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Sichere Flughöhe
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Portrait - Flyer

Sichere Flughöhe

Der E-Bike-Pionier Flyer durchflog in seiner bald 25-jährigen Geschichte Höhen und Tiefen. Vor zwei Jahren übernahm die ZEG das Steuer und führte das Unternehmen in eine sichere Flughöhe. Welche Rolle dabei die drei Buchstaben FIT spielen.

Es war die Meldung des Jahres, die am 26. Juli 2017 über den Ticker lief: Der Einkaufsverband ZEG übernimmt den Schweizer E-Bike-Hersteller BikeTec AG, besser bekannt als Anbieter der Elektrofahrrad-Marke Flyer. Eine Meldung, die in der Fahrradbranche und nicht zuletzt bei vielen Fahrradhändlern ein zwiespältiges Gefühl erzeugte und dabei viele Fragen aufwarf: Was hat die große ZEG vor? Was wird aus der kostenintensiven Produktion im Hochlohnland Schweiz? Wieviel Schweiz wird künftig in der Marke stecken, wenn sie denn in deutscher Hand ist? Viele Reaktionen fielen zunächst negativ aus – »eine armselige Entwicklung in einem schwer umkämpften Markt«, war als Leser-Kommentar auf die Meldung bei velobiz.de zu lesen. »Wie tief bist du gesunken«, unkte ein anderer Leser. Da half es zunächst auch wenig, dass Franz Studer, damaliger Präsident des Verwaltungsrates der Biketec AG kommentierte: »Wir sind glücklich, in der ZEG einen strategischen Partner gefunden zu haben, der perfekt passt und das Unternehmen im attraktiven E-Bike-Markt weiter entwickeln wird.« Und auch der ZEG-Vorstandsvorsitzende Georg Honkomp kündigte an: »Mit dem Huttwiler Unternehmen unter einem kompetenten Führungsteam erhält unsere Gruppe nicht nur ein Flaggschiff im schnell wachsenden E-Bike-Segment, sondern auch eine weitere Plattform, um die Aktivitäten der ZEG im Schweizer Markt zu entwickeln.« Eine grundsätzliche Skepsis und Ungewissheit blieben dennoch. Würde die ZEG ihren Ankündigungen tatsächlich auch Taten folgen lassen?
Zwei Jahre sind seit der Übernahme mittlerweile vergangen. Höchste Zeit, um sich bei einem Besuch in Huttwil, dem Produktions- und Firmenstandort der Flyer AG, wie das Unternehmen seit einer Umfirmierung Anfang des Jahres 2019 heißt, ein Bild zu machen. Huttwil ist die Zentrale des Unternehmens, an dem alle Drähte zusammenlaufen. Weitere Standorte gibt es in Beverwijk (Niederlande), Bad Goisern (Österreich) und Filderstadt (Deutschland), die jeweiligen Vertriebsorganisationen vor Ort in den Ländern.
Am Standort herrscht gute Laune, das wird schon spürbar durch einen freundlichen Empfang im großzügigen Empfangsbereich mit Showroom und Cafeteria. Auf einem großen Bildschirm gibt es bewegte Bilder – ein neuer Flyer-Image-Clip. Emotionen pur. Die Lust auf E-Biken, auf Bewegung in der Natur wird spürbar. Das »Flyer-Erlebnis« ist Teil der Unternehmensstrategie. Man will mehr sein als eine Produktions- und Entwicklungsstätte für Fahrräder. Und es gelingt ganz offensichtlich. Eine rund 20-köpfige, internationale Besuchergruppe trifft gerade ein – zurück von der Besichtigungstour und bereit für eine Stärkung, bevor es mit den E-Bikes auf Erkundungsfahrt geht.
Flyer öffnet sich in alle Richtungen, gibt Einblick für jedermann mit Angeboten für Werksbesichtigungen und bietet die Infrastruktur und das Rahmenprogramm für Firmenausflüge und Seminarveranstaltungen. So finden beispielsweise regelmäßig Schulungen von Fahrlehrern bei Flyer statt, mit dem Hintergrund, bei der Fahrschülerausbildung für radelnde Verkehrsteilnehmer zu sensibilisieren. »Jedes Jahr können wir so über 10.000 Gäste bei uns am Standort Huttwil begrüßen«, sagt Anja Knaus, bei der Flyer AG für PR verantwortlich. Nicht viele Fahrradproduzenten erlauben regelmäßig einen so detaillierten Blick hinter die Kulissen.
Flyer ist auch ein touristischer Anbieter und Huttwil beliebter Ausgangspunkt für ausgedehnte Radtouren mit gemieteten Flyer-E-Bikes. Dafür steht gegenüber der Firmenzentrale ein Gebäude zur Verfügung, das als Mietstation, aber auch zur Wartung und Pflege des umfangreichen Fuhrparks dient.
Wir treffen im Obergeschoss des 2009 errichteten Gebäudes auf Geschäftsführer Andreas Kessler. Der 54-Jährige ist nicht unbedingt ein Mann, den man als typischen Fahrrad- oder E-Bike-Enthusiast bezeichnen würde. Vielmehr erklärt er mit ruhigen und sachlichen Worten, wie es um die Flyer AG steht und welche Entwicklung das Unternehmen genommen hatte, das er seit 2016 anführt – also rund einem Jahr, bevor es unter das Dach der ZEG schlüpfte. Ein Mann, der im Gespräch auch Schreibblock und Bleistift zur Hand nimmt, um komplexere Sachverhalte einfach zu erklären. Beispielsweise wie denn die Marke Flyer im Markenportfolio der ZEG angesiedelt ist. »Flyer« ist die Premiummarke – daran lässt Kessler keinen Zweifel. Und diesem Anspruch wolle man sich als Lieferant stellen. Gleichzeitig stellt das Siegel »Premium« auch besondere Anforderungen an die Fachhandelspartner. Kessler zieht hier einen Vergleich zur Uhrenbranche – eine Industrie, in der er zehn Jahre lang im internationalen Vertrieb tätig war, bevor es ihn in die Sport- und Outdoor-Branche zog mit Stationen bei Odlo (als CEO) und Mammut (als internationaler Vertriebsdirektor). »Eine Rolex würden sie auch nicht in einem Warenhaus kaufen wollen«, so Kessler. Der Vergleich der Marke Rolex mit der Marke Flyer hinkt vielleicht an der einen oder anderen Stelle – doch die Botschaft ist unmissverständlich: Wer als Fahrradhändler die Marke Flyer führt, der sollte ein bestimmtes Maß an Beratungs-, Service- und Präsentationskompetenz mitbringen, die dem Premiumanspruch genügt. Aktuell sind das rund 1100 Fahrradhändler insgesamt, wobei Deutschland mit 420 Fachhändlern (davon rund 180 aus den Reihen der ZEG) den größten Markt darstellt. Es folgt die Schweiz (290), Benelux (260) und Österreich (90). Weitere internationale Märkte spielen bislang kaum (noch) eine Rolle. Das soll sich jedoch durchaus ändern: Ein Anfang wurde im vergangenen Jahr mit einer Expansion nach Frankreich gemacht. Für das Jahr 2020 strebt Flyer zudem eine Ausweitung des Vertriebsgebiets nach Italien an.

Bilanz nach zwei Jahren ZEG

Dass Flyer von der Übernahme durch die ZEG profitiert hat, das steht für Kessler außer Frage. Kessler spricht dabei von der fahrradspezifischen Kompetenz, die in den Verwaltungsrat gekommen sei, aber selbstverständlich auch von der finanziellen Seite – beispielsweise die besseren Konditionen im Einkauf oder aber eine stärkere Positionierung, wenn es um die Kapitalbeschaffung und Zinsen geht. Hinzu kommen Geschäftsfelder wie das Mietgeschäft oder auch Leasing, wo Flyer vorhandene Plattformen der ZEG nutzen kann. Und nicht zuletzt konnte Flyer auf die Erfahrung der ZEG zurückgreifen, was es bedeutet, effizient und kostenbewusst zu produzieren.
Effizienz ist ein Wort, das in den Erklärungen des Flyer-Chefs immer wiederkehrt. Und das kommt nicht von ungefähr: Wer in einem Land produziert, in dem ein durchschnittlicher Metallarbeiter 4500 EUR und damit weitaus mehr als anderswo verdient, der muss diese wertvolle Arbeitskraft bestmöglich nutzen und Ineffizienzen vermeiden. Die ZEG hat offenbar hier Potenziale schnell erkannt – und Geld in die Hand genommen. Rund eine Million Euro flossen in eine Umstellung des Produktionsverfahrens am Standort Huttwil. »Die Steigerung der Effizienz wurde aber nicht durch einen Arbeitsplatzabbau erzielt«, wie Kessler betont. Zwar seien Fluktuationen genutzt worden, aber es habe keine Kündigungen gegeben. Aktuell beschäftigt Flyer insgesamt 250 Mitarbeiter, 200 davon in Huttwil.

Produktion im Fluss

Einer, der maßgeblich bei der Umstellung der Fertigungslinie auf eine Fließproduktion beteiligt war, ist Marco Furter. Der Chief Operation Officer von Flyer erklärt den Unterschied: Während zuvor eine Kleingruppe auf Montageinseln für viele einzelne Fertigungsschritte bei der Fertigung des E-Bikes verantwortlich war, wird jetzt der Zusammenbau in insgesamt 22 Takte aufgeteilt. Bei jedem Takt ist ein klar bestimmter Montageschritt zu absolvieren und anschließend fährt das E-Bike an der Traverse weiter zur nächsten Station. Rund drei Stunden werden benötigt, bis beginnend vom Rahmen am Ende der Runde ein vollständig überprüftes und damit versandfertiges E-Bike inklusive Laufräder von der Traverse genommen werden kann.
Für die Beschäftigten bedeutete dies schon eine Umstellung: War ein Mitarbeiter früher für viele Arbeitsschritte verantwortlich, so reduziert sich dies jetzt auf einige wenige Handgriffe. Dass darüber mancher Flyer-Mitarbeiter anfangs nicht sehr glücklich war, liegt auf der Hand. Doch letztendlich sei es darum gegangen, die Arbeitsplätze am Standort in Huttwil zu sichern, und das haben die Mitarbeiter erkannt und akzeptiert, so Furter. Viele Flyer-Mitarbeiter in der Produktion kommen direkt aus Huttwil oder der unmittelbaren Umgebung. Dementsprechend groß sei auch die Identifikation mit dem Unternehmen und dem Produkt.
Mit dem Ergebnis der Umstellung ist Furter zufrieden. »Zuvor kam es immer wieder vor, dass beispielsweise Zeit damit verbracht wurde, um für die Produktion fehlende Teile zu suchen und herzurichten.« Zeitverluste, die man sich nicht mehr leisten kann. Jetzt sind alle Produktionsabläufe und die Vorbereitungen beziehungsweise Bestückungen an den einzelnen Montagestationen so aufeinander abgestimmt, dass solche Zeitverluste weitgehend verhindert werden. Investiert wurde beispielsweise in eine eigene Laufradfertigung mit zwei Anlagen von Holland Mechanics und eine Maschine, welche die für ein bestimmtes Modell benötigte Gabel automatisch für den Einbau vorbereitet.
Und am Ende des Tages spiegeln sich all diese Investitionen in höheren Output-Zahlen und einer gesteigerten Effizienz wider. Bis zu 350 Räder können so täglich produziert werden, wobei in Hochphasen die alten Montagelinien, die künftig eigentlich für den Prototypenbau oder beim Aufbau besonders hochwertiger E-Mountainbikes vorbehalten sein sollten, voll in die Serienfertigung einbezogen werden. Über 50.000 E-Bikes können so jährlich in Huttwil produziert werden – das ist beinahe die komplette Flyer-Range. Nur ein Einstiegsmodell, das allerdings nicht so stark nachgefragt wird, rollt im Kettler-Werk vom Band.
Die Lieferfähigkeit bleibt jedoch weiterhin eine der größten Herausforderungen für Flyer, das gilt auch für die laufende Saison. Vor allem dann, wenn es auf Seiten der Vorlieferanten hakt: Sei es wie im vergangenen Herbst, dass gleich rund 6000 Rahmen wieder zum Produzenten zurückgeschickt wurden, weil die Qualitätsstandards nicht erreicht wurden oder zig Räder nicht zum Fahrradhändler ausgeliefert werden können, weil es Probleme mit dem Lieferanten eines Bedienteils am Lenker gibt und das Rad somit nicht funktionsfähig ist. Kleines Teil – große Auswirkung. Und ärgerlich für alle Beteiligten.

Premium in Partnerschaft

Gleichwohl ist man bei Flyer optimistisch, dass man bei der Lieferfähigkeit für die kommende Saison zulegen kann. Schließlich will man nicht nur bei Produktqualität und Vormontage eine Premium-Qualität abliefern, sondern in der Beziehung zum Fachhandelspartner ganz allgemein. Die Weichen sind gestellt – ob es von Erfolg gekrönt ist, hängt wie so oft von Faktoren ab, die schwer kalkulierbar sind. Beispielsweise: Wie können die Zulieferer Bosch und Panasonic ihre neue Motorengenerationen liefern? Haben andere Zulieferer die geforderte Qualität im Griff? Aber auch an weiteren internen Schrauben will man ­drehen, um die Warenverfügbarkeit zu verbessern – sei es durch mehr durchlaufende Modelle oder eine Vorproduktion auf Lager verschiedener Bestseller gepaart mit einer Verfügbarkeitsanzeige und Online-Bestellmöglichkeit für Händler – um ein paar Beispiele zu nennen. Die Digitalisierung lässt grüßen.

Stolz auf FIT

Einen längeren Zeitraum als bis zur nächsten Saison hat Ivica Durdevic im Blick, seines Zeichens Chief Technical Officer der Flyer AG und in Personalunion Leiter von FIT. Die drei Buchstaben stehen für die Flyer Intelligent Technology – die sich seit 2015 damit beschäftigt, wie E-Bike-Systeme miteinander vernetzt werden und das Zusammenspiel optimiert werden kann. FIT ist seit kurzem eine eigene Business-Unit, welche einen zukünftigen ZEG-Standard für System-Integration etablieren soll.
Dabei hat Durdevic eine nahe Zukunft im Blick, in der eine Wachstumsgrenze bei den E-Bike-Käufen erreicht werde. Der Konkurrenzkampf wird sich erhöhen und andere Faktoren wie Lieferfähigkeit werden die Kaufentscheidung beeinflussen – Preiskämpfe nicht ausgeschlossen. Wie kann ich mich unterscheiden, so wird hier die Frage lauten.
FIT orientiert sich dabei an der Automobil-Industrie. »Es gibt viele Marken und Modelle, die jedoch alle auf einer Plattform aufbauen«, erklärt Durdevic. Nach außen hin differenzieren sich die Marken durch Design und Image. Gleichzeitig basieren die Modelle auf einer identischen Basis. Ein Vorgehen, das im Automarkt offenbar gut funktioniert. Der Nutzen ist klar: Eine Vereinfachung und Kostenersparnis in der Produktion und Entwicklung, gleichzeitig aber Freiräume im Produktdesign. Am anderen Ende winkt für Händler eine Vereinfachung bei Wartung und Service.

Vereinfachung durch Vereinheitlichung

»Wir wollen es dem Händler so einfach wie möglich machen«, formuliert Durdevic das Ziel – und zwar immer dann, wenn es um Themen wie Service, Diagnose und System-Updates geht. Die Fahrradbranche ist schon seit jeher meisterlich darin, Dinge kompliziert zu machen – eine Fülle von Einbaumaßen, Achsstandards und vieles mehr sprechen eine eindeutige Sprache. Einfach und einheitlich geht anders – und auch was Antriebssysteme bei E-Bikes anbelangt, sei die Branche auf dem besten Wege, sich wieder zu verzetteln.
Die ZEG will mit FIT hier entgegenwirken und sieht sogar die Chance, dass die offene FIT-Architektur zu einem Industriestandard werden könnte. Im Kern sieht die FIT-Architektur eine Reihe von Vereinheitlichungen vor, beispielsweise bei Sofware-Schnittstellen zwischen Akku, Display und weiteren elektronischen Komponenten. Hinzu kommen einheitliche Hardwareschnittstellen, also Akku- und Ladegerätestecker, Spannungslevels und Kabelkonzepte, aber auch eine einheitliche Connectivity-Schnittstelle zwischen System und Cloud. Und nicht zuletzt ermöglicht dies auch eine einheitliche Wartungssoftware für Produktion, Kundendienste und Fachhändler.
Aber wenn alles einheitlich ist, wie kann sich dann die einzelne Marke differenzieren? Die Antwort ist einfach: beispielsweise durch Akku- und Cockpitgestaltung, eigene Funktionen sowie Service-Software. Letztendlich wird dort vereinheitlicht und werden dort Kosten gespart, wo es der Kunde nicht sieht. »FIT macht für die ZEG das bisherige Systemgeschäft zum Komponentengeschäft«, sagt Durdevic. Allerdings komme FIT nur so richtig zum Tragen, wenn genug Komponentenpartner mitmachen. »Die Chancen dafür stehen jedoch sehr gut«, sagt Durdevic. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Antriebsanbieter ihre Systeme öffnen, so wie das 2015 beispielsweise Panasonic gemacht hat. Wer genau noch mit an Bord ist, wird noch nicht offiziell verkündet. Sicher ist aber: »Es sind bisher viel mehr Partner als erwartet«, so Durdevic. Für die ZEG fällt jedenfalls im Modelljahr 2021 für ihre Marken der Startschuss mit dem neuen FIT. Flyer, so macht es den Eindruck, ist nicht nur dank FIT ein wichtiger Bestandteil innerhalb der ZEG geworden. Die Augen sind jetzt auf das Jahr 2020 gerichtet – Flyer begeht dann seinen 25. Geburtstag – ein Grund zum Feiern, nicht nur in Huttwil.

8. Juli 2019 von Jürgen Wetzstein

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