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Rolli meets  E-Bike
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Portrait: Neodrives - Ulrich Alber GmbH

Rolli meets E-Bike

Die Ulrich Alber GmbH ist der weltweit führende Hersteller im Bereich Rollstuhlelektrifizierung. Mit E-Bikes hatte das Unternehmen bis vor kurzem nichts zu tun. Doch dann schuf das Unternehmen aus dem schwäbischen Albstadt die Marke Neodrives, unter der seit Herbst 2012 Pedelec-Antriebe ausgeliefert werden – mit bemerkenswertem Erfolg.

Focus, Kalkhoff und Bulls verbauen den Hinterradmotor von Alber seit der Saison 2013. Besser bekannt ist er unter den Namen, den die Partner ihm gegeben haben: Xion und Green Mover. Seine Daten können sich sehen lassen: 650 Watt Maximalleistung, bis zu 40 Newtonmeter Drehmoment, Wirkungsgrad bis zu 80 Prozent.
»Eigentlich lag dieser Schritt, in den Pedelec-Markt einzusteigen, für Alber nahe«, sagt Ralf Ledda (46), der Geschäftsführer von Alber. »Im Reha-Bereich sind wir Marktführer, das Marktpotenzial dort schwindet aber – der Markt ist weitgehend gesättigt. Der Pedelec-Bereich dagegen boomt – und nicht nur das: Wo mehrere Trends zusammentreffen und zu Mega Trends werden, da haben Märkte Bestand. Und wir haben derzeit den Trend Silver Society, also die Zunahme der ›jungen‹, kaufkräftigen Alten, den Pedelec-Boom und die Urban Society. Das passt alles bestens aufeinander.«
Klar, wer Nabenmotoren bauen kann, die aus einem Rollstuhl einen E-Rolli machen, der hat auch Kompetenz für den Pedelec-Bereich. Beide Male geht es nicht nur um den Motor selbst: Auch im Rolli braucht man eine komplexe Steuerung und ausgefeilte Sensorik, schließlich funktionieren die Antriebe in etwa wie beim modernen Pedelec: Sie unterstützen den Rollifahrer, der am Greifreifen für Vortrieb sorgt, mit dosiertem, zusätzlichem Schub.

Angenehm schwäbisch

Der Geschäftsführer: sympathisch, gelassen, zielstrebig. Und so freundlich, gelassen und selbstbewusst wirkt der ganze moderne, aber nicht extravagante Bau auf einem Höhenzug der Schwäbischen Alb hoch über Albstadt. Die Kleinstadt ist wie geschaffen für unterstütztes Radfahren: Sie zieht sich kilometerweit durchs Tal, ist dabei oft nur wenige Straßen breit. Wer an den Rändern wohnt, muss in die Berge hoch. Mit dem Bike unterwegs sein, heißt hier sportlich sein – oder einen E-Motor an Bord haben. Schon jetzt fahren viele Mitarbeiter von Alber mit Rad oder Pedelec zur Arbeit den Berg hoch.
Das wird auch unterstützt: Das Unternehmen stellt Pedelecs zur Verfügung, und wer damit über einen festen Zeitraum am meisten Strecke zurücklegt, der bekommt das E-Bike geschenkt. Um die Zeichen noch mehr auf moderne Mobilität stellen zu können, wurde sogar eine E-Bike-Garage gegenüber des verglasten Haupteingangs von Alber aufgestellt – ein Würfel, der auch für innovative Mobilität steht. Hier drinnen werden die Pedelecs platzsparend aufgehängt, zu jedem führt ein Ladekabel, mit dem der Akku geladen wird.
Aber auch sozial gibt sich die Firma mit seinen 220 Mitarbeitern innovativ und nachhaltig: Man sieht sich als Fair Green Company – und tut was dafür. Traditionell wird eine starke, lange Kundenbindung als erstrebenswerter eingestuft als Kunden um jeden Preis. Made in Germany ist wichtig – auch für die Zulierferteile. Damit beschäftig sich auch das Fair Team, eine Mitarbeitergruppe aus neun Angestellten. Sie treffen sich regelmäßig in Workshops und sprechen über viele auch interne Angelegenheiten – zum Beispiel auch über die beste Regelung zum neuen Schichtdienst, der 2013 ansteht. Außerdem gibt es noch das Green Team, das mit seinen Vorschlägen für eine noch ökologischere Produktion immer wieder einmal auf die Geschäftsleitung zukommt. »Und natürlich ist das nicht nur Marketing«, bekräftigt Ledda, »es soll ja auch ökonomisch etwas bringen. Auf vier Prozent Einsparungen bezogen auf den Umsatz wollen wir kommen. Und wir sind schon auf dem besten Weg.« Derzeit werden 85 Prozent der Gesamtproduktion recycelt. »Auf 95 Prozent wollen wir kommen«, so der Chef.
Die gleiche Zahl bringt uns zum Kundenservice: Alber setzt für seine Kunden auf absolute Erreichbarkeit; mindestens 95 Prozent aller Kontaktversuche sollen erfolgreich sein – egal über welchen Kanal und zu welchem Ansprechpartner der Kunde in Verbindung treten will. Falls der Kunde seinen Gesprächspartner nicht erreicht, wird er definitiv innerhalb von acht Stunden kontaktiert. Ein wasserdichtes elektronisches System, von allen Mitarbeitern einsehbar, hält Kontaktversuche und Kontakte fest. Wird die Erreichbarkeit von den jeweiligen Bereichen wie zum Beispiel Kundenservice, eingehalten bekommt die ganze Abteilung den Erreichbarkeits-Boni – wird die Vorgabe nicht eingehalten, geht die Abteilung leer aus.
Nachhaltigkeit kann sich aber auch noch ganz anders ausdrücken: »Ich habe in 17 Jahren niemanden betriebsbedingt entlassen müssen, darauf bin ich stolz«, so Ledder. Und durch den Einstieg in den Pedelec-Markt ist Alber ein noch interessanterer Arbeitgeber geworden.

Ein kleiner Schritt für eine Waschmaschine …

Die Geschichte des Unternehmens ist nicht minder interessant: Ulrich Alber hatte ursprünglich einen Waschmaschinen-Vertrieb. Sein Problem: Wie kann ein einzelner Angestellter eine Waschmaschine ausliefern? Damit ins Haus zu kommen – kein Problem. Doch bei den Treppen wird’s schwierig. Alber entwickelte kurzerhand eine Treppenhilfe mit E-Motor für den Auslieferer – und erkannte schnell, dass er damit regelrecht in eine Marktlücke gefallen war. Der E-Treppensteiger für die Waschmaschine war der Urvater des Scalamobils. Diese Treppensteighilfe kann an Rollis angekoppelt werden und macht Rollitransport treppauf und treppab zum Kinderspiel. In verschiedenen Ausführungen ist das Produkt, für das 1986 die Ulrich Alber GmbH gegründet wurde – mit zunächst fünf Mitarbeitern – immer noch ein Renner, und auf die Kompatibilität mit einer Unzahl von Rollstuhl-Fabrikate ist man stolz. Rolli-Hersteller werben umgekehrt mit der Alber-Kompatibilität ihres Produkts. 2003 bezieht die Alber GmbH den jetzt aktuellen Firmensitz, 2004 wird das Unternehmen vom amerikanischen Hilfsmittel-Giganten Invacare übernommen, dem größten Medical Healthcare-Unternehmen der Welt. Eine Verbindung, die für beide Seiten sicher Sinn machte – »auch in Sachen E-Bike-Motor«, meint Ledder.

Mit großem Bruder ist gut planen

»Ein starker strategischer Investor, der mit uns plant, aber uns gerade in diesem Punkt auch Freiheiten lässt.« Und so eine innovative Entwicklung unterstützte: »Das Neodrives-System«, erklärt Produktmanager Sven Lerche, »ist das erste mit TFT-Display auf dem Markt. Außerdem hat es einen sehr hohen Wirkungsgrad.« Das kommt unter anderem von der Steuerungselektronik: Ein optisches Sensorsystem im Antrieb selbst sorgt für den richtigen Stromfluss im richtigen Zeitabschnitt – wir sprechen hier von Millisekunden. Da ein getriebeloser Hinterrad-Nabenmotor am Berg stärker erhitzt als etwa ein Mittelmotor, bekam der Neodrives auch ein sehr aufwendiges Temperaturmanagement. »Das regelt die Leistung des Motors herab, wenn eine bestimmte Erwärmung erreicht ist«, so Lerche. Dadurch gehen die Temperaturen zurück, und der Motor muss sich nicht abschalten.
Der Fahrspaß ist mit 40 Nm und knapp 650 Watt Spitzenleistung auch beträchtlich, wie wir uns bei der mittäglichen Kurztour überzeugen konnten. 100 Höhenmeter hat gefahren, wer zum Mittagessen ins Tal nach Albstadt flitzt und danach wieder oben am Schreibtisch sitzt. Für Radler mit vollem Bauch – aber ohne Unterstützung – ist die kilometerlange Steigung enorm schweißtreibend.
Etwa 80 % aller Zulieferteile für den Neodrives kommen aus Deutschland, viele aus Baden-Württemberg – auch das ist ein Beitrag zur nachhaltigen Produktion. Der Akku wurde von Alber selbst entwickelt und bei BMZ gebaut, hier gibt es eine sehr enge Kooperation.
Gut für Neodrives ist auch, dass im medizinischen Bereich ein sehr intensives Qualitätsmanagement herrscht – »den internen Prozessen werden hohen Normen auferlegt.« Und sie geben auch die Vorgaben für die Zulieferer ab. Jeder potenzielle Zulieferer muss sich prüfen lassen, ob er die angeforderte Qualität wirklich einhalten kann.

One-Piece-Flow und flotte Finger

Ein Blick in die Entwicklungsabteilung der Ulrich Alber GmbH zeigt, dass man sich Innovation und hohe Qualität hier etwas kosten lässt: 30 Frauen und Männer sitzen beziehungsweise stehen an ihren Arbeitsplätzen und Arbeiten an der Zukunft elektrischer Mobilität, welcher Art auch immer. Eine große Zahl bei 220 Mitarbeitern insgesamt. Auch mit dem Nabenmotor geht’s flott weiter: Auch eine Variante mit Nabenschaltung ist geplant, Besprechungen mit Fallbrook, dem Hersteller der Nuvinci-Nabe, sind bereits angestoßen. Und dass hier eine Version für S-Pedelecs in der Pipeline ist, erscheint nur logisch – die Anpassung der Elektronik ist für Alber dabei nicht aufwendig.
Beim Blick vom ersten Stock in die Produktionshalle fällt vor allem eines auf: Viel Licht, Übersichtlichkeit und eine klare Strukturierung der Bereiche. Musterbau, Service-Abteilung (48 Stunden dauert der Austausch eines E-Rolli-Rads höchstens), Assemblierung des Motors … kleine Schilder weisen den Weg zur jeweiligen Abteilung, die dank des modularem Systems auch relativ einfach wandern kann.
Bei Alber wird nach dem One-Piece-Flow-Verfahren montiert, das heißt: Ein Mitarbeiter vervollständigt jeweils ein komplettes Produkt. Die Assemblierungslinie des Neodrives-Motors nimmt in der Halle nur geringen Platz ein. Das System ist im U-Design aufgebaut, was einen schnellen Durchlauf ermöglicht. In jeder der Linien ist ein Vor- und ein Endprüfstand integriert, den die Produkte durchlaufen müssen. 20.000 Neodrives-Motoren werden 2013 hier gebaut.
Ganz nach dem Nachhaltigkeits-Motto von Ledder: »Wir wollen nicht die Welt erobern: Der Mehrwert für die Zukunft müssen Qualität, Kundennähe, Service und kurze Lieferzeiten sein. Das gehört für uns alles zusammen.«
Schön gesagt, doch wer das Unternehmen auf der Schwäbischen Alb besucht, dem fällt es nicht schwer, das auch zu glauben.

21. Oktober 2013 von Georg Bleicher
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