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Schöne neue (Bike-)Welt
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Report - MTB-Trends

Schöne neue (Bike-)Welt

Wer dachte, dass in der Mountainbike-Technik nach über drei Jahrzehnten im Markt keine großen Schritte mehr zu erwarten seien, wurde in den letzten Jahren eines Besseren belehrt. Neue Laufradgrößen und E-Bike-Technik bringen einige neue Impulse in den Bike-Markt.

Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, in welche Richtung sich der Bike-Markt noch entwickeln würde. 29er waren damals noch ein junges Pflänzchen im Markt, das von der Fachwelt kritisch beäugt wurde. »Völlig unfahrbar« hieß es damals, weil viel zu träge. Und E-Bikes wurden allenfalls als Fahrhilfe für altersschwache Menschen wahrgenommen, aber keineswegs als spannender Trend für die MTB-Szene.
Inzwischen zeigt sich ein anderes Bild auf den Trails. 29-Zoll-Bikes haben sich fest in der Szene etabliert. Aus den schwerfälligen Wasserbüffeln von einst sind wendige und agile Antilopen geworden. E-Mountainbikes werden immer mehr akzeptiert und der Akku wird nicht mehr versteckt, sondern offen zur Show getragen.

26er, der Dinosaurier

Vielerorts wird im Bike-Markt bereits orakelt, dass das 26-Zoll-Laufrad im Mountainbike eine aussterbende Art sei. Im Touren-Bereich, vom Anfänger bis zum Profi, wird es durch die 29er sicherlich abgelöst, genauso wie im Marathon-Bereich. Diese beiden Entwicklungen sind schon jetzt deutlich zu spüren. Klar ist auch, dass sich das klassische Laufradmaß im Cross-Country-Bereich nicht halten kann. Hier wird es auch, wie sollte es anders sein, durch die 29-Zoll-Lauf­räder ersetzt. Die Ablösung in diesem Bereich ist im Grunde schon abgeschlossen, zumindest bei den Profis, die bis auf wenige Ausnahmen mit den großen Laufrädern bei ihren Wettkämpfen an den Start gehen.
Doch trotz dieser Verdrängung wird das 26-Zoll-Rad nicht aussterben. In der Gravity-Szene, also bei Down­hillern und Freeridern, haben die ­stabilen und wendigen »kleinen« Räder weiterhin viele Anhänger. Denn hier zählen vor allem Stabilität sowie ­Steifigkeit und in dieser Hinsicht ist die 26-Zoll-Größe deutlich überlegen.
Zu einem weiteren Reservat für die 26er Pneus dürfte sich zudem der Jugendrad-Markt entwickeln. Denn wenn die 29er zunehmend in den Touren-Bereich vordringen, entstünde eine Lücke zwischen 24- und 29-Zoll-Modellen. Diese Lücke werden wohl auch weiterhin durch 26er Jugendmodelle gefüllt.

29er, der neue Platzhirsch

Noch vor zwei oder drei Jahren konnte wohl zumindest in Europa noch niemand den Erfolg der großen Laufräder absehen. In den USA werden die 29er Bikes hingegen schon länger favorisiert. Es wundert also nicht, dass 29er vor allem auch bei Bike-Anbietern aus Nordamerika bereits prominent im Programm vertreten sind. Spätestens seit 2012 schwappte der Trend dann endgültig über den großen Teich und setzte seinen Erfolg in Europa ­weiter fort.
Inzwischen sind die 29er nicht mehr aus dem Markt weg zu denken. Zu groß sind ihre Vorteile, vor allem im CC-, Marathon- und Touren-Bereich. In diesen Segmenten liegt der Marktanteil der größeren Laufräder schon deutlich vor den 26-Zöllern. Sie werden diesen Vorsprung noch weiter ausbauen – sowohl im Low Budget also auch im hohen Preissegment.
Als ziemlich wahrscheinlich bezeichnen es einige Marktteilnehmer darüber hinaus, dass die »Großen« auch einen Teil des All-Mountain-Marktes für sich erobern können. Diese Entwicklung ist bei den Bikes des aktuellen Modelljahres 2013 schon klar ersichtlich und wird noch weiter zunehmen. 26 Zoll wird im Gegenzug noch weiter verdrängt
Spannend ist, in wie weit die 29er Bikes in das Enduro-Segment vordringen können. Auch wenn dieser Weg eher schwer sein sollte, ist hier doch Potenzial erkennbar. Neben der Umsetzung der Hersteller ist vor allem die Akzeptanz am Markt entscheidend, ob sich ein Enduro mit 29-Zoll-Laufrädern durchsetzt. Was in diesem Bereich bereits machbar ist, stellt Specialized mit seinem neuen 29er Enduro unter Beweis. Immerhin bringen die Kalifornier 155 mm Federweg am Heck unter und zeigen damit, dass sich 29er und viel Federweg nicht kategorisch ausschließen.

27,5er, der Newcomer

Das noch junge Maß 27,5 Zoll oder 650b gilt als Kompromiss zwischen den große Hindernisse platt bügelnden 29ern und den wendigeren 26-Zoll-Bikes. Um die Entwicklung dieser neuen Gattung vorauszusagen, bedarf es wohl gegenwärtig noch den Blick in die Glaskugel. Ähnlich wie damals bei der Neueinführung der 29er gehen die Meinungen bei der neuen Radgröße weit auseinander. Specialized verzichtet zum Beispiel vorerst völlig auf dieses Laufradmaß und bringt zumindest für 2013 kein 650b-Bike auf den Markt. Laut Ansicht von Specialized sei der Durchmesser der 650b-Räder zu nah an 26 Zoll, um eine deutliche Verbesserung im Abrollverhalten zu bieten. Und dass man die mittlere Größe nicht unbedingt für mehr Federweg benötigt, zeigt das neue, zuvor schon erwähnte 29er Enduro.
Bei Fahrradherstellern auf dieser Seite des Atlantiks wird hingegen die Entwicklung der 27,5 Zöller deutlich positiver gesehen. Europäische Radschmieden haben deutlich mehr Gefallen an der Zwischengröße gefunden und dementsprechend bereits einige 27,5 Zöller in ihrem Angebot. Vor allem im All-Mountain-Segment sollen sie die Lücke zwischen den 29ern und 26-Zoll-Modellen schließen, da sie wendiger sind als 29-Zoll-Bikes, aber Hindernisse noch besser überwinden als 26 Zöller. Doch die Entwicklung der 27,5er Bikes könnte noch weiter gehen. Bei Ghost wird der Zwischengröße beispielsweise auch im Downhill-Sport einiges Potenzial zugetraut: »Auch im Downhill werden, unserer Meinung nach, die 26-Zoll-Räder aussterben. Vielleicht noch nicht in den nächsten Jahren, aber mittel- bis langfristig gehen wir davon aus, dass im Downhill-Bereich die 26er von den 27,5-Zoll-Bikes abgelöst werden«, sagt Jens Steinhäuser, Vertriebsleiter von Ghost. Seine Einschätzung zeigt auch, dass die 27,5er Bikes in Sachen Federweg doch etwas flexibler sein könnten als ihre großen Brüder. Immerhin müssen im Hinterbau eines Downhill-Bikes 180 bis 200 mm Federweg untergebracht werden.
Ein weiteres mögliches Einsatzgebiet für das neue Zwischenmaß sind Bikes mit kleineren Rahmengrößen, zum Beispiel bei Frauenmodellen. Dieses Konzept setzt die Flyer-Anbieter Biketec beispielsweise bereits bei seinen E-Bikes um. Neben der besseren Proportion der Größe wirkt bei den kleinen Rahmen auch die Optik mit den 650b-Laufrädern harmonischer.

E-Mountainbikes, der neu entdeckte Sportler

Es ist noch nicht lange her, da war ein E-Motor im Fahrrad allenfalls als Hilfe akzeptiert, um auch im Alter noch mobil zu bleiben. Dieses Bild hat sich inzwischen grundlegend geändert. E-Bikes, und zunehmend auch E-Mountainbikes, sind gesellschaftlich akzeptiert und gehören immer mehr zum gewohnten Bild. Und mal Hand aufs Herz: Wer hat sich bei einem langen zähen Anstieg auf einer nicht enden wollenden Etappe nicht schon mal selbst bei dem Wunsch nach ein wenig elektrischem Rückenwind ertappt?
Die Anwendergruppen für geländefähige E-Bikes teilen sich gegenwärtig noch vor allem in zwei Gruppen auf: Zum einen die Genussfahrer, für die das Naturerlebnis im Vordergrund steht und die eine lange Tour ohne Strapazen fahren möchten. Das zweite Einsatzgebiet ist, große Unterschiede beim Leistungsniveau zwischen Bikern auszugleichen. Paare können zusammen eine Tour fahren, ohne die Beziehung zu gefährden. »Man sucht sich schließlich den Partner nicht nach der Fitness aus. Um dennoch eine schöne Tour zusammen zu fahren, bieten sich elektrische Mountainbikes an«, sagt etwa Stefan Limbrunner von KTM.
Langfristig werden neue Anwendungen den E-Mountainbike-Markt bereichern. So ist es denkbar, dass auch Freerider und Enduros mit einem E-Motor ausgestattet werden.
Kurt Schär von Biketec erklärt: ­»Freerider sind sicherlich eine denkbare Entwicklung. Obwohl dieses Einsatzgebiet eine Nische in der Nische ist, haben wir trotzdem ein Interesse daran. Durch diesen Bereich wird eine neue Zielgruppe von jungen Fahrern erreicht und E-Bikes bekommen noch einmal ein deutlich sportlicheres Image. Bei Enduros kommt dazu, dass der Markt noch einmal größer ist.«

18. April 2013 von Markus Jährig
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