Report - Bikewear-Szene UK
Radfahren als Stilfrage
Das Zuhause der neuen Bikewear-Szene ist London. Seit jeher ist die englische Hauptstadt Geburtsstätte von Mode und Trends, die stilprägend für ganze Generationen wurden. Nun fährt sie auch der britischen Radbewegung mit Stil voran.
In der elf Millionen Menschen zählenden Metropole ist in der Rush Hour jeder Vierte mit dem Rad unterwegs. Über den Tag verteilt, sorgen Zweiräder für 16 Prozent des Londoner Verkehrsaufkommens mit knapp 600.000 Trips am Tag. 2001 waren es noch 290.000.
Diese Verdoppelung des Radverkehrs hat mehrere Gründe. Die zahlreichen Erfolge britischer Radsportler haben sicher ihren Teil zur wachsenden Fahrradbegeisterung ihrer Landsleute beigetragen. Doch erst die Bombenanschläge von London im Juli 2005 ließen die Briten auch tatsächlich nach Transportalternativen zur überfüllten Tube suchen.
Im angesagten Londoner Bicycle Café »Look Mum No Hands« erzählt Otto Lauterbach von seinen Raderfahrungen, die schließlich zur Kreation der Regencapes von Otto London geführt haben. Der in Venezuela geborene Ex-Innendesigner lebt seit 1995 in der britischen Hauptstadt und liebt es »in London überall hin zu radeln«. Lange Zeit war er damit ziemlich allein. Erst in den letzten vier Jahren beobachtet er einen »großen Wandel« des Radaufkommens, für den er Zeit- und Geldgründe verantwortlich macht.
Die britische Bikewear-Szene liegt für Lauterbach in der Natur der Briten begründet, die Engländer sind für ihn geborene »Trendsetter«. In England, meint er weiter, macht man aus allem ein »Statement«. Es sei der »Wille nach Selbstausdruck«, den die neue, stylische Radkleidung bedient.
James Greig von Vulpine ist einer dieser Engländer. Er glaubt, das Radfahren in der Tat »trendy« ist und viele Kreative wie ihn anziehe. Nicht nur die Macher, auch die Kunden der Marke sind oft Designer. Greig ist der (europäische) Gedanke, dass man keine spezielle Kleidung zum Radfahren braucht, fremd. Er »will als Radfahrer identifiziert« werden und doch dabei nicht zu offensichtlich sein — echtes britisches Understatement.
Richy Thomas sitzt als Marketing Manager für die schottische Firma Endura in der Nähe von München. Er schaut also mit etwas Abstand auf die Bikewear-Industrie auf der Insel.
Endura ist ihr Urgestein. Seit 1992 stellen das Unternehmen Radbekleidung nahe Edinburgh her. Trends sieht man hier gelassen, denn laut Thomas »war Endura schon etabliert, bevor der britische Fahrradboom überhaupt losging«.
Einem Trend hat Endura dennoch zum Durchbruch verholfen, waren sie doch die ersten, die britische Mountainbiker in den 90ern stilsicher, aber vor allem funktional ausstatteten. Später kamen mit dem Aufbau von Rennteams auch Rennradfahrer dazu. Heute bedient Endura mit elf Kollektionen »alle Facetten des Radsports«, so der Manager, und ist jetzt verstärkt auch im City- und Pendlersegment angekommen.
Großstadthelden sind es denn auch, die junge Firmen wie Rapha oder Vulpine ansprechen. Ihre Kreationen verändern das Gesicht des Radsportes durch alle Disziplinen bis hin zum Freizeitfahrer. Die neuen Gründer kommen aus den Creative Industries, sind also Designer, waren beim Fernsehen oder in Werbeagenturen tätig. Sie eint eine Passion für das Rad und die Suche nach Klamotten, die auf dem Fahrrad und im Alltag funktionieren.
Rapha — Stilbekenntnis
Als Endura-Gründer Jim McFarlane 1992 keine haltbare Radkleidung finden konnte, markierte dies die Geburtsstunde seines Unternehmens. 2004 ging es Rapha-Gründer Simon Mottram ganz ähnlich, sein Zugang zum Bikewear-Markt ist jedoch ein anderer. Der damalige Berater für Marketing von Luxusmarken konzipierte seine Marke für »Performance Roadwear« von Anfang an als Lifestyle-Brand.
Unterstützung bekam Mottram von Grafikdesigner Luke Scheybeler, der bis 2011 für den gesamten Look der Marke verantwortlich zeichnete. Rapha dürfte damit die erste Radbekleidungsfirma mit einem »Creative Director«, wie man sie sonst aus Werbeagenturen kennt, gewesen sein. 2007 lädt dieser den englischen Modedesigner Paul Smith ein, eine Rad-Kollektion zu entwerfen.
Mottram selbst bezeichnet bis heute den Radsport als Kern der Marke. Er hat diesen allerdings zum Begriff des »Emporiums« erweitert, der alles damit zusammenhängende erfasst. Heute bietet Rapha nicht nur Rennradklamotten an, sondern auch Printprodukte wie das Magazin Rouleur, gibt Radreiseführer heraus und liefert das Reisegepäck gleich dazu. »Rapha-isten« können sich schon morgens unter der Dusche mit Rapha Schaum rasieren, Rapha Seife waschen und anschließend mit Rapha Crème einschmieren.
Zurück zum Radsport. »Kings of Pain« (Könige des Schmerzes) heißt das Event im Londoner East End, bei dem Rapha die ersten Kleidungsstücke gemeinsam mit Denkwürdigkeiten der Tour de France präsentierte. Heute stattet die Marke das UCI Team Sky aus und unterhält zwei eigene Profimannschaften. Deren Trikots sind in gedeckten Farben gehalten und haben verhältnismäßig zurückhaltendes Branding. Das Jersey von Rapha Condor ist schwarz-weiss mit nur minimalen Akzenten in pink, die neben Merinowolle das Erkennungsmerkmal der Marke sind.
Rapha bietet sportliches Bekenntnis mit Stil. Dabei schafft die Marke den Spagat zwischen ernst zunehmendem Sport und urbanem Marketing. Filme und Bilder zeigen professionelle Fahrer, die oft den widrigsten Bedingungen in epischer Natur trotzen — gerne in schwarz-weiss. Fazit für den »normalen« Zuschauer: Diese Jacke hält jedem Londoner Schauer stand und Radkleidung kann cool aussehen.
Die urbane City-Riding-Kollektion bewirbt Rapha in Farbe mit Szenen aus europäischen Großstädten. 2013 waren es Berlin und Antwerpen. Die Models bilden einen starken Kontrast zu den Helden der ersten Stunde: Radfahrer, die sich in eng anliegendem Lycra in oft grellen Farben in das Bewusstsein anderer Verkehrsteilnehmer rückten. MAMIL (middle aged men in lycra) werden diese von britischen Medien genannt.
Für Mamils ist Rapha nicht gemacht. Professionelle (Mode-)Fotografie, Filme und gleich zwei Blogs zielen auf stilsichere Typen ab. Kommuniziert wird wieder zweigleisig. Der Survey-Blog zeigt modebewusste Radfahrer aus der ganzen Welt, während der Rapha-Blog alles von Rennen über Kultur bis hin zu Kaffee behandelt.
Während, laut Firmenchef Mottram, Rapha bewusst nicht für jeden sein will, trifft die Marke doch den Nerv vieler. 2012 hat das Unternehmen in privater Hand knapp 17 Mio. GBP (ca. 20,5 Mio. EUR) umgesetzt, zwei Drittel davon in den USA und in Großbritannien. Der für eine junge Firma beeindruckende Umsatz ist auch den Premium-Preisen geschuldet, die Rapha schon den Beinamen »Prada des Radsports« eingebracht haben.
Zu kaufen gibt es die Produkte nur online, in ausgewählten Shops und eigenen Concept Stores, die Rapha »Cycle Clubs« nennt und die es in New York, London, Sidney, Osaka und San Francisco gibt. 2014 steht die Expansion nach Deutschland mit einem eigenen Büro in München an.
Die Rapha Cycle Clubs sind immer mit einem Café gekoppelt, in dem Public Viewing Events stattfinden und von dem aus regelmäßig morgendliche Ausritte starten.
Funktion für den Mainstream
Die Verbindung von Café und Fahrrad sieht man in London häufiger. Das Look Mum No Hands Café verkauft Kaffee, während Räder repariert werden. Erfolgreich, denn in East London wurde bereits die zweite Filiale eröffnet.
Selbst in Edinburgh gibt es Bicycle Cafés, weiß auch Richy Thomas zu berichten, doch ist dies für Endura nur »ein Bruchteil des Marktes und kein Trend«. Die Marke arbeitet seit Jahren konsequent und exklusiv mit dem Fachhandel zusammen.
Den wirklich großen Kuchen muss man woanders suchen, denn die Bewegung hat längst die Massen erfasst. Urbane Kollektionen antworten auf das Bedürfnis, ins Büro fahren zu wollen, aber dort nicht im verschwitzten Lycra-Jersey im Meeting aufzutauchen. Selbst manch Freizeitradler will den extra-hohen Hosenbund oder reflektierenden Saum knapp über dem Schuh nicht mehr missen.
Die Bekleidungskette H&M hat deshalb wohl nicht ohne Hintergedanken ihre erste Fahrradkollektion 2012 in London vorgestellt. Auch Levi‘s Jeans gibt es längst als Commuter-Version. Und die Londoner Faltradmarke Brompton weiß um den Bedarf für Qualitäts-Radkleidung, sagt Marketing-Frau Hannah Mellow. Die »Brompton Oratory Jacket« wurde in einem Jahr 1000 mal verkauft - und das bei einem Preis von 250 GBP.
Vulpine — Lebensgefühl
Den Wunsch als Radfahrer bei der Arbeit Stil zu zeigen, hatte auch Vulpine‘s Chefdesigner James Greig. Der Ex-Mitarbeiter von Chanel musste sich regelmäßig dem Spott seiner Kollegen stellen, wenn er in seinen »Lycra Radklamotten«, wie er sie nennt, im Studio erschien.
Seine Liebe zum Radfahren war es denn auch, die ihn zu Vulpine gebracht hat. Den Markengründer Nick Hussey hatte Greig auf Twitter kennengelernt und war schnell angesteckt von dessen Begeisterung und der Aussicht, in einer kleinen Firma schnell viel bewegen zu können.
Vulpine sitzt im Südwesten von London und hat sich 2010 vor allem dem urbanen Freizeitfahrer verschrieben. Man sieht sich gern im Windschatten von Rapha, doch auch als Teil einer Bewegung, die schon früher den Trend zum Mix von »Lifestyle und Sport« (Greig) in Bewegung gesetzt hat.
Bei Vulpine setzt man auf »Feeling«, so Greig. Seinen vorläufigen Höhepunkt fand der inklusive Ansatz in den Vulpine Cyclogames im letzten Jahr, bei denen die Marke im angesagten Oval Space Club zu Spaß und Spiel mit Stil geladen hatte.
Einen Blog betreibt die kleine Firma auch. Dieser wird hauptsächlich vom Gründer selbst gefüllt und ist entsprechend persönlich. Stolz erzählt Hussey hier, wie für ihn ein Traum in Erfüllung gegangen ist, denn die Marke ist Titelsponsor für das erfolgreiche Frauenteam Matrix Vulpine.
Ansonsten geht es bei den Kollektionen von Vulpine eher um Alltagstauglichkeit, ausgedrückt in der einfachen Stilfrage, »ob man mit der Radklamotte auch im Pub auftauchen könne«, so Greig. Produktmanagerin Isobelle Rudman beschreibt die Positionierung etwas nüchterner als an der »Grenze von Leistung und Lebensstil«.
Ein Hauch von Härte fehlt dennoch nicht. Sie zeigt sich in der Vorliebe des Vulpine-Chefs Hussey für militärische Schnitte, die die Marke als »British Classic« beschreibt. Dazu kommen verspielte Details wie magnetische Knöpfe, die zu beachten James Greig in der Haute Couture gelernt hat. Solche Details machen für ihn »den kleinen Unterschied aus, der die Produkte besonders macht«.
Endura — Funktioniert sicher
»In England steht die Funktion absolut im Vordergrund« und ist für Richy Thomas »Hauptgrund für die gewachsene Bedeutung britischer Bikewear-Marken«. Design und Materialwahl von Rapha findet dagegen Thomas ein bißchen »Retro«, denn schließlich hätten das die Italiener schon früh vorgemacht. Dennoch sagt der Endura Manager, dass die neuen Marken »frischen Wind« in die Szene gebracht haben, besonders im urbanen Umfeld.
Endura steht für Haltbarkeit und Funktion. Dabei setzt die Marke auf modernste Technologie und hat auf 3.900 qm eine eigene Produktion in Schottland. Die Firma ist stetig gewachsen, gemeinsam mit dem Handel und ihren Kunden.
In den Kollektionen zeigt sich britisches Understatement. Zeitloses schwarz, weiss, rot oder blau dominieren. Seit auch ehemalige Mountainbiker auf Trekking- oder E-Bikes umsteigen, hat allerdings noch eine Farbe Einzug in die Endura-Kollektionen gehalten: neon.
»Endura ist Vorreiter bei den neon-farbenen Pendlerjacken« und die Luminite Kollektion unter dem Motto »Arrive Alive« sei eine der »erfolgreichsten Säulen des Unternehmens«, berichtet Thomas.
Schon heute machen die Schotten bis zu einem Drittel ihres Umsatzes von 16 Mio. GBP (2012, ca. 19,2 Mio. EUR) im Pendler- und Trekking-Segment. Sicherheit durch Sichtbarkeit ist in Städten mit zunehmendem Verkehrsaufkommen, schnellen E-Bikes oder, wie in London, mangelnder Radverkehrsinfrastruktur ein wichtiges Thema. Mode ist dabei für die Gesamtmarke Endura nicht entscheidend. »Stattdessen sucht der Radfahrer nach etwas, das ihn sicherer macht oder weniger frieren lässt«, glaubt Thomas.
Funktion für die Frau
»Für sehr viele Leute ist Sicherheit das wichtigste«, weiß auch Designer Lauterbach. Die Capes, die er mit seiner Frau Eleonora unter dem Label Otto London anbietet, sind kompakt, schick und mit dezenten Reflektorstreifen gesäumt. Die Inspiration des Ehepaares waren die Ponchos ihrer Heimat. Eigentlich wollte die Marke sich ursprünglich an ein männliches Publikum richten, doch drei Jahre nach der Gründung (2010) sind 70 Prozent der Kunden von Otto London weiblich.
Frau sucht nach schöner Kleidung, die auf dem Rad funktioniert. Allerdings verläuft die Bewegung oft andersherum - aus dem Alltag auf das Rad, statt aus dem Radsport in den Alltag. In London gibt es gleich mehrere Designerinnen, die Accessoires radtauglich machen.
»Crossover« nennt die junge Designerin Rachel Bonney das. Ihr Label Michaux bietet Taschen und Rucksäcke an, die auf den ersten Blick »normal« erscheinen, aber dezente Reflektoren oder spezielle Gurte beinhalten, mit denen beispielsweise die Handtasche auf dem Rücken gehalten werden kann. Statt goldener Armbänder, gibt es bei Michaux glänzendes Lenkerband, das im Dunkeln reflektiert.
Catherine Ellis arbeitet beim Fernsehen und entwirft nebenbei seit 2012 Fahrradtaschen, die auch in einem Boardroom einer TV-Gesellschaft gern gesehen sind. Die geräumigen Handtaschen von Hill & Ellis haben Reflektoren, die man kurzerhand umdrehen und so verstecken kann. Die Haken für das Anbringen am Gepäckträger, verschwinden im Alltag hinter einer Lasche mit Reißverschluss.
Fahrradfremde Eleganz gepaart mit verstecktem Nutzen, das gilt auch für die Schuhe der kanadischen Modedesignerin Tracey Neuls. Ihr gleichnamiges Label macht »24h Schuhe für moderne Frauen«, wie Neuls ihre meist halbhohen Pumps mit Gummisohle einstuft.
Ihre »Fahrradschuhe« für Tokyo Bikes haben äußerst diskrete, reflektierende Elemente, während die Gummisohlen und ein nach innen gerundeter Absatz Halt auf den Pedalen bieten.
Neuls glaubt übrigens nicht, dass Menschen nur aus modischen Gründen radfahren. Stattdessen gebe heute es ein Bedürfnis nach Mobilität und einer Ausrüstung, die im gesamten Tagesablauf funktioniert. Sie will ihre Erfahrung aus der Fahrradkollektion nun auch in ihre normalen Stücke einarbeiten. Eine Zeit und Stadt, in der alles ständig in Bewegung ist, braucht Mode, die mithalten kann.
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