Porträt - 3X3
Made auf der Schwäbischen Alb
Wer auf die Schwäbische Alb fährt, könnte leicht den Eindruck gewinnen, dass man in der tiefsten Provinz gelandet sei. Zwischen idyllischen Hügeln und engen, geschlungenen Straßen entsteht schnell das Bild, dass in dieser Gegend nicht viel los ist. Aber dann würde man sich zumindest wirtschaftlich ziemlich täuschen. In der Region werkeln und wirken abseits der Metropolen zahlreiche Weltmarktführer, Hidden Champions und fokussierte Spezialisten in den unterschiedlichsten Wirtschaftszweigen.
Eines dieser Unternehmen mit scharfem Profil ist die H+B Hightech GmbH. Bevor man in die Details geht, lohnt es sich, kurz die Strukturen zu erklären. Die H+B Hightech GmbH gehört zur größeren Heine + Beisswenger Stiftung & Co. KG. Diese ist als Familienunternehmen in der vierten Generation vor allem ein Metall-Großhändler. Die Tochter H+B Hightech erzielt ihren Hauptumsatz bislang als Automobilzulieferer, hat aber nun ein neues Standbein, in dem viel Arbeit und Hoffnung steckt: Die Marke 3X3, die als »drei X drei« ausgesprochen wird und nicht als »drei mal drei«, bezeichnet den Bike-Bereich innerhalb von H+B Hightech. An der Aussprache ändert nichts, dass die Getriebenabe, um die es gleich gehen wird, auf den Namen »Nine« getauft wurde.
Ein neues Standbein
Geschäftsführer der H+B Hightech ist Hilmar Wanner. Schon seit Langem arbeitet er im Konzern und war bereits mit dabei, als ebendiese Tochter 2013 an diesem Standort in Adelmannsfelden gegründet wurde. Seit dem Start stellte man ein bestimmtes Bauteil für Verbrennungsmotoren her. Inzwischen werden davon mehrere Millionen Stück pro Jahr von über 100 Mitarbeitenden produziert. Allerdings ist ihm auch klar, dass das Zulieferergeschäft ein hartes ist. Schon 2018 ging Wanner mit einer neuen Idee schwanger. »Eigentlich waren der Grundursprung ein Glas Rioja und Iberoschinken«, erklärt er. Zusammen mit Robert Heine, dem »H« in H+B und Vorstand der Gesamtgruppe, war man da auf der Suche nach einem neuen Standbein. »Wir haben immer gesagt, dass wir eigentlich ein eigenes Produkt machen müssen«, erklärt Wanner. Heine ergänzt: »Das Know-how ist ja da, angefangen von der Material- und Werkstoffkompetenz aus der Mutter bis zur Fertigungskompetenz, die hier vereint ist.« Trotzdem ist das Maß an Kompetenz und Möglichkeiten vor Ort doch ungewöhnlich. Für Wanner, dessen Technikbegeisterung an allen Ecken und Enden aufblitzt, stand die Einsicht am Anfang, dass man alle nötigen Fähigkeiten selbst aufbauen könnte, statt sie bei Lieferanten einzukaufen. Damit wollte man sowohl die Entwicklungsgeschwindigkeit erhöhen als auch Abhängigkeiten vermeiden. »Man muss selbst fertigen können, sonst hat man keine Chance«, ist Wanner überzeugt. Tatsächlich können heute fast alle Bauteile vor Ort hergestellt werden oder stammen aus dem nahen Umkreis.
Die Getriebenabe Nine besteht aus rund 100 Einzelteilen. Über 70 davon werden vor Ort in Adelmannsfelden produziert. Fast der gesamte Rest stammt von lokalen Zulieferern aus der Nähe.
In der Nabe sind etwa 100 Teile verbaut, davon werden über 70 mit eigenen Maschinen in Adelmannsfelden produziert. Die Rohstoffe dazu kommen von der Konzernmutter. »Wenn wir doch ein Kunststoff-Spritzguss-Teil brauchen, dann lassen wir das bei einem Profi machen. Der sitzt in Schwäbisch Hall, zwanzig Kilometer entfernt«, ergänzt der Vertriebsleiter Patrick Steinwand. »Bis auf Normteile, wie etwa eine M3-Schraube oder so etwas, machen wir alles selbst.« Damit will man sich nicht zuletzt vor den Unwägbarkeiten der Lieferkette und Abhängigkeiten frei machen. Die übrigen 30 Teile werden fast alle in der Nähe zum eigenen Standort produziert. 3X3 könnte sich damit das Label »Made in Schwäbische Alb« anheften. »Wenn wir doch etwas entfernter weggeben, dann nur risikofreie Sachen«, erklärt Wanner. »Wir haben alle Teile selbst konstruiert, entwickelt und alle Fertigungsprozesse definiert. Wir haben das komplette Know-how der Prozesse und könnten sie auch zurückholen, falls es einmal Probleme geben sollte.«
CNC-Maschinen und Industrieroboter
Was an H+B Hightech unter anderem beeindruckt, ist der hohe Automatisierungsgrad, mit dem vor Ort produziert wird, und die schiere Menge an hochwertigen Maschinen, die zum Einsatz kommen. Das meiste davon arbeitet aktuell noch für den Automobilbereich, doch mehr und mehr wird bereits jetzt für die Produktion der Getriebenabe vorbereitet.
»Wir haben gespürt, dass wir keine Zeit zu verlieren haben.«
Robert Heine, Vorstand H+B Gruppe
In einem abgesonderten Raum neben den CNC-Fräsen und Robotern steht ein leistungsfähiger Metall-3D-Drucker, der eine schnelle Prototypenentwicklung erlaubt und entsprechend von hohem Wert für das Unternehmen ist. Auf die scherzhafte Bemerkung »das sieht aber teuer aus«, rollt Robert Heine nur halb scherzhaft mit den Augen. Vertriebsleiter Patrick Steinwand führt nüchtern aus, was mit diesen Produktionsmitteln möglich ist. »Wir wissen, wie man Engineering macht und können auch schnell Prototypen bauen. Wir hatten schon oft, dass am Morgen etwas kaputtgeht, wir das Problem am Mittag konstruktiv gelöst haben und am Tag darauf einen Prototypen einsetzen konnten. Andere Unternehmen brauchen zwei Wochen nach der Konstruktion, bis ein externer Prototypenbauer das macht. Bei uns ist das alles enorm komprimiert.« Gleichzeitig ist man in der Lage, große Stückzahlen zu fertigen, wie jeden Tag unter Beweis gestellt wird.
Automobilzulieferer, die das Fahrrad für sich entdecken, verdeutlichen gerne, dass sie Automobilstandards in die Fahrradwelt bringen wollen. Für Wanner ist das nicht weiter der Rede wert, sondern eine Selbstverständlichkeit. »Das ist die Basis. Darüber brauchen wir nicht zu reden. Wir arbeiten hier nach IATF 16949, das ist das höchste Level. Braucht das die Bike-Branche? Die braucht das sicher nicht. Es würde ESA 9001 reichen. Aber das macht man ja nicht: Man kann nicht einfach abspecken.« Im Automobilbereich habe man seit Jahren 0 PPM bei jährlich mehreren Millionen gelieferten Teilen. Was bedeutet das in Umgangssprache? Es wurde seit Jahren kein einziger Artikel reklamiert, der das Werk verließ.
Das Führungsteam der H+B Hightech GmbH meint es ernst mit seinem Fahrrad-Engagement. Unten Geschäftsführer Hilmar Wanner, oben Vertriebsleiter Patrick Steinwand
Robert Heine gehört zum Vorstand der Konzernmutter Heine + Beisswenger Stiftung.
»Wir wollen das Beste aus beiden Welten zusammenbringen«, fasst Steinwand zusammen. »Die Perfektion der Autobranche mit der Passion der Fahrradwelt« wolle man verbinden, und das soll kein Marketing-Sprech sein. So wurden bei der Entwicklung die eigenen Pfunde in die Waagschale geworfen. Beispielsweise werden in der Serienproduktion die fertigen Naben durch einen Roboter vollautomatisch in den Prüfstand gespannt, ein festgelegtes Lastmoment gefahren, alle Gänge geschaltet und wenn die Messdaten in Ordnung sind, wird ein DMC (Data Matrix Code) auf das Gehäuse gelasert. Damit lassen sich dann später die gefertigten Chargen zurückverfolgen.
Service über Händlernetzwerk
Die Vorteile sollen sich im zukünftigen Service zeigen, der im Idealfall niemals nötig ist. Die Getriebenabe ist darauf ausgelegt, über ihre Lebenszeit wartungsfrei zu sein. Grundsätzlich sind die Naben für eine Laufzeit von 50.000 Kilometer gebaut. Sollte doch einmal ein Service nötig sein, kann diesen der Händler vor Ort durchführen. Der Plan sieht so aus, dass die geschulte Fahrradwerkstatt das gesamte Innenleben der Nabe unkompliziert austauschen kann und die Kundschaft innerhalb kürzester Zeit wieder auf ihrem Rad sitzt. »Selbst wenn etwas kaputtginge, sollen sie idealerweise in 20 Minuten wieder auf der Straße sein«, erklärt Steinwand.
»Wir wollen das Beste aus beiden Welten zusammenbringen.«
Patrick Steinwand, 3X3
Bereits jetzt habe man Hunderte von Anfragen von Endkunden, die gerne die Nabe nachrüsten wollen. Doch das ist zunächst nicht geplant. »Wir bremsen das Thema gerade ein wenig aus«, sagt Steinwand. Zum Marktstart wird das System den OE-Kunden vorbehalten sein. Ihnen will man die Chance geben, mit einem exklusiven Angebot auf den Markt zu kommen. Zudem soll die Nabe zum Start technisch perfekt integriert sein. »Es geht uns auch um das Thema Proof of concept«, verdeutlicht Steinwand. »Wenn bei einem etablierten Nabenhersteller etwas beim Einbau schiefgeht, dann ist man unzufrieden, aber man weiß, dass es grundsätzlich funktioniert.« Dieses Bewusstsein solle zunächst einmal in den Köpfen entstehen – zusammen mit einem Fachhändlernetzwerk, das gerade aufgebaut wird. Erst dieses Netzwerk schafft die Voraussetzungen für einwandfreie Nachrüstungen. Schulungen zur Nine haben bereits stattgefunden. Damit schließt sich der Kreis seit den ersten Überlegungen zur Nabe.
Von der Idee in 2018 bis 2020 gab es eine Vorentwicklung, aber erst im Corona-Jahr bekam man die Freigabe vom Stiftungsrat. Ab diesem Moment flossen die Millionen Euro in den frisch gefassten Entschluss, ein Standbein in der Fahrradwelt aufzubauen. Corona hat die Entwicklung beschleunigt, erklärt Heine. »Wir waren ein Jahr früher fertig als ursprünglich geplant. Wir haben bereits im Automotive-Bereich gespürt, dass wir keine Zeit zu verlieren haben. Aufgrund der Störungen der Lieferkette wollten wir den Markt möglichst früh auf uns aufmerksam machen.« »Das war ein Spurt, das hinzubekommen«, ergänzt Wanner. Die aktuellen Marktentwicklungen haben die Eile wieder relativiert, was dennoch kein Schaden für 3X3 ist. »Wir haben den Vorteil, dass wir so unsere Investitionen steuern können«, erklärt Wanner. Auf keinen Fall werde es so laufen, wie man es bei manchen anderen Automotive-Zulieferern schon erlebt hat: dass man das Interesse am Fahrrad wieder verlieren werde. »Es gibt kein Zurück«, sagt Wanner in einem Tonfall, der wenig Spielraum für Interpretationen lässt. Man werde den Markt ruhig, aber konsequent aufbauen. »Das Cargobike ist der erste Schritt, der logischste Weg«, sagt Steinwand. »Wir haben 250 Newtonmeter Eingangsdrehmoment, das ist perfekt für Cargo-Räder«. Die neun Gänge können im Stand geschaltet werden und das System ist wartungsfrei bei einem Wirkungsgrad von 98 Prozent. All dies zieht die Aufmerksamkeit der Cargo-Welt auf sich. »Die kommen bereits«, lässt sich Wanner in die Karten schauen, aber die restlichen Segmente werden dennoch nicht vernachlässigt. Schon 2025 werden die ersten OEMs die Getriebenabe Nine in größeren Stückzahlen auf die Straße bringen.
Höchste Präzision in der Fertigung, große Fertigungskapazitäten, ein hochmoderner Maschinenpark, ein spannendes Produkt und die Motivation, den Fahrradmarkt zu erobern, sind die Zutaten, die 3X3 zum Erfolg führen sollen.
Wesentlich für das Interesse der Fahrradhersteller ist die Zusammenarbeit mit Bosch. So kommuniziert die Getriebenabe umfassend mit dem Smart System, Dinge wie Ganganzeige und Torque Reduction (für Schaltwechsel nimmt der Antrieb für Millisekunden das Drehmoment raus) sind vom Start weg integriert. Genauso funktioniert die Nabe auch ohne E-Antrieb drumherum an einem reinen Bio-Bike. Selbst eine Lösung dazwischen ist vorhanden. Überhaupt verfolgt 3X3 den Anspruch, den OEM-Kunden ein Full-Service-Paket zu liefern. Dazu gehört, ihnen Zugang zu schnellen Prototypen zu ermöglichen. Gerade zu Beginn einer Zusammenarbeit sei es hilfreich, wenn man voll funktionsfähige Prototypen in Aluminium-3D-Druck herstellen kann.
Ambitionierte Ziele für die nächsten Jahre
Die Ziele und Ansprüche, die man im Fahrradmarkt verfolgt, sind nicht weniger anspruchsvoll und ambitioniert. »Ausgehend von unseren Möglichkeiten denken wir die Skalierbarkeit der Produktion mit. Im ersten Schritt schaffen wir die Grundlagen, um einen Bedarf von 200.000 bis 250.000 Naben im Jahr zu decken«, erklärt Robert Heine. Innerhalb von eineinhalb bis zwei Jahren könnte man diese Zahl erreichen. Preislich will man sich in einem Bereich zwischen Enviolo und Rohloff positionieren.
Die Verantwortlichen bei 3X3 und H+B Hightech verfolgen natürlich die aktuelle Entwicklung im Markt. »Ich bin nicht sicher, ob das Fluch oder Segen für uns ist«, sagt Steinwand. »Es ist eine Zeit, in der jeder kämpfen muss. Aktuell haben die Unternehmen wieder mehr Zeit, um neue Sachen zu testen. Der Gegenschluss ist, dass manche Innovationsprojekte gestoppt sind.« Speziell auf die Fahrradwelt gemünzt könne es aber sein, dass sie auf Sicht profitieren könnte. »Die urbane Mobilität wird sich verändern«, ist Heine überzeugt, »das Platzangebot ist begrenzt. Wir wollen das Fahrradfahren so einfach wie möglich machen.« Das könnte tatsächlich gelingen. //
Verknüpfte Firmen abonnieren
für unsere Abonnenten sichtbar.