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Nachruf

Siegfried Neuberger 1959–2020

Als Fachjournalist steht man zwangsläufig regelmäßig vor der Aufgabe, einen Nachruf zu schreiben, wenn eine branchenbekannte Persönlichkeit gestorben ist. Das ist vor allem dann trotz aller Übung keine einfache Aufgabe, wenn die beschriebene Person mit gerade mal 60 Jahren aufgrund tragischer Umstände mitten aus dem Leben gerissen wird. Und wenn es dann noch um jemanden geht, den man seit rund 25 Jahren nicht nur fachlich sehr geschätzt, sondern persönlich auch sehr gemocht hat, dann kommt noch ein dicker Kloß im Hals erschwerend dazu.

So geht es mir jetzt dabei, die richtigen Worte zu finden, um von Siegfried Neuberger Abschied zu nehmen und seine Lebensleistung zu würdigen. »Siggi«, wie ihn wahrscheinlich 99 Prozent der Branche genannt hat, ist am 13. Juni unerwartet verstorben.
Der Diplom-Ingenieur wechselte 1995 nach beruflichen Anfängen im Anlagenbau in die Fahrradbranche. Zunächst als Referent für Technik und Normen beim Verband der Fahrrad- und Motorradindustrie (VFM), dessen Fusion mit dem Fachverband Fahrrad­teile- und Kraftradteile-Industrie (FTV) zum Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) er ab 1998 als Geschäftsführer Technik und ab 2001 als Geschäftsführer maßgeblich vorantrieb.
In dieser Rolle war Siggi ein souveräner Wanderer zwischen zwei Welten: auf der einen Seite die etwas förmlichere Welt beispielsweise der Politik oder von Normenausschüssen und anderen Fachverbänden, auf der anderen Seite der lockere, ungezwungene Umgangston innerhalb der Fahrradbranche. Der langjährige ZIV-Geschäftsführer war in beiden Welten ein glaubhafter und authentischer Repräsentant unserer Branche.
Siegfried Neuberger war warmherzig, nahbar und humorvoll. Diese menschlichen Qualitäten erlebte ich als Fachjournalist nicht nur beim gemeinsamen Feierabendbier beispielsweise nach langen Messe- oder Kongresstagen, sondern vor allem auch dann, wenn wir mal nicht einer Meinung waren. Es liegt in der Natur der Dinge, dass Fachmedien und Fachverbände auch mal kontroverse Standpunkte vertreten. Und das eine oder andere Mal hat sich Siggi wohl auch geärgert über Dinge, die ich oder meine Kollegen geschrieben haben. Doch daraus ist nie eine emotionale Auseinandersetzung oder gar ein Streit entstanden, sondern immer eine sachliche, im Ton freundliche Diskussion, an deren Ende ich mitunter eingestehen musste, dass er recht und ich unrecht hatte.
Siggi war darüber hinaus ein großartiger Erklärer unserer Branche. Die charismatische Rede vor großem Publikum mag nicht zu seinen zahlreichen Stärken gezählt haben, aber wenn ein Journalist in einer Pressekonferenz eine knifflige Frage auspackte, konnte der ZIV-Chef wie kaum ein anderer diese Frage kompetent und ohne in Phrasen auszuweichen beantworten.
Eine Grundlage dafür war das immense Fachwissen, das sich der ZIV-Frontmann in 25 Jahren Verbandsarbeit angeeignet hatte. Damit war Siggi nicht nur bei Journalisten ein hochgeschätzter Gesprächspartner, sondern als exzellenter Netzwerker auch bei anderen Fachverbänden, bei politischen Entscheidern und natürlich bei den Unternehmen, die der von ihm geführte Verband repräsentierte. Wenn es um Fragen zu Normen, Recht oder Marktstrukturen ging, konnte man sicher sein, dass Siggi die Antwort wusste.
Ich habe Siggi trotz unserer langjährigen beruflichen Freundschaft nur in seiner Rolle als Branchenrepräsentant erlebt, zu dem Privatmenschen Siegfried Neuberger hatte ich keine Berührungspunkte. Ich kann mir aber vorstellen, dass die menschlichen Qualitäten von Siggi in seinem privaten Umfeld genauso ausgeprägt waren wie in seinem beruflichen Umfeld. Für seine Frau Sabine und seine beiden Söhne muss die Trauer um diesen besonderen Menschen überwältigend groß sein. Und mir fällt es schwer, Worte zu finden, die vor diesem Hintergrund zu trösten vermögen. Nur dieser Gedanke: Nicht jedem Menschen ist es vergönnt, einen spürbaren Beitrag zu leisten, dass die Welt ein besserer Ort wird. Siegfried Neuberger hingegen hat definitiv Spuren in dieser (Fahrrad-)Welt hinterlassen, die auch noch in vielen Jahren an vielen Orten und Stellen positiv wahrnehmbar sein werden.
Adieu mein Freund und danke für alles

6. Juli 2020 von Markus Fritsch
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