Report - E-Bikes im Bike Sport
Neue Bike-Challenge: Radsport gewinnt mit »E«
Lange sah es so aus, als würden sportive Räder vom Trend hin zum »E« nicht so schnell ergriffen, oder, wie manche Kritiker hofften, verschont bleiben. Symptomatisch waren die Startschwierigkeiten in einem ebenso jungen, wie innovativen Markt: bei der Motorunterstützung, der Reichweite und Akkuintegration genauso wie bei der saisonalen Verfügbarkeit der beliebtesten Modelle und wenigen echten Alternativen. Dazu Vorurteile auf Händlerseite, Angst vor fehlender Akzeptanz und Unfällen, klobige Displays und manchmal auch eine eher abwartende Haltung bei sportlich ausgerichteten Herstellern. Trotz allem: Den faktischen Durchmarsch des E-Bikes im Mountainbike-Sektor haben diese Hindernisse nicht gestoppt. Und im Segment der E-Rennräder? Hier werden die Karten gerade neu gemischt und es zeichnen sich auf Basis von solider Technik und einem weiter hohen Innovationstempo neue Entwicklungen ab: bei den Antrieben, beim Design, beim Trend zur Digitalisierung und, mit ein wenig Zukunftsoptimismus, auch bei alten und neuen Kundengruppen.
E-MTBs laufen »Biobikes« den Rang ab
Noch liegt die Zahl der verkauften E-Mountainbikes in Deutschland knapp hinter den rein muskelbetriebenen MTBs. Aller Voraussicht nach dürfte sich dieses Verhältnis aber noch in der laufenden Saison umdrehen. Die eigentliche Zäsur im Markt ist wohl aber schon längst erfolgt. Denn mit Produktneuheiten beim normalen Mountainbike lässt sich bei den Lesern und den Redaktionen der General-Interest-Medien kaum mehr ein Hund hinter dem Ofen hervorlocken. Neuigkeiten im E-Bike-Markt scheinen allemal interessanter – zumal auch die Hersteller längst dazu übergegangen sind, Innovationen zuerst in dieser Premiumkategorie einzuführen. Gerade für Käufer hochpreisiger Räder, denen es nicht in erster Linie nur um das passende Rad, sondern auch ums Image und »Vorsprung durch Technik« geht, entsteht so eine Sogwirkung, die weit über den reinen Nutzwert als Kaufanreiz hinausreicht.
Das mag teilweise auch den fulminanten Erfolg der Kategorie erklären, die längst nicht mehr nur den klassischen Mountainbike-Kunden anspricht. Besonders beeindruckend neben der absoluten Zahl von 245.000 verkauften E-MTBs im vergangenen Jahr gegenüber 271.700 in Fachforen »Biobikes« genannten motorlosen Varianten sind hier vor allem die Zuwächse: So wuchs die Zahl der verkauften E-MTBs um 58 % zum Vorjahr. Innerhalb von drei Jahren hat sich der Anteil am E-Bike-Markt von acht Prozent im Jahr 2015 auf satte 25 Prozent in 2018 gesteigert.
Langfristig 65 % E-Bike-Marktanteil?
Aktuell entwickeln sich gerade die Kategorien, die zu Beginn der E-Revolution von vielen als Wachstumstreiber angesehen wurden, wie zum Beispiel City- und urbane E-Bikes oder S-Pedelecs, unterdurchschnittlich. Dafür hat der Trend zur Motorunterstützung bis auf wenige Ausnahmen inzwischen alle Kategorien erfasst und Mountainbikes oder sportliche Trekkingräder haben sich wider ersten Erwartungen zu neuen Zugpferden im Markt entwickelt. Einen deutlichen Schub für E-Bikes in allen Produktbereichen, auch im Sportsektor, sieht auch Claus Fleischer, General Manager von Bosch eBike Systems. Vor Kurzem korrigierte er seine ursprüngliche Prognose eines langfristigen E-Bike-Marktanteils von einem Drittel auf »mindestens 65 Prozent des gesamten Fahrradmarktes«. Lediglich BMX- und Kinderräder seien von der Entwicklung hin zur Motorunterstützung ausgenommen.
Neue Nachfrage kommt nicht von allein
Bereits zu Beginn des Elektrorad-Booms, genauer gesagt mit der ersten Ausgabe des velobiz.de-Magazins im Jahr 2012, haben wir uns mit dem E-Bike an der Schnittstelle zu den Megatrends unserer Zeit befasst. Also den Trends, die unser Leben in den kommenden Jahrzehnten aller Voraussicht nach entscheidend prägen werden. Der damalige Schluss: »Gut möglich, wenn nicht sogar sehr wahrscheinlich ist, dass die Elektrifizierung des Fahrrads deutlich weiter greift als von vielen erwartet wird.«
Heute stehen wir vor der Situation, dass ein reiches Angebot technisch leistungsfähiger und ansprechender sowie immer weiter ausdifferenzierter motorisierter Produkte vorhanden ist und auf eine ungebremste und weiterhin ausbaubare Nachfrage trifft. So hat in den Niederlanden der Absatz an E-Bikes den der unmotorisierten Fahrräder zuletzt bereits übertroffen.
Convenience und Digitalisierung beim Bike
Ein großes Thema bei der Kundennachfrage ist der Aspekt Convenience und bei allem, was sich um Fitness dreht, auch die Digitalisierung. Und hier passiert auch beim (E-)Bike gerade eine Menge: »Vernetzung und Digitalisierung sind wichtige Themen«, betont Alexander Giebler vom Pressedienst-Fahrrad. So misst beispielsweise ein für Mountainbiker und Rennradfahrer entwickelter Reifendrucksensor permanent den Luftdruck und übermittelt die Daten an den Radcomputer oder das Smartphone inklusive personalisierter Druckempfehlungen und Alarm bei Abweichungen. »Auch die Fahrwerkseinstellung per App kommt«, erläutert Alexander Giebler. »Elektronische Schaltung gibt es inzwischen auch beim Mountainbike und die Verstellung der Sattelstütze gehört mit dazu. Wir gehen davon aus, dass solche Lösungen künftig deutlich günstiger angeboten werden und dann auch den Massenmarkt erobern.« Ein großes Thema sei auch die Leistungsmessung: »Top-Räder kommen heute von Haus aus mit Power-Metern. Per App können alle Leistungsdaten abgerufen, ausgewertet und verglichen werden.«
Ideal ist auch die Vernetzung mit anderen über soziale Netzwerke mit Angeboten wie Strava, die eine detaillierte Auswertung und den direkten Vergleich mit anderen ermöglichen. »Hier sehen wir einen wachsenden Markt – vom Profi bis zum Hobbyanwender«, so der Radsport-Experte. Folgt man den Marktforschern, die einen allgemeinen Trend zur Technisierung des Alltags als zentrales Erlebnis für alle Jahrgänge und prägendes Element für unseren Lebensstil ausmachen, so bedeutet (mehr) Elektronik am Bike auch eine höhere Attraktivität.
Wunsch nach Komfort löst Hang zur Qual ab
Für Bike-Puristen mag der weltweit durch alle Altersgruppen und gesellschaftliche Schichten feststellbare Bedarf nach Convenience, also komfortablen Produkten und Lösungen, die das Leben vereinfachen und bequemer machen, befremdlich erscheinen. Aber ist die nachlassende Bereitschaft sich in der Freizeit zu schinden, gleich ein »Verrat an der Sache«, oder doch eher eine Chance, den Bikesport zu beleben und mit frischen Impulsen neue Kunden zu gewinnen und Ältere im Sport zu halten? Gerade beim E-MTB scheint es, als wären die Widerstände im Sturm überwunden worden. Deutlich mehr interessierte als schiefe Blicke erntete man motorisiert auf Trails schon vor Jahren. Und heute werfen sich schon die Youngsters mit ebenso großer Begeisterung wie Selbstverständlichkeit bei Test-Events auf die neuesten motorisierten Mountainbikes. Warum auch nicht? Beispiele aus anderen Sportarten zeigen, dass die Erleichterung des Zugangs vielfach hohe Zuwächse mit sich bringen. Zum Beispiel im Skisport, wo anfangs Lifte verpönt waren und später Snowboarder mit ihrem Spirit ausgegrenzt wurden, oder im Laufsport, wo die breit angelegte Jogging- und Marathonbewegung von Verbänden lange bekämpft wurde.
Mehr Spaß und Sicherheit auf dem E-MTB
Auch die Themen Einsteigerfreundlichkeit und Fahrsicherheit spielen beim E-MTB eine nicht zu unterschätzende Rolle. Denn durch das höhere Gewicht in Verbindung mit einem niedrigen Schwerpunkt lassen sich E-MTBs im Vergleich zu herkömmlichen Mountainbikes leichter beherrschen, so das Fazit vieler Fahrtechnik-Trainer. Ein weiterer Vorteil ist hier die mit niedrigem Luftdruck gefahrene Plus-Bereifung, die eine viel größere Auflagefläche bietet. Hier ist auch der höhere Rollwiderstand nicht mehr so wichtig, weil er durch die Motorunterstützung neutralisiert wird. Aber auch für geübte Fahrer gibt es Vorteile. »Mit dem E-Bike habe ich viel mehr kontrollierten Spaß am Limit«, betont der mehrfache Deutsche Meister und Weltmeister im Cyclocross Mike Kluge im Gespräch. So sei beim E-Bike vor allem der Übergang zu den Grenzbereichen, wie dem Wegrutschen, langsamer und deshalb besser beherrschbar. In der Praxis auch für den hartgesottenen Exprofi und heutigen Markenbotschafter von Focus ein echter Vorteil: »Ich habe mir in meinem Leben während meiner aktiven Zeit sehr oft weh getan beim Radfahren – und ich muss sagen: Ich möchte mir einfach nicht mehr wehtun.«
Demografischer Wandel und Megatrend Gesundheit
Die Auswirkungen des demographischen Wandels in Deutschland werden auch in der Fahrradbranche immer stärker spürbar. Denn die geburtenstarken Jahrgänge kommen nach 2020 sukzessive ins Rentenalter, während die jüngere Bevölkerung immer weiter schrumpft. Dazu kommt die steigende Lebenserwartung. War im Jahr 2017 noch rund ein Fünftel der Bevölkerung mindestens 65 Jahre alt, so wird es 2030 voraussichtlich schon ein Viertel sein. Und auch danach wird der Anteil der älteren Menschen an der Bevölkerung stark weiterwachsen. Marktforscher weisen dabei immer wieder darauf hin, dass das allgemein zu verzeichnende Streben nach Gesundheit, Aktivität und Leistungsfähigkeit auch den Lebensstil der Älteren prägt. Und hier gerade in den gesellschaftlich gehobenen und entsprechend kaufkräftigen Milieus. Mehr als die Hälfte der 50- bis 75-Jährigen hält demnach zum Beispiel eine gesundheitsgerechte Ernährung für wichtig, ebenso wie die Pflege sozialer Kontakte und die Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem.
Auch ohne Greta: Bike-Tourismus im Kommen
Die letzten Jahre haben gezeigt, dass der Klimawandel Realität geworden ist. Mittelfristig befördern aller Voraussicht nach sowohl ein wachsendes Umweltbewusstsein, wie auch CO2-Steuern den lokalen Tourismus. Da die Mittelgebirge und der Alpenraum mit schwindender Schneesicherheit, Extremwetterereignissen und einer Verschiebung der Klimazonen besonders betroffen sind, ist wohl auch eine Verschiebung hin zum nachhaltigen Sommertourismus auch ohne die Mahnung von »Fridays for Future« absehbar und unausweichlich. So steht der Ausbau des Bikesport-Angebots mit und ohne Motor vielerorts weit oben auf der Prioritätenliste. »Radfahren und Mountainbiken bekommen mit Motorunterstützung eine ganz neue Erlebnisqualität«, betont dazu Michael Urban, Account Manager der ZEG-Tochter Travelbike, dem nach eigenen Angaben größten E-Bike-Vermietnetzwerk in Deutschland und Österreich. »Steigungen werden zum Genuss und Aussichtspunkte oder Berghütten zu Zielen, die man gerne ansteuert.«
Nächste Evolutionsstufe: E-Bikes für »Nicht-E-Biker«
Wesentlich zum extrem rasanten Aufstieg der Motorisierung beim Bike beigetragen hat die Weiterentwicklung der Komponenten ebenso, wie die Spreizung der Produkte für vielfältige Einsatzzwecke und unterschiedliche Geschmäcker.
Nach dem allgemeinen Trend hin zu immer mehr Leistung und immer höheren Reichweiten wird gerade eine neue Evolutionsstufe sichtbar: Neben immer stärkeren Boliden mit 1000 Wh-Doppelakkus oder 120 Newtonmetern Drehmoment tauchen mehr und mehr »E-Bikes Light« im Rampenlicht auf: Mit schwächeren Motoren, kleineren Akkus und einer vollständigen Integration ins Rad. Natürlich sind diese Räder im eigentlichen Sinn noch Pedelecs. Aber »echte E-Bikes« wollen sie eigentlich gar nicht mehr sein. Und genau das könnte auch ihre neue Attraktivität ausmachen. Von außen kaum noch als Elektrorad erkennbar und auch vom Fahrverhalten her kaum vom »Biobike« zu unterscheiden – aber mit genug Kraft, um den vollen Fahrspaß auch auf sonst zu fordernden Anstiegen, Gegenwind oder zusammen mit dem Partner oder in der Gruppe genießen zu können.
»Das E-Rad ist für uns aus vielerlei Hinsicht das bessere Rad«, betont dazu Moritz Failenschmid, Brand Director bei Focus Bikes. »Pässe oder Berge machen einfach mehr Spaß.« Aber auch das normale Mountainbike sollte man nicht unterschätzen. Der Bereich MTB geht nach Meinung des Experten zwar zurück, er sei aber nach wie vor ein sehr großer und damit auch wichtiger Markt. Auch sonst sei der Markt in Bewegung: »Bei den E-MTBs sehen wir einen Trend hin zu 600 bis 700 Wh-Akkus.« Natürlich würde es darüber hinaus auch immer Extreme geben. »Auf der anderen Seite kommen immer mehr E-MTBs, die näher ans normale MTB rücken, mit neuen Konzepten, wie beispielsweise von Fazua, zum Beispiel bei den Rädern von Performance-Marken wie Focus zum Einsatz.«
Schaut man auf die Website der französischen Performance-Marke Lapierre, so findet sich für die neuen Bikes bereits eine eigene Kategorie und eine Bezeichnung, die sie klar vom E-Bike abgegrenzt: Unter »Hybrid« fasst die Traditionsmarke, die inzwischen zur Accell-Gruppe gehört, ihre E-Bike-Light-Angebote im Bereich Road und MTB zusammen.
für unsere Abonnenten sichtbar.