Portrait - Rad & Tour
Immer auf der Suche
Wer bei Thorsten Larschow ein Fahrrad kaufen möchte, wird zunächst einmal auf den Prüfstand gestellt. Der besteht aus einer schwarzen Bodenplatte, an vier Ecken steht jeweils eine Säule mit Laserscanner. Die scannen den potenziellen Kunden und spucken die Maße aus, die Larschow bei der Suche nach dem passenden Bike unterstützen sollen. »Eine solche Analyse macht vielleicht 50 Prozent des Findungsprozesses aus«, schätzt der Verkaufsprofi, der mit seinen 25 Jahren Erfahrung im Fahrradfachhandel zweifellos auch nur mit Augenmaß das richtige Velo aussuchen und einstellen könnte. Aber die Fitting-Station ist viel mehr, als ein Vermessungsinstrument. Sie vermittelt dem Kunden Kompetenz, Vertrauenswürdigkeit und den Schritt »in die nächste Phase«, wie Thorsten Larschow es nennt.
Als er vor einem Vierteljahrhundert seinen Laden Rad & Tour in Cuxhaven eröffnete, war das noch anders. Wie so vieles. Heute sind 99 Prozent seines Umsatzes hochwertige Alltagsräder. »Damals hatten wir den Fokus noch auf sportlichen Fahrrädern – Rennrad und Mountainbike«, erinnert sich der gelernte Kfz-Meister, der als ambitionierter Radsportler nicht lange zögerte, als ihm 1994 seine erste Ladenfläche angeboten wurde, ein paar Meter die Straße runter von seinem jetzigen Standort in einer Spielstraße im Lotsenviertel Cuxhavens. »Man muss auch mal was riskieren«, ist er überzeugt.
Dieses erste Risiko, das des eigenen Radladens, hat sich gelohnt. Und auch das zweite, ein Umzug auf eine Fläche, die »eigentlich viel zu groß für uns war«. Inzwischen stößt auch der neue Laden an seine Kapazitätsgrenzen. Obwohl Larschow ihn bereits um 200 Quadratmeter vergrößert hat. Offen ist die Fläche, der Bürobereich ist loftartig über dem Verkaufsraum eingezogen. Wände gibt es kaum und dennoch hat jede Abteilung ihren eigenen Bereich: Beratung, Verwaltung, Werkstatt, Kasse und Verleih. Das sei vor allem wichtig, damit die Kunden sich wohlfühlen, hat Larschow die Erfahrung gemacht. Zum einen, weil sie genau wissen, wo sie hinmüssen. Zum anderen vor allem aber auch, weil kein »komisches Gefühl« aufkommt, wenn der eine gerade ein paar tausend Euro für ein E-Bike ausgibt, während ein anderer Kunde hinter ihm ein Fahrradschloss für 50 Euro kauft oder sich für acht Euro ein Mietrad holt. Eines von inzwischen rund 500 Mieträdern, wohlgemerkt.
Nur Funktionieren genügt nicht
Das Verleihwesen ist ein Geschäftszweig, den Thorsten Larschow bereits eineinhalb Jahre nach der Eröffnung seines Ladens gründete. Damals noch, weil ihn ein Freund dazu überredete, heute aus tiefster Überzeugung. Im Urlaubsort Cuxhaven, wo mit Elbe- und Weser-Radwanderweg zudem gleich zwei der am meisten befahrenen Radfernwege enden, sind Mieträder gefragt. Das Mietgeschäft sei von Anfang an durch die Decke gegangen. Dass Thorsten Larschow den Geschäftsslogan »Fahrradliebe seit 1993« beruflich leben kann, liegt unter anderen wohl auch an einer seiner Eigenschaften: Er beobachtet, analysiert und lernt kontinuierlich. Von Anfang an. Damals nahm Thorsten Larschow an Verkaufsschulungen teil: im Rahmen der Fachmesse Ifma oder beim Fahrradkongress in Bremen. Jedes Mal sei nach zwei Stunden Schulung sein Umsatz übers Jahr um zehn Prozent gestiegen, sagt er rückblickend. Und er ist überzeugt, dass es bei jedem, der noch nicht richtig gut verkaufen kann und sein »Handwerkszeug« auf diese Weise lernt, ebenfalls so sein wird.
Larschow glaubt, dass es im Fahrradfachhandel generell weniger darum gehen sollte, dem Kunden etwas über Fahrradtechnik zu erzählen, sondern darum, ihn zu beraten. »Wenn ein Kunde mehr über das Rad weiß, das er haben möchte, als ich, habe ich kein Problem damit«, sagt er. »Mein Job ist es, ihm zu sagen, ob das Rad für seine Zwecke passt.« Und dabei soll das neue Termin-System samt dem »Vertrauensförderer« 3D-Scan unterstützen.
Das ist aber längst nicht alles an Maßnahmen, um Kunden das Gefühl zu geben, bei Rad & Tour gut aufgehoben zu sein. Mit Jacky Lagemann begrüßt eine gelernte Hotelfachfrau mit Sterne-Erfahrung die Kunden im Geschäft und weist sie den jeweiligen Beratern zu. Pro Woche versucht Larschow, ein Buch zu lesen: Psychologisches, zum Beispiel, aus dem er ableitet, welche Schaufenstergestaltung die Menschen ins Geschäft holt und welche Inneneinrichtung sie zum Verweilen einlädt. Unterstützt wird er dabei von Mediendesignerin Mailin Busko, die sich mit geschultem Blick um den Außenauftritt des Ladens kümmert. Larschow gibt sich nicht damit zufrieden, dass etwas nur funktioniert. Er hinterfragt selbst scheinbar geschmeidige Abläufe und überlegt, wo sich noch etwas reibungsloser verzahnen, weniger fehleranfällig standardisieren lässt. Und wenn etwas einmal gut läuft, fragt er sich »Was kann man tun, damit das immer so ist?«
Früher, als er noch aktiver im Tagesgeschäft war, fiel ihm das meiste selbst auf. Heute, wo er »mehr an der Firma arbeitet als in der Firma«, hört er sich bei seinen Mitarbeitern um, bei Kollegen, die er auf Seminaren trifft, auf Vorträgen (die er oft selbst hält) und in den ERFA-Gruppen des VSF. Zweien davon gehört er an, sein Steckenpferd ist die Optimierung der Werkstattprozesse. Thorsten Larschow hat das verbandseigene Konzept »all-ride Werkstatt« maßgeblich mit entwickelt und ist im Vorstand, um es voranzutreiben. Innerhalb dieses Konzepts werden Prozesse optimiert und beispielsweise eine Liste der größten Zeitfresser bei Werkstattabläufen erstellt. Dazu zählen zum Beispiel Nachfragen beim Kunden oder wenn Reparaturen stehenbleiben, weil man nicht (mehr) genau weiß, was gemacht werden soll. Aufgrund dieses Wissens entstand ein Prozess für die Reparaturannahme, bei dem jeder einzelne Schritt reproduzierbar festgelegt ist. Das soll dafür sorgen, dass »die Reparatur perfekt und der Kunde zufrieden ist«. Immer. Zudem spart sich der Mechaniker Zeit und bekommt so im Endeffekt mehr Geld, weil am Ende bei gleichem Preis mehr übrigbleibt.
Beratung nur mit Termin
Thorsten Larschow ist überzeugt, dass die Werkstatt mit das Herz des Ladens ist. Entsprechend feilt er kontinuierlich an den Prozessen seiner eigenen Werkstatt, in der vier seiner insgesamt 16 Mitarbeiter beschäftigt sind – das ganze Jahr über. Winterflaute? Gibt es bei Rad & Tour nicht. »Der Januar 2019 war der mit dem höchsten Arbeitswertumsatz, den wir je hatten«, berichtet Larschow. Das kommt daher, dass er bei den Cuxhavenern aktiv dafür geworben hat, das Rad im Winter, wo Kapazitäten im Laden frei sind, zum Check oder zur Reparatur zu geben. Es liegt aber auch daran, dass Aufträge bei Rad & Tour besonders zügig abgearbeitet werden können: Hinter jedem Mechanikerplatz hängt eine Wand mit etwas weniger als 30 Werkzeugen, die dank Magneten auch dann nicht herunterfallen können, wenn der Mitarbeiter sie schnell und mit nur halbem Auge ablegt. Der Abstand von Werkzeugbrett und Montageschlingen ist so bemessen, dass sich der Mechaniker nur zu drehen, aber nicht fortzubewegen braucht. Hinten raus geht es direkt auf den Hof, wo die Mechaniker Probefahrten machen können und auch der Lkw fährt dort ein, um neue Bikes abzuliefern. Gerade einmal 15 Haken gibt es in der Werkstatt, an denen die zu inspizierenden Bikes aufgehängt auf ihren Termin warten. Ziel ist es, dass sich nie mehr Fahrräder dort stauen, als es Haken gibt. Das kann klappen, tut es im Moment aber noch nicht immer. Gerade im Sommer. Da sind Werkstatt und Laden gerne mal voll. Übervoll.
Und das hat Larschow erneut auf eine Idee gebracht. Ab sofort gibt es bei ihm Fahrradberatungen nur noch auf Termin. Die dauern eine Stunde lang und umfassen eine 3D-Vermessung, Unterstützung bei der Fahrradwahl, Einstellung des Bikes und Probefahrt. 100 Euro kostet das, die beim Fahrradkauf verrechnet werden. Dass ihn das Umsatz durch Laufkundschaft kosten könnte, befürchtet Thorsten Larschow nicht. Er glaubt: »Wenn man eine halbe, dreiviertel Stunde im Laden wartet und nicht weiß, ob man drankommt, ist das viel abschreckender, als wenn man weiß, der nächste Termin ist erst in zwei, drei Stunden frei. Dann aber sicher.« Und die Terminanfragen gehen munter ein. Es sind eben doch die kleinen Dinge, die den Unterschied machen. Dinge, wie dem Kunden zu vermitteln: »Wenn du kommst, sind wir ganz für dich da«. Dinge wie eine Wand vom Boden bis zur Decke mit Rädern zu behängen, um schon von außen zu vermitteln »Komm rein, wir haben Auswahl«. Dinge wie Testfahrten mit E-MTBs anzubieten, um die Scheu vor diesem Biketyp zu nehmen. All dies, kombiniert mit unbedingter Glaubwürdigkeit, Leidenschaft und einem Schuss Lockerheit. »Ich könnte morgen auch Staubsauger verkaufen«, sagt Larschow. Will er aber nicht. Zum Glück.
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