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Komplizierte neue E-Bike-Welt
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Markt - Liefersituation

Komplizierte neue E-Bike-Welt

Engpässe bei E-Bike-Lieferungen machen Händlern mehr und mehr zu schaffen. ­Umsatzausfälle und frustrierte Kunden sind die Folgen. Was sind die Ursachen? Antriebshersteller verweisen auf den anhaltenden Boom in der Elektromobilität und die damit einhergehende Knappheit bei den Kom­ponenten für Fahrzeugbatterien. Ist eine Lösung in Sicht?

Die Vögel zwitschern, die Sonne strahlt. Das Thermometer zeigt frühlingshafte 22 Grad an. Frisches Gras sprießt aus dem Boden und die ersten Blätter zeigen sich zaghaft an den Bäumen. Einige Eiscafés laden schon in ihren Freiluftbereich ein. Der Frühling ist angekommen. Und damit auch die Saison für Radfahrer. Eigentlich. Denn für viele Radfahrer, die gerne auf Elektrorädern unterwegs wären, hat mit dem Frühling die Zeit des Wartens begonnen, nachdem sich bei den zahlreichen Herstellern die Auslieferung der beliebten E-Bikes verzögert.
»Ja, es ist unangenehm beim Verkauf, bei der Beratung. Ich muss immer im Hinterkopf behalten, ob das Rad überhaupt lieferbar ist. Du willst dem Kunden aber auch das richtige Rad verkaufen, nicht nur im Hinblick auf die Lieferfähigkeit«, sagt Albert Müller, Inhaber von Rad Zacherl & Müller in Füssen. So wie Müller geht es dem Großteil der Fahrradhändler in Deutschland. Vier bis fünf Monate Lieferzeit sind für Pedelecs aktuell keine Seltenheit. Und Müller betont, dass es sich dabei nicht um ein neues Phänomen handelt, sondern er auch in den vorigen Saisons schon mit Lieferengpässen zu kämpfen hatte: »Es gab noch kein Jahr, seit es Pedelecs gibt, in dem es das nicht gab.« Die Probleme zögen sich durch die Riege nahezu aller Hersteller, es gebe kaum einen Pedelec-Produzenten, den die Materialengpässe gerade nicht beschäftigen.

Alles auf ein Pferd

E-Bike-Ausrüster Bosch bekannte sich früh in der Saison zu seinen Lieferschwierigkeiten und erklärt diese folgendermaßen: »Die Wirtschaft boomt – und zwar branchenübergreifend. E-Bikes sind innerhalb des Fahrradmarktes das Wachstumssegment und sorgen für einen rasanten Aufschwung. Diese positive Marktentwicklung stellt uns und vor allem unsere Zulieferer gleichzeitig vor neue Herausforderungen in der Beschaffung, Produktion und Lieferung. Dadurch kann es zu kurzfristigen Engpässen kommen.«
Besonders hart trifft es derzeit Händler, die auf ein einziges Antriebssystem gesetzt haben, wie etwa Stefan Hausmann, Geschäftsführer von Fahrradwelt Hausmann in Gundelfingen an der Donau. Er hat sich dieses Jahr ganz auf Bosch konzentriert: »Als kleiner Händler haben wir da kaum eine Chance. Ich habe schon viele Vorordern platziert, die zum Teil noch auf sich warten lassen. Dass es so drastisch ist wie dieses Jahr durch die Lieferprobleme von Bosch, konnte keiner wissen.« Als wolle er sich selbst trösten, fügt er noch hinzu: »Aber leider geht es ja allen gleich.«
Hans-Peter Kiefer, Inhaber der Elektroradzentrale in Unterhaching, hat hingegen mit rund zehn verschiedenen Marken im Sortiment zwar die Möglichkeit auszuweichen, wenn ein Rad nicht verfügbar ist. Aber er sieht noch eine weitere negative Folge des Lieferengpasses: »Das Angebot verknappt sich, der Kunde fragt bei mehreren Händlern nach. Damit entsteht beim Einzelhandel fälschlicherweise der Eindruck, dass die gefühlte Nachfrage höher als der tatsächliche Bedarf ist. Durch die gefühlt hohe Nachfrage wird der Handel verleitet, seine Bestellmengen für bestimmte Modelle zu deutlich zu erhöhen. Erfahrungsgemäß bleiben aber dann genau diese Räder stehen und werden in der Folge oft mit erheblichen Abschlägen angeboten.« Der Druck der Hersteller auf den Handel, mit dem Ziel die Vororderquote zu erhöhen, führe im Handel zu höheren Lagerbeständen. Wenn dann im Mai das Ende der Valutafristen absehbar sei, werde so mancher Kollege unruhig bis panisch. Das führe dann erneut zu schmerzlichen Preisabschlägen, die der gesamten Branche schaden.
Problematisch seien auch zu kurze Produktzyklen. Die Räder kämen oft erst mit Verspätung in den Handel. Auch 2018 seien etliche Modelle aus der Vororder immer noch nicht angekommen. Wenn die Räder dann ab Juni oder noch später in den Läden stehen, würden die Hersteller bereits 2019er Modelle vorstellen und der Kunde erachte die gerade gelieferten Räder als Auslaufmodelle. Wenn dann noch Mid-Season-Modelle in den Markt gedrückt werden, werde es noch schwieriger. Elektroräder würden so zu »schnell verderblicher Ware« gemacht. Fehleinschätzungen oder schlechtes Wetter könnten sowohl für den Handel, als auch für den Hersteller zu massiven Problemen führen.

Offene Kommunikation ist wichtig

So wie die Händler es für wichtig halten, die gegenwärtige Situation offen den Endkunden zu erläutern, setzen auch die Hersteller auf die Kommunikation mit den Handelspartnern. Tour de Suisse und KTM haben beispielsweise jüngst offizielle Schreiben an ihre Fachhandelspartner verfasst, in denen sie über die Situation informieren. Stefan Limbrunner, Geschäftsführer von KTM Fahrrad, wendet sich sogar persönlich an seine Kunden, um sich für die Verzögerungen zu entschuldigen. »Wir hätten derzeit die Kapazität, eine höhere Stückzahl zu produzieren, jedoch trifft das Material nicht so wie erwartet ein. Hauptsächlich geht es um die neuen Powertube-Rahmen.« Er erläutert auch, welche Schritte KTM unternommen habe, um diesen Problemen zu entgegnen: Kurzfristig lasse man die Rahmen aus Asien einfliegen und erhöhe die Kapazitäten durch Sonderschichten. Langfristig habe man »umfangreichere Maßnahmen« geplant, wie etwa den Umbau von »Montage, Produktion und Laufrad-Fertigung«, was ab Juli dieses Jahres umgesetzt werde.
Wie massiv der Rückstand beim Antriebshersteller Bosch ist, meldete Tour de Suisse Mitte März an seine Händler: »Über 70 Prozent der auf Januar / Februar bestätigten Bosch Powertube Lieferungen sind in Verzug, ohne verbindliche neue Liefertermine.« Aufgrund dieser Verzögerungen riet Tour de Suisse seinen Kunden sogar, auf die lieferbaren Modelle mit Antrieben von Shimano auszuweichen. Denn Shimano sieht sich unbeeindruckt ob dieses ganzen Wirbels um die Lieferzeiten. Auf Nachfrage ließ Michael Wild, Leiter Marketing/PR des Deutschland-Vertreibers Paul Lange, wissen: »Alle Teile unserer Shimano Steps E-Bike-Systeme einschließlich der Akkus sind innerhalb der regulären und kommunizierten Fristen lieferbar.« Eine Erklärung, weshalb Shimano trotz der weltweiten Zellenknappheit lieferfähig ist, blieb aus.
Dass jedoch auch die Verlagerung auf Antriebe anderer Hersteller keine Patentlösung ist, weiß Friedbert Stock, Vertriebsmitarbeiter bei Winora: »Diese angespannte Situation betrifft bei uns nicht nur Bosch-Räder, sondern auch Yamaha-Räder, da die Leute auf diese Räder ausweichen.« Stock sieht auch langfristig keine Besserung der Situation: »Ich kann mir vorstellen, dass es eher schlimmer wird, weil mehr Autos gebaut werden und die haben die größere Lobby.«

David vs. Goliath

Sven Bauer, Geschäftsführer des Akkuherstellers BMZ aus Karlstein am Main, sieht die Fahrradbranche im Nachteil gegenüber dem Goliath Automobilindustrie. »Der ganz europäische E-Bike-Markt ist ein Kleinkram. Jeder Autohersteller ist ja zehnmal so groß wie der E-Bike-Markt«, beschreibt er das Kräfteverhältnis. Da überrascht es nicht, dass die Antwort von BMW auf die Frage nach Materialengpässen kurz ausfällt: »Für unser Haus kann ich sagen, dass unser Geschäft nicht unter einer Knappheit an Batteriezellen leidet«, sagt Michael Rebstock von der Konzernkommunikation des bayrischen Automobilherstellers.
Was kann die Fahrradindustrie nun tun, um sich neben dem Schwergewicht Automobilindustrie zu behaupten? Erst am 10. April 2018 hat BMZ mit LG Chem, einem der größten Zellenhersteller der Welt mit Sitz in Korea, einen langfristigen Vertrag über die Lieferung von mehreren hundert Millionen Lithium-Ionen-Zellen bis Ende 2022 geschlossen. Auf diese Weise wollen die Karlsteiner ihren Kunden eine langfristige Versorgungsicherheit bieten. Aber nicht nur die Zellen stellen ein Problem dar, auch die Elektronikkomponenten in den Akkupacks haben Lieferzeiten von bis zu 12 oder sogar 18 Monaten. Laut Bauer ist eine langfristige Bindung an die Lieferanten deshalb umso wichtiger: »Wir haben Langzeitverträge. Der Vorteil ist bei uns, dass wir nicht nur eine fertige Platine kaufen, also eine Elektronik, sondern auch alle Bauteile darin selber einkaufen. So können wir natürlich dann mit den Herstellern wesentlich besser Long-Term-Supply-Chains festmachen im Gegensatz zu einem, der sagt, ich brauche für die nächste Saison 20.000 Platinen.« Gleichzeitig nimmt der Akkubauer auch die Fahrradhersteller in die Pflicht. BMZ schließt mit seinen Kunden sogenannte »rolling forecasts« für die folgenden zwölf Monate ab. Vier Monate vor Lieferung werden diese in fixe Bestellungen gewandelt. Erst dann sind die Mengen vertraglich bindend. Dennoch lässt sich mit den unverbindlichen Zahlen gut arbeiten. Für Bauer liegt das Problem auch in den Planungsabläufen der Fahrradhersteller: »Dadurch, dass die Fahrradbranche nicht unbedingt zwei Jahre, sondern eher ein Jahr vorausdenkt, tut man sich natürlich schwer. Man läuft den Komponenten hinterher.«

Batteriezellen per Luftfracht

Was macht der Branchenriese Bosch, um die Liefersituation bei seinen Antriebssystemen zu entspannen? Claus Fleischer, Geschäftsleiter von Bosch eBike Systems, schreibt von folgenden Gegenmaßnahmen: »Wir arbeiten gemeinsam mit unseren Lieferanten und Werken mit Hochdruck daran, die Liefersituation zu verbessern. Dafür haben wir bereits zusätzliche Investitionen und Schichten in der Produktion eingeführt. Um die Verzögerungen möglichst gering zu halten, haben wir Lieferungen von Batteriezellen aus Asien zum Teil auf Luftfracht umgestellt. Den Ausfall von größeren Lieferungen eines Zellenlieferanten haben wir durch Mehrmengen bei anderen Lieferanten kompensiert.« Langfristig will man mit Herstellern von Batteriezellen kooperieren: »Gemeinsam mit allen Akteuren in der Wertschöpfungskette arbeiten wir deshalb kontinuierlich daran, die Rahmenbedingungen der steigenden Nachfrage anzupassen. Im Wesentlichen sind Investitionen bei den Herstellern von Batteriezellen erforderlich, um die Kapazitäten dem Marktbedarf weiter anzupassen.« Damit will der Konzern erreichen, die Auswirkungen für Hersteller und Händler möglichst gering zu halten.
Die gegenwärtigen Lieferprobleme im E-Bike-Segment sind also nur zu einem geringen Teil von der Fahrradbranche hausgemacht. Viel schwerer wiegen strukturelle Engpässe in allen Industriebereichen, die sich mit E-Mobilität und anderen Anwendungen von Akkutechnik beschäftigen. Solange also nicht die Nachfrage nach E-Bikes einbricht, wird sich die Branche wohl noch einige Zeit mit dem unleidigen Thema herumschlagen müssen.

4. Juni 2018 von Nadine Elbert

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