Blaupause für Hersteller aus Europa?
TAIWANS FAHRRADINDUSTRIE PROFITIERT VON LOBBYING UND STANDORTPOLITIK
bereits seit Jahren ein Masterplan verfolgt, mit dem sich die Fahrradspezialisten gemeinsam qualifizieren und international vermarkten wollen. Gezielte Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit soll hier dazu beitragen, Exportmärkte zu entwickeln und zu erschließen. Vor diesem Hintergrund sind zum Beispiel das Engagement von Giant und der Taiwan Bicycle Exporters’ Association (TBEA) am europäischen Cycling Industry Club (velobiz.de berichtete), die Unterstützung der US-Initiative „Bikes Belong“ oder die auf Hurrikane Sandy folgende Aktion „Ride NYC Forward“ zu sehen. Vermutlich liefern die Aktivitäten in Taiwan keine Blaupause – ganz sicher aber einige Anregungen.
A-Team-Initiative für mehr Wertschöpfung
Bereits 2003 vereinbarten die Konkurrenten Merida und Giant im Kampf um Margen und Märkte zusammen mit elf weiteren Herstellern unter dem Titel „A-Team“ eine strategische Allianz. Unterstützt von der Regierung und mit dem gemeinsamen Ziel, ihre Unternehmen und den Standort Taiwan langfristig als Qualitätslieferanten im mittleren und oberen Preissegment zu positionieren. Säulen dieser Strategie sind seit der Gründung der gegenseitige Austausch, die gemeinsame Einführung des Toyota Production System (TPS) und die Etablierung eines Just-in-Time-Systems. Als Ergebnis wurden in den Folgejahren sowohl die Qualität als auch die Effizienz und damit die Wertschöpfung deutlich gesteigert: So stieg nach Angaben des Taiwan External Trade Development Council (TAITRA) zum Beispiel bis 2009 das Produktionsvolumen um 25 Prozent, während der Materialbestand gleichzeitig um 40 Prozent und der Flächenverbrauch um 30 Prozent reduziert werden konnte.
Genauso wichtig wie Effizienzgewinne waren aus Sicht der Hersteller zudem die Verbesserung der Lieferketten, die Etablierung von Cluster-Effekten und die Ausrichtung der Unternehmen als qualifizierte und nach internationalen Standards zertifizierte Ansprechpartner für die weltweite Fahrradindustrie. Dass die über Jahre hinweg forcierte Ausrichtung Erfolg hat, zeigen die für 2012 vorgelegten Zahlen: In einem wirtschaftlich schwierigen Umfeld fiel zwar im Zeitraum Januar bis September 2012 die Anzahl der exportierten Fahrräder im Vergleich zum Vorjahr um 2,28 Prozent, gleichzeitig erhöhte sich aber der durchschnittliche Erlös pro Rad um 8,75 Prozent auf knapp 400 US Dollar.
Persönlicher Einsatz und gemeinsames Lobbying
Während hierzulande die Liste derer, die etwas direkt oder indirekt für die Wahrnehmung des Themas Fahrrad in der Öffentlichkeit tun lang und manchmal auch etwas unübersichtlich ist, fehlen vor allem in der Politik wichtige Fürsprecher. Anders auf der Insel Taiwan, die man insgesamt natürlich nur schwer mit Deutschland vergleichen kann: Hier agieren Wirtschaft, Politik und Verwaltung inzwischen mit sichtbaren Erfolgen Hand in Hand. Das Thema Fahrrad wird durch die Bereitschaft vieler Beteiligter zur Kooperation und zu finanziellem und persönlichem Engagement getragen. Auch wenn die Wahrnehmung des durch Motorroller dominierten Lands als Radnation meist auf den B2B-Bereich begrenzt bleibt, sind die Erfolge der beständigen Lobbyarbeit deutlich sichtbar. Während zum Beispiel die Kombination von Fahrrad und Tourismus in Taiwan vor zehn Jahren noch exotisch anmutete, ist das Thema inzwischen medial omnipräsent. Dabei ist die Infrastruktur mit 3.800 Kilometern Radrouten rund um die Insel und zu den Sehenswürdigkeiten mittlerweile so gut ausgebaut, dass der alternative Reisführer Lonely Planet Radfahren als ‚must do‘ empfiehlt. CNN zählte kürzlich die Bike-Route um den Sun Moon Lake zu den zehn besten der Welt.
Ein Signal setzt auch das jährliche Taiwan Cycling Festival. In seinem Rahmen soll das Image des Radfahrens gefördert und die ganze Palette der Möglichkeiten, vom Bike-Verleih über BMX-Events bis hin zum Rennradfahren gezeigt und gelebt werden. Höhepunkt ist die Formosa 900, eine neuntägige Radtour um die Insel, die von der Taiwan Bicycle Exporters‘ Association (TBEA) organisiert wird. Die breite Unterstützung dieses Events durch Industrie, Politik, Verwaltung und Medien zeigt sich auch durch die persönliche Teilnahme – zum Beispiel von Giant CEO und TBEA-Chairman Antony Lo, der in diesem Jahr bereits das dritte Mal dabei war.
Am deutlichsten wird die Bedeutung, die Taiwan der Fahrradindustrie international als Wirtschaftsfaktor beimisst, in der Organisation der Taipei Cycle Show durch das Taiwan External Trade Development Council (TAITRA) und der internationalen Öffentlichkeitsarbeit als wichtiger Säule des Standortmarketings. So lädt die TAITRA seit 2007 Fachjournalisten aus den wichtigsten Zielmärkten wie Europa, das rund 63 Prozent des Exportvolumens ausmacht, sowie Nordamerika und Asien zu mehrtägigen Besichtigungen der Unternehmen ein. Die Factory-Touren sind dabei so erfolgreich, dass das Programm immer weiter ausgebaut wurde. Inzwischen haben mehr als 70 Journalisten an den Touren teilgenommen. 2012 waren allein rund 19 Vertreter internationaler B2B-Magazine, unter anderem aus Zukunftsmärkten wie Brasilien oder Südkorea vor Ort.
Highlights der Fahrrad-Industrie live erleben
Nach den Erfahrungen der TAITRA geht es für die Journalisten vor allem darum, die Produktion im laufenden Betrieb mitzuerleben und einen Eindruck von den Unternehmen, dem Management, seiner Philosophie, den Standards und seiner sozialen Verantwortung zu bekommen. Informationen also, die weder Hochglanzprospekte, Imagefilme oder Messeauftritte vermitteln können. Hier einige Highlights der diesjährigen Factory-Tour.
Pacific Cycles
Der auf Spezial- und Falträder spezialisierte Nischenhersteller (nicht zu verwechseln mit der Dorel-Tochter Pacific Cycle), der zum Beispiel für Riese und Müller das Birdy produziert, sieht seine Stärken bei der Umsetzung schwieriger Entwürfe und anspruchsvoller Konstruktionen. So gehören zum Team aus 120 Mitarbeitern allein 20 Ingenieure, die mit ihrem Know-how und modernsten Hilfsmitteln wie 3D-Druckern/-Scannern eine starke R&D-Plattform für über 40 international renommierte Marken bilden. Neuester Coup: Die Entwicklung und Prototypfertigung des Mando Footloose, dem ersten kettenlosen Falt-E-Bike.
Chia Cherne Industry
Als Marke und OEM-Hersteller ist Jagwire inzwischen zur Nummer eins bei Zügen und Hüllen aufgestiegen. Dabei steckt hinter dem Unternehmen kein amerikanischer Hersteller, wie sich auf den ersten Blick vermuten lässt, sondern die taiwanesische Chia Cherne Industry Company, die mit Büros in Europa und USA und Fertigungsbetrieben in Taiwan und Vietnam inzwischen weltweit operiert. Unter dem Motto „Life is Colorful“ trägt das Unternehmen mit hochqualitativen, zum Teil teflonbeschichteten Zügen und farbigen Hüllen, Ösen und Bremsbelägen dazu bei, dass die Fahrradwelt noch besser und stylisher wird. Seit 2002 arbeitet das Unternehmen, das zu den Gründungsmitgliedern des A-Teams gehört, zur Optimierung der Produktionsprozesse mit den TPS-Prinzipien. Die Qualitätsmanagement-Methode Six Sigma, ISO-Zertifizierungen, regelmäßige Audits und die Einführung von Total Productive Maintenance (TPM) gehören wie bei den übrigen A-Team-Mitgliedern inzwischen zum Standard.
Gigantex Composite Technologies
Auf den Trend zu immer mehr Carbon am Rad setzt Gigantex seit 1998 erfolgreich als OEM-Hersteller und inzwischen auch unter der Eigenmarke Equinox. Über die Jahre hat sich Gigantex zu einem Innovationsmotor entwickelt, der nicht nur Radsätze (zum Teil mit Carbonspeichen), sondern auch Lenker, Gabeln und Kurbelgarnituren herstellt und weltweit vertreibt. Angesichts des Preisverfalls bei Carbon setzt das R&D-Team, zu dem Chemiker, Ingenieure, Designer und Textilspezialisten gehören auf technische Innovationen, Qualität und Design. So gewann der Vollcarbon-Radsatz Equinox CSI in diesem Jahr den renommierten iF product design award.
VP Components
Egal ob bei Merida oder Giant, bei Rädern der Accell-Gruppe, Trek, Cycleeurope oder vielen anderen: Pedale, Tretlager und Steuersätze von VP Components finden sich weltweit an Millionen von Fahrrädern. Das 1980 gegründete Unternehmen arbeitet inzwischen an sechs Standorten mit modernsten Maschinen und einem hohen Automatisierungsgrad. So können zusammen mit Kunden neue Produkte schnell entwickelt und kostengünstig produziert werden. Allein in der Firmenzentrale in Taichung sorgen über 600 CNC-Maschinen dafür, dass aus Aluminium-Rohlingen Pedale gefräst werden. Glanzstück ist eine Hightech-CNC-Maschine, die nach Kundenvorgaben innerhalb von 24 Stunden einen Prototyp aus Aluminium erstellt. Ein weiteres Highlight ist der direkt an der Zentrale gelegene in diesem Jahr eröffnete VP Bike-Park: Die „Iron Hill Cycling Sport Village“ bietet auf 33.000 Quadratmetern einen UCI-Parcours, der als Treffpunkt und Eventfläche für Mountainbiker, BMX-Fans, Familien und Nachwuchsfahrer dient und einen Beitrag zur Förderung der Radkultur in Taiwan leisten soll.
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