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Junge Menschen auf dem Rad
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Report - Junge Mobilität

Junge Menschen auf dem Rad

Der Blick auf Jugendliche und junge Erwachsene und ihre Fahrradnutzung kann durchaus Bauchschmerzen bereiten. Denn zum einen ist diese Kundengruppe im Hinblick auf den Kauf und die Nutzung des Fahrrads nicht sonderlich gut erforscht und zum anderen stimmen Zahlen und Trends weniger optimistisch, als es die mediale Wirklichkeit aktuell wiedergibt. Aber es gibt auch Positives.

Auch wenn das Fahrrad medial ein Topthema ist und allgemein eine Zunahme des Radverkehrs beobachtet werden kann: Davon, dass das Fahrrad dem Auto – möglicherweise gerade bei jungen Leuten – den Rang abläuft, kann bei genauerer Betrachtung kaum die Rede sein. Ganz im Gegenteil spricht vieles sogar dafür, dass das Fahrrad durch neue Technologien, Trends und Konsumgewohnheiten sowie ein verändertes soziales Verhalten in dieser Gruppe an Boden verliert. Ein genauerer Blick auf die Bedürfnisse der »Jugend von heute«, die wir hier mit ca. 15 bis 25 Jahren definieren, und die Rahmenbedingungen lohnt also. Ebenso ein Blick auf die Fahrradbranche, die sich nachvollziehbarerweise meist auf umsatz- und ertragsstarke Modelle und Konzepte für die ältere Generation konzentriert und darüber möglicherweise den Kunden von morgen etwas aus den Augen verliert. Aber wo Schatten ist, ist meist auch Licht und auch dafür gibt es natürlich Beispiele aus der Branche.

Weniger Auto – mehr Fahrrad?

Oft werden das durchaus wachsende pragmatische Verhältnis der jungen Generation zum Pkw und eine gewisse Führerscheinmüdigkeit reflexhaft mit einer »Trendumkehr« und einem daraus folgenden Zuwachs beim Fahrrad gleichgesetzt. Für diese gefühlte Realität gibt es jedoch kaum echte Indizien. So kommt eine zu Beginn dieses Jahres veröffentlichte gemeinsame Studie des TÜV Rheinland und der Beratungsgesellschaft BBE Automotive zum Schluss: »Der eigene Wagen wird nicht zum Auslaufmodell. Auch wenn es immer wieder behauptet wird: Eine Verweigerung gegenüber einem eigenen Auto ist auch bei der Jugend nicht nachweisbar.«
Die Macher der Studie, die sich zentral mit dem Thema Carsharing befasst, verweisen dabei unter anderem auf das Kraftfahrtbundesamt, nach dem die Zahl der angemeldeten Autos in Deutschland zwischen 2007 und 2014 von 41,2 Millionen auf 43,9 Millionen gestiegen ist. Nach BBE-Schätzungen soll die Zahl bis 2020 sogar auf rund 45 Millionen steigen – und das trotz rückläufiger Bevölkerungszahlen. Zwischenfazit der Studie: »Selbst in Berlin, also in einer Stadt, die aufgrund ihrer Größe und Bevölkerungsstruktur prädestiniert ist für alternative Mobilitätsformen wie Radfahren und Carsharing, steigen die Autoanmeldungen.« Durchaus festzustellen sei dagegen eine zeitliche Verschiebung: Der Führerschein wird später gemacht und auch Pkws werden zu einem späteren Zeitpunkt angeschafft.

Internet und ÖPNV: eine attraktive Kombination

Was junge Leute über alle Trends und Moden hinweg eint, ist das Internet, das inzwischen unverzichtbar zum Leben gehört. Für 16- bis 18-Jährige ist die Netzverfügbarkeit nach der BITKOM-Studie »Jugend 2.0« von 2011 fast ebenso wichtig wie Freunde, die nach wie vor auf Platz eins stehen, und inzwischen genauso wichtig sind wie die eigene Familie. Dieser Fakt prägt auch das Mobilitätsverhalten: Fortbewegung, die weder hip ist oder Anerkennung garantiert und keine parallelen Aktivitäten, wie Musikhören und die Nutzung von Facebook, WhatsApp, YouTube & Co. ermöglicht, gilt allgemein als uncool.
Gerade das Angebot im öffentlichen Verkehr lässt sich hingegen ideal mit dem neuen Lebensstil kombinieren, der die ständige Nutzung von Smartphone und Internet einschließt. Vor dem Hintergrund kostengünstiger Schüler-, Job- oder Semestertickets erklärt sich schnell, dass der ÖPNV bei Jugendlichen in jüngster Zeit deutlich an Beliebtheit gewonnen hat. Einen zusätzlichen Attraktivitätsschub könnte der ÖPNV bekommen, wenn Haltestellen und Verkehrsmittel flächendeckend mit einer schnellen Internetverbindung ausgerüstet werden. Genau daran arbeiten Unternehmen wie Telekom oder Vodafone und das fordert auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt: »Es genügt nicht, nur den Fernverkehr auszurüsten, auch Regionalzüge und S-Bahnen müssen einen drahtlosen Internetzugang haben«, so Dobrindt kürzlich in der »Süddeutschen Zeitung«. Sowohl die Bahn als auch ihre Konkurrenten im Regionalverkehr müssten sich auf die »sich verändernden Lebensrealitäten einstellen«.

Wichtiger als Vernunft: Image und ­Anerkennung

Gerade Teenager achten sehr auf ihr Image. Ob im Schulalltag oder im Freundeskreis, sie möchten von anderen, vor allem der Peer-Group, akzeptiert und respektiert werden, im Trend liegen und zugleich herausstechen. Durch den Konsum werden Zugehörigkeiten und Positionen markiert, hier drücken sich Lebensgefühle aus und prägen sich auch Beziehungen zu anderen. 19 Prozent achten gemäß der Studie »Jugendkonsum im 21. Jahrhundert« aus dem Jahr 2004 zum Beispiel darauf, dass die Güter auch von den Freunden positiv bewertet werden und 27 Prozent möchten sich über die Auswahl der Produkte selber darstellen. 38 Prozent halten sich über Produkte und Marken ständig auf dem Laufenden; 43 Prozent kaufen gerne Markenprodukte.

Mehr Hipness und Respekt fürs Fahrrad?!

In der Praxis heißt das, dass Jugendliche am ehesten dadurch für das Fahrrad begeistert werden, indem das Produkt positiv emotional aufgeladen und auch die Nutzung sicherer und einfacher gemacht wird. Gut gemeinte Appelle an Vernunft und Logik helfen demnach in der Breite eher wenig, auch wenn die VCD-Kampagne »FahrRad! Fürs Klima auf Tour« beispielsweise durchaus Erfolge verzeichnet. Geradezu kontraproduktiv wirken dagegen fortwährende Mahnungen zu mehr regelkonformem Verhalten, das zwar seitens der Erwachsenen eingefordert, selbst aber nicht (vor-)gelebt wird oder der zuletzt aus Berlin laut gewordene Ruf nach einer Warnwesten-Pflicht. Hip sieht anders aus und kaum eine Maßnahme könnte jugendliche Radfahrer wohl mehr stigmatisieren und abschrecken. Außer vielleicht noch mehr Auflagen, wie eine Helmpflicht und höhere Bußgelder für Regelverstöße.
Das Gefälle zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Erwachsenenwelt und Jugendrealität kann man dabei durchaus als ernstzunehmendes Problem ansehen. Denn gerade auf emotionaler Ebene zeichnen Jugendliche in Bezug auf das Radfahren in der Stadt ein eher düsteres Bild. Vielfach fühlen sie sich durch den automobildominierten ruhenden und fließenden Verkehr an den Rand gedrängt und durch rücksichtsloses, abwertendes Verhalten der Erwachsenen zu Verkehrsteilnehmern zweiter Klasse degradiert, wie das Wiener Forschungsprojekt »Jugendliche: Lebensqualität, Verkehr & Mobilität« aus dem Jahr 2012 zeigt. Fehlender Respekt für Radfahrer (und Fußgänger) ist dabei ein verbreitetes strukturelles Problem, wie die Arbeitsgemeinschaft fußgänger- und fahrradfreundlicher Städte, Gemeinden und Kreise in NRW (AGFS) immer wieder betont. Klar ist: Mit höherem Verkehrsaufkommen steigt das Konfliktpotenzial und bereits jetzt hat die Infrastruktur, die auf den massenhaften Verkehr, auch beim Rad, nicht ausgerichtet ist, ihre Kapazitätsgrenzen vielerorts längst überschritten.

Sind Fahrräder bei Jugend­lichen »in« oder »out«?

Richtig »out« sind Fahrräder bei Jugendlichen natürlich auch nicht und gerade in der Freizeit haben sie weiter einen hohen Stellenwert. »In« sind zum Beispiel BMX-Räder, mit denen man allerdings dann auch entsprechend umgehen können sollte, oder die ebenso schicken, wie leider meist auch teuren, Singlespeed-Räder. Manko von beiden Radtypen: Sie entsprechen nicht der StVO, wecken bei Dieben Begehrlichkeiten und sind damit nicht gerade die erste Wahl der mehr auf die Sicherheit, als auf das Image der Zöglinge, bedachten Eltern, die ihre Kinder dann doch lieber im Elterntaxi kutschieren. Um ihrem Anspruch nach Individualität und Coolness trotzdem gerecht zu werden, weichen Jugendliche inzwischen auch gern auf Vintage-Räder vom Flohmarkt oder dem Fahrradkeller der Eltern aus. Oder sie wechseln einfach gleich den Untersatz, wie der anhaltende Trend zum Longboard als Verkehrsmittel zeigt.

Willkommen beim Fahrrad 2.0

»Wie schafft man es, dass das Fahrrad ebenso begehrt wird, wie das Smartphone?«, fragt René Filippek vom ADFC und fordert Kreativität bei der Produktentwicklung und im Marketing (siehe Interview). Neue Ansätze, wie das Fahrrad 2.0 aussehen könnte, mit dem junge Menschen wieder begeistert werden, gibt es. Wichtig auch hier: Individualität, Emotion, Hightech, die Anbindung an das Internet, beziehungsweise das Smartphone und vor allem auch ein attraktives Umfeld zur Präsentation, wozu die Lage ebenso zählt, wie der Laden selbst.

Trend 1: Integration von Hightech

Gerade das E-Bike lädt zur Integration von Hightech und Smartphone ein, wie die Beispiele von Stromer, Bosch eBike Systems oder GO SwissDrive zeigen. Andere werden mit Sicherheit in Kürze folgen. Für einige Aufmerksamkeit sorgte zum Beispiel kürzlich das Kickstarter-Projekt Cobi, das noch in diesem Jahr auf den Markt kommen soll. Das System für die Computerisierung des herkömmlichen Fahrrads oder analogen E-Bikes nutzt das Smartphone als Steuerzentrale für Licht, Navigation, Unterhaltung und Diebstahlschutz. In Zusammenarbeit mit entsprechenden Sensoren soll es darüber hinaus auch die Leistung und die Trittfrequenz erfassen und als Fitnesstrainer fungieren.
Einen anderen und für viele sicher ebenso attraktiven Weg geht die junge Heidelberger E-Bike-Marke Coboc, mit ihrem mehrfach, unter anderem mit dem Eurobike Award in Gold, ausgezeichneten »eCycle«. Das Singlespeed-Pedelec ist laut Geschäftsführer David Horsch gleichzeitig das Traumrad des jungen Teams mit einem Alter zwischen 25 und 35 Jahren, das die sonstigen Entwicklungen im E-Bike-Markt durchaus kritisch betrachtet: »Junge Kundengruppen werden im E-Bike-Bereich so gut wie gar nicht adressiert. E-Bikes haben gerade bei vielen Jüngeren nach wie vor den Malus des Rentner- oder Behindertenrads.« Mit Blick auf den Markt, der nicht zuletzt auch durch das Budget geprägt ist, sprechen die Heidelberger die Zielgruppe der 30- bis 50-jährigen, jungen und jung gebliebenen Kunden an. »Die meisten unserer Kunden sind Individualisten«, so David Horsch im Gespräch, »für viele, darunter ein hoher Anteil von Kreativen, wie Architekten, Designer oder Regisseure, ist ihr Fahrrad ein Statement. Dabei geht es vor allem darum, etwas Besonderes zu haben. Etwas, das ihre Individualität unterstreicht.« Aber auch wenn sich junge Menschen das eCycle in der Regel nicht leisten können – die Manufaktur-Räder kosten rund 5.000 Euro – die Faszination ist auch bei ihnen spürbar vorhanden. »Wir merken sehr deutlich, dass unser E-Bike, das sich durch Reduktion und nicht durch technischen Schnickschnack auszeichnet und von der Masse abhebt, auch bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen hervorragend ankommt und echte Sehnsüchte weckt.«

Trend 2: Individualisierung

Die Automobilbranche hat es vorgemacht: Statt Pkws von der Stange anzubieten, die dann mit teurem extern zugekauftem Zubehör, viel Liebe zum Detail und noch mehr Eigenarbeit getunt und individuell gestaltet werden, gibt es heute eine fast unendliche Variationsvielfalt ab Werk. Über 30.000 Ausstattungsvarianten und damit Lifestyle pur bietet beispielsweise der Opel Adam, der deshalb gerade bei der weiblichen Kundschaft hervorragend ankommt. Auch in der Fahrradbranche gibt es mit wachsender Technik- und Zubehörvielfalt in unterschiedlichsten Farben im Prinzip ähnliche Möglichkeiten. Wer aber nicht gleich zu teuren Custom-Made-Rädern greifen will, dem blieb bislang allerdings oft nur die Bestellung, in der Regel über das Internet, verbunden mit dem beherzten Griff zu Werkzeugkiste oder Sprühpistole.
Neu und gerade für junge Kunden attraktiv ist die Möglichkeit das eigene Fahrrad per Konfigurator maximal zu individualisieren und die Ergebnisse direkt am Bildschirm präsentiert zu bekommen. Am besten verbunden mit einer Beratung vor Ort, der persönlichen Übergabe im Laden und dazugehörigen After-Sales-Services. Was wir im Velobiz.de Magazin Anfang 2012 unter dem Titel »Blick zurück aus dem Jahr 2020« noch als Vision beschrieben haben, ist heute inzwischen in den ersten Metropolen Realität. Seit vergangenem Jahr gibt es im Münchner Stadtteil Moosach beispielsweise in einem Einkaufscenter auf 300 Quadratmetern die neue »Rose Biketown«. Der Konzeptstore des Fahrradversenders, der kürzlich als erster Fahrradladen überhaupt für den »Stores of the Year Award« des Handelsverband Deutschland nominiert wurde, verbindet die digitale Shoppingwelt mit dem realen Einkaufserlebnis. Kunden stellen im Shop mit fachkundiger Beratung auf einem von 20 Tablets ihr Traumbike zusammen und können es in Echtgröße auf dem Großbildschirm begutachten. Der Clou: Einmal begonnene Konfigurationen lassen sich jederzeit speichern und können nach Hause mitgenommen oder vice versa im Laden auf den Bildschirm gebracht werden.
Ein ähnliches Konzept wie Rose, hier allerdings mit dem Schwerpunkt urbane Räder für ein junges Publikum, verfolgt der Branchennew-comer »urbike«. Unter dem Claim »Du bist dein Fahrrad – designe es!« wird ebenfalls auf die Individualisierbarkeit per Internetkonfigurator, vor allem bei den Farben, und die Verbindung mit der Beratung im Laden gesetzt. »Unsere erste Idee war, Räder ausschließlich online anzubieten«, erläutert Geschäftsführer Mike Glaser. »Dazu haben wir in München ein Büro und einen Showroom eingerichtet. Mit der Kundennachfrage Räder sofort vor Ort zu bestellen haben wir den Showroom dann 2011 schnell zu einem Ladengeschäft ausgebaut.« Inzwischen ist urbike mit drei Shops in München, Hamburg und Köln vertreten. Weitere Standorte in Frankfurt am Main, Berlin und Wien, für die gerade geeigneten Ladenlokale und Partner gesucht werden, sollen in Kürze, wie in Köln als Franchise-Konzept, folgen.
Ein starkes Kaufkriterium ist nach den Erfahrungen der urbike-Macher tatsächlich der Ausdruck der Persönlichkeit. Wobei junge Männer hier laut Mike Glaser noch eitler sind als junge Frauen. »Cooles Rad – cooler Typ ist eine gewollte Assoziation.« Im Laufe der Konfiguration, die die Farbgebung von Rahmen, Sattel, Gepäckträger, Felgen, Reifen, Lenker oder Griffen umfasst und auch vor der Kette nicht haltmacht, identifizieren sich die Kunden auch immer mehr mit dem Rad. »Der Kauf ist bei uns irrsinnig emotional. Kunden erscheinen bis zu fünfzehn Mal im Laden und beziehen auch ihr Umfeld aktiv in die Entscheidung ein.« Damit sie nicht überfordert werden, bietet urbike im Internet nur 20 Farben zum Kombinieren an. In den Shops kann dagegen mit einem Berater, der hilfreich zur Seite steht, aus 100 Farben ausgewählt werden. »Auch wenn wir Mass Customization noch nicht wirklich umgesetzt haben, kommen wir dem mit unserem Konzept schon ziemlich nahe«, so Mike Glaser. Trotz allem ist auch hier die Hauptkundengruppe zwischen 25 und 35 Jahre alt. »Oft wird unserer Erfahrung nach vom ersten »richtigen Geld« auch das erste »richtige Fahrrad« gekauft.« Aber auch hier setzen die Begehrlichkeiten deutlich früher ein und auch viele Junggebliebene interessieren sich für die Räder: »Unser jüngster Kunde war bislang 13 Jahre und unsere älteste Kundin 74 Jahre alt.«

16. Februar 2015 von Reiner Kolberg

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