Bücher - Velominati
Regelkonformes Radeln
Regel 7 - Die Bräunungskanten sind zu kultivieren und messerscharf zu halten
Unter keinen Umständen solltest du deine Trikotärmel oder Hosenbeine hochkrempeln, um zu versuchen, deine Bräunungskanten irgendwie abzuschwächen. Auch ärmellose Trikots sind auf keinen Fall gestattet.
»Sie sind doch bestimmt Lkw-Fahrer.«
Ich lag entspannt am Pool des Luxor Hotel am Las Vegas Strip. Ich bin mir nicht sicher, was ich vorher gedacht hatte, für was sie mich wohl halten würde, aber »Lkw-Fahrer« stand fraglos nicht ganz oben auf der Liste der in Betracht gezogenen Möglichkeiten.
Tatsache war, dass ich war, was ich immer gewesen bin – ein Radsportler –, und dass meine Bräunungskanten und meine rasierten Beine dies mehr als deutlich machten. Ja, ich übe mein Handwerk auf Rädern aus, aber nur auf zwei, nicht auf achtzehn. Ja, ich mag für »normale« Menschen befremdlich wirken. Und nein, es kümmert mich nicht, wenn mal jemand von meiner Erscheinung dermaßen perplex ist, dass er sich einfach umdreht und weggeht. In diesem speziellen Fall mischten sich in ihrem Gesichtsausdruck Verwirrung, Belustigung und Ablehnung, und ich hatte auch gar nichts anderes erwartet.
Vernünftige Radsportkleidung ist eng anliegend und so beschaffen, dass sie die ganze Zeit ihren perfekten Sitz beibehält und nicht irgendwann verrutscht. Unsere Trägerhosen haben gummierte Beinabschlüsse und die Ärmel unserer Trikots verfügen über elastische Bündchen. Während der unzähligen Stunden, die wir auf unseren Maschinen verbringen, wird die Sonne auf uns herabbrennen und unsere Beine und Arme mit ausgeprägten Bräunungskanten versehen, die im Allgemeinen aus mir schleierhaften Gründen als geschmacklos angesehen werden.
Regel 16 - Respektiere das Trikot
Meister- oder Führungstrikots dürfen nur getragen werden, wenn man besagte Meisterschaft gewonnen hat oder das Rennen tatsächlich anführt.
Ganz gleich, wie gut du glaubst, in so einem Leadertrikot auszusehen: Du siehst auf jeden Fall nicht sonderlich gut aus.
Die begehrtesten Trikots im Radsport überragen jeden der Athleten, die sie getragen haben. Sie repräsentieren die edelsten Eigenschaften im Sport: Hingabe, Können, Durchhaltevermögen, Stärke. Werte, für die wir häufiger eintreten, als dass wir sie tatsächlich erreichen. Eigenschaften, die Italiener treffend als »Grinta« bezeichnen und die Franzosen als »Panache«. Das Maillot Jaune der Tour de France spiegelt diese Ideale auf dem höchsten Niveau wider, nicht allein in unserem Sport, sondern auch darüber hinaus. Das Regenbogentrikot symbolisiert die Grinta und das Panache des Fahrers, der sein Land siegreich im Kräftemessen der besten Fahrer aller Radsportnationen der Welt repräsentiert hat. Die Maglia Rosa wird dem Fahrer überreicht, der sich im Laufe von drei Wochen auf den brutalsten und schönsten Straßen, die der Radsport kennt, als der stärkste erwiesen hat. Der Tupfen-Pulli ist für den Fahrer reserviert, der in den höchsten Bergen dieses Sports am besten klettert.
Möchte man im Kampf um eines dieser Trikots mitmischen, muss man Teil einer kleinen Elite von Athleten sein, einer Clique, die nur wahre Ausnahmetalente aufnimmt. Bei einer Grand Tour besteht dieser Kreis aus höchstens zehn und realistischerweise nur aus drei Fahrern. Bei der WM kommen, da es sich um ein Eintagesrennen handelt, womöglich mehr Fahrer in Frage als bei einer Grand Tour, was den Konkurrenzkampf nur verschärft. Da diese harte Konkurrenz zudem mit einer Streckenlänge von mehr als 250 Kilometern einhergeht, ist es kein Wunder, dass der Gewinner sein Regenbogentrikot ein ganzes Jahr lang tragen darf und seine Rennkleidung für den Rest seiner Karriere an den Bündchen mit den Weltmeisterstreifen schmücken darf. Um eines dieser Trikots gewinnen zu können, benötigt man eine mysteriöse Kombination aus perfekter Form, einem geeigneten Kurs, einem Team, das einen bedingungslos unterstützt, und oft auch ein bisschen Glück. Außerdem benötigt man große Portionen Grinta und Panache.
Bei Regel #16 geht es also im Kern um Ehrerbietung. Nimm dir einen Moment Zeit, um dir die Bilder der Fahrer in Erinnerung zu rufen, die im Laufe der Jahre in Meister- und Leadertrikots unterwegs waren. Nun denk an die Namen derjenigen Fahrer, die sich diese Trikots absolut verdient hatten. Die Chancen stehen vermutlich gut, dass du, als Leser dieser herrlichen Lektüre, dabei nicht an dich selbst oder an deinen Namen gedacht hast. (Falls doch, sei bitte so nett und signiere dein Exemplar dieses Buches und schick es an: The Keepers c/o Velominati World Headquarters). Zugegeben, du bringst ordentlich Druck auf die Pedale und beziehst dich bei jeder Gelegenheit auf die V. Vielleicht denkst du sogar manchmal, dass du sprinten kannst wie Cipo, Zeitfahren wie Fabu oder klettern wie Il Pirata. Erinnere dich trotzdem daran: Du kannst es nicht. Und selbst wenn du es könntest, heißt das noch lange nicht, dass du es auch im Kräftemessen mit der Weltspitze auf den größten Bühnen des Radsports könntest. Solange du also noch darauf wartest, die Besten der Welt bei der WM zu besiegen, in Gelb die Champs Élysées zu erreichen oder zur unbändigen Freude der Tifosi in Rosa in Mailand einzufahren, hast du absolut kein Recht, eines der Trikots zu tragen, die nahelegen, dass du es geschafft hättest.
Regel 22 - Radmützen sind fürs Radfahren
Radmützen können gern unter dem Helm getragen werden, aber trage so ein Exemplar niemals, wenn du nicht fährst, völlig gleich, wie hip du auch glaubst, damit auszusehen. Denn tatsächlich lässt es einen wie einen Deppen aussehen und sollte mit Schimpf, Schande und öffentlichem Auspeitschen gemaßregelt werden. Die einzige Zeit, in der es akzeptabel ist, eine Radmütze zu tragen, ist, während man direkt Radsportaktiväten nachkommt und seine komplette Radsportmontur trägt. Dies umfasst auch Aktivitäten, die unmittelbar vor und nach der Ausfahrt stattfinden, wie z.B. die letzte Feinabstimmung des Rades und das Nachpumpen der Reifen. Ebenfalls enthalten sind Café-Besuche für den schnellen Espresso vor der Fahrt und der anschließende Abstecher in die Kneipe für das gemeinsame Regenerationsbier (vorausgesetzt, die Kneipe besitzt einen Biergarten oder eine sonnige Terrasse – verzichte lieber darauf, in deiner Radsport-Aufmachung in eine Kneipe reinzumarschieren, oder du riskierst, von der in Leder gehüllten Damenriege des örtlichen Motorradclubs zeremoniell vermöbelt zu werden).
Unter diesen Umständen ist es mehr oder minder angesagt oder sogar unerlässlich, frech seine Mütze auf dem Schädel zu tragen. Für alle guten Dinge gilt jedoch, dass man sie mit dem richtigen Maß tun sollte, und deshalb ist es entscheidend, dass wir Vernunft und guten Geschmack walten lassen: Solange der erste Schluck des betreffenden koffein- oder hopfenhaltigen Getränks genossen wird und noch Schweißperlen, Schnee oder Regen auf der Stirn sichtbar sind, ist es legitim, die Mütze aufzubehalten. Wenn jedoch alles, was in den zum Kopf gehörigen Furchen noch an die Fahrt erinnert, getrocknetes Salz ist, wäre es höchste Zeit, zu duschen und in geeignete Après-Tour-Kleidung zu schlüpfen. Ein hübsches T.I. Raleigh-Strickoberteil Jahrgang ’73 kommt einem da in den Sinn.
Vielleicht ist kein anderes Accessoire in der Ausrüstung des Radsportlers für Nichteingeweihte besser als solches erkennbar als die Radmütze. Eine solche Kappe verkörpert den Velominatus ebenso sehr wie es rasierte Beine, Lycra und messerscharfe Bräunungskanten tun. Klassische Baumwollmützen mit kurzem Schirm sind elegant, und obschon sie ursprünglich zumeist allein auf dem Schädel getragen wurden, passen sie auch problemlos unter den Helm. Die Radmütze war lange Zeit die bevorzugte Kopfbedeckung, um seinen Team-Sponsor bei der Siegerehrung auf dem Podium zu repräsentieren, während man mit ihr gleichzeitig auch eine gute Figur abgibt, was das Publikum und vielleicht ein oder zwei Podium-Mädchen interessieren könnte. Obwohl es nicht ratsam ist, beim Radfahren eine Mütze ohne Helm darüber zu tragen, ist dies seit Ewigkeiten ein gewohnter Anblick bei winterlichen Trainingsausfahrten.
Sobald der angehende Velominatus versucht, das Tragen einer Radmütze in Situationen zu rechtfertigen, in denen er nicht mit Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Radfahren beschäftigt ist, wagt er sich auf glatteres Terrain. Es gibt eine Menge Ausreden und Vorwände, warum solche Mützen auch abseits des Rades aufgesetzt werden. Sie sind eine einfache Möglichkeit, sich mit Stolz als Radsportler zu erkennen zu geben. Sie können kostengünstig hergestellt werden, so dass sie leicht zu sammeln sind. Trikots hingegen würden schnell ein ganz schönes Loch ins Portmonee reißen, wenn man es mit der Sammelleidenschaft übertreibt. Wer jederzeit auf einen reichen Fundus an aktuellen und historischen Team-Mützen zurückgreifen kann, demonstriert damit sein großes Wissen um den Radsport und den nicht minder großen Respekt, den er vor ihm hat. Es versteht sich von selbst, dass es bei radsportfremden Aktivitäten verboten ist, ein Radtrikot oder – Merckx bewahre – eine gepolsterte Trägerhose zu tragen, aber dennoch mag der eine oder andere sich wundern, was denn so schlimm daran ist, bei solchen Anlässen eine Radmütze auf dem Kopf zu haben. Angesichts so vieler offenbar plausibler Gründe, eine Radmütze aufzusetzen, während man gerade nicht mit Radfahren befasst ist, erscheint es beinahe absurd, dass es dazu eine Regel gibt.
Zu den Schwierigkeiten bezüglich der Einhaltung von Regel #22 tragen zwei weitere Aspekte bei. Beunruhigenderweise scheinen ausgerechnet Profis vermehrt dazu überzugehen, die Radmütze gegen Baseballcaps auszutauschen. Die bei der Einschreibkontrolle und der Siegerehrung auf dem Podium einst unerlässliche Teammütze wird zunehmend durch etwas ersetzt, was nichts weiter ist als eine langschnäblige Abscheulichkeit im NASCAR-Stil.
Zudem sind gerade Hipster und andere spätberufene Radsport-Greenhorns immer schnell dabei, sich die Radmütze als Accessoire anzueignen, um im Rahmen ihres Coming-outs alle Welt über ihr neues Leben als Rennradbesitzer in Kenntnis zu setzen. Solche Leute stülpen sich gern mal eine Molteni-Kappe aufs Haupt, ohne eine Ahnung davon zu haben, wer der Prophet ist, oder auch nur latent daran interessiert zu sein, Regel #9 genüge zu tun. Allein aus diesen beiden Gründen ist es wichtig, dass die Radmütze von den Velominati zurückerobert wird und wieder ihre rechtmäßige Bedeutung in der Ästhetik und Tradition des Radsports erhält.
Auch hier gilt, dass der Reiz des Ungehorsams gegenüber Regel #22 ein Test deiner Überzeugung ist, wirklich das Leben eines Radsportjüngers führen zu wollen. Wenn du dich jedoch entscheidest, diese Regel mutwillig zu brechen, soll dich das Schicksal mit Empörung strafen. Bade im Licht all jener, die ohne Scham und Reue ihre 7-Eleven-, Peugeot- oder Telekom-Mützen in Cafés und Kneipen auf der ganzen Welt getragen haben.
Regel 28 - Socken können jede verdammte Farbe haben, die dir gefällt
Weiß ist zeitlos schön. Schwarz ist auch ganz schick, bekam aber ein mieses Image durch einen Texaner, dessen Socken viel zu lang waren. Wenn du meinst, du müsstest bunte Socken tragen, dann achte darauf, dass sie farblich verdammt gut mit deiner übrigen Montur harmonieren.
Und mit »jede Farbe« meinen wir weiß. In einer perfekten Welt wären schöne italienische, aus einem Mischgewebe von Wolle und Seide hergestellte Radsportsocken immer noch leicht verfügbar. Sie wären komplett weiß, vielleicht höchstens mit einem hübschen farbigen Streifen am Bund versehen. Aber was Radsportsocken betrifft, leben wir heute in finsteren Zeiten. Die Welt wird später einmal auf diese Ära zurückblicken und sich wundern, wie wir das überlebt haben.
Ist ein kahl rasierter Schädel besser als ein Vokuhila? Ist ein grässlicher, klobiger, bartenartiger Ostblock-Schnauzbart besser als der allgegenwärtige Goatee? Wer kann das schon sagen? Seit wann gilt es als akzeptabel, schon auf dem Flughafen mit einem in die designierte Position gebrachten Nackenstützkissen herumzulaufen? Die Sache ist einfach die, dass die Menschheit ihr Gefühl für Stil verloren hat. Was das mit Regel #28 zu tun hat? Nicht viel, außer den »finstere Zeiten«-Aspekt.
Man findet heute einfach keine schönen komplett weißen Radsportsocken mehr, also ist das Beste, worauf man hoffen kann, ein Paar weitgehend weiße Radsportsocken. Graue Socken, gelbe Socken, rosa Socken: Klar, Socken können jede verdammte Farbe haben, die dir gefällt, aber man sollte sich doch am Riemen reißen. Weiß ist die naheliegende Wahl für den Velominatus.
Zimperliche Typen argumentieren gerne, dass bei Nässe und Dreck nur nicht-weiße Socken akzeptabel wären, da sie sonst unterwegs schmutzig und schmuddelig würden. Natürlich ist das Unfug. Gehen Cricket-Spieler etwa schon in einer grasfleckigen Montur auf den Platz? Nein, man sieht picobello aus, wenn man eine Ausfahrt beginnt, und es gibt keine Entschuldigung, es jemals anders zu halten. Wenn die Klamotten hinterher pechschwarz oder völlig verdreckt sind, ist das auch toll, da Regel #9 erfolgreich in die Tat umgesetzt wurde. Aber man fährt nicht schon mit schwarzen Socken oder einem dreckigen Trikot los, nur weil das Wetter unterwegs eklig werden wird. Auch Regel #9-Ausfahrten mit Überschuhen, bei denen die Socken komplett verdeckt sind, können nach hinten losgehen. Komplett verdeckt mögen sie ja sein, aber doch nur, bis das Personal in der Notaufnahme deine Überschuhe mit einer Riesenschere auftrennt. Dann stellen sie fest, dass da etwas nicht stimmt bei ihrem neusten Opfer. »Sieh mal, was wir hier haben, der kleine Herr Radprofi ist vom Sattel gefallen. Jetzt liegt er in der Notaufnahme und wir alle kennen sein schmutziges kleines Geheimnis. Er fährt mit Überschuhen, damit keiner seine schwarzen Socken sieht.«
Es lassen sich dieselben visuellen Hilfsmittel heranziehen wie bei Regel #27. Schau dir Induráin, Merckx, Coppi, Kelly an. Jeder einzelne dieser Fahrer hatte beim Radfahren weiße Socken an. Keiner von ihnen trug rote Socken an Trainingstagen oder graue Socken, wenn es schneite, oder blaue Socken, wenn er einen »Meine Fresse, sieht mein Arsch heute fett aus«-Tag hatte.
Diese Regel gilt nur für den Straßenradsport. Niemand schert sich darum, was man auf einem Mountainbike oder Cyclocross-Rad trägt.
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