Velo-City-Konferenz in Gent:
Radverkehr nimmt Fahrt auf
Die Velo-City-Konferenz steht für internationalen Austausch, prominent besetzte Vorträge und Diskussions-Panels sowie ein gut organisiertes Rahmenprogramm inklusive Ausstellung. Für viele Besucherinnen und Besucher ist der Informationsgewinn aber nur ein positiver Aspekt, den das Event mit dem globalen Anspruch mit sich bringt. Auf der Velo-City kommen Menschen zusammen, die einander inspirieren und die aus dem Beisammensein der hochmotivierten Akteure aus vielen Ländern der Welt Kraft für ihre tägliche Arbeit schöpfen. Auch wenn die lokalen Gegebenheiten zum Teil kaum unterschiedlicher sein könnten, lassen sich Lehren ziehen aus Problemen und gelungene Best-Practice-Beispiele bewundern. Die Motivation, die sich auf der Velo-City auftanken lässt, ist gerade deshalb wichtig, weil Radverkehrsprojekte nicht selten auf Widerstand und Protest stoßen. Auch das Motto „Connecting through cycling“ der Velo-City Gent fand Belgiens stellvertretender Premierminister und Mobilitätsminister Georges Kilkinet in diesem Kontext sehr passend: „Das Motto der diesjährigen Konferenz spricht für sich selbst. Durch Radfahren verbinden, genau das macht der Radverkehr.“
Radverkehr überwindet Barrieren
Im belgischen Gent fand die Konferenz im Pavillon Floraliënhal im Citadellenpark, einem zur Expo 1913 errichteten Gebäude voller industriellem Charme, statt. Direkt angrenzend lag die Hauptbühne in Fahrradform im Velodrome „`t Kuipke“, wo die 1600 Besucherinnen und Besucher mitunter auf den Fan-Rängen Platz fanden. Die Konferenz wurde stilecht mit einem Bahnradrennen eröffnet.
Die Erfolgsstory von der Gastgeberstadt Gent war das erste Thema auf der Bühne, vorgetragen vom Bürgermeister der Stadt, Matthias de Clerq, gefolgt von inspirierenden Worten von Henk Swarttouw, Präsident der European Cyclists‘ Federation und dem stellvertretenden Bürgermeister Gents Filip Watteeuw. Radverkehr vermag es, Barrieren zu überwinden und Gemeinschaften zu verbinden, wenn er inklusiv organisiert ist, so das Resümee des anschließenden Podiums, auf dem auch Janette Sadik-Khan nach einer Keynote zu Wort kam. Die ehemalige Transport Commisioner von New York hat es geschafft, 400 Meilen Fahrradwege in der Stadt anzulegen. „Radfahren in New York hat sich von einer alternativen Art der Fortbewegung zu einer Essenziellen gewandelt“, so Sadik-Khan.
Viel Aufmerksamkeit erhielt die European Declaration on Cycling, die die Europäische Kommission im April verabschieden konnte
velobiz.de berichtete
.
Auf der Velo-City-Konferenz wurden die ECF-Awards verliehen.
Das Dokument nimmt als einen von acht Punkten auch Bezug auf rund zwei Millionen Jobs, die durch einen starken Support im Fahrradsektor entstehen könnten. Für Kevin Mayne, CEO von Cycling Industries Europe, ist es wichtig, dass im Grunde die gesamte Erklärung der Fahrradwirtschaft zugutekommen könnte. Die potenziellen neuen Jobs weisen laut ihm zudem die Qualität auf, dass 85 Prozent von ihnen lokal sein werden.
Kommunikation als Schlüssel
Viel Veränderungspotenzial, das bewiesen einige Veranstaltungen auf der Konferenz, liegt in der Art, wie über den Mobilitätswandel und die dadurch veränderten Städte gesprochen wird. Ein Beispiel einer vierspurigen Straße in Memphis, bei der die Hälfte für Rad- und Fußverkehr umgewidmet wurde, zeigt: Sogar, wenn die richtigen Daten vorliegen, die die Wirksamkeit einer Maßnahme beweisen, kann diese durch mangelnde Kommunikation noch immer scheitern. Der französische Autor Grant Ennis erklärte auf der Konferenz, dass die ausschlaggebendste Art, wie Menschen zu einer Überzeugung kommen, darin besteht, wie oft sie etwas zu hören bekommen. In diese Kerbe schlagen Berichterstattungen zu Unfällen, in denen den Verursachern in den Autos keine aktive Rolle zugeschrieben wird. Auch die Frage, wie sich Sicherheit im Radverkehr adressieren lässt, ohne Radfahren als inhärent gefährliche Aktivität darzustellen, ist eine kommunikative Herausforderung im gesellschaftlichen Diskurs um die Verkehrswende. Zum umgestalteten Oeder Weg in Frankfurt am Main ergabe die Begleitforschung, dass von 117 Artikeln lediglich 13 positiv zu wertende Beiträge, aber 38 negative Beiträge waren. Das zieht die Bewertung der Öffentlichkeit für das städtebauliche Projekt deutlich runter. Verstetigt wurde der Oeder Weg dennoch. Medien kommt eine wichtige Rolle zu, die Projektverantwortliche aktiver nutzen müssen, so das Resümee. Hilfreich kann es auch sein, Nicht-Regierungs-Organisationen oder lokale Unternehmen in die Kommunikation einzubinden.
Auch in Afrika beginnt der Wandel in den Köpfen, sagt Emmanuel John, Präsident der Africa Urban Cycling Cycling Organisation. Dort herrsche noch viel zu oft das Klischee vor, dass Fahrräder ein Mobilitätsmittel für arme Menschen sind.
Neben einigen geführten Touren zu ausgewählten Touren konnten die Besucherinnen und Besucher auf einer Fahrradparade mit 2600 Teilnehmern und Teilnehmerinnen mitfahren.
Um am Ende ein positive Ergebnis zu erhalten, bedarf es einer Planung, die die Bedürfnisse der Menschen und keine rein technische Betrachtung in den Vordergrund stellt. „Macht den öffentlichen Raum wirklich öffentlich“, fordert in diesem Zug Simona Larghetti von der italienischen Stadt Bologna. In italienischen Städten sei 80 Prozent der Fläche Autos gewidmet. Bei der Mobilität dürfe mangelndes Geld nicht der entscheidende Faktor sein, weshalb es günstige Angebote brauche. Neben dem Zuckerbrot scheint manchmal aber auch die Peitsche nötig zu sein. In Utrecht brauchte es eine Parkverbotszone für Fahrräder, um die massenhafte Nutzung eines zentralen Fahrradparkhauses zu beschleunigen. In Singapur hingegen ist Auto fahren sehr teuer, was sich als Push-Maßnahme für nachhaltige Mobilität auswirkt. Auch die Stadt Gent hat von der harten Push-Maßnahme, Parkraum für Autos zu reduzieren, profitiert.
Beteiligung aus Deutschland
In Deutschland schlummert in dieser Hinsicht noch viel Potenzial, wie etwa ein Vortrag von Alexander Czeh vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt zeigt. Die von Autos genutzte Fläche geht mit privaten Garagen, Reparaturwerkstätten und Autohändlern weit über die reine Verkehrsfläche hinaus. Durch einen Wandel zu nachhaltigeren Verkehrsmitteln könne in Berlin Wohnraum für 143.000 Menschen entstehen, resümiert Czeh. Ein Beispiel: Der umgewidmete Raum eines ehemaligen Autohändlers in Berlin bietet heute Wohraum für 400 Menschen, sowie Flächen für einen Kindergarten und Einzelhandel.
Als weiteren Programmpunkt aus Deutschland stellte Anke Schäffner vom Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) die German Cycling Embassy (Deutsche Radverkehrsbotschaft) vor. Ehemals vom ADFC gestartet, um vor allem Wissen im Bereich Radtourismus zu vermitteln, stellt sich das Bündnis jetzt neu auf, um als Expertiseplattform zu fungieren. In der Ausstellungsfläche der Velo-City zeigten sich die Projektpartner ADFC, Zukunft Fahrrad, ZIV, das Umweltbundesamt und das Bundesministerium für Digitales und Verkehr mit einem gemeinsamen Stand, an dem auch die Radverkehrsprofessoren Deutschlands und das Bike Nature Movement sich mit kleinen Empfängen präsentierten.
ECF-Awards verliehen
Das Rahmenprogramm ließ mit Austauschmöglichkeiten bei Kaffee und Buffet, einer abendlichen Party, einer Filmvorführung und der Fahrradparade quer durch Gent mit 2600 Teilnehmerinnen und Teilnehmern viel Raum für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, um sich zu vernetzen. Zum dritten Mal wurden im Rahmen der Konferenz außerdem die ECF Awards von Henk Swarttouw und ECF-CEO Jill Warren verliehen. Unter den
Gewinnern
sind die Städte, Gent, Bologna, Lyon und Qualimane und das Europäische Parlament. Gestern wurde dann zudem der Gewinner des Smart Pedal Pitch, das Startup
Locky
, gekürt.
Heute findet der vierte Tag der Konferenz mit einem weiterhin bunten
Programm
statt, bevor es für die Velo-Citizens dann bis zur nächsten Ausgabe der Konferenz im polnischen Danzig
velobiz.de berichtete
. „Auf Wiedersehen!“ heißt.
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