Schulung - Personalführung
Personalführung ist eine Stilfrage
Damit Mitarbeitende einen Führungsstil akzeptieren und sich der betriebliche Erfolg einstellt, müssen Händlerinnen und Händler, Ausbilderinnen und Ausbilder, aber auch leitende Angestellte von Abteilungen sich ihrer Führungsrolle bewusst sein. Eine Umfrage, die McKinsey Ende 2022 vorstellte, unterstreicht die Bedeutung dieses Punktes: Demnach ist die »Unzufriedenheit mit Führungskräften« ist der am zweithäufigsten genannte Kündigungsgrund (36 Prozent). In eine ähnliche Richtung weisen die Ergebnisse des im März erschienenen Gallup-Berichts »State of the Global Workplace 2023«: 42 Prozent der Angestellten klagen darin über fehlerhaftes Führungsverhalten, nur 16 Prozent der Beschäftigten sind zufrieden. Setzen Arbeitgeber dagegen auf eine hohe Führungsqualität und ein gutes Arbeitsumfeld, steigt der Wert der Zufriedenheit auf 60 Prozent. Gute Führung zahlt sich also aus. Teams erleiden weniger Reibungsverluste, sind zufriedener und motivierter. Im Ergebnis stimmt dann meist auch der Umsatz.
Theorien des Führens
Wer führt, gibt nicht nur das Ziel vor, das erreicht werden soll, sondern zumeist auch den Weg dorthin. Bei der Art des Führens, aber auch bei der Entscheidung, welche Aspekte dabei im Mittelpunkt stehen sollen, scheiden sich die Geister. So kommen manche Institute, die Führungskräfte schulen, auf rund 30 verschiedene Führungsstile. Ein Grund dafür könnte sein, dass sich schon vor den 1900er-Jahren die Wissenschaft Gedanken über das perfekte Führen machte. Der Soziologe und Nationalökonom Max Weber (1864-1920) war einer von ihnen, der Sozialpsychologe Kurt Lewin (1890-1947) ein weiterer. Er unterschied drei Führungsstile: den autokratischen, den demokratischen und den Laissez-faire-Führungsstil.
Kommunikationstrainer Robert Berkemeyer aus Gelsenkirchen, der mit dem Ziel schult, Begeisterung für den Betrieb zu wecken, legt bei seinen Seminaren für Führungskräfte den Fokus auf eine wertschätzende und zielorientierte Unternehmenskultur. Dabei teilt er Lewins Theorie, weicht bei den Benennungen der Stile aber etwas ab: »Die wichtigsten Führungsstile sind der autoritäre, der kooperativ-partnerschaftliche und der Laissez-faire-Führungsstil.« Wichtig sei bei der Beschäftigung mit dem Thema der Aspekt, dass »Führungsstile nicht branchenabhängig sind, sondern vor allen Dingen abhängig von den Persönlichkeiten der Beschäftigten. Diese geben den Händlerinnen oder Händlern eigentlich vor, welchen Führungsstil sie wählen sollten.«
»Unzufriedenheit mit Führungskräften« ist der am zweithäufigsten genannte Kündigungsgrund (36 Prozent).
Allerdings sollten sie dabei ihre eigene Persönlichkeit nicht aus dem Blick verlieren. »So sollten sie sich darüber bewusst sein, dass sie selbst zumeist kreativ und selbstbestimmt unterwegs sind.« Die Gründung oder Übernahme eines Betriebes seien ein Indiz dafür. »Beim Führen geht es also zuerst darum, die Persönlichkeiten, die in einem Betrieb aufeinandertreffen, zu reflektieren.«
Uwe Wöll, Geschäftsführer des VSF-Fahrradfachverbandes, teilt diese Sichtweise und unterstreicht die Komplexität des Themas. Letztlich könne auch die Historie des Betriebs eine wichtige Rolle bei der Frage nach dem passenden Führungsstil spielen, da diese sich oft auf die Zusammensetzung der Belegschaft auswirkt: »Viele der im VSF organisierten Händlerinnen und Händler kommen historisch gesehen aus der Selbstverwaltung. Selbstverwaltete Betriebe versuchten und versuchen es zum Teil auch heute noch, mit flachen oder ohne Hierarchien auszukommen. Auch wenn die Betriebe inzwischen in aller Regel auf Arbeitsteilung setzen, bedeutet Führung dort immer noch etwas anderes als in klassischen Aufbauorganisationen.« Händlerinnen und Händler, die versuchen würden, in diesen oder ähnlichen Betriebsstrukturen autoritär führen zu wollen, würden also schnell an ihre Grenzen stoßen.
Autoritär führen
Autoritär führen bedeutet für Vorgesetzte, auf Hierarchien zu setzen und nicht nur die Entscheidungshoheit fest in den eigenen Händen zu halten. Das kann ein Plus sein in (Krisen-)Situationen, in denen schnelle Entscheidungen gefragt sind. Auf der Strecke bleibt dabei allerdings meist die Motivation der Beschäftigten. »Der autoritäre Führungsstil setzt auf Druck und Anleitung. Klingt für viele abschreckend, doch manche Beschäftigten fordern diesen Stil des Führens regelrecht ein«, berichtet Berkemeyer aus seiner beruflichen Praxis. »Eine häufige Anwendung findet diese Art zu führen zum Beispiel gegenüber Auszubildenden, wobei hier eine Spielart, die ohne Druck arbeitet, die beste Variante ist. Der Fokus sollte demnach auf dem Anleiten liegen, denn Ausbilden bedeutet zu Beginn in aller Regel: Als Ausbilder mache ich etwas vor, die Auszubildenden machen es nach.« Gleichzeitig warnt er vor einer allzu starren Festlegung auf den autoritären Führungsstil gegenüber Auszubildenden: »Es gibt richtig gute Azubis, die in bestimmten Arbeitssituationen schon sehr gut Laissez-faire geführt werden können.«
Kooperativ-partnerschaftlich führen
Zwischen den beiden Polen des autoritären und des Laissez-faire-Führungsstils liegt der kooperativ-partnerschaftliche, der auch demokratischer Führungsstil genannt wird. Er ist bei Belegschaften beliebt und deshalb in den meisten Betrieben heute Standard. Im Fahrradfachhandel, in dem anspruchsvolle Aufgaben auf der Tagesordnung stehen, die nur mit Kreativität und eigenverantwortlichem Arbeiten, meist auch als Team, gelöst werden können, eignet sich dieser Stil besonders gut. Er setzt allerdings auf beiden Seiten besondere Eigenschaften voraus. Führungskräfte sollten bereit sein, Verantwortung zu teilen, und Mitarbeitende sollten diese auch übernehmen wollen.
»›Führen‹ bedeutet auch: motivieren, loben, ermuntern.«
Robert Berkemeyer,
Kommunikationstrainer und Coach
»Beim kooperativ-partnerschaftlichen Führungsstil arbeiten der Chef und die Angestellten auf Augenhöhe zusammen«, konstatiert der Kommunikationstrainer Berkemeyer aus Gelsenkirchen. Die Beschäftigten entscheiden mit und bringen sich aktiv ein. Üben sie Kritik, wird diese ernst genommen. »Der kooperativ-partnerschaftliche Führungsstil setzt also voraus, dass in dem Betrieb Beschäftigte arbeiten, auf die man sich verlassen kann«, gibt Berkemeyer zu bedenken. Um ein Korrektiv zu haben, »sollte der Firmeninhaber oder die -inhaberin mit den Beschäftigten Vereinbarungen treffen, wie zum Beispiel Schwächen auf beiden Seiten korrigiert werden können.« Feste Strukturen und Hierarchien werden mit der kooperativ-partnerschaftlichen Art des Führens also nicht außer Kraft gesetzt. Händlerinnen und Händler behalten auch hier das Heft in der Hand und treffen nach Abwägen aller eingebrachten Argumente die letzte Entscheidung, lediglich die Entscheidungsfindung erfolgt gemeinsam. Ziel ist, eine moderne Unternehmenskultur nach außen zu tragen, die qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzieht, und intern die Belegschaft zu motivieren und an den Betrieb zu binden.
Der kooperativ-partnerschaftliche Führungsstil verlangt von Vorgesetzten eine hohe soziale Kompetenz: So sollten sie zum Beispiel endlose Diskussionen als solche erkennen und beenden können und ihre Entscheidungen der Belegschaft verständlich und transparent erklären.
Laissez-faire führen
Händlerinnen und Händler, die mit dem Laissez-faire-Führungsstil erfolgreich sind, können sich glücklich schätzen, haben sie doch Aussichten auf eine ausgezeichnete, überaus motivierte und sehr erfahrene Belegschaft. »Habe ich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aus sich selbst heraus weiterkommen wollen und immer wieder kreative sowie innovative Ideen einbringen, die also ›meine besten Pferde im Stall‹ sind, sollte ich als Chefin oder Chef zum Laissez-faire-Führungsstil greifen. Damit halte ich auch ihre Motivation auf einem hohen Level.«
Vorgesetzte halten sich bei dieser Art des Führens aus Arbeitsabläufen heraus, denn das Team arbeitet eigenverantwortlich und ist sich dessen auch bewusst. Wer so führt, muss zwei Grundvoraussetzungen erfüllen: Sowohl die Führungskraft als auch die Mitarbeitenden müssen über ein hohes Maß an Selbstreflexion verfügen. Gleichzeitig müssen die Händlerinnen und Händler die Betriebsziele unmissverständlich an die Belegschaft weitergeben. Es dürfen keine Zweifel daran aufkommen, denn den Weg zu den Zielen gehen die Mitarbeitenden eigenverantwortlich. »Der Laissez-faire-Führungsstil kann hohe Kreativität freisetzen«, hält Berkemeyer fest und sieht darin den größten Pluspunkt. Was dabei nicht vergessen werden darf: Um in der Praxis den Weg zu den unternehmerischen Zielen gehen zu können, brauchen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Zugang zu allen dafür notwendigen Ressourcen.
Trotz der großen Entscheidungsgewalt aufseiten der Belegschaft müssen die Vorgesetzten wissen, was vor sich geht, denn in kritischen Situationen müssen sie eingreifen und konstruktive Kritik üben. Ein Balanceakt, der allerdings notwendig ist, da der Laissez-faire-Führungsstil auch Schwächen hat. »Prozesse können mit der Zeit erlahmen, Zeitverzögerungen, bei Reparaturen beispielsweise, können sich einschleichen«, warnt der Kommunikationstrainer Berkemeyer. Vorgesetzte sollten deshalb bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern darauf achten, dass sie ihre hohe Motivation nicht verlieren.
Schwierig wird es, wenn Fehler auftauchen: Vorgesetzte sollten sich dann nicht wegducken und die Schuld beim Team abladen, denn dann könnten sie das Vertrauen in diese Art zu führen auf lange Sicht verspielen.
Praxiserprobt: situativer Führungsstil
Wer meint, er müsse sich für einen der genannten Führungsstile entscheiden, liegt falsch. »In der Praxis ist der situative Führungsstil gefragt, der sich am Wollen und Können jedes einzelnen Mitarbeiters orientieren sollte«, klärt Berkemeyer auf und gibt gleich ein Beispiel: »Ein Auszubildender, der schon länger dabei ist und sein Tun selbst kontrollieren kann, kann nicht mehr autoritär, sondern sollte eher kooperativ-partnerschaftlich geführt werden.«
Uwe Wöll vom VSF versteht, dass Händlerinnen und Händlern angesichts der Komplexität des Führens nicht immer ganz wohl ist: »Erwachsen innerbetrieblich Probleme aufgrund des Führungsstils, fehlt Händlerinnen und Händlern vielleicht noch ein bisschen der Mut, die damit verbundenen Sorgen anzusprechen. Völlig grundlos, denn zu führen haben die allerwenigsten gelernt. VSF-Händlerinnen und Händler haben hier zumeist einen Vorteil: Sie haben ein Gespür für die Notwendigkeit von Menschlichkeit im Führungsstil. Was ihnen aber vielleicht eher fehlt, ist der Blick darauf, dass ›Führen‹ auch einer gewissen Systematik und Konsequenz unterliegt.« Instrumente des Führens zu kennen, hilft hier weiter. Dazu mehr in der nächsten Ausgabe des velobiz.de-Magazins. //
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