Report - Kompression
Im Spannungsfeld zwischen Mythos und UCI-Bann
Kompression ist das Sportthema der letzten Jahre gewesen. Als die ersten Triathleten in Kompressionsstrümpfen große Wettbewerbe gewannen, war die Aufregung riesig, legte sich aber bald als alle Athleten in Kompressionsstrümpfen an den Start gingen. Kompression wanderte daraufhin den ganzen Körper hoch: Strümpfe, Hosen, Shirts. Die Körper von Sportlern wurden nach und nach verpackt wie die berühmte Presswurst. Kompression hat sich durchgesetzt – überall. Bald hauten die ersten Verbände auf die Pauke, witterten Schiebung. Die Union Cycliste Internationale (UCI) verbot erst Kompressionsstrümpfe, und dann, nach den Olympischen Spielen 2010, auch Kompressionsbekleidung: »Das Tragen von Mitteln, die entwickelt wurden, um die Leistungsfähigkeit des Fahrers zu beeinflussen, wie etwa das Reduzieren des Luftwiderstandes oder die Veränderung des Körpers des Fahrers, ist verboten.« Weiter heißt es: »Nur einfache textile Materialien dürfen für Bekleidung benutzt werden. Textil definiert sich dahingehend, dass nur Garne und Fasern eingesetzt werden dürfen, die eine offene Mesh-Materialstruktur haben.« Die Oberfläche darf durch Drucke oder Applikationen nicht geschlossen werden, außer durch Logos und Etiketten. Die UCI spricht von einem unfairen aerodynamischen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Athleten. Das war ein echter Dämpfer für das Thema Kompression und die UCI bekam einmal mehr den Unmut der Industrie zu spüren. Geholfen hat es gleichwohl nichts. Während Triathleten und Läufer Kompression tragen dürfen, schauen Radfahrer in die Röhre, zumindest im Wettkampf.
Was kann Kompression?
Medizinisch ist Kompression eine alte Geschichte – gut 150 Jahre alt. Angefangen hat alles mit der Anwendung pneumatischer Wechseldruckgeräte zur medizinischen Behandlung der Chronisch Venösen Insuffizienz (CVI). Mit der Möglichkeit elastische Fasern herzustellen und zu verarbeiten, war die Voraussetzung für die heutigen Kompressionstextilien geschaffen. Klassischerweise ist Kompression zur Behandlung sowie der Vorbeugung von Thrombosen bekannt, etwa auf Flugreisen. Dieses Prinzip hat sich bis heute nicht verändert. Kompression auf Muskeln und Gefäße soll eine bessere und schnellere Blutzirkulation ermöglichen.
Im Sportbereich setzt man durch Kompression auf drei Ziele: Vor dem Sport geht es um Leistungserhalt, während der Aktion um verzögerten Leistungsabfall und nach dem Sport um eine schnellere Regeneration.
Als die deutsche Olympiamannschaft sich auf den Weg nach Peking machte, trugen alle Athleten Kompressionsstrümpfe. Man hoffte, den langen Flug ohne die sogenannten »Dicken Beinen« – also Wassereinlagerungen in den Beinen – zu überstehen und den Trainingszustand über so den Flug retten zu können.
Während des Sports steht dagegen die Muskel stabilisierende Wirkung des Kompressionsstrumpfes im Vordergrund. Die Verhinderung von Muskeloszilation fördert nicht nur eine effizientere Energienutzung, sondern verzögert die Ermüdung und reduziert die Anfälligkeit gegenüber Verletzungen. Kompression bedeutet eine externe Stabilisierung des Muskels, um seine Reaktionsfähigkeit zu erhalten.
Als Drittes kommt hinzu, dass Kompression eine schnellere Versorgung der Muskulatur mit Nährstoffen gewährleistet. Der Druck auf die Arterie führt dazu, dass sich die Arterienmuskulatur entspannt. Dadurch weitet sich die Arterie und erlaubt so eine stärkere Durchblutung des Muskels. Mehr Blut bedeutet, dass der Muskel besser mit Nährstoffen, vor allem Sauerstoff, versorgt wird. Dadurch soll er effizienter funktionieren. Eine bessere Durchblutung bringt nicht nur schneller etwas zum Muskel, sondern entsorgt dem Muskel die »Abfallstoffe« wie Laktat schneller. Dadurch kommt es während der Aktivität zu einer verlangsamten Muskelermüdung und nach der Aktivität kann sich der Muskel schneller regenerieren und reaktivieren. Muskelkater und leichtere Muskelverletzungen sollen dadurch verhindert werden. Während mehrtägiger Wettkämpfe wird deshalb in Kompression nachts regeneriert. »So schlafen zum Beispiel viele Profis während der Tour de France in Skins und tragen die Produkte auch auf An- und Abreise zu den Radevents«, berichtet Edi Kaiser, General Manager Skins Deutschland und Österreich.
Wichtig: Für die Unterstützung des Blutflusses muss Kompressionsbekleidung klar definierte und vor allem trichterförmige Kompression aufweisen. Die Kompression muss dabei zum Herzen hin abnehmen. Nur eine solche gradiente Kompression führt tatsächlich zu den körperlichen Vorteilen. Eine zunehmende Kompression kann dagegen die Zirkulation behindern und zu einem Blutstau führen.
Leistungsfördernd?
Die Frage, ob Kompressionsstrümpfe tatsächlich die sportliche Leistung steigern können, ist weiterhin umstritten. Eine Studie von Wolfgang Kemmler und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sieht die Leistungssteigerung wissenschaftlich belegt. In der Studie heißt es: »Zusammenfassend konnte mit kompressiven Sportstrümpfen einen höhere Geschwindigkeit auf maximaler und submaximaler metabolischer Belastungsstufe realisiert werden, so dass die Frage nach einer ›Leistungsverbesserung‹ definitiv bejaht werden kann.« Kemmler spricht in der Studie von einer 6%igen Steigerung der Leistungsfähigkeit sowie 5% mehr Laufdauer.
Zu einem ganz anderen Ergebnis kommt sein Namensvetter J.C. Kemmler in seiner Inaugural-Dissertation eingereicht an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Dort heißt es: »Das Tragen eines MKS (Muskelkompressionsstrumpf) zum Zeitpunkt einer sportlichen Belastung hat keinen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit.« Ebensowenig reduziere es die Leistung: »Durch das Tragen des MKS bei sportlicher Belastung kommt es zu keiner messbaren Leistungsminderung.« Der Tübinger Kemmler stellte selbst nach einer vierwöchigen Kompressionstherapie keine messbare Veränderung der Leistungsfähigkeit fest. Allerdings könnten durch eine solche Therapie bei Sportlern die CVI-Beschwerden sowohl im Alltag als auch während und nach sportlicher Aktivität »signifikant reduziert« werden.
Auch eine Studie der Sporthochschule Köln stellt fest: »Zusammenfassend kann geschlossen werden, dass während submaximaler und maximaler Ausdauerbelastung die untersuchten Bekleidungsstücke mit unterschiedlichen Kompressionsflächen keinen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit und die untersuchten physiologischen Kenngrößen hatten.« Die Kölner Studie von Dr. Billy Sperlich hatte dabei nicht nur Strümpfe, sondern auch andere Bekleidung in der Untersuchung. Dennoch: »Keiner der erfassten Parameter zeigte statistisch signifikante Unterschiede zwischen den verschiedenen Bekleidungsarten (nicht komprimierende Laufbekleidung, knielange Kompressionssocken, lange Kompressionslaufhose, Ganzkörperkompression bestehend aus einer langen Kompressionslaufhose und langem Kompressionsoberteil). Die Zeit bis zur Erschöpfung sowie die Herzfrequenz waren zwischen den Textilien statistisch ebenfalls nicht unterschiedlich.«
Völlig gegen den wissenschaftlichen Trend argumentieren wiederum die Schweizer von X-Bionic: »Nun ist Schluss mit einem weiteren Mythos, der sich wider besseres Wissen zum Trend entwickelt hat«, heißt es dort, und weiter: »Achtung: Flächige Kompression steigert die sportliche Leistung nicht, sondern kann sie sogar mindern!« Die Innovationsschmiede mit der Produktion im italienischen Asola setzt auf Partial-Kompression – einen Wechsel von Zonen mit und ohne Kompression. X-Bionic nennt das »die erste und einzige Lösung der Welt, welche die Kapillaren frei lässt, also nicht abdrückt« und so vor allem zu einer »Kühlung der Blutes« beiträgt.
Zur Frage, ob Kompression tatsächlich die Leistungsfähigkeit bei sportlichen Belastung steigert, gibt es also unter Experten sehr unterschiedliche Meinungen.
Vorteil Regeneration
So unklar eine Leistungssteigerung durch Kompression auch ist, beim Thema schnellere Regeneration nach Wettkämpfen oder zur Erholung im Alltag gilt Kompression als gesetzt – auch wenn Sportler das eher mit einem Bauchgefühl begründen. Auf Kompressionsstrümpfe angesprochen, weisen viele Sportler weniger auf Leistungssteigerung im Wettkampf, sondern auf den angenehmen Effekt und Komfort nach dem Wettkampf hin. Dass dieses »Bauchgefühl« nicht trügt, belegen alle Studien.
Regeneration ist nicht zuletzt aufgrund des UCI-Banns auch das Argument und die Ebene auf der Kompression im Bikebereich gehandelt und eingesetzt wird. »Kompression ist im Radsport weiter verbreitet als man denkt, allerdings in erster Linie als Regenerations-Tool«, heißt es bei CEP von der deutschen Manufaktur medi. »So sind etwa André Greipel oder auch Robert Förstemann immer wieder vor und nach Rennen in CEP-Strümpfen zu sehen, da letztendlich eine bestmöglich regenerierte Beinmuskulatur der Schlüssel zum Erfolg im Radsport ist«, ist man dort überzeugt.
Regeneration ist aber nicht nur ein Thema für Profi-Radrennfahrer, die ja durch Massagen und Eisbäder Möglichkeiten nutzen, von denen ambitionierte Hobbyfahrer nur Träumen können. Für diese Zielgruppe ist Kompressionswäsche eine perfekte After-Sportswear zur Regeneration, zur Muskelkatervermeidung oder zum Wohlfühlen.
Abwartende Industrie
UCI Verbot hin, Diskussion um wissenschaftliche Studien her, Kompression ist ein Thema, welches die klassischen Radbekleidungsmarken offensichtlich mit Argwohn begegnen. »Nach Absprache muss ich mitteilen, dass Gore sich nicht zu dem Thema Kompression für Radfahrer äußern möchte«, lässt etwa die PR-Agentur von Gore Bikewear verlauten. Dabei hat Gore Bike Wear sogar ein Produkt mit Kompression im Programm. Man wolle aber den »Fokus von Gore Bike Wear beim Design der Outfits für leidenschaftliche Fahrradfahrer nicht auf das Thema Kompression« legen. Auch Craft ist da zurückhaltend: »CRAFT hat fast keine Kompressionsprodukte im Sortiment - daher macht es auch keinen Sinn sich hier zu präsentieren«, heißt es aus der D-Zentrale. Ähnlich die Albstädter von Gonso: »Kompression oder kompressionsähnliches haben wir bei Gonso für den Radbereich leider nicht zu bieten.« Dabei setzt Gonso durchaus auf Kompression und Muskelstabilität – allerdings nur in der Running-Kollektion.
Da wundert es nicht, wie Skins die Situation einschätzt: »Das Thema Kompression wurde anfänglich mit Interesse betrachtet, letztlich aber vom Radfachhandel bisher wenig angenommen.« Für die eigene Marke lautet der Beschluss deshalb weniger über Kompression reden, als über das Wohlfühlen durch Kompression. »Wir überzeugen daher den Bikemarkt weniger mit dem Thema Kompression, als vielmehr durch die Produktqualität. Insbesondere die gute Passform ist ein Argument«, so Kaiser. Kompression bleibt also auch 2014 vorraussichtlich ein Thema der Spezialisten.
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