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Segmente - Smarte E-Bikes

Smarte E-Bikes sind die Zukunft

Bei der Digitalisierung des Fahrrads wird Science-Fiction zur Realität. E-Bikes zu tracken und per Smartphone zu entsperren, ist nur die Spitze des Eisbergs dessen, was die Hersteller an Visionen entwickeln. In Zukunft könnten die smarten Funktionen von Fahrrädern zum Verkaufsargument Nummer eins werden.

Eine einheitliche Definition, ab wann ein E-Bike smart ist, gibt es nicht. Aber smarte Fahrräder bieten Funktionen und Features, die sie laut Herstellern zu mehr als Transportgegenständen oder Sportgeräten machen. Das Angebot ist schon jetzt vielfältig. Die Aufgaben, die die Mikroprozessoren in den Fahrrädern bewältigen, sind nicht nur verschieden komplex, sondern verfolgen ganz unterschiedliche Ziele.
Gemeinsam haben viele der »schlauen« Räder, dass sie mit dem Internet verbunden sind und über Sensoren Daten über das Verhalten der Fahrer und Fahrerinnen sammeln. So ist es zum Beispiel bei der Marke Cy­klaer von Storck und Porsche Digital, die im letzten Jahr debütierte. Die Fahrräder verfügen über digitale Rückspiegel und stellen eine WLAN-Verbindung mit dem Smartphone her. Über ein GPS-Modul lässt sich das Fahrrad tracken und warnt auf dem Handy, wenn es bewegt wird. Der digitale Rückspiegel erspart das Umdrehen beim Fahren und ist gerade für Menschen interessant, die nicht die sichersten Radfahrer sind, so Markus Storck.

Kroatische Innovationskraft

Ebenfalls mit Porsche verbunden ist die kroatische Firma Greyp. Als eine indische Firma Avancen machte, den Hersteller zu übernehmen, nutzte der damalige Anteilseigner Porsche ein Vorrecht und kaufte das Unternehmen Ende 2021 einfach selbst. Das Team von Greyp hat seine Wurzeln beim Automobilhersteller Rimac, wo zu Beginn ein Mitarbeiter in Eigenregie ein Gefährt baute, das eher an ein elektrisches Motorrad erinnert. Die Firma schuf die Marke dann mit der Grundidee, Tesla zu kopieren und Performance-orientiert mit einem smarten E-Mountainbike an den Start zu gehen. Mittlerweile gibt es eine zweite Produktlinie. Marketingleiter Vladimir Karmelić kann nicht genau sagen, wohin der Porsche-Weg Greyp führen wird. »Unsere Mobilitätsvision könnte jetzt etwas warten müssen. Wir arbeiten für Porsche an etwas Größerem«, so Karmelić geheimnisvoll. Zum Ende des Jahres könnten weitere Pläne vorliegen.

Den Trail gerockt? Auf Knopfdruck spielt das Greyp-Modell G6 die letzten 30 von der Frontkamera aufgenommenen Sekunden ab.

Zu den smarten Fähigkeiten bei Greyp zählt ein Fitnessmodus, in dem das Rad die Unterstützungsstufe an einen vorher festgelegten Pulsbereich anpasst. Die verbauten Kameras erfüllen zwei Funktionen. Auf dem am Vorbau montierten Smartphone ist sichtbar, was hinter dem Rad passiert, die Vorderkamera macht Action-Aufnahmen. Über ein Update kam zuletzt die Funktion Retro-Video hinzu. Wer eine besondere Fahrleistung erbracht hat, kann sich die letzten 30 Sekunden per Knopfdruck abspielen lassen.

Gechippt und versichert

Bei Riese und Müller werden die smarten Funktionen unter dem Begriff Rider Experience (RX) zusammengefasst. Über Zusatzleistungen lassen sich ein Diebstahlschutz inklusive Wiederbeschaffungsversprechen oder eine Voll-kasko-Versicherung hinzubuchen.
Auch bei Storck und Greyp arbeitet man mit einem Versicherungspartner zusammen. Bei den Kroaten lässt sich außerdem der Antrieb aus der Ferne deaktivieren. Als dem Marketing-Team Anfang 2021 zwei Räder entwendet wurden, nutzte Karmelić eine weitere Funktion. »Ich schickte eine Nachricht an die Fahrräder und drohte mit der Polizei.« Die Diebe ignorierten die Nachrichten und die Polizei griff zu.

Smartphone ja, Smartphone nein

Welche Rolle das Smartphone im System Fahrrad spielen soll, darüber herrscht in der Branche Uneinigkeit. Cyklaer, bei denen das Telefon am Lenker induktiv aufgeladen wird, verbaut keine Displays. Die Vernetzung läuft ausschließlich über das Smartphone, um ein zusätzliches Gerät zu vermeiden und nichts überspielen zu müssen.
»Eines Tages wird es das Smartphone nicht mehr brauchen, weil das Fahrrad dann alles selbst können sollte«, sagt dagegen Vladimir Karmelić von Greyp. Das Handy als Display ist bei Greyp eher eine Zwischenlösung, die Räder funktionieren auch ohne, ein weiteres, kleines Display ist verbaut.


Bei der neuen UBN-Line setzt Riese & Müller statt Display auf das Smartphone am Vorbau als Datenzentrale.

Exponierte Smartphones sind höherem Risiko ausgesetzt, bieten aber Vorteile bei der Bedienung. »Wenngleich sich einige der smarten Funktionen am Rad auch über Tasten und Knöpfe an den Komponenten bedienen lassen, eröffnet das Smartphone häufig noch weitergehende Möglichkeiten und in aller Regel eine deutlich komfortablere und übersichtlichere Bedienung«, so Michael Wild von Shimano-Importeur Paul Lange.
Bei der neuen UBN-Line verzichtet auch Riese & Müller auf ein Display. »Wir haben uns nicht bewusst fürs Smartphone entschieden, sondern gesagt ›Hol dir genau die Daten, die du brauchst‹«, meint Steffen Dautzenberg, Team Lead Produktinnovation bei Riese & Müller.

Datenverarbeitung – nur für E-Bikes?

Als Datengrundlage stehen den UBN-Line-Rädern der Ladezustand, Informationen eines Beschleunigungssensors, die Motortemperatur sowie der Akkustand des Connectivity-Moduls selbst zur Verfügung. Hinzu kommen kalkulierte Daten aus den GPS-Informationen wie die letzte Route und die Durchschnittsgeschwindigkeit. Auch der Prozessor im Cyklaer-Rad kombiniert Geschwindigkeit, Akkustand und die Fahrstufe mit Navigationsdaten.
Smarte Produkte gibt es auch aus dem Hause Shimano. Wer die Steps-Antriebseinheiten mit den Di2-Getriebenaben kombiniert, erhält eine selbstlernende automatische Schaltung. Auch künftige Systeme sollen diesem Trend folgen, verdeutlicht Michael Wild von Paul Lange die Entwicklung.


Kombiniert mit dem Steps-Antrieb schaltet eine künstliche Intelligenz die Gänge von Shimanos Di2-Naben automatisch.

Neben elektrischen Komponenten können auch Federungen, wie zum Beispiel durch das vollautomatische System Flight Attendant von Rock Shox, innerhalb des Fahrrads vernetzt werden. Auch Reifendrucksensoren kämen für Vernetzung infrage. Diese Produkte werfen die Frage auf, ob ein smartes Fahrrad überhaupt ein E-Bike sein muss. »Ich bin mir sogar sehr sicher, dass es auch für normale Fahrräder sehr relevant ist«, schätzt Markus Storck. Nur die Stromzufuhr müsste anderweitig gelöst werden.

Mit der Kundschaft verbunden

Smarte Funktionen bieten viel Spielraum für Hersteller, sich voneinander abzugrenzen, meint Teet Praks, Co-Founder von Comodule. Kunden des estnischen Modul-Anbieters können eine eigene App entwickeln und die Funktionen der Firma dort integrieren. Die Firma bietet zudem die Option, eine Whitelabel-App zur Verfügung zu stellen. In diesem Fall sparen sich die Hersteller viel Entwicklungsarbeit. »Wir übernehmen die volle Verantwortung für den Service. Damit ermöglichen wir es unseren Kunden, sich auf ihr Kerngeschäft, das Verkaufen und Vermarkten von Fahrrädern, zu konzentrieren«, beschreibt Praks das Angebot.
Über solche Apps oder anderweitig gesammelte Daten könnten Hersteller auch direkt mit dem Kunden Kontakt aufnehmen und ihren Service personalisieren. Bei Greyp, so Vladimir Karmelić, wäre es theoretisch kein Problem, für Werbemaßnahmen Leute herauszufinden, die in der letzten Woche steile Fahrten bergab gemacht haben. Es wäre auch denkbar, nach einer gewissen Laufleistung bestimm­­te Inspektionen oder den Austausch von Teilen vorzuschlagen. Die persönliche Ansprache stößt aber auf datenschutzrechtliche Hürden. »Das ist sicherlich noch Zukunftsmusik«, meint Markus Papke, Head of Innovation bei Riese & Müller.
Für die Entwicklungsabteilungen der Hersteller bieten die Fahrdaten ein ständiges Feedback. »Durch die erzeugten Fahrdaten ergeben sich neue Potenziale für unsere Innovations- und Entwicklungsabteilung. So könnte man das anonymisierte Nutzerverhalten analysieren und schauen, ob unsere E-Bike-Modelle so benutzt werden, wie und wofür wir sie konzipiert haben, und sie entsprechend verbessern«, erklärt Steffen Dautzenberg diese Form des Realitäts-Checks.

»In Zukunft wird Mobilität ganzheitlich vernetzt sein.«

Markus Papke, Head of Innovation, Riese & Müller

Weniger Freude als in der Entwicklung dürften die Hersteller derzeit in der Produktion haben. Alle befragten Firmen geben an, von Bauteilen, die aufgrund des Halbleitermangels fehlen, betroffen zu sein. Michael Wild vom Shimano-Importeur Paul Lange bestätigt, dass das Problem sehr verbreitet ist. »Shimano ist von der aktuellen Situation ebenso betroffen wie alle anderen Hersteller von elektronischen und digitalen Produkten innerhalb und außerhalb der Fahrradbranche«, so Wild.

Was bringt die Zukunft?

Die Verbindung mit der Cloud ist eine der großen Stärken smarter Fahrräder, da neue Funktionen teils über Mobilfunk auf bestehende Fahrräder aufgespielt und schon existente Funktionen ständig optimiert werden können. Ein ausgefalleneres Beispiel dafür könnte ein Bauteil im neuen Van-Moof-Modell sein, bei dem ein Sensor die Luftqualität misst. Wenn genug Fahrräder ihre Informationen über die Luftqualität miteinander teilen, wäre es denkbar, dass die Navigation Routen mit saubererer Luft empfehlen kann. Auch Karmelić hält solche Entwicklungen für denkbar. Mountainbikes könnten außerdem Routen vorschlagen, die zur Leistungsfähigkeit ihrer Nutzer passen, die diese mit künstlicher Intelligenz genau studieren.
Die Vernetzung von Fahrrädern mit anderen Verkehrsmitteln und der In­frastruktur könnte irgendwann dafür sorgen, dass Autos vor potenziellen Dooring-Unfällen warnen oder Ampeln den sich anmeldenden Fahrrädern eine grüne Welle geben. In diesem Bereich müssen aber erst Standards etabliert werden und es müsste über verschiedene Branchen hinweg zusammengearbeitet werden. »In Zukunft wird Mobilität ganzheitlich vernetzt sein. Und wenn du als E-Bike nicht in dieses Ökosystem reingehst, dann bist du zumindest auf der Connectivity-Ebene ein unsichtbarer Datenpunkt, den kein anderes vernetztes Verkehrsmittel wahrnehmen kann«, meint Markus Papke. Auch Datenspenden, die E-Biker und -Bikerinnen der Stadtplanung zur Verfügung stellen, wären möglich.
Darüber, unter welchen Umständen ein Fahrrad das Attribut der Smartness verdient hat, bedarf es vielleicht gar nicht viel Kopfzerbrechen. Den Begriff dürfte es in einigen Jahren nicht mehr geben, glaubt Teet Praks von Comodule. »Als die ersten Farbfernseher vorgestellt wurden, nannten sie alle Menschen Farbfernseher. Jetzt heißen sie einfach Fernseher und Schwarz-Weiß-Geräte sind eine eigene Kategorie.« Vielleicht werden in der Zukunft alle Räder smarte Bikes sein.//

2. Juni 2022 von Sebastian Gengenbach

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