10 Minuten Lesedauer

Arbeitsmarkt - Schulkooperation

Nachwuchs über die Schule gewinnen

Der Übergang von Schule in Beruf fällt vielen Jugendlichen sehr schwer. Gleichzeitig fehlen in vielen Betrieben Fachkräfte. Wer Nachwuchs sucht, kann sich mithilfe von Schulkooperationen bei Schülerinnen und Schülern interessant machen.

Die Kooperationen zwischen Schulen und Betrieben erreichen nicht nur den Nachwuchs. Auch Lehrkräfte und Eltern werden durch Schulkooperationen auf Betriebe aufmerksam. Das ist ein guter Nebeneffekt, da beide bei der Berufswahl junger Menschen nach wie vor wichtige Ansprechpartnerinnen und -partner sind. 73 Prozent von ihnen orientieren sich bei der Frage »Was soll nur aus mir werden?« an dem, was ihre Eltern dazu sagen. Lehrkräfte spielen mit 55 Prozent zwar eine geringere, aber immer noch tragende Rolle (Grafik). Dies belegt eine von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegebene Umfrage von »iconkids & youth« aus dem letzten Jahr.

Mit welcher Schule kooperieren?

Händlerinnen und Händler, die in eine Schulkooperation einsteigen möchten, stehen zunächst einmal vor der Frage, welche Schule die richtige ist. Angela Unger, wissenschaftliche Mitarbeiterin und regionale Koordinatorin bei »Netzwerk Zukunft. Schule und Wirtschaft für Brandenburg« betreut dort »alle Schulformen der Sekundarstufe I und II, also ab Klasse 7. Auch Schulen mit sonderpädagogischem Schwerpunkt (insbesondere Lernen), Oberschulen (in Brandenburg Klasse 7–10), Gymnasien, Gesamtschulen und Berufliche Gymnasien sind für Kooperationen geeignet.« Letztlich wären sogar Kooperationen mit Grundschulen denkbar.
Anna Schopen, Referentin beim »Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (kofa)«, rät Händlerinnen und Händlern, schon mit Unterstufen in Kontakt zu treten: »Bleiben Sie dann weiterhin mit Angeboten in der Schule sichtbar. So entstehen Beziehungen und damit erhöht sich für Sie die Wahrscheinlichkeit, Azubis für Ihr Unternehmen zu gewinnen. Schulkooperationen können da eine echte Hilfe sein. Zunächst sollten Sie sich in den eigenen Reihen nach potenziellen Türöffnern umsehen. Das ist viel eleganter als eine Kaltakquise am Telefon. Vielleicht haben Sie oder Ihre Mitarbeitenden noch Kontakt zur eigenen Schule oder mit Sicherheit zu der Schule der eigenen Kinder.« Eine gute Adresse sei daneben auch der Berufsorientierungsverantwortliche der Schule oder der jeweilige Förderverein.
Mario Müller, der früher den »Fahrradshop Nettersheim« leitete, ist heute Betriebsleiter des inklusiv arbeitenden Fahrradladens »projekt.bike inklusiv« in Nettersheim-Zingsheim, der am 1. April 2024 an den Start ging. Er kooperiert seit Längerem mit »AKTIONfahrRAD«, einer gemeinnützigen GmbH, die Kontakt zu Schulen hält. Den dortigen Beirat stellen Vertreterinnen und Vertreter aus Industrie, Handel, Wissenschaft, Politik, Presse und anderer Interessenverbände. Vonseiten der Fahrradbranche sind unter anderem Paul Lange, Hebie, Continental, Trelock und noch einige mehr dabei. Der »Freundeskreis Händler« verfolgt das Ziel, insbesondere über die Schulaktion »Fahrradcheck«, Schulkindern das Fahrrad näherzubringen und für ein sicheres Radeln zu sorgen.

»Auch für Sie als Händler ist das Praktikum eines potenziellen Azubis in Ihrem Unternehmen eine erste Möglichkeit, um auszuloten, ob die Chemie stimmt.«

Anna Schopen, Referentin beim »Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (kofa)«

Müller geht aber noch weiter: »Kinder und Jugendliche brauchen Bewegung.« Vor allem aus dieser Motivation heraus kam es zur ersten Begegnung mit der Graf-Salentin-Schule in Jünkerath, besser gesagt mit dem Sportlehrer Herbert Ehlen, dem Gesicht der rheinland-pfälzischen »Fair Play Tour der Großregion«. »Mit Herbert war ich mir sofort einig: Er teilte mein Credo von der notwendigen Bewegung von Kindern und Jugendlichen und sorgte dafür, dass die Schülerinnen und Schüler in den Schulpausen zum Beispiel auch Einrad fahren können. Heute würde ich sagen: Schulkooperationen stehen und fallen mit den Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern an der Schule.«

Modelle der Partnerschaft

Kooperationsformen gibt es viele. Sie werden von den Schulen auch unterschiedlich genutzt, berichtet Unger. »Unser Netzwerk Zukunft kann dazu beraten und gegebenenfalls Kontakte vermitteln.« So gibt es an manchen Schulen »Arbeitsgemeinschaften (AG) Fahrradwerkstatt – Reparatur«, die auch im Ganztag ein gern gesehenes Angebot sind. Angeleitet werden die Schülerinnen und Schüler von Mitarbeitenden der örtlichen Fahrradbetriebe, wobei je nach Organisationsform auch Lehrkräfte dabei sind. »Manche binden auch die Einwohner aus dem Wohngebiet oder dem Ort mit ein.«
»Schülerfirmen«, die manches Mal aus den AGs und Ganztagsprojekten hervorgehen, bieten Reparaturen gegen Entgelt an. Angela Unger dazu: »Der Fahrradhändler oder die Reparaturwerkstatt agiert dann als Wirtschaftspate.« Projekttage oder -wochen, bei denen Händlerinnen und -händler ihre Arbeit in den Fahrradwerkstätten vorstellen, eignen sich ebenso für Kooperationen.
Vorstellbar sei aber auch, dass sie sich mit ihrem Verkauf und ihrer Werkstatt direkt in den Unterricht einbringen, zum Beispiel wenn es darum geht, konkrete Lösungen für physikalische, mathematische, aber auch gesellschaftswissenschaftliche Fragen zu finden. Auch der Sportunterricht ist in hohem Maße ein Türöffner. Fahrradhändler Mario Müller musste an den Sportlehrer Herbert Ehlen von der Graf-Salentin-Schule in Jünkerath nicht lange hinreden: »Bei meiner Idee, in der Schule Indoor-Cycling-Kurse anzubieten, war er gleich mit dabei und sorgte dafür, dass ich einen Raum für mein Angebot bekam.« Nicht zuletzt bieten sich auch die Fächer Deutsch, Informatik und Kunst für Kooperationen in sogenannten Lernpartnerschaften an.
Unter dem Stichwort »Praxislernen« ändert sich die Perspektive: Hier geht es darum, dass die Schülerinnen und Schüler den Alltag in einem Fahrradgeschäft praktisch erleben. »Dafür besuchen sie über einen längeren Zeitraum einmal wöchentlich das Unternehmen und bearbeiten dabei auch Aufgaben aus verschiedenen Fächern des Unterrichts. Im Idealfall sind diese Praxislernaufgaben fächerübergreifend zuvor mit dem jeweiligen Unternehmen gemeinsam entwickelt worden«, erklärt Angela Unger aus Brandenburg das Prozedere.

»Schulkooperationen stehen und fallen mit den Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern an der Schule.«

Mario Müller, Betriebsleiter des Fahrradladens »projekt.bike inklusiv« in Nettersheim-Zingsheim

Bei Betriebspraktika, die in den letzten Schuljahren meist Pflichtprogramm sind, oder Schnuppertagen arbeiten die Jugendlichen so weit wie möglich mit und übernehmen überschaubare Aufgaben, um einen realistischen Einblick in die einzelnen Berufsbilder zu gewinnen. Auch dabei sollten Händlerinnen und Händler die eigenen Auszubildenden mit einbinden. Schließlich wissen diese genau, wie schwer der Übergang von der Schule in den Beruf sein kann.
Für die kofa-Referentin Anna Schopen zählt das Betriebspraktikum zu den wichtigsten Elementen der Berufsorientierung: »Denn hier findet für Jugendliche der Abgleich ihrer Erwartungen statt. Passt der Beruf zu mir? Fühle ich mich im jeweiligen Betrieb wohl und bin ich den dortigen Anforderungen überhaupt gewachsen?«
Zu Betriebsbesichtigungen sollten auch die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, also die Lehrkräfte und Eltern eingeladen werden. »Dabei sowie bei den Betriebspraktika und Schnuppertagen sollten Sie zeigen, wie spannend die Berufe in Ihrem Unternehmen sind, und ein echtes Erleben ermöglichen«, stellt Schopen den Nutzen dieser Kooperationsmöglichkeit heraus.

Eine Schulkooperation vorbereiten

Erfolg versprechende Kooperationen sollten gut geplant und auf Langfristigkeit angelegt sein. »Dabei sollten Händlerinnen und Händler auch Interesse für die Belange der Schule zeigen, feste Ansprechpartner anbieten und den regelmäßigen Austausch pflegen«, empfiehlt Angela Unger aus Brandenburg. Fehlen eine gute Kommunikation und das Verständnis füreinander und wechseln die Ansprechpartnerinnen und -partner ständig, seien Kooperationen aufgrund falscher Vorstellungen und Erwartungshaltungen oft zum Scheitern verurteilt.
Aktuell ist auf beiden Seiten – also aufseiten der Schulen wie aufseiten der Betriebe – der Fachkräfte- und damit auch der Zeitmangel eklatant. Trotzdem sollten in der Einstiegsphase die Ziele und Erwartungen offen und klar besprochen werden. Dafür ist es hilfreich, wenn eine Person im Betrieb den Hut aufhat. Anna Schopen empfiehlt: »Gemeinsam sollten Sie Inhalte und Mittel zur Zielerreichung festlegen und in einer Kooperationsvereinbarung dokumentieren. Die Vereinbarung eignet sich auch dafür, um die Öffentlichkeit über die Kooperation Ihres Betriebs und der Schule zu informieren.« Dabei sollten Händlerinnen und Händler auch an die Schülerzeitungen denken. Damit wird das Bild vom verantwortungsvollen Arbeitgeber gestärkt. Die Kooperationsvereinbarung solle dabei einfach, klar und realistisch formuliert sein, ergänzt Angela Unger.

Betriebspraktikum – der Selbstläufer

Das Berufspraktikum ist eine beliebte Form der Schulkooperation sowohl bei den Schülerinnen und Schülern als auch bei den Verantwortlichen in den Betrieben. Klaus Schmitt, Inhaber von »Zweiradshop Niederhofer« in Babenhausen, ist wie Mario Müller Kooperationspartner von »AKTIONfahrRad«. Vor Ort setzt er aber mehr auf Praktikantinnen und Praktikanten. Diese besuchen die achten, neunten und zehnten Klassen der dortigen Schulen. Die Lehrkräfte wissen, dass sie interessierte Schülerinnen und Schüler zu »Zweiradshop Niederhofer« schicken können. Schmitts Firma nimmt zudem an zwei lokalen Job-Info-Börsen teil. Doch inzwischen finden die Jugendlichen auch selbst zu ihm, da sich Schmitts Engagement in Sachen Praktikum über die Jahre im Ort herumgesprochen hat. »Sie kommen aus bis zu 30 Kilometern Entfernung zu uns für ein Praktikum.« 10 bis 15 Praktikumsplätze vergibt er jährlich. »Jeweils ein bis zwei Wochen arbeiten dann die jungen Leute bei uns. In der Regel hält sich der Aufwand in Grenzen, auch wenn immer das Risiko eines faulen Eis dabei ist. Manche von ihnen helfen aber richtig mit und sind quasi ein Selbstläufer«, erzählt Schmitt aus der Praxis. »Über die Praktikumsschiene konnten wir auch schon Auszubildende gewinnen. Aktuell haben wir mehr Bewerber als Lehrstellen, was sich als luxuriös darstellt, wenn man Kollegen, auch aus anderen Branchen, hört.«
Über die Schulkooperation, die Mario Müller mit der Graf-Salentin-Schule in Jünkerath einging, kamen auch in seinen Betrieb Praktikantinnen und Praktikanten. Die Möglichkeit, auf diesem Weg den Betrieb von innen kennenlernen zu können, sprach sich auch bei ihm herum. »Derzeit habe auch ich mehr Anfragen als Plätze. Eine meiner Praktikantinnen wohnt sogar 40 Autominuten entfernt. Manche kamen mit 14 Jahren für ein Praktikum, mit 16 halfen sie am Samstag zwei bis drei Stunden aus, einer von ihnen begann vor Kurzem als Vollzeitkraft. Das zeigt: Schulkooperationen lohnen sich.«
Mit der Eröffnung seines Fahrradladens »projekt.bike inklusiv« auf dem Gelände der Nordeifelwerkstätten weitete sich sein Engagement diesbezüglich noch aus. Heute steht er auch mit den ortsansässigen Förderschulen in Kontakt, aus denen er viele Bewerbungen erhält. »Eine gute Sache, weil die jungen Menschen, die von dort kommen, hoch motiviert und sehr zuverlässig sind und sehr viel Spaß an der Arbeit haben«, berichtet Müller von seinen ersten Erfahrungen. //

25. Juni 2024 von Dorothea Weniger
Velobiz Plus
Die Kommentare sind nur
für unsere Abonnenten sichtbar.
Jahres-Abo
115 € pro Jahr
  • 12 Monate Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
  • 10 Ausgaben des exklusiven velobiz.de Magazins
Jetzt freischalten
30-Tage-Zugang
Einmalig 19 €
  • 30 Tage Zugriff auf alle Inhalte von velobiz.de
  • täglicher Newsletter mit Brancheninfos
Jetzt freischalten
Sie sind bereits Abonnent?
Zum Login