Interview - Simplon
»Simplon ist für mich ein absoluter Diamant«
In unserem Forum ging es relativ viel um Ihre Person: Ein Branchenfremder an der Spitze eines Fahrradherstellers – kann das gutgehen? Wie ist denn Ihr persönlicher Bezug zum Radfahren?
Stephan Wabnegger: Ich komme nicht von der Wettkampfseite, sondern von der Reiseseite. Früher bin ich sehr viel mit dem Rad quer durch Europa gefahren und hatte dabei viele schöne Erlebnisse, etwa bei der Tour mit dem Mountainbike quer durch Polen bis zur russischen Grenze. Ein Erlebnis, das in Erinnerung bleibt, war die Begegnung an der Grenze zwischen Tschechien, Polen, Russland am Tag des Mauerfalls, als wir dort spät nachts aus dem Wald, vom Berg kommend, auftauchten. Wir wurden mit Blaulicht empfangen und die Grenzbeamten wussten nicht, was sie von uns halten sollten. Waren wir Flüchtlinge oder Spione? Am Ende einigten wir uns auf die Lösung, dass sie uns nicht gesehen haben und wir sie nicht. Ich habe auch recht viele Reisen mit dem Fahrrad in Nordafrika hinter mir. Das ist mein persönlicher Bezug zum Radfahren.
Wie viel Fahrraderfahrung braucht es denn überhaupt, um ein guter Manager in der Fahrradwirtschaft sein zu können?
Ich glaube, es ist unbedingt erforderlich, dass man Branchenverständnis hat. Ich muss das Produkt Fahrrad grundlegend verstehen, das kann ich als Maschinenbauer abdecken. Aus meiner Sicht ist es aber noch wichtiger, dass man die Marktmechanismen, die Händler und Endkunden sowie die Mitbewerber versteht. Dafür habe ich ein großartiges Team an meiner Seite. In meiner Historie habe ich Motorräder gemacht, Seilbahnen und zum Schluss WCs. Dort habe ich jeweils fünf bis sieben Jahre verbracht und die Märkte dort verstehen gelernt. Ich glaube aber, gutes Management bedeutet, dass du erkennst, was die Qualität deines Teams ist. Die Menschen, die schon fünfzehn oder zwanzig Jahre in der Branche sind, haben einen Vorsprung, den ich nie aufholen kann. Also muss man sie in Rollen bringen, wo man ihnen zuhört. Gutes Management bedeutet, dass man ein funktionierendes Umfeld schafft, Struktur schafft und Offenheit schafft. Und damit ist man branchenunabhängig.
Ich wäre nicht zu Simplon gegangen, wenn es nicht diese Mannschaft gäbe. Das muss man an dieser Stelle sagen: Mein Engagement bei Simplon ist durch diese Mannschaft entstanden und nicht durch meinen primären Wunsch, Fahrräder zu erzeugen.
Woher kommt diese Verbindung zum Simplon-Team?
Wir haben uns durch ein Projekt kennengelernt, so ist der Bezug entstanden. Es war eigentlich nicht schon immer die Intention, zu Simplon zu gehen. Erst das Engagement, das Kennenlernen der Eigentümer und der Mannschaft hat mich dazu motiviert, hierherzukommen.
Sie haben das Thema gerade selbst schon angedeutet: Was sind denn die Besonderheiten der Fahrradbranche, die man als Branchenfremder kennen müsste?
Wenn ich alle schon kennen würde, müsste ich schon zehn Jahre dabei sein. Die wenigen, die sich mir bisher erschlossen haben, sind, dass man sehr wetterabhängig ist, dass man sehr endkundenabhängig ist und dass man, wenn man eine Marke hat, gut beraten ist, sie gut zu pflegen. Ich antworte ein bisschen aus meiner Historie: Den stärksten Bezug zu Simplon habe ich über zwei Unternehmen. Zum einen über KTM Motorräder, wo ich zuerst den Kundendienst geleitet habe und dann ein Produktionswerk. Zum anderen über die Firma Geberit. Da sehe ich einen Bezug, weil es dort auch einen zweistufigen Vertrieb gibt. Damit ist gemeint, dass ich über Fachhändler verkaufe, aber die Endkunden direkt anspreche. Das ist mein ganz klares Bekenntnis: Wir beziehen den Händler immer in den Verkaufsprozess mit ein. Aber wir wollen unsere Marke, und da bin ich sicher sehr von Geberit geprägt, beim Endkunden platzieren. Im Moment gibt es eine sehr feine, aber leider kleine Gruppe an Menschen, die verstehen, was Simplon ist. Simplon ist für mich ein absoluter Diamant, der aber noch nicht in vielen Köpfen verankert ist.
Bitte führen Sie das Thema zweistufiger Vertrieb noch etwas aus: Wie wird das im Detail ausgestaltet?
Was zweistufiger Vertrieb ist, habe ich bei Geberit bis in die Knochen gelernt. Es bedeutet, dass ich über Händler verkaufe und diese behandle ich gut. Ich versorge sie mit allem, was sie brauchen, um meine Produkte leicht zu verkaufen. Das ist aber nur eine Schiene. Die zweite Schiene ist der Endkunde. Der Kontakt zu ihm beginnt auf der Couch, am Anfang seiner Customer Journey. Er sagt, vielleicht noch unspezifisch, »ich möchte ein Fahrrad kaufen«. Und dann ist mein Anspruch, dass er zuerst auf unsere Seite kommt, unseren Konfigurator findet und ihm zuerst Simplon einfällt, wenn er dann zum Händler geht. Der zweistufige Vertrieb geht immer über den Händler und niemals direkt. Niemals.
Auch der Punkt Markenattraktivität wurde im Forum diskutiert. Einerseits zeigen die Reaktionen, dass Simplon noch relevant ist und sehr genau beobachtet wird, auch mit viel Emotion. Andererseits hat die Attraktivität zuletzt gelitten. Was sind denn die nächsten Schritte, um den Glanz der Marke Simplon wieder herauszupolieren?
Sie sprechen etwas an, was uns alle in der Seele schmerzt. Wir wollen unseren Markenkern wieder deutlich hervorheben. Die Menschen bei Simplon leben dieses Produkt, sie leben für diese Firma. Was ich an Simplon so attraktiv finde, ist, dass wir in diesem von der Familie Hämmerle gegründeten Unternehmen eine geschichtliche Basis haben, auf der wir gewachsen sind. Heute wissen wir mehr denn je um die Wichtigkeit einer klaren Positionierung,. Wir arbeiten gerade ganz intensiv daran, denn wir haben ja wirklich was zu bieten, so als Marke und als Firma!
Wir schauen uns dafür auch intern unsere Kultur an. Nur wenn wir von unserem Kern selbst überzeugt sind, bringen wir auch authentische Produkte. Diese Dinge müssen aus der Mannschaft heraus wachsen und entstehen. Das wird man auch an den zukünftigen Produkten sehen.
Was gab denn überhaupt den Anstoß für den Wechsel an der Spitze von Simplon? Können Sie aus der Perspektive, die Sie nun im Nachgang haben, dazu etwas sagen?
Ich denke, da waren sich Geschäftsführer und Gesellschafter nicht mehr einig in der Ausrichtung. Wie gehen wir mit dem Handel um? Wie gehen wir mit dem Thema Digitalisierung um? Wie gehen wir mit dem Thema Lagerabbau um? Wie gehen wir auch mit der geografischen Ausrichtung um? Wollen wir im DACH-Raum bleiben oder gehen wir die Benelux-Länder oder Skandinavien auch einmal an? Da hat es im vergangenen Jahr wohl einiges an Strategiearbeit und Diskussionen gegeben. Es ist im Grunde der Klassiker: Man war sich in der strategischen Ausrichtung einfach nicht mehr einig. Irgendwann haben sie wohl den Punkt erreicht, an dem klar wurde, dass sie auch nicht mehr zusammenfinden.
Wie lautet konkret der Auftrag, den Sie von den Eigentümern bekommen haben? Was ist die Mission?
Stabilisieren, Prozesse einführen, Struktur schaffen und Verbindlichkeit wieder als Wert bei Simplon etablieren. Zwei Dinge muss man bei Simplon als besonders positiv sehen: Einerseits die Belegschaft und zum anderen die Gesellschafter. Das sage ich nicht, weil die mich bezahlt oder eingestellt haben. Wir werden ja immer wieder darauf angesprochen, dass wir einen Finanzinvestor im Haus haben, der uns irgendwann an den Bestbietenden verkaufen würde. Ich habe die Hannover Finanz ganz anders erlebt. Die haben uns in der Krise viel Kapital zur Verfügung gestellt und machen uns das Leben viel leichter, als wir es uns selbst gemacht hätten.
Wir haben in der Vergangenheit ein paar Fehler gemacht, die aus der schwierigen Situation gekommen sind und die man auch niemandem anlasten kann. Wir haben das Glück durch das Kapital unserer Gesellschafter, dass wir unseren hohen Lagerbestand in Bikes verbauen können und dadurch auch wieder in Liquidität. Unsere Gesellschafter haben uns hier durch die schwere Zeit geholfen. Unsere Investoren sind nun schon über fünf Jahre dabei und wir haben das Commitment, dass sie noch lange drinbleiben werden. Sie haben einen klaren Weg für Simplon aufgezeigt: Eine starke Säule ist die Digitalisierung, das ist bei uns nicht nur ein Schlagwort. Sowohl im B2B- als auch B2C-Bereich wollen wir uns dabei deutlich verbessern. Unsere ganze Logistik wollen wir verbessern. Wir wollen wieder an den Punkt kommen, wo wir unseren Kunden einen ganz klaren Liefertermin nennen können, wenn er sein Bike konfiguriert. Und, das muss man ganz offen kommunizieren, das wird nicht von heute auf morgen geschehen. Aber wir haben einen straffen Zeitplan, um diese Ziele umzusetzen.
Sie haben schon bei Ihrem Amtsantritt einige Zukunftsprojekte benannt, die Sie angehen möchten und die Sie nun auch benannt haben. Wo fangen Sie an?
Im Moment investieren wir sehr stark in unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir wollen, dass unser Team nicht nur freundliche Worte hört, sondern die Wertschätzung auch spürt. Das sind teilweise Kleinigkeiten wie Arbeitszeitmodelle, die wir gerade ganz radikal überarbeiten, aber es geht auch um ein neues Bonussystem, um interne Veranstaltungen, um diesen Geist von Simplon wieder in alle Köpfe zu bringen. Wir versuchen, uns als Firma wieder neu zu spüren. Ich hoffe, das klingt nicht zu spirituell.
Akkurate Aussagen zu Lieferterminen machen zu können, ist eines der Ziele, die der neue Geschäftsführer Stephan Wabnegger mit seinem Team erreichen will.
Was sehen Sie als schwierigstes Projekt, was wird am stärksten unterschätzt bei den Herausforderungen im Management?
Personal ist ein kritisches Thema, die Leute zu finden und zu halten, die man wirklich will. Die Themen Einkaufsstabilität und Prognosen sind aus meiner Sicht wichtig. Der Markt ist für uns nicht ganz leicht lesbar. Der Kundenwunsch variiert heute deutlich schneller und stärker als in den letzten Jahren. Wenn sich auf dieser Ebene etwas ändert, belasten wir durch Umplanungen auch unsere Lieferanten. Der dritte Punkt ist, dass wir nicht mitmachen bei den Preisschlachten auf aktuelle Produkte, sondern uns mit Leistung und Features differenzieren wollen.
Sie haben den hohen Lagerbestand erwähnt. Was sieht denn die Situation derzeit aus und wie kam es dazu?
Wir hatten exorbitant viel Lagerbestand. Wir hatten schon Zelte aufgestellt, um alles einzulagern, was da war. Es ist uns aber gelungen, und das ist die besondere Leistung, aus diesem Lagerbestand Räder zu bauen und diese in den Markt zu bringen. Meine Engpasskapazität ist die Produktion. Wir können etwa 2000 Stück im Monat produzieren. Wenn ich zu spät anfange zu produzieren, schaffe ich die gewünschte Jahresmenge nicht. Also verbauen wir Material und haben Räder stehen, die bei Bedarf geliefert werden können. Ich möchte keine Nachtschicht, keine dritte Schicht und keine Wochenendschicht einführen, um Spitzen abzufangen.
Wie sah denn der zeitliche Ablauf bis zu diesem Warenüberhang aus? Auch Simplon hat sicher nicht alles zu jeder Zeit gehabt.
Ganz im Gegenteil. Man muss schon sagen, dass wir eine schwierige Phase hinter uns haben. Diese Phase hat begonnen in der zweiten Hälfte 2020, als die Lieferketten begannen, unklar zu werden. Gesteigert hat sich das im zweiten Corona-Jahr, als die Lieferanten uns nicht mehr gezielt beliefern konnten. Sie konnten nicht mehr vorhersagen, wann welches Teil geliefert wird. Stattdessen wurde angekündigt, dass wir einen Container bekommen und wir schauen müssten, was drin ist. An dieser Stelle ist unser Einkauf dazu übergegangen, viel einzukaufen, damit wenigstens etwas Material ankam, um Räder bauen zu können.
Und dann sind wir Ende 2021 und vor allem in 2022 an den Punkt gekommen, an dem wir so viel Material bekommen haben, dass wir es nicht mehr zeitgerecht einbuchen konnten, weil teilweise fünf, acht, zehn Container an einem Tag angekommen sind, die wir gar nicht so schnell ausladen konnten. So lag dann Material noch in den Containern, das für die Produktion benötigt wurde. In dieser Zeit sind auch Doppelbestellungen passiert, weil die erste Bestellung nicht rechtzeitig ankam.
Simplon war einst der Custom-Made-Anbieter schlechthin. Wo wollen Sie Simplon auf dem Spektrum von Vororder bis maßgefertigt künftig positionieren?
Wir bleiben ganz klar bei der Konfiguration. Wir werden nie ein Massenhersteller sein. Wir werden immer sehr fokussiert sein auf den sportlichen Kunden, auf den Kunden, der sich auskennt. Wir sehen aber etwa am Beispiel City-/Trekking-Rad, dass wir dort weniger Bedarf an spezifischer Konfiguration haben. Am Rennrad und Mountainbike wollen die Kunden alle Möglichkeiten haben und die werden sie bei uns bekommen. Wir wollen aber auch leichter lesbar sein. Die Menge der Optionen ist für manche Kunden überfordernd.
Man zitiert ja gerne Apple bei diesen Fragen, auch wenn ich mich nicht so weit aus dem Fenster wagen würde, uns mit denen zu vergleichen, aber deren Stärke ist es unter anderem, dass sie nicht jede Einstellmöglichkeit erlauben. Dadurch wird es für die Kunden leichter, zu einer Entscheidung zu kommen. Wir werden dem Spezialisten alle Optionen geben. Den urbanen Kunden zum Beispiel werden wir stärker an die Hand nehmen. //
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