Portrait - Abus
Mit Fleiß und zweitem Ruder
Eurobike 2015: Die Branche trifft sich auf einer der vielen Partys, die nach Messeschluss auf einem Ausflugsdampfer aus der Bodenseeflotte gefeiert werden. Bevor das Büfett eröffnet wird, greift sich Christian Bremicker, Firmenchef von Gastgeber Abus, das Mikrofon und lädt die Partygäste zum gemeinsamen Gebet ein. Für einen Moment kehrt Ruhe auf dem Schiff ein, während über Lautsprecher ein paar kurze Worte des Dankes vor dem Hintergrund von Kriegen und Vertreibung in der Welt gesprochen werden.
Bike Brainpool im Frühjahr 2015: Der Think Tank von Führungskräften in der Fahrradbranche trifft sich in Rehe im Westerwald, wo Abus unter anderem seine Fahrradschlösser im mittleren bis gehobenen Segment fertigt. In einer Pause wird den Brainpool-Mitgliedern bei einem Rundgang das Werksgelände gezeigt. Ein Abus-Mitarbeiter zeigt auf eine Wiese, auf der demnächst eine neue Werkshalle gebaut werden soll. Eigentlich wird die zusätzliche Produktionsfläche dringend benötigt. Doch man müsse sich noch ein wenig gedulden, bis die dafür notwendigen Ressourcen erwirtschaftet sind. Ein Bau mit geliehenem Geld von der Bank wäre für die Entscheider bei Abus derzeit nicht denkbar.
Es sind solche Eindrücke, die einen ahnen lassen, dass Abus etwas anders tickt als andere Unternehmen. Der Fachbegriff für dieses »anders Ticken« lautet »Unternehmensführung auf Basis christlicher Werte«. Oder anders ausgedrückt: Die Mitglieder der Inhaber-Familie von Abus verstehen ihren christlichen Glauben nicht nur als ihre private Angelegenheit, sondern auch als Maxime für ihr Handeln als Unternehmer.
Diese Prägung wurde bereits von August Bremicker, dem Namensgeber und Gründer von Abus, ins Unternehmen getragen. Inzwischen steht unter anderem mit Christian Bremicker die vierte Generation im Familienunternehmen am Steuer. »Abus ist aus sehr einfachen Anfängen heraus entstanden. Durch sehr viel Fleiß und Arbeit ist das Unternehmen allmählich nach vorne gebracht worden. Ein Erfolgsfaktor von Abus war dabei, dass wir uns wie mit einem Ruderboot mit zwei Rudern bewegt haben. Das eine Ruder war der persönliche Einsatz der Familienmitglieder, der immer vorbildlich sein musste, um andere mitzuziehen. Und das zweite Ruder war, dass wir immer der Überzeugung waren, genauso auch Gott um seinen Segen bitten zu müssen, damit wir Erfolg haben können. Das war immer eigentlich das Prinzip: Gott zu danken für seinen Segen, aber eben auch fleißig als Familie anzupacken. Und das hat sich über die Jahrzehnte bis heute durchgezogen«, erklärt Christian Bremicker, der zusammen mit seinem Cousin Ernst-August Bremicker die Spitze der Geschäftsführung von Abus bildet.
Zwei Unternehmensbereiche
Die 1924 gegründete August Bremicker Söhne KG bedient als Kern der Abus-Gruppe zwei wesentliche Produktsegmente: Haussicherheit und Mobile Sicherheit. Welchen Anteil die beiden Geschäftsbereiche am Gesamtumsatz haben, will man bei Abus nicht verraten. Nur so viel: Die Haussicherheit ist der größere Bereich im Unternehmen. Und sie ist der Bereich mit dem stärksten Wachstum, angetrieben nicht zuletzt durch die deutliche Zunahme der Wohnungs- und Hauseinbrüche in Deutschland in den letzten Jahren.
Wachsen tut jedoch auch der Bereich Mobile Sicherheit, der neben Produkten für Motorräder und Boote vor allem den Fahrradmarkt mit Schlössern, Helmen und Fahrradtaschen bedient. Mit Fahrradschlössern ist Abus zudem Marktführer in Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern.
Dieses Produktsegment wächst bei Abus zwar auch in Stückzahlen gemessen, vor allem aber durch gestiegene Durchschnittspreise: Seitdem durchschnittliche Kunden im Einzelhandel auch vor Investitionen von mehreren tausend Euro beim Fahrrad- oder vielmehr E-Bike-Kauf nicht mehr zurückschrecken, ist auch die Preisakzeptanz für hochwertige Schlösser deutlich gestiegen.
Ähnlich ist die Situation auch bei den Fahrradhelmen, dem zweiten Sicherheitsthema von Abus für den Fahrradmarkt. Hier beanspruchen zwar andere Anbieter in Deutschland die Marktführerschaft, doch der Sicherheitsspezialist aus dem Ruhrgebiet holt mit großen Schritten auf. Zu den größten Helmmärkten für Abus zählt neben dem deutschen Heimatmarkt vor allem auch Skandinavien. In Dänemark, Schweden und Co. ist Abus zudem eine der meistverbreiteten Fahrradhelmmarken im Straßenbild.
Modern und doch anders
Wer mit Abus in Kontakt kommt, erlebt ein Unternehmen, das in vielen Dingen einen modernen und durchaus innovativen Eindruck macht. Daran ändert auch ein zweiter Blick nichts. Und doch entdeckt man bei genauerem Hinsehen viele Dinge, die anders laufen als in anderen Unternehmen.
Ziemlich offensichtlich wird dies bei einem Besuch am Abus-Stammsitz in Wetter. Wer das Werksgelände betritt, sieht gleich den imposanten Bau der neuen Abus Security World. Der Blick fällt aber auch auf einen 10-Loch-Minigolf-Platz, einen umzäunten Fußball-Court, einen Beach-Volleyball-Platz, eine Grillhütte, Strandkörbe auf grünem Rasen und einige andere Freizeiteinrichtungen, die man eher auf einem gut ausgestatteten Camping-Platz als an einem Industriestandort vermuten würde.
Diese Einrichtungen sind einerseits der Sportbegeisterung von Firmen-Chef Christian Bremicker geschuldet, vor allem aber auch dem Menschenbild der Inhaberfamilie und dem daraus abgeleiteten Umgang mit den Mitarbeitern. »Wir investieren überproportional viel in Dinge, die zwar unmittelbar gesehen nichts in die Kasse bringen, indirekt aber schon. Wir haben beispielsweise an einigen Standorten in Deutschland ein eigenes Fitness-Studio eingerichtet, das fast rund um die Uhr für die Mitarbeiter geöffnet ist. Dort werden auch Massagen und Gymnastik-Kurse angeboten. Sowas liegt uns am Herzen. Es ist eine Sache, zu sagen, wir haben euch alle lieb. Aber tatsächlich auch etwas dafür zu tun, das ist eine zweite Sache. Diese Einstellung ist sicher etwas, das typisch für Abus ist«, sagt Christian Bremicker.
Auch der Management-Stil ist bei Abus etwas anders als in manchen anderen Unternehmen, wie der Abus-Chef erläutert: »Unser Wunsch als Inhaberfamilie ist, dass im Unternehmen gespürt wird, dass wir versuchen, mit den Mitarbeitern äußerst fair umzugehen. Und dass wir aufgrund der christlichen Werte auch die Bereitschaft zur Vergebung haben. Bei uns können schon mal Fehler gemacht werden, die in anderen Unternehmen vielleicht zur Konsequenz hätten, dass man entlassen wird. Wir hingegen wollen jemanden, der zu seinen Fehlern steht, auch eine zweite Chance geben. Wir sind selbst auch von Gottes Vergebung abhängig. Und ich will nicht härter sein, als ich selbst Gottes Liebe erfahren kann. Das ist ein Punkt, der im Unternehmen sehr wichtig ist.«
Mehr als nur Zeitgeist
Noch vor nicht allzu vielen Jahren hätten solche Unternehmensgrundsätze vielleicht befremdlich gewirkt. Doch in Zeiten, in denen am Arbeitsmarkt ein großer Wettbewerb um Talente herrscht und Verbraucher zudem immer mehr auch auf die soziale Verantwortung einer Marke achten, ist eine Unternehmensführung mit philanthropischen Grundsätzen keine Seltenheit mehr.
Gleichwohl will man bei Abus die eigene Einstellung nicht nur als Zeitgeist-Phänomen verstanden wissen, wie Christian Rothe, bei Abus als Mitglied der Geschäftsführung für die Markenführung verantwortlich, erklärt: »Es ist nicht so, dass die Führung auf Basis christlicher Werte ein Programm wäre, dem wir uns irgendwie verschrieben haben, um einzigartig zu sein. Das ist kein strategischer Schachzug, sondern kommt aus einer inneren Überzeugung heraus, die auch schon die vorherigen Generationen geprägt hat.«
Sein Kollege Christian Bremicker ergänzt: »Unterm Strich habe ich persönlich den Eindruck, dass man mit einer klaren, transparenten und für andere Leute auch nachvollziehbaren Linie langfristig immer auf der richtigen Seite ist. Alles andere, was mir vielleicht einen kurzzeitigen, vermeintlichen Erfolg gibt, ist schlichtweg endlich. Die klare Linie hilft uns selbst, aber auch unseren Mitarbeitern und Partnern. Fluktuation wird man beispielsweise bei Abus sehr selten finden. Das liegt zum einen sicherlich daran, dass wir uns als Unternehmen weiterentwickeln und dadurch Arbeitsplätze sichern, zum anderen aber auch daran, dass wir zumindest versuchen, eine gewisse familiäre Atmosphäre trotz unserer Unternehmensgröße beizubehalten.«
Familie am Steuer
Neben dem christlichen Leitbild wird Abus vor allem von seinem Wesen als Familienunternehmen geprägt, in dem aktuell die Urenkel des Firmengründers in der Verantwortung sind und die fünfte Generation bereits in den Startlöchern steht, diese zu übernehmen. Aktuell sind rund zehn Nachkommen des Firmengründers im Unternehmen tätig.
Von den Meinungsverschiedenheiten, die in ähnlich strukturieren Unternehmen oft zwischen den Familienmitgliedern auftreten, ist man bei Abus bislang verschont geblieben, wie Christian Bremicker erklärt. »Wir haben uns als Familienmitglieder bislang noch nie auf einen gleichen Job beworben, sondern sind bei den Aufgaben breit gestreut. Wir haben Techniker in der Familie, wir haben Entwickler, wir haben Design-orientierte und wir haben Kaufleute. Da hat es keine Wahl gegeben, wer soll dies oder jenes werden; das hat sich automatisch durch das, was man auch im Unternehmen gelebt hat, einfach entwickelt. Das geht teilweise so weit, dass wir nicht nur im Unternehmen, sondern auch in der Freizeit oder im Urlaub oft zusammen sind. Die Verbindungen in der Familie sind recht eng.«
Dabei muss man bei Abus nicht zwangsweise den Nachnamen Bremicker besitzen, um im Unternehmen Karriere zu machen. »Es ist schön, dass die fünfte Generation auch schon Verantwortung im Unternehmen übernimmt. Wie beispielsweise mein Neffe Daniel Bremicker, der im Mai die Unternehmensbereichsleitung Mobile Sicherheit weltweit übernommen hat. Wir freuen uns natürlich, wenn solche Positionen mit jemand aus der Familie besetzt werden können. Andererseits haben wir auch sehr viele externe Geschäftsführer in der Unternehmensgruppe. Wir wollen und können als Familie nicht alles abdecken. Es muss nicht alles Bremicker heißen, im Gegenteil. Ich sehe das wie einen Blumenstrauß. Die schönsten Sträuße sind die bunten. Menschen, die externe Erfahrung ins Unternehmen bringen, sind für uns sehr wertvoll«, sagt Christian Bremicker.
Bremsbereit Gas geben
Abus ist bereits Marktführer bei Fahrradschlössern, der Unternehmensbereich Haussicherheit brummt ebenfalls. Da überrascht es nicht, dass Christian Bremicker bei der Frage nach den Perspektiven für das Unternehmen bewusst vage bleibt. »Ich habe mich davon verabschiedet, sehr langfristige Ziele kund zu tun. Vor allem auch weil wir permanent von irgendwelchen Ereignissen überrollt werden, die einfach stattfinden und jede langfristige Planung über den Haufen werfen«, sagt der Abus-Chef.
Beide Unternehmensbereiche, Haussicherheit und Mobile Sicherheit, seien in den letzten Jahren stetig gewachsen. Die gesellschaftlichen Trends sprechen dafür, dass sich diese Entwicklung fortsetzt: »Wenn ich in die Zukunft schaue, dann müssen wir davon ausgehen, dass sich die Menschheit nicht verbessern wird. Die Angst wird in der Bevölkerung wahrscheinlich sogar noch weiter zunehmen. Das haben wir insbesondere in den letzten Monaten stark gemerkt. Diese Nachfrage nach größerer Sicherheit trifft uns so gesehen im positiven Sinn. Auf der anderen Seite macht es uns auch sehr nachdenklich, wenn sich die Menschen nicht sicher fühlen. Als Unternehmen haben wir aber die schöne Aufgabe, den Menschen zu sagen, mit Abus könnt ihr euch deutlich sicherer, um nicht zu sagen sicher fühlen.«
Die Sorge bei Abus lautet demnach auch nicht, dass das Wachstum ausbleibt, sondern eher, dass es zu schnell nach vorne geht. »Unsere Wachstumsziele sind so bemessen, dass wir das aus eigener Kraft schaffen können. Und wir versuchen auch, die Mitarbeiter beim Wachstum nicht total zu überfordern. Aber ganz offen gesagt, sind uns in dieser Beziehung in den letzten Monaten auch aufgrund der besonderen Situation im Haussicherheitsbereich die Grenzen aufgezeigt worden«, erklärt Bremicker.
Gratwanderungen im Vertrieb
Beim Blick in die Zukunft stellt sich natürlich auch bei Abus die Frage, wie sich der digitale Wandel in der Gesellschaft auf Unternehmen und Märkte auswirken wird. Für das Sicherheitsunternehmen stellt sich die Frage zudem in zweierlei Hinsicht, nämlich sowohl im Vertrieb als auch bei der Entwicklung neuer Produkte.
Im Vertrieb ist man es bei Abus bereits gewohnt, schwierige Balance-Akte zu meistern. Das Unternehmen ist mit seinen Produkten für Radfahrer einerseits ein durchaus geschätzter und wichtiger Partner des Fachhandels, gleichzeitig aber mit der Haussicherheitssparte traditionell auch in anderen fachfremden Kanälen, wie Baumärkten und Verbrauchermärkten, unterwegs. Zudem werden auch Online-Anbieter für Abus als Handelspartner immer wichtiger, wie man offen zugibt.
Diese Gratwanderung hat Abus durchaus auch schon Kritik in der Branche eingebracht. Doch man hat sich diese Kritik bei Abus zu Herzen genommen und Maßnahmen entwickelt, die dem stationären Fachhandel gegenüber fachfremden Handelsformen einige Wettbewerbsvorteile bringen sollen. »Wir entwickeln zum Beispiel einige Maßnahmen für den Point of Sale, die ausschließlich dem stationären Handel vorbehalten sind«, erklärt Torsten Mendel, bei Abus für das Marketing der Sparte Mobile Sicherheit verantwortlich.
Ein weiteres Beispiel, wie Abus den Fachhandel gezielt unterstützt, ist die Aktion Stadthelm, die von Abus gemeinsam mit dem Bundesverband Kinderneurologie-Hilfe ins Leben gerufen wurde. Jüngst konnte mit der vor fünf Jahren gestarteten Aktion die wichtige Marke von 130 Städten überschritten werden, in denen mit einem günstigen Helm-Sondermodell und ortsansässigen Fahrradhändlern für das Helmtragen getrommelt wird.
Für die Herausforderungen des digitalen Wandels im Handel sieht Abus sich und seine Partner mit solchen Maßnahmen gut gewappnet. Und auch auf die zunehmende Digitalisierung der Produktwelt rund ums Thema Sicherheit ist man bei Abus vorbereitet. Zumal dieses Thema in der Haussicherheitssparte längst schon zum Tagesgeschäft gehört, wie Firmen-Chef Bremicker erklärt: »Wir haben bereits 2001 das Motto ,Abus goes Electronic‘ ausgegeben. Seitdem haben wir einen bedeutenden Anteil an mechatronischen Produkten in unserem Programm entwickelt. Das wird sich in allen Bereichen in den nächsten Jahren noch weiterentwickeln. Wir wollen beispielsweise einiges, was wir bei der Haussicherheit gelernt haben, auch in die mobile Sicherheit integrieren. Aber es gibt dabei auch Grenzen des Machbaren. Nach wie vor vertrauen viele Menschen purer Mechanik mehr als einer elektronischen Lösung. Und es gibt den grundsätzlichen Unterschied, dass sich Lösungen für die mobile Sicherheit immer draußen bewähren müssen. Wir sind also mittendrin in der digitalen Welt. Wo wir als Abus immer auch versuchen, mit einem gesunden Gleichgewicht voran zu gehen.«
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