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Trends - Neuheiten in der Corona-Krise

Neues? Schwierige Frage

Jetzt ist traditionell die Zeit, Entwicklungen und Highlights der nächsten Saison anzukündigen. Die Corona-Pandemie hat allerdings manchen Herstellern einen Strich durch die Planung gemacht. Wir haben nach Trends, Neuheiten und den Auswirkungen der Krise auf sie gefragt.

Vorgezogen dank guter Auftragslage: Riese & Müller bringt den Dual-Battery-Tiefeinsteiger Nevo3 schon jetzt auf den Markt.Feines Ultraleichtgewicht: Das neue Specialized Vado SL soll nur 14,5 Kilo wiegen – inklusive Future-Shock-Federung.Neues Rad, neue Marke von Accell: Das Carqon rollt in den Transportrad-Markt. Wichtiges Kennzeichen: die Tür zum Ein- und Aussteigen.

Man könnte es den Tenor des Frühlings 2020 nennen, was man beim Hersteller Velotraum im Trend-Gespräch voranstellt: »Wir haben durchaus einige kleinere Neuheiten. Die werden dann präsentiert, wenn es so weit ist.« Das hängt unter anderem oft von den Zulieferern ab. Momentan hapert es beispielsweise, so Stefan Stiener, Geschäftsführer von Velotraum, an speziellen Gabeln für ein Modell. »Ein ganz neues Rad wird aber für 2021 ohnehin noch nicht kommen.« Erst später im Jahr wird bei Velotraum entschieden, »ob wir für 2021/22 größere Entwicklungen anstoßen.«
Der Trend Bikepacking mit den entsprechenden Rädern und Zubehör jedenfalls wird im Hause stark weiterentwickelt werden. Grundsätzlich denke man auch gelegentlich über das Thema Light-E-Bike nach, so Stiener. Doch als kleinerer Hersteller müsse und werde man auch nicht jede kleine Nische mit Potenzial besetzen: »Das hippe Gravelbike in Stahl wird’s bei uns nicht geben.« Was die Aussicht für die Zeit nach der Krise angeht? »Viele Kunden kaufen jetzt E-Bikes für die Radreise in Deutschland, geben dabei richtig Geld aus und verzichten lieber auf den vielleicht nur schwer möglichen Auslandsurlaub«, bestätigt er die herrschende Nach-Corona-Einschätzung. »Im Großen und Ganzen können wir nicht jammern«, sagt Stiener, »ich bin aber skeptisch, wie es die nächsten Jahre weitergeht, ob die Kunden weiterhin viel Geld für ein E-Bike ausgeben wollen.« Schließlich müssten viele Verbraucher sparsamer agieren. Die Krise berge aber auch Chancen: »Vielleicht kann man als Hersteller bald mehr in die Tiefe gehen und nachhaltiger werden. Ein Fahrrad oder E-Bike für im Schnitt 10 Jahre Nutzung, das wäre es!«

Jubiläum statt Krise

Unbeeindruckt von der Krise zeigt man sich beim Premium-E-Bike-Anbieter Flyer AG. »Wir sind im 25. Jahr und haben zwar die Vorstellung unserer Jubiläums-Edition etwas nach hinten verschoben, aber ansonsten lief es weitgehend wie geplant«, erzählt Anja Knaus, Leiterin Kommunikation und PR beim Schweizer E-Bike-Hersteller. Das neue Upstreet 5 Anniversary Ed. ist vor allem edel und retro designt. Viele feine Details wie die Rohloffnabe als Standard sollen es zum Objekt der Begierde machen. 1000 Stück werden aufgelegt, wer früh dran ist, darf sich die Seriennummer aussuchen. Verstärkt wird der Fokus auf S-Pedelecs. Auch in diesem Sektor wird es Neues geben, die Schnellen sind aber vorwiegend nicht für den deutschen Markt bestimmt. Der ist bekanntermaßen aufgrund fehlender Infrastruktur für diese Bikes eher überschaubar. »Wir glauben aber an das Konzept«, so Knaus.
Weitere Neuheiten für 2021 sind zu erwarten, aber auch bei Flyer noch nicht im Detail vorzeigbar. Zahlungskräftige Kunden dürfen sich jedenfalls auf ein Highend-MTB mit einem »ganz neuen Konzept« freuen. Die Präsentation? »Dieses Jahr werden wir verstärkt ein Corona-kompatibles Format anwenden: Mini-Messen in Hotels, zu denen nur jeweils eine kleine Anzahl Händler eingeladen wird. Das große Händlerevent in der Schweiz fällt aus.« Grundsätzlich steht bei den Schweizern die Flugrichtung fest: Der Premium-Sektor wird, dem zu erwartenden Trend folgend, weiter nach oben ausgebaut, die Connectivity über das Flyer-FIT-System ebenso.

Viel Platz für Urbanes und Lasten. Bald.

Bei Bergamont geht’s für 21 zackig weiter. »Wir spüren keine Krise«, sagt Christian Thill, PR- und Kommunikationsmanager bei den Hamburgern. »Die Telefone laufen heiß. Ob der Radtourismus im Inland für die nächsten Jahre wirklich so einschlägt wie vorhergesagt, ist für uns noch unklar. Ganz unabhängig davon gibt’s keinen Grund zu meckern.« Neu ist, dass man in Zukunft keine Rennräder mehr anbieten will – da ist Scott, seit 2015 Besitzer der Firma aus Sankt Pauli, mit seiner eigenen Radmarke ohnehin breit aufgestellt. Auch Mountainbike-Modelle werden zurückgefahren, »aber nicht im unterstützten Bereich.« Dort sieht man weiterhin einen starken Aufwärtstrend. Mehr Nachwuchs wird es im urbanen E-Ville-Modellbereich geben. Die Entwicklung unter dem Gesichtspunkt »Integration« hat die Marke wohl bald bis in die letzten Winkel unterspült. Auch im City- und Tiefeinsteiger-Bereich wird jetzt der Trend umgesetzt und der integrierte Akku weitestgehend verbaut.
In Sankt Pauli glaubt man: »Der Anspruch des Nutzers ist höher geworden. ›Passt das Rad zu meinem Auto, zu meinem Designanspruch, zu meinem Nachhaltigkeitsdenken?‹«, frage sich der Kunde laut Thill. Bei aller Nachfrage nach dem großen »E«: »Wir werden keine reine Pedelec-Marke.« Nur die Bergamont-Cargobikes wird es ausschließlich mit Motor geben. 2021 wird sich zu Cargoville und Bakery noch ein weiteres Lastenrad gesellen. Dessen Vorstellung ist wegen Corona und der ausgefallenen Hausmesse später als ursprünglich geplant. Wann, ist unklar. »Die Situation verändert sich ja ständig«, sagt Thill. »Wir halten uns bedeckt. Auch werden einige Neuheiten Corona-bedingt erst nochmals später gezeigt werden können.« Zur Optik der neuen 21er-Räder kann verraten werden: »Auch im ausgebauten urbanen Bereich wird es viele ›abgefahrene‹, ungewöhnliche Farben geben.« Das Flair des Multikulti-Viertels Sankt Pauli soll dabei wieder Pate gestanden haben. Bergamont wirbt seit Jahren mit dem alternativen Touch seines Stammsitzes und hat gerade die limitierte St.-Pauli-Edition des Einsteiger-MTB Revox herausgebracht. Namensgeber der Edition ist hier natürlich der Fußballclub.

Man wird mittelfristig sehen, zu welchem Preis die Leute noch bereit sind, E-Bikes zu kaufen.Stefan StienerVelotraum

Spezialrad: Mit Motor brummt‘s!

In den letzten Jahren hat eine zahlungskräftige Klientel das Trike mit Motor für sich entdeckt. »Mittlerweile verkaufen wir fast 60 Prozent unserer Räder unterstützt«, erklärt Alexander Kraft, beim Spezialradhersteller HP Velotechnik für Kommunikation zuständig. Nach einer Corona-Vollbremsung der Produktion Mitte März mit Umstrukturierung und anschließender Fortsetzung der Montage ist beim Krifteler Unternehmen die Krise jetzt Geschichte. »Bei uns gehen die Lieferzeiten hoch«, so Kraft. »Wir hatten aber auch Glück, dass wichtige Lieferungen noch knapp vor dem Indus­trial Shutdown in Asien auf die Reise gingen.« Es läuft sehr gut, »aber es wird keine Übersaison werden.« Neu ist auch bei den Hessen, dass die S-Pedelec-Modelle der Dreiräder kräftig zulegen. »15 Prozent der verkauften Trikes sind schnelle E-Bikes. Das ist unglaublich!« Ein unerwarteter Trend für 2021 mit Tendenz zu längerer Dauer dürfte also das S-Pedelec mit drei Rädern darstellen.
Ein komplett neues Rad für 2021 wird nicht vorgestellt werden, wohl aber einige neue Details »im Komfortsektor«. Doch zur Präsentation fehlen noch einige Komponentenlieferungen. »Klassischer Lieferverzug, von Corona verstärkt«, so Kraft.
Generell erwartet man dauerhaften Umsatzzuwachs: »Das Fahrrad wird zu den Gewinnern der Krise gehören.
Und das E-Dreirad kann oft ein noch besserer Auto-Ersatz sein als das Zweirad.« In Sachen Motor arbeitet man in Zukunft – nach der letztjährigen Swissdrive-Einstellung – noch enger mit Neodrives zusammen, die ihren Antrieb für den Spezialradhersteller im Detail auf HP-Dreispurer ausrichten.

Unterstützung für den Lastentransport

»Cargo« bedeutet Last; kein Wunder also, dass Unternehmen Varianten des Begriffs als Namensgrundlage für ihr Transportrad verwenden. Vor Kurzem kündigte Accell die Marke Carqon an. Der erste erscheinende Lasten-Einspurer mit großer Kunststoffkiste aus Holland soll eine sportlich angehauchte Geometrie haben, die Lenkung erfolgt ungewöhnlicherweise über Züge, nicht über ein Lenkgestänge. Zum dynamischen Auftritt des Carqon passt die Cargo-Line-Ausführung des Bosch-Performance-CX-Motors. Neu ist die Tür in der Kunststoff-Transportkiste zwischen Vorderrad und Lenksäule, die Kindern einfaches Einsteigen ermöglicht. Die Tür ist mit zwei Kindersicherungen (innen und außen) versehen. Die Reichweite wird für das Doppelakku-Modell mit 120 bis 140 Kilometern angegeben. Der Einstiegspreis für das Carqon liegt bei etwa 5.000 Euro. Bereits in wenigen Wochen soll das Rad die Lastenrad-Auswahl der derzeit Rad-transportwütigen Deutschen bereichern.

Modellwechsel vorziehen – Corona machts möglich

Die 2021er Version des Nevo von Riese & Müller sollte eigentlich erst zum Herbst vorgestellt werden, doch »wegen Corona«, sagt Head of Communication Jörg Lange, »haben wir vorgezogen. Damit der Händler den Mobilitätsbedarf decken kann.« Das hört sich ganz einfach an, brauchte aber hellseherische Vorbereitung. »Wir haben schon im Dezember 19 Augen und Ohren in Asien offen gehalten und verfolgten die Entwicklung des Corona-Ausbruchs.« So gewarnt sorgte man für frühen Nachschub bei den relevanten Zulieferteilen und konnte den wegen der verstärkten Nachfrage beim Händler tatsächlich eintretenden Engpass decken. Das Nevo3 soll als Tiefeinsteiger Sportlichkeit und Komfort vereinen. »Das Thema wird in den nächsten Jahren sowieso noch enorm spannend werden, glauben wir.« In Sachen Design hat das Modell mit seiner puristischen Optik nochmals zugelegt. Integration, laut Lange auch noch für 21 einer der großen Trends in der E-Bike-Szene, ist beim neuen Modell selbstverständlich. So verschwinden Kabel und Züge im Steuerkopf und die Batterie vollständig im Unterrohr des eckig-markanten Tiefeinsteigersdesigns. Das Steuerungsdisplay, mehrere Varianten stehen zur Wahl, sitzt im flächigen Riese & Müller-Cockpit. Separat sichtbar ist bei der jetzt wählbaren Dual-Battery-Version noch der zweite Akku, der unter dem optisch ebenfalls als Design­­element integrierten Gepäckträger sitzt. Zusammen 1125 Wattstunden reichen auch für sehr lange Touren. »Mehr Akku ist ein wichtiges Trend-Thema der Zukunft«, so der Kommunikationsmanager. »Immer mehr Kunden pendeln, und je weniger sie laden müssen, desto besser und praktischer.« Noch klarer als 2019 im Trend ist das SUV unter den E-Bikes: »Das ist die perfekte Kombi von Sport- und Pendlergerät«, ist Lange überzeugt. Immer noch im Wachsen begriffen sieht man in Weiterstadt das Cargobike: »Veränderte Infrastruktur, geringerer Auto-Einsatz – da brauchen die Familien einen Auto-Ersatz für den Kindertransport.« Was es in diesem Bereich Neues bei R&M gibt, wollte Lange noch nicht preisgeben.

E-Bikes auf die leichte Schulter genommen

Gerade hat Specialized mit dem neuen Vado SL eine Modellvariante angekündigt, die den Trend hin zu leichten und sportlichen Allroundern für die Stadt ohne E-Bike-Optik bedient. Vom Arbeits-Pendeln über Freizeitaktivitäten bis zur Eisdielenfahrt soll das SL alles abdecken. Es ist in verschiedenen Ausstattungslevels und jeweils auch mit Straßenausstattung inklusive Radschützern und Träger zu haben.
Räder dieser Klasse werden auch die nächsten Jahre den Pedelec-Markt mitprägen. Gerade 14,9 Kilogramm soll das Rad in seiner leichtesten Ausführung wiegen. Der Auftritt ist explizit sportlich und minimalistisch. Im Gegensatz zum kantigen Design der bisherigen Vado-Reihen tritt das SL durchweg klassisch, mit deutlich abgerundeten Rahmenrohren auf. Integriert wird darin trotzdem alles: Akku, Züge, Leitungen. Die mit 340 Wattstunden eher kleine Batterie im Unterrohr dockt direkt am Specialized-Mittelmotor an. Mit gerade mal 1,9 Kilogramm trägt er zum geringen Gesamtgewicht bei. Wie bei Rädern dieses Trends üblich, werden die wichtigsten Infos im Oberrohr-Display angezeigt. Komfort schaffen breite Reifen und, je nach Ausführung, das aus dem Sportbereich bekannte Future-Shock-System.
Gestartet als Nische weniger europäischer Hersteller, hat sich das sportliche »unsichtbare« E-Bike mittlerweile fast schon zu einer eigenen Klasse wie das SUV entwickelt. Sie dürfte das Potenzial haben, zu bleiben. Ob in Anbetracht finanzieller Corona-Spätfolgen auch der Verbraucher auf Dauer mitspielt, wird sich zeigen.

6. Juli 2020 von Georg Bleicher

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