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Report - Frauen in der Bikebranche

Mehr Geschlecht als recht

Frauen in Führungspositionen sind immer noch eher Ausnahme als Regel. Besonders in der Bikebranche kann man sie fast an zwei Händen abzählen. Doch wenn sie einmal an der Spitze sind, haben sie auch Erfolg. Vier Beispiele.

Früher war ich eine begeisterte Autofahrerin«, erinnert sich Ulrike Saade – bis sie 1980 aus verkehrspolitischen Gründen in einen alternativen Fahrradladen, das Berliner »FahrradBüro« einstieg. Der Grundstein für eine Karriere, die hierzulande noch immer selten ist: als Frau in einer Führungsposition. Mehr noch: als Frau in einer Führungsposition in der Bikebranche. Laut Analysen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) stieg der Anteil der Frauen mit Führungsverantwortung seit 2001 zwar um rund 8 Prozentpunkte. Mit einem Anteil von 30 Prozent sind sie aber immer noch deutlich in der Minderheit. Kein Wunder, findet Jens Weidner, der knapp tausend Interviews mit Führungskräften und Menschen im Aufstieg geführt hat, in einem Interview mit dem »KarriereSpiegel«. Der Autor des Buches »Die Peperoni Strategie« über den konstruktiven Einsatz von Aggressionen glaubt, dass Frauen heute härter kämpfen denn je, um nach oben zu kommen. »Früher war man Gentleman und hat die Frauen nicht abgesägt. Heute ist das anders«, sagt er – und nennt als einen der Gründe, die Angst der Männer um ihren eigenen Job: »Früher hatten wir 100 Prozent Männer, heute 80 und es wird die Hälfte der Positionen für Frauen gefordert. Das bedeutet, dass 30 Prozent der Männer gehen müssten. Natürlich fühlen die sich bedroht.« Weidner empfiehlt Frauen – und Aufstiegswilligen generell – einen beruflichen »Ellenbogenanteil« von 20 Prozent. Ein Anteil, der fast so hoch ist, wie der Gesamtprozentsatz der Frauen, die sich überhaupt aufs Rad schwingen. Laut dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) radeln nur 27 Prozent der Frauen regelmäßig, Special-Interest-Medien wie das Rennradmagazin »Tour« oder die Fachzeitschrift »Triathlon« kommen auf einen weiblichen Leseranteil von gerade einmal 13 bis 25 Prozent und der Frauenanteil der Mitglieder im Bund Deutscher Radfahrer beträgt mit knapp 22 Prozent nicht einmal ein Viertel. »Die Fahrradbranche ist in dieser Hinsicht eher hinterher«, hat auch Markenexpertin Sandra Wolf den Eindruck, die an einem Forschungsprojekt »Markenwahrnehmung von Familienunternehmen« arbeitet und damit genau den Bereich bearbeitet, in dem die wenigen Frauen zu finden sind, die in der Fahrradbranche »ganz oben« arbeiten. Ob Carol Urkauf-Chen von KTM-Fahrrad, Caroline Elleke von Zweirad Stadler oder Susanne Puello von der Winora Group: Alle haben eine familiäre »Vorbelastung« im Bikebereich, sei es durch Heirat oder Eltern, die die Arbeit in diesem Segment vorlebten oder die Tochter gleich im eigenen Betrieb einbanden. Ob sie ohne diese emotionale Bindung auch in den Positionen wären, in denen sie nun sind? Schwer zu sagen, sogar für sie selbst. Aber vermutlich ist es auch hier so, wie in anderen Wirtschaftssektoren: Man, pardon, frau entwickelt durch ihr Umfeld Interesse an einem bestimmten Thema, beschäftigt sich damit und verdient im Idealfall irgendwann ihr Geld damit. Ganz an die Spitze führt auch dieser Weg allerdings nur mit viel Willensstärke und noch mehr Leidenschaft. Vier Beispiele (führungs-)starker Frauen.

Susanne Puello, Geschäftsführerin Winora Group

»Fördern statt fordern« ist das Berufsmotto von Susanne Puello. Sie möchte, dass jeder Mitarbeiter spürt, dass er wichtig ist für die Winora Group. Mitarbeiter in Abteilungen, die Puello in ihren Anfangsjahren im elterlichen Unternehmen allesamt selbst durchlaufen hat. Das war 1980, um die Wartezeit auf einen Platz an der Uni zu überbrücken. »Eigentlich wollte ich ein landwirtschaftliches Studium machen«, erinnert sie sich. Doch sie fand sofort Gefallen an der Arbeit mit dem Fahrrad. Kein Wunder: Ihre Familie ist seit mehr als 100 Jahren Teil der Branche. Anfang des 20. Jahrhunderts begann ihr Urgroßvater Engelbert Wiener (»Winora« ist eine Abwandlung des Familiennamens) mit der Produktion von Kinderrädern, später übernahm sein Enkel, Susanne Puellos Vater, den expandierenden Betrieb. Er war streng mit seiner Tochter, förderte sie aber auch und machte sie zu seiner persönlichen Assistentin. Wochen mit 55 bis 60 Arbeitsstunden waren normal. Doch 1996 wurde ihr Engagement belohnt; sie übernahm die Geschäftsführung des inzwischen von einem englischen Konzern übernommenen Familienunternehmens. Ein Job, den sie liebt: »Es ist großartig, selbst etwas zu gestalten, anstatt anderen dabei zuzusehen«, erklärt sie. Ihr gefallen die Vielseitigkeit der täglichen Aufgaben und die Herausforderungen, die beispielsweise die Internationalisierung an eine Firma stellt –
und es ist ihr wichtig, dass durch gute, interne Kommunikation eine Win-Win-Situation für alle entsteht. »Ich glaube, dieser Führungsstil hat etwas mit der DNA einer Frau im Grundsatz und mit ihrer Mutterposition zu tun«, mutmaßt sie. »Frauen wollen Teambildung, sind aber auch bereit, sich jedem Widersacher entgegenzustellen, um Team und Firma bedingungslos zu verteidigen.« Sie fühlt sich in der Branche gut vernetzt und hat nicht das Gefühl »Informationen hinterherlaufen zu müssen«. Doch generell wünscht sie sich eine bessere Mischung zwischen Frauen und Männern im Berufsalltag – ohne Posten erzwingende Quoten. So wie in ihrem Unternehmen, wo sich weibliche und männliche Mitarbeiter in Managementpositionen die Waage halten, denn: »Bei uns werden Stärken gefördert, nicht Geschlechter.«

Ulrike Saade, Geschäfts­führerin Velokonzept

Eine Karriere hat sie nicht geplant, sie ist Überzeugungstäterin. Und das seit mehr als 30 Jahren. Damals, 1980, gab Ulrike Saade ihren Beruf als Lehrerin auf und heuerte beim alternativen Bikeladen »FahrradBüro« in Berlin-Schöneberg an. Damals hat sie mehrfach erlebt, dass ein Mann in den Laden kam, in dem sie stand, und fragte: »Ist hier niemand?«. Einschüchtern ließ sie sich davon aber nicht: »Es war eigentlich nie ein Problem, wenn ich ›Ja, ich‹ geantwortet und vermittelt habe, dass ich mich mit Fahrrädern auskenne. Die Männer waren dann sogar eher erfreut, von einer Frau kompetent und nett bedient zu werden«, erinnert sie sich. Heute, als Geschäftsführerin von Velokonzept, einer Dienstleistungsagentur für die Fahrradbranche und neue urbane Mobilität, agiert sie auf Augenhöhe mit männlichen Geschäftsführern. Dazwischen lagen Stationen wie 1985 die Gründung und Vorstandschaft und bis 1999 die Geschäftsführung des VSF (damals: Verbund Selbstverwalteter Fahrradbetriebe, heute: Verbund Service und Fahrrad), 1996 die Initiierung des Thinktanks »Bike Brainpool« und 1997 die Gründung des »fahrrad.markt.zukunft« in Bremen, des ersten Branchenkongresses mit Fachmesse, der sich vor allem auf den Dialog zwischen Industrie und Handel fokussierte. Dieser war Ulrike Saades Durchbruch in der Branche, von dem sie gelernt hat, ihre Kompetenzen zu schärfen und weiterzuentwickeln. Stärken wie Mut, Durchsetzungsfähigkeit, Kompetenz und Begeisterungsfähigkeit, die sie gerne öfter in weiblicher Form und in einer Führungsposition sehen würde: »Es geht um eine Bewusstseinsveränderung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf«, ist sie überzeugt. Eine Veränderung, die sie in diesem Umfeld von Anfang an durchlaufen hat: Von der eher schüchternen »Fahrradquerulantin«, zu einer der Persönlichkeiten, die so viel in der Bikebranche bewegten und bewegen wie wenige andere. Ihr Antrieb: »Die Sinnhaftigkeit. Das Fahrrad liegt nicht ohne Grund aktuell im Trend und ich bin dankbar, dass ich mit angenehmen, hoch motivierten Menschen zusammenarbeiten kann.«

Caroline Elleke, Geschäftsführerin Zweirad Stadler

Anfassen und ausprobieren ist das Konzept von Zweirad Stadler, dem größten Zweiradhändler Deutschlands mit 15 Filialen, verteilt über die gesamte Bundesrepublik. Ein Konzept, dessen Richtig- und Wichtigkeit Geschäftsführerin Caroline Elleke am eigenen Leib erfahren hat. Nach einem BWL-Studium in Regensburg und an der London School of Economics in London und Rom sowie einem Masterstudium an der SDA Bocconi in Mailand, geht sie zurück nach Deutschland und landet »durch Zufall, aber familienbedingt« in der Bikebranche. Sie konnte sich der Leidenschaft für diesen Sport nicht entziehen, doch der Aufstieg im Fahrradbereich erwies sich als ernüchternd: »Es ist erschreckend, wie wenig man als Uniabgänger von der Realität weiß«, fasst sie ihre ersten Schritte im Berufsleben zusammen. »Doch die Erkenntnis, dass man noch viel lernen muss, dass jedes Detail wichtig ist, war auf jeden Fall gut.« Sie ging die vielen kleinen Schritte bis in die Geschäftsführung des riesigen Unternehmens mit Leidenschaft, ihr gefällt die Nähe zu ihrem Lieblingssport und zu den unterschiedlichsten Menschen und Kulturen. Die Redewendung, ein Chef müsse »seinen Mann stehen«, findet sie überholt: »Sich in einer Führungsposition zu behaupten bedeutet, Verantwortung zu übernehmen für seine Mitarbeiter und seine Entscheidungen in der Firma – egal, ob Mann oder Frau.« Dabei sieht sie Geradlinigkeit, Verlässlichkeit und zu seinem Wort zu stehen als Schlüssel für die Akzeptanz im eigenen Unternehmen und bei Kollegen in der Geschäftsführung anderer Firmen. Doch auch sie hat erfahren müssen, dass nicht immer und überall fair gespielt wird. Gelernt, dass es ohne die sprichwörtliche harte Schale nicht geht. Im »kalten Wind an der Spitze« sieht sie auch den Grund, warum nur wenige Frauen in Top-Positionen landen: »Das entspricht nicht unbedingt unserer Natur als Teamplayer. Besonders, wenn es um ein so technisches Produkt wie das Fahrrad geht. Da haben viele noch zu viel Respekt«, sagt sie. Doch sie sieht auch eine Entwicklung: angefangen bei sich selbst und ihrer Schwester, die beide im Bikebereich tätig sind, bis zu vielen Beispielen von »tollen Frauen, die branchenfremd in unseren Fahrradverkauf kommen und oft die besten Berater sind, weil sie gut zuhören und die richtigen Bikes vermitteln.« In ihrem Unternehmen springen inzwischen auch die Männer gerne ein, wenn eine Kollegin mal wegen eines kranken Kindes oder der Elternzeit fehlt und empfangen sie dann mit großem Hurra wieder zurück. »Das macht ein gutes Team aus. Nicht die Geschlechterverteilung.«

Carol Urkauf-Chen, ­Eigentümerin KTM-Fahrrad

»Anerkennung und Akzeptanz bekommt man durch Erfahrung und Kompetenz. Mit dem Geschlecht hat das nichts zu tun«, glaubt Carol Urkauf-Chen. Die studierte Betriebswirtin, die 2012 den »Pegasus«-Sonderpreis für das beste von Frauen geführte Unternehmen gewonnen hat, lenkt seit 1997 die Geschicke ihrer Firma KTM mit mehr als 300 Mitarbeitern. Diese, so betont sie, werden nach Qualifikation, nicht nach Quoten eingestellt, denn »Erfolg entsteht nur, wenn man gemeinsam jeden Tag besser wird.« Sie selbst kam eher zufällig in die Branche, als ihr nach dem Studium ein Job im Fahrradsektor angeboten wurde. Seitdem lässt sie die Faszination des Velos nicht mehr los. Sie ist von der Vielfalt ihres Berufs begeistert, vom Einblick in die Arbeit der verschiedenen Abteilungen und von der Herausforderung zu managen. Sie ist Vollblut-Unternehmerin, Teamplayerin und hält per se wenig von der Diskussion, ob Frauen oder Männer die besseren Chefs sind: »Das möchte ich nicht beurteilen«, sagt sie. »Ich denke aber, dass Frauen weitsichtiger sind. Sie erkennen Möglichkeiten und Gefahren früher als ihre männlichen Pendants, sind intuitiver und sensibler, was in Zeiten von Burnout und Stress ein wichtiger Faktor ist.« Und betont, dass sie in ihrer täglichen Arbeit sowohl von weiblichen, als auch von männlichen Kollegen unterstützt wird. Das war nicht immer so. Als sie nach der Trennung von ihrem Mann beschloss, KTM allein weiterzuführen, sagten viele »ich sei dumm und solle mit meinen beiden Töchtern nach Asien zurückgehen.« Die Kritiker sind inzwischen verstummt, ihr Führungsstil – tolerant, gemeinsam korrigierend und mit klaren Zielvorgaben – zeigt seinen Erfolg unter anderem in stetig wachsenden Umsatzzahlen. Sie kämpfte sich in der Männerwelt durch, kann heute ein Rad selbst konzipieren und ausstatten. Trotz allen Erfolgs will sie auf die Berufswahl der beiden »besten Entscheidungen« ihres Lebens keinen Einfluss nehmen: »Natürlich hätte ich es gern, wenn meine beiden Töchter ins Unternehmen kämen«, räumt sie ein. »Aber ich werde keinen Druck ausüben.« Die Ältere studiert immerhin Betriebswirtschaft – und so hat es bei der Mama schließlich auch angefangen.

31. Juli 2014 von Carola Felchner
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