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Raubein trifft E-Motor
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Portrait - Ruff Cycles

Raubein trifft E-Motor

Ruff Cycles steht für Produkte, die man auf den ersten Blick in die Freak-Ecke stellen würde. Der zweite Blick offenbart: Da ist viel Hirnschmalz, viel Qualitätsbewusstsein und ein sehr seriöser Background dahinter.

Der Radstand ist beachtlich – andere hängen knapp ein Tandem zwischen diese beiden Räder. Auch die fetten Pneus scheinen absolut tauglich für zwei oder mehr Personen zu sein. Aber das Ruffian ist alles andere als eine Mobilitätslösung für zwei Personen. Eigentlich ist das, worauf Firmengründer Petar Pero Desnica cool durch den Regensburger Gewerbepark rollt, gar kein Fortbewegungsmittel. Eher ein rollendes Image-Programm, eine Lifestyle-Maschine, eine Rampensau auf Rädern. »Tatsächlich sind es nicht selten Harley-Fahrer, die unser Bike sehen und begeistert sind«, sagt Desnica und grinst. »Und die dann zur Eisdiele oder auch zum Bäcker lieber auf dem Ruffian rollen.« Dass der typische, oft etwas kräftiger gebaute Harley-Fahrer das wirklich gern macht, dafür sorgt eine kleine Hilfe rund ums Tretlager: Ein Performance-CX-Motor von Bosch unterstützt den Lederjackenträger, sodass Dahingleiten mit dem gut 33 Kilogramm schweren Chopper absolut chillig ist.

Der Männer-Traum in der Nische

Desnica ist als Neunjähriger mit seiner Familie vor dem Krieg in Kroatien geflüchtet und »in Regensburg gestrandet«, wie er selbst sagt. Schon in der Schulzeit machte er gern sein eigenes Ding; so gründete er mit Mark Ngauv, seinem heutigen Kommunikationschef, eine Event-Agentur mit recht naheliegendem Aufgabenbereich: Abiturfeiern.
Tatsächlich ist auch die Geschäftsidee »Chopper« nicht irgendwann aus einer spontanen Eingebung entstanden. Schon vor einigen Jahren gründete Desnica mit zwei anderen Jungunternehmern Pimp Garage, auch PG Bikes genannt. Da ging es um coole Räder a la Cruiser und Bonaza-Lookalike und um Teile, die eine Community von Custom-Kerlen das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen sollte. Also: um den American Way of Life. Doch das Unternehmen ging, aus personellen Gründen, so der Ruffian-Chef, den Bach hinunter. Also ohne die anderen neu anfangen, aber alles richtig machen. »Vor allem in Sachen Verarbeitungsqualität und Service« – diese beiden Wörter wird der CEO nicht müde zu betonen. Nach der PG-Ära ging der studierte Betriebsmanager fast nahtlos zu seinem eigenen Unternehmen über: Ruffian Bikes vertreibt zunächst Komponenten und Rahmen für die Chopper-Fans, die gern selbst schrauben. Erfahrungsgemäß sind Chopper-Fahrer allerdings eher keine klassischen Fahrradfahrer, sondern Menschen, die ihren persönlichen Lebensstil mit einem solchen Fahrrad ausdrücken. Der Chef, gern intensiv auf dem Downhiller unterwegs, kommt aber auch auf den Ruffians gut rüber und wird so das Gesicht der Marke.

Junges Talent reizt erfahrenen Entwickler

Wie aber vom Komponenten- und Rahmenhersteller zum Komplettbike-Anbieter werden? Er hört von den technischen Talenten Kalle Nicolais und ruft ihn an. Und der ist tatsächlich empfänglich für die Ideen des jungen Quereinsteigers. Aus diesem Telefonat entwickeltes sich schließlich – neben einer Freundschaft – ein nachhaltiges Joint Venture. Dazu muss man wissen: Desnica werkelte auch vorher weder ganz allein noch mittellos in seiner Nische herum. Mutter und Schwester führten und führen mit ihm zusammen die GS – Global Sourcing GmbH. Ein internationales Unternehmen, Zulieferer für den Maschinenbau, unter anderem für Liebherr. Seit seiner Gründung 1989 in Düsseldorf hat die GS GmbH rapide zugelegt, schrieb schon die FAZ 2016 in einen Bericht über Bosniens Wirtschaft. Der deutsche Hauptsitz von GS: ebenfalls im Gewerbepark. Ein solch solider Background schafft Selbstvertrauen und Möglichkeiten. Jedenfalls half Nicolai in Sachen Schweißtechnik und Schweißerei – sie sitzt nun im bosnischen Travnik. Dort fertigen Spezialisten die Ruff-Rahmen aus Aluminiumrohren, schließlich brauchen lange Radstände viel Steifigkeit. Und die Schweißer stellen auch einen Teil der Produktion von Nicolai her, wie Desnica erzählt. – das »hilfst du mir, helfe ich dir« funktioniert in der Branche.
»Mitbewerber haben wir nicht«, sagt der Sonnyboy aus Bosnien. Kein Wunder: Was die Montage in Regensburg verlässt, das kostet ein Vielfaches an den Erzeugnissen, die man aus Fernost beziehen kann. Denn es steht auch für Highend und eine ganz andere Verarbeitungsqualität. Die »Tanks« der Ruffians haben beispielsweise eine Vier-Schichten-Lackierung, mancher Nobelschlitten verblasst dagegen. Die Lackierung ist Teil des Customizing-Ansatzes der Ruffians: Farbe, bestimmte Komfort-Ausstattung und Zubehör kann konfiguriert werden. Etwa 20 Prozent der Räder verlassen Ruff Cycles nach Kundenwunsch aufgebaut. Auch wählbar: die Akku-Kapazität. Damit wären wir bei der vielleicht wichtigsten Besonderheit der Raubeine aus Regensburg: »Mach die Dinger als E-Bike«, soll Kalle Nicolai gesagt haben, »denn dann läuft das!«

Aus peinlich wird supercool

Desnica hörte also auf seinen Mentor und entwickelte den Ruffian-Rahmen mit Akku-Aufnahme im Tank und der Bosch-Brücke. Schließlich stellte er einige davon im Oktober 2016 auf der Intermot in Köln aus. Mit durchschlagendem Erfolg. Wieso? Grundsätzlich hat das E-Bike für Motorradfahrer wohl noch immer den Gusto eines Alte-Männer-Fahrrads. Wie kommt es, dass gerade die harten Lederjackenträger mit Benzin im Blut die Pedal-Chopper mit dem »E« toll fanden? Hier scheint einfach Pragmatismus vorzuherrschen, nach dem Motto: Was juckt uns das Pussy-Image des Hilfsantriebs, wenn ich dadurch so komfortabel und cool cruisen kann?
Jedenfalls, so Desnica, »habe ich auf der Intermot 2016 gut 100 Stück davon verkauft.« Doch der erfahrene Nicolai riet, den Champagnerkorken erst knallen zu lassen, wenn die Bestellungen ausgeliefert seien. Recht gehabt: Die Prototypen fielen durch sämtliche CE- und sonstige Tests. Die Lieferung – für März 2017 angekündigt – wurde verzögert. Auch als die Räder endlich bei den Kunden waren, gab‘s zunächst Probleme. Doch daran wurde gearbeitet. Und schon bei der nächsten Charge war fast alles gut.

Hightech gehört zur Metall-Romantik

»Wir haben heute praktisch die komplette Produktion aller Teile unter eigener Kontrolle«, sagt auch Ngauv. Mittlerweile stellt man viele Komponenten in Bosnien selbst her oder lässt sie unter Aufsicht produzieren. Schutzbleche, Lenker, Schmiedeteile – alles kommt aus dem Hause Ruff Cycles. Stolz ist man auch auf die neue Gabel im Ruffian oder die selbst entwickelte horizontale Sattelstütze: Der Sattel fährt auf ihr nach hinten statt nach oben und verlängert so den Abstand zum Tretlager – und auch zum Lenker. Dass man auf dem Chopper nicht ergonomisch korrekt sitzt, ist klar, es geht nicht um die maximale Effizienz auf langen Strecken, sondern um perfektes Chillen im entspannten Flow. In diesem Zusammenhang auch eine wichtige Eigenentwicklung: Der neue Lenker hat wie der bisherige einen stylischen Z-förmigen Ansatz am Vorbau, kommt aber dann in einem großen Bogen dem Fahrer deutlich mehr entgegen als der gerade, alte Bügel. Außerdem lässt sich jetzt auch das Nyon-Display von Bosch zwischen den beiden Lenker-Zs montieren – schließlich will man trotz aller Coolness auch Hightech bieten. Die Cruiser-Szene siedelt ja nah am Diesel-Punk von klassischen Science-Fiction-Filmen: Da gibt es Zeit-Raum-Flüge und Waffen aus parallelen Welten, doch für die geglückte Harte-Kerle-Action sorgt immer noch der gute alte, rostige Riesen-Lastwagen oder das Motorrad.

Fun statt Form

Um ein ähnliches und doch wieder ganz anderes Ziel geht es beim Neuzugang von Ruff Cycles: Das Lil‘ Buddy – kleiner Kumpel – ist, so Marketing-Mann Ngauv, ein Fun-, kein Style-E-Bike. Das heißt nicht, dass die stylische Optik hier unwichtig war: »Wir haben versucht, uns an den Mini-Motorrädern der 70er-Jahre zu orientieren.« Honda Dax beziehungsweise Monkey, Hercules Sportbike – sie standen für Fahrspaß, aber auch für Easy Living und einen breiten Einsatzbereich. Aaron Bethlenfalvy, branchenbekannter Designer, der viel für große Unternehmen wie Cannondale oder GT unterwegs war, hat den »Kumpel« entwickelt. Sitzbank statt Sattel, BMX-Lenker statt Bar Ends und vor allem: ein schön integrierter E-Motor – der Bosch Active Line Plus. »Motor Bicycles« nennt Desnica die neue Nische, die Lil‘ Buddy besetzten soll. Ob die Nische wirklich noch leer ist, mag dahingestellt sein, doch Bikes wie der Kumpel haben tatsächlich eine enorme Attraktivität und einen breiten Einsatzbereich. Vor allem auch für Italien und Spanien rechnet Ngauv mit einem hohen Absatz. Mit den fetten Reifen ist das Bike so strandtauglich wie citykompatibel. Der lange, abschließbare Sattel, das Akkufach, eignet sich als Sitzbank für zwei, der freie Platz im Rahmen schreit geradezu nach einer integrierten Tasche oder etwas Ähnlichem, das bestimmt bald kommen wird. Der erste Fahreindruck: wendig, verspielt, sicher und auf jedem Untergrund zuhause. Federelemente kann man bei diesen Pneus getrost vergessen. Alles am Kumpel ist darauf angelegt, dass es ein Bestseller wird. Das heißt, der Preis muss niedrig bleiben. So schafft es Ruff Cycles, das Minibike 2019 zum Einstiegspreis von knapp 2.000 Euro anzubieten. Später wird es 2.500 kosten, zuzüglich Beleuchtung und Schutzbleche. Ansonsten wird nichts konfiguriert; um die Kosten gering zu halten gibt es auch nur zwei Farben – blau und grau. Der Rahmen ist aus Stahl, was man in Bosnien günstiger realisieren kann als Aluminium. Der Active-Line-Motor von Bosch spricht für sich, die Kettenschaltung mit sieben Ritzeln reicht für die wenig sportlich orientierten Einsatzzwecke des Buddy aus. Mit der Shimano Altus-Gruppe ist der Kumpel allerdings etwas tief angesiedelt. Die Optik: Bonanzarad lässt grüßen.

Style bis in die Verpackungen

Egal ob Cruiser oder Minibike: Montiert wird in Regensburg. Hinter dem engen Großraumbüro, in dem man beim Gang durch die Glastüre bereits steht, öffnen sich zwei Werkstätten. Hier arbeiten bis zu fünf Leute an den Montageständern, es wirkt ruhig und konzentriert wie im engen, aber erstaunlich leisen Büro. Überall Holz; die Wandtäfelung und die einfachen Regale sorgen für eine warme Atmosphäre. Im nächsten Bereich lagern die Cruiser-Komponenten und Rahmen, das erste Standbein der Ruff Cycle. Selbst alle Verpackungen sind einheitlich und versprühen gekonnt den rustikalen Easy-Rider-Charme. Schon seit einiger Zeit ist die Fläche von 950 Quadratmeter im Gewerbepark eigentlich zu eng. In Kürze will man nach Haslbach, wenige Kilometer nördlich von Regensburg ziehen, wo gut doppelt so viel Fläche zur Verfügung steht. Derzeit macht dieses »Original-Geschäft« – Cruiser-Rahmen und -Zubehör – etwa ein Drittel, die Ruffians und Buddys zwei Drittel vom Umsatz aus.
Die Mannschaft hier ist bunt zusammengewürfelt: 14 Angestellte, acht Nationaltäten. »Wir werben auch mal Leute von anderen, großen Unternehmen ab – Mitarbeiter, die professionell arbeiten und locker drauf sind, sich aber in ihrem Unternehmen nicht ausleben können«, erzählt Ngauv; vor einiger Zeit ist ein namhafter Derby-Mitarbeiter nach Regensburg gewechselt. Auch Pero Desnica meint: »Der eigene Lifestyle, dass man das lebt, was man will, ist das Wichtigste. Das machen wir hier, und deshalb klappt es so gut.«
Lifestyle heißt auch Social Media. 200.000 Fans hat Ruff Cycle auf Facebook; regelmäßig gucken diese nach den neuesten Image-Videos, die Ruff Cycles in den USA oder anderswo drehen. »Die machen wir selbst, fahren mit ein paar Leuten dorthin, haben jede Menge Spaß und sparen dabei noch die teure Agentur,« so Desnica lachend. »Ohne Social Media würden wir sicher nicht dort stehen, wo wir jetzt sind.« Derzeit kümmern sich zwei Mitarbeiter um die Online-Kommunikation.

Die Zukunft: Mehr Motor

Der CEO hat in den Räumen kein Büro, ist meist nur vormittags zu Besprechungen da. Um Ideen auszuspinnen und zu verfolgen zieht er sich nachmittags gern zur Familie auf seinen umgebauten Bauernhof zurück. Hier, am nördlichen Stadtrand von Regensburg, wohnt er mit seiner fahrradbegeisterten Familie.
»Um Mitbewerber müssen wir uns keine Gedanken machen«, sagt er. »Die gibt es nicht.« Wer 5000 Euro und mehr für seinen Lifestyle-Bike zahlt, der will etwas Einzigartiges und Besonderes, auch in Sachen Qualität und das bekommt er hier. Und das günstige Lil‘ Buddy dürfte in Europa auch tatsächlich kaum vergleichbare Konkurrenz kennen.
Eine andere Preisklasse wird wohl das nächste große Ding haben – und damit will man tatsächlich Harley Davidson Konkurrenz machen: Ein E-Motorrad für die City mit 12 oder 6 Kilowatt. Leicht, flink, und mit Sicherheit: ziemlich stylisch.

27. August 2019 von Georg Bleicher
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