9 Minuten Lesedauer
Der Ausflug in den Bikepark wird immer mehr auch zum Familienerlebnis.
i

Report - Bikeparks

Hotspot Bikepark

»Bike follows Ski« orakelten mit der Gründung der ersten Bikeparks vor rund zehn Jahren Experten wie Uli Stanciu und sahen einen sprunghaften Anstieg des Fahrrad-Tourismus in den Bergen innerhalb der nächsten 10 bis 20 Jahre voraus. Seitdem hat sich viel getan und die ehemals belächelten Parks und ihre Besucher bilden mittlerweile die Speerspitze für eine neue Tourismusgeneration.

Vorwiegend männliche Jugendliche und ebenso jugendlich wirkende Männer, davon einige mit auffälligen Tattoos, stehen lässig mit kurzen Hosen, T-Shirt und einer Bier­­flasche in der Hand am Parkplatz. Lagerfeuer, Grillgut satt und aus den überdimensionierten Subwoofern eines Wohnmobils wummert der Bass. Klischee hin, Klischee her, einen Fahrradtouristen stellt man sich gemeinhin anders vor.
Kein Wunder, dass viele Hotel- und Restaurantbetreiber oder Tourismusmanager in den Bergregionen diesen »Freaks«, die sich tagsüber auf zwei Rädern den Berg hinunterstürzten, erst einmal kritisch gegenüberstanden. Andere sahen hingegen die ­Chancen und bauten für die tempo- und adrenalinsüchtige Klientel an den Bergstationen der Skilifte Downhill-Trails, die sie findig mit abenteuerlichen Holzkonstruktionen für Kicker, Speed-Ramps, Drops und Wallrides an senkrechten Wänden ausrüsteten und mit herausfordernden Namen wie »you-go-first«-Trail oder »Flying Gangster« versahen.
»Die junge Bike-Community im Alter von 14 bis 35 Jahren hat einen eigenen Lifestyle und besondere Bedürfnisse, auf die wir uns einrichten«, erläutert Stefan Pühringer, Geschäftsführer der österreichischen Saalfelden Leogang Touristik die Strategie der europaweit bekannten Bike-Region. Hier ist einer der größten und ältesten Bikeparks Europas beheimatet. Wobei sich der Park heute in vielerlei Hinsicht sogar deutlich jünger präsentiert als bei seiner Gründung im Jahr 2001.

Hotspot für die Community

Bikeparks sind längst viel mehr als nur eine Spielwiese für ein paar Freeride-Cracks auf der Suche nach neuen Abenteuern. In vielen Bergregionen gehören sie in der Sommersaison inzwischen zu den Hauptattraktionen und bieten ein vielfältiges Programm. Für alle Altersstufen und jede Zielgruppe vom Anfänger bis zum Profi und vom Freizeitsportler bis zum Manager. Darüber hinaus sind sie ein Imageträger, der gerade in Verbindung mit großen Events, für die sie die ideale Plattform bieten, für Bekanntheit weit über die Szene und die Region hinaus sorgt. »Events wie die UCI Mountainbike WM sind ein wichtiges Imagetool«, stellt Stefan Pühringer dazu fest, »sie rentieren sich für uns aber auch im Hinblick auf die Wertschöpfung.« Denn mit bis zu 40.000 Besuchern sorgen Bikeparks bei großen Veranstaltungen für einen sprunghaften Anstieg an Übernachtungen und exzellente Umsätze. Die Bedeutung der Kombination eines Parks mit Großveranstaltungen unterstreicht auch Dr. Nicolaus Prinz, Manager für Sport- und Gesundheitstourismus der Winterberg Touristik und Wirtschaft GmbH: »Bikeparks sorgen in Verbindung mit großen Events wie der Red Bull Berg Line überregional für Bekanntheit und prägen das Image als junges, dynamisches und facettenreiches Sportgebiet.«
Hier trifft sich die junge Bikeszene, hier tauscht sie sich aus und hier feiert sie auch gerne zusammen. Aber längst nicht mehr nur die junge Community: »Viele Familienväter von heute gehören zu den Pionieren der Szene«, weiß Stefan Pühringer. Als Freerider der ersten Stunde gehören sie noch zur Gruppe, haben aber inzwischen ganz andere Bedürfnisse. Statt im Wohnwagen wird lieber in der Ferienwohnung oder im Hotel übernachtet, gefährliche Stunts überlässt man der Jugend und bei schlechtem Wetter nutzt man auch gerne das Schwimmbad und die Wellnessangebote. Da es weniger um den Adrenalinschub als den Genuss und das Teilen von gemeinsamen Interessen und Erfahrungen geht, gehören selbstverständlich auch Bike-Angebote für die Partnerin mit dazu. Und auch der Nachwuchs soll sicher und mit Spaß an die Herausforderungen herangeführt werden. Dazu gibt man die Kleinen gerne in professionelle Obhut, zum Beispiel in einem Kids-Bikepark.

Neue Zielgruppen: Kinder, Familien, Mehrgenerationen-Gruppen

Für den Bikepark Leogang sind Familien inzwischen zu einer wichtigen Zielgruppe geworden. Und die Kundschaft wird immer jünger: »Bike-Sport fängt bei uns schon mit dem zweiten Lebensjahr an«, so Tourismusmanager Pühringer. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, hat der Bikepark sein bestehendes Angebot für Kinder in dieser Saison noch einmal deutlich ausgebaut. Entstanden ist der nach Angaben der Betreiber größte Bike-Kinderpark Europas. Im sogenannten »Kiddy Park« lernen die Kleinsten unter professioneller Anleitung mit dem Laufrad spielerisch 40 bis 50 Zentimeter hohe Holzelemente und Erdhügel (neudeutsch Obstacles) zu meistern. Geeignet ist der Park besonders für Schulungszwecke und Anfänger bis zu 14 Jahren.
Deutlich sportlicher geht es auf zwei Freeride-Strecken zu, die bereits über Holzsteilkurven, Tables, Doubles, Pumps, Kicker und Rundholzpassagen verfügen. Bergauf geht es bequem mit dem Förderband. Selbstverständlich gibt es auch eine Drop Line zum Trainieren von Sprüngen aus 50, 80, 100, 130 und 150 Zentimetern Höhe. Auf speziellen Parcours wird zudem das richtige Ein- und Ausfahren bei langen und kurzen Kurvenlinien trainiert. Den Höhepunkt bildet ein Kids Pumptrack, auf dem die Kinder lernen, sich ohne Treten, nur durch »Pumpen« des Fahrrads, fortzubewegen. Saalfelden Leogang will mit dieser Investition in den Nachwuchs sowohl die Region und den Bikepark für Familienaufenthalte attraktiver machen als auch einen direkten Beitrag zur Förderung des Jugendsports leisten.
Jeder, der sich jetzt an den letzten Skiurlaub mit ein paar kinderfreien Stunden erinnert fühlt, liegt genau richtig. Denn das Angebot für Radfahrer nähert sich immer mehr dem für Ski- und Snowboardfahrer an: Bike-Schulen und spezielle Anfängerhügel zum Erlernen der Technik, Verleihstationen und Werkstätten für die Ausrüstung, Wasch- und Abstellmöglichkeiten an der Talstation oder am Hotel sowie Funparks und gemütliche Flow-Trails bestimmen mehr und mehr das Bild. Dabei hat Stefan Pühringer für die Region ein klares Ziel vor Augen: »Angebote für jedes Alter und jedes Niveau und Trails von blau bis schwarz.«
Analog zum Wintersport geht es dabei vor allem darum, unterschiedliche Schwierigkeitsgrade mit klaren Beschilderungen auszuweisen und mehr Angebote für Freizeitfahrer und Familien zu schaffen. Eine zunehmend wichtige Zielgruppe für die Zukunft sind auch aktive Ältere, die beispielsweise gerne Zeit mit ihren Kindern und Enkeln verbringen und zudem über das nötige Geld verfügen. »Angesichts der demografischen Entwicklung und des geänderten Freizeitverhaltens wird es immer wichtiger, generationenübergreifend sowohl die ‚jungen Wilden‘, als auch ihre Eltern und Großeltern anzusprechen«, resümiert Dr. Prinz für den Sport- und Gesundheitstourismus in der Region Winterberg. Untersuchungen zeigen dabei, dass Kinder und Jugendliche inzwischen nicht nur einen starken Einfluss auf die Anschaffung von Produkten, sondern auch auf die Wahl des geeigneten Urlaubsziels haben. Da, wo nur Landschaft lockt und sonst nichts los ist, will man nicht hin und am Ende des Tages freuen sich auch Eltern und Großeltern über eine entspannt-aktive Zeit und glückliche Kinder.

Gravity trifft E-Bike und Rennrad

»Flach kann jeder«, heißt es nicht ohne Stolz aus der Riege der Mountainbiker und Rennradler, für die jeder Anstieg neben Last auch Lust bedeutet und für die eher Höhenmeter als gefahrene Kilometer zählen. »Bergauf fahren wird traditionell überbewertet”, halten Anhänger der Gravity- oder Downhill-Sportarten, zu denen im Bikesport neben den klassischen Downhill-Disziplinen Freeride, Slopestyle, Four Cross und Dirtjump zählen, dagegen. E-Bike-Fahrer dagegen freuen sich einfach daran, dass sie wieder oder überhaupt in der Gruppe mithalten können, ohne demütigendes Schieben den Anstieg meistern oder es mit zusätzlichen Watt ohne übergroße Anstrengung bis zur nächsten Hütte schaffen.
Mittel- und Hochgebirge halten also für jeden etwas bereit und warum sollte man nicht auch für jede Zielgruppe und jeden Wunsch das passende Angebot schnüren? Das sieht auch Dr. Prinz so: »Mittelgebirgsregionen wie das Sauerland mit dem Sportzentrum Winterberg müssen sich breit aufstellen, um das Jahr über vom Tourismus zu profitieren.« Damit meint er nicht nur das schnelle Umschalten vom Winter-Skizirkus auf das gut ausgebaute Sommerangebot, das für viele Regionen inzwischen überlebenswichtig geworden ist, sondern auch den Bike-Sport selbst. »Unsere Zielgruppe sind genauso die Genussradler, wie ­diejenigen, die die sportliche Herausforderung oder einen Adrenalin-Kick suchen oder einfach nur Spaß haben wollen.« Große Zukunftspotenziale sieht er mit der bevölkerungsreichsten Region in der Nachbarschaft und dem größten Bikepark Deutschlands als Publikumsmagneten im Rücken vor allem in Bezug auf das Thema E-Bike – vorzugsweise in der Mountainbike-Variante – sowie das Rennrad. »Mit den Kreisstraßen im Hochsauerland gibt es eine ideale Infrastruktur für sportlich ambitionierte Straßenfahrer. Das ­Sauerland wollen wir künftig als echte Alternative zu Mallorca etablieren.«
Das klingt angesichts des hierzulande durchaus wechselhaften Wetters zugegebenermaßen anspruchsvoll. Aber mit absehbar steigenden Flug­preisen könnte sich die Region, die bereits heute knapp 2,2 Millionen Übernachtungen pro Jahr sowie etwa 2,5 Millionen Tagesgäste verzeichnet, auch bei Rennradlern etablieren. Auch hier verändert sich die Kundschaft. Die Kombination mit anderen Sportarten wie beim Triathlon oder Hike-&-Bike-Angebote sind »in« und fitte, aktive Sportler mit Zeit, Geld und hohen Ansprüchen an die Angebote und an die Infrastruktur finden sich zunehmend bei den Älteren. Die wollen viel weniger unter sich sein, als man glauben könnte, und haben nichts gegen die belebende Gesellschaft junger Leute mit kurzen Hosen, T-Shirts und auffälligen Tattoos, die sich mutig die Berge hinunterstürzen. Und wer weiß, vielleicht entdecken manche die gemäßigten Varianten des Bike-Gravity-Sports auf gut ausgebauten Flow-Trails ja auch noch für sich.

27. Juni 2013 von Reiner Kolberg
Velobiz Plus
Die Kommentare sind nur
für unsere Abonnenten sichtbar.
Jahres-Abo
115 € pro Jahr
  • 12 Monate Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
  • 10 Ausgaben des exklusiven velobiz.de Magazins
Jetzt freischalten
30-Tage-Zugang
Einmalig 19 €
  • 30 Tage Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
Jetzt freischalten
Sie sind bereits Abonnent?
Zum Login