleicht erhellender – oder auch nicht: Ist das Fixie noch Trend? Erste Antwort: Nein, man sieht nur noch wenige. Aber sah man schon mal viele? Was sagen und sagten die Marktzahlen? Doch: Sind Marktzahlen wirklich ein Indikator für Trends? Wieviel Prozent des Marktes hat das Fixie wohl in seiner besten Zeit für sich beansprucht? Verglichen mit dem heutigen Marktanteil des E-Bikes lag der Verkauf von Fixies in homöopathische Dosen. Dennoch war Fixie Trend; daran hatte niemand Zweifel. Das liegt sicher auch daran, dass die Menschen, die es fahren oder gefahren haben, sich selbst als Trendsetter sahen. Vielleicht eines Trends gegen die Zeichen der Zeit – immer mehr Komfort, immer mehr Gänge, immer mehr Funktionen, da stellt man sich mit minimalistischen Bikes dagegen. Wieso hat er sich dann nicht durchgesetzt, ist zu einem Standard geworden?
Antworten hat Alexander Thusbass. Er war bis Mitte Mai dieses Jahres Chef-Designer bei Haibike. Das Unternehmen hat, da sind sich die meisten einig, den E-Mountainbike-Trend mitbegründet. Er sagt in puncto Entstehung von Trends: »Ein neuer Technik-Trend entsteht nur unter bestimmten Voraussetzungen. Man braucht nicht nur eine neue Technologie, sie muss auch ein Problem lösen. Wenn die Technik kein Problemlöser ist, dann kann kein Trend entstehen.«
Auf das Mountainbike bezogen könnte ein Problem lauten: Ab einer gewissen Steigung oder einer gewissen Länge des Bergs geht nichts mehr weiter. Bei dem einen Fahrer früher, beim anderen später. Mit dem E-MTB wandern diese Punkte auf der nach oben offenen Leistungsskala gehörig nach oben. Insofern wird mit Sicherheit ein Problem gelöst.
Doch nicht jede Technik, die potenziell ein Problem löst, eignet sich zum Trend – das Potenzial einer Technologie muss zunächst erkannt und umgesetzt werden: »Es muss ein kreativer Kopf sein, der sich die Technologie zu eigen macht«, erklärt Thusbass. Beispiel: das Touch-Display. »Die Technik des Touch-Bildschirms hat Steve Jobs nicht erfunden, es gab sie schon. Doch erst er war kreativ genug vorauszusehen, was er damit ermöglichen konnte: Unvorstellbar vieles! Erst Steve Jobs machte das Touchdisplay zum Standard für Smartphones und ihre unendlichen Möglichkeiten, weil er das Potenzial erkannte.« Wie geht das? Mit Kreativität. »Es gibt in dieser Situation kein Patentrezept.« Steve Jobs hatte zwei Dinge zusammengebracht – die Technik und die zukünftigen Möglichkeiten zur Anwendung – »connecting the dots«, so sein berühmter Ausspruch. Die großen Trends im Produkt-Bereich entstehen immer dann, wenn die Technologie Sprünge macht.

Trend abgelehnt: Kunde ist Trend-König

Dabei ist die Problemlösung ein notwendiges, aber kein hinreichendes Kriterium. Ebenso notwendig ist: »Der Kunde muss das Produkt annehmen!«, erklärt Thusbass. Das war beim E-MTB sehr schnell der Fall, wie wir mittlerweile wissen. Noch 2010 fragte die Zeitschrift BIKE in einer Umfrage ihre Leser, was sie von E-Bikes hielten. 84 Prozent hielten entweder gar nichts davon oder sie sahen E-Bikes bestenfalls als Problemlöser für Biker mit Handicap – letzteres war immerhin eine richtige Vorhersage, wenn auch einer relativ unbedeutenden Entwicklung, denn gerade das E-MTB hat kaum etwas mit Problemlösungen für gehandicapte Menschen zu tun.
In solch einer gesellschaftlichen Situation den Grundstein für einen Trend in Sachen E-MTB zu legen, verlangt außerdem nach etwas Mut. Auch eine an einen großen Konzern angeschlossene Marke wie Haibike kann durch falsche Entscheidungen Schiffbruch erleiden. Die Entscheidung, das E-MTB-Programm immens zu verbreitern, obwohl der Run auf die entsprechenden Modelle noch nicht beschlossene Sache war, war im Nachhinein offenbar richtig – der Mut wurde mit Erfolg gekrönt.
Ohne Mut, kein Trend: »Trend ist das Gegenteil von: Ich minimiere mein Risiko«, meint auch Gunnar Fehlau. »Deshalb wird fast jeder Trend von Newcomer-Unternehmen gesetzt!« Hier gibt’s wenig zu verlieren und viel zu gewinnen. Um Trends zu unterstützen und sie für sich zu verwerten, braucht es Fantasie und Mut – die Fahrradbranche ist in Fehlaus Augen mit beidem nicht über Gebühr gesegnet. »Der Trend E-Bike hat eingeschlagen trotz einer Branche, die sich dagegen gewehrt hat«, so Fehlau. »Die Kunden wollten das Rad, dass die Branche zunächst gar nicht anbieten wollte. Nur die Kunden haben es durchgesetzt.« Deshalb kam das Pedelec schließlich »trotzdem«, und zwar mit Wucht. Allgemein bemerken die Kunden oft erst spät, dass sie an einer kleinen oder sogar großen Revolution teilhaben – schließlich geht es für sie zunächst nur um ihren Nutzen.
Fehlau, Gründer des Pressediensts Fahrrad, machte selbst einen Trend in Deutschland en vogue – oder setzte ihn in Deutschland sogar: Mit seinen Overnightern, also kleinen Urlaubsfluchten aus dem Alltag mit Minimal-Gepäck und meist maximal dicken Fahrradreifen wurde er zum Backpacking-Trendsetter. Der Overnighter ist kein Produkt, doch ein Problemlöser ist er. Er beantwortet die Frage: Wie erlebe ich zwischendurch mit dem Fahrrad ein kleines Abenteuer, das mich so weit vom Alltag wegführt, dass ich denke, ich habe einen dreiwöchigen Urlaub hinter mir? »Genauso wie das Fatbike mir endlich die Möglichkeit gegeben hat, auch im Winter schöne Fahrraderlebnisse zu haben.« Angefangen hatte es mit der von Fehlau initiierten Grenzsteintrophy, einer Selbstversorger-Fahrt entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Übernachten mit den Mitteln, die man auf dem Fahrrad transportiert. In Zusammenhang mit dem Fatbike scheint heute der Weg zum Overnighter geradezu selbstverständlich. »Dieselben Leute, die mich früher schräg angesehen haben, rufen mich heute an und Fragen nach Tipps für den richtigen Schlafsack in dieser oder jener Situation«, erzählt Fehlau. »Einen Masterplan für die Entwicklung eines Trends oder etwas Ähnliches hatte ich natürlich nicht. Trendsetting bedeutet in der Branche: Lebe etwas, und reiß‘ deine Kunden mit.«

Revolutionen lassen sich nicht einplanen

Auch mit der Voraussagbarkeit von Trends ist das so eine Sache. Revolutionen lassen sich eben nicht einplanen. Einen Tipp für Trendschaffer – nicht Trendsetter – in spe kann Fehlau allerdings geben: »Bei sich und seiner eigenen Linie bleiben. Die eigenen Träume verwirklichen. Wo die Emotionen im Spiel sind, ist man kreativ, da passiert Neues.« Das dürfte ein Vorteil der kleinen Unternehmen sein, die entstehen, weil Gründer und Mitarbeiter von Ideen besessen sind.
Trotzdem entwickelt mancher wohl ein Gespür dafür, wenn er Trends setzt: »Wir wussten anfangs noch nicht genau, was das E-MTB sein wird, was genau dabei herauskommt«, schränkt Ex-Haibike-Mann Thusbass ein. »Aber dass wir an einem großen Ding arbeiten, das haben wir ganz eindeutig gemerkt.«
Leben wir also in einem Zeitalter der Trends? »Jein«, zögert Thusbass: »Das Potenzial dazu ist mit den derzeitigen innovativen Technologien auf jeden Fall da. Doch die Konsumenten werden immer kritischer – und etwas trendmüde.« Wer könnte es ihnen verdenken?
Zukunftsforscher Matthias Horx sagt in seiner Trend-Definition: »Ein Trend ist nichts anderes als eine Veränderungsbewegung oder ein Wandlungsprozess. Trends sind nur sinnvoll zu verwenden, wenn wir sie richtig dimensionieren und einordnen können.« Horx spricht übrigens meist implizit von gesellschaftlichen und weniger von Produkt-Trends – bei unserem Thema würde er auch von Branchentrends sprechen.
Ein Trend hat dann ausgedient, wenn er zu einem wichtigen Bestandteil unserer Realität geworden ist. Beispiel aus der Branche: Von einem »E-Bike-Trend« sprechen wir nur noch mit Menschen, denen das Pedelec absolut neu ist, weil sie vielleicht seit 15 Jahren keinen Blick auf das Fahrrad geworfen haben. Für alle anderen ist klar: Das unterstützte Fahrrad gehört zur Mobilität in Deutschland wie Vanillesoße zum Apfelstrudel – keiner wundert sich darüber, wenn er die beiden zusammen kredenzt bekommt. Trends sind also keine mehr, wenn sie sich durchgesetzt haben. Ihr Trendsein löst sich scheinbar auf – spätestens dann, wenn die ehemalige Trenderscheinung eine gehörige Präsenz in der Wahrnehmung erreicht hat – wie etwa bei den Bart tragenden Männern im hipsterfähigen Alter.

Macht Trendforschung ­erfolgreich?

»Die Welt dreht sich immer schneller, Produktlebenszyklen werden kürzer und der technologische Fortschritt beschleunigt sich rasant.
Um bahnbrechende Produktideen und neue Geschäftsmodelle entwickeln zu können, sind zuverlässige Kenntnisse über aufstrebende Technologien und zukunftsweisende Einflüsse notwendig. Heute schon über das Wissen von morgen zu verfügen, ist ein wertvoller Vorteil für Ihren Innovationsprozess.« Letzteres leuchtet ein. Ob das möglich ist, ist eine andere Frage, schließlich wäre es nicht das Wissen von morgen, wenn wir es heute hätten. Jedenfalls wirbt mit den vorangestellten Sätzen das Trendforschungs-Unternehmen Trendone mit Sitz in mehreren europäischen Städten auf seiner Internetseite. Klar ist, dass Unternehmen, die Trends setzen, viel Potenzial zu wirtschaftlichem Erfolg haben. Sie sind aber abhängig von vielen andern Dingen. Wer grandiose Ideen hat und perfekte Umsetzungen realisieren kann, kann an der Markteinführung oder der Finanzierung scheitern, dass es kracht. Und an Dingen, die man nur schwer beeinflussen kann – unter anderem an dem schon angesprochenen Willen des Kunden.
Da gibt es beispielsweise eine Innovation im Rennradbereich, welche die aktive Sicherheit in vielerlei Hinsicht verbessert, letztendlich sogar die Durchschnittsgeschwindigkeit bei Wettbewerben mit bergigem Terrain nach oben bringt: die Scheibenbremse. Sie liegt seit Jahrzehnten in der Rennrad-Schublade, erst in den letzten Jahren ist sie allmählich angenommen worden. Vom Trend Scheibenbremse konnte man beim Rennrad wohl nie sprechen. Gründe dafür? Im Produkt selbst lassen sie sich wohl kaum finden. Die Konservativität des Kunden oder die Angst der Hersteller vor dieser dürfte der Bremser sein.
Doch Trends stoßen auch auf psychologische und kulturelle Bremsschuhe – der E-Mountainbiker wurde vom traditionellen Biker letztendlich verachtet, weil er quasi dessen Heldenepos von Kraft, Schweiß und Leiden bedroht. Allerdings war beim E-MTB, wie wir mittlerweile wissen, die Innovationskraft des Trends und die emotionale Befriedigung, die sie auslöste, wirksamer als die psychologischen Gegenschläge.
Klar ist auch: Das Thema Trend selbst und die Beschäftigung damit ist gerade ganz groß. Trendforschungsinstitute, die in den späten 80ern und frühen 90ern entstanden, sind heute die Unternehmensberatung 2.0. Nach Trends zu suchen, ist trendy.

21. August 2017 von Georg Bleicher
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