Report - E-Mountainbikes
The next »big thing«?
Was waren das noch für Zeiten, als echte Helden mit geschulterten Skiern Berge erklommen oder umgebaute Cruiser das kalifornische Mittelgebirge hinaufschoben, nur um für eine vergleichsweise kurze Zeit die Schwerkraft für sich zu nutzen und den Berg gleich wieder hinunterzufahren. Zumindest der Aufstieg, der damals als besonders sportlich propagiert wurde, war mangels Skilift, Schaltung am Rad oder einer elektrischen Unterstützung wohl doch eher Last als Lust. Und auch die rasante Abfahrt galt mangels modernen Materials als nicht immer ungefährliches Vergnügen. Kein Wunder, dass der »Godfather« und Mitbegründer der Mountainbike-Szene Gary Fisher, dem zu Beginn der 70er-Jahre beim Bergaufschieben oder -fahren sicher das ein oder andere Mal ein Fluch über die Lippen gekommen sein dürfte, E-Bikes im Allgemeinen und E-Mountainbikes im Besonderen auf der Messe Interbike in Las Vegas vorbehaltlos als Zukunftsthema für die Branche empfahl: »Take it from me, this is going to be the next big thing!«
Kunden und Konsumenten wollen Spaß und Entlastung
Die Volksweisheit, dass die Götter vor den Erfolg den Schweiß gesetzt haben, mag weiter zutreffen. Aber dass auch vor dem Spaß notwendigerweise Anstrengung stehen muss, ist für die große Mehrheit heute weder wünschenswert oder nachvollziehbar, noch wird das in der Freizeit so gelebt. Naturerlebnis, Bewegung und Herausforderung? Ja, gerne! Aber Qual am Berg, dem Partner oder der Gruppe hinterherhecheln oder Höhenmeter als Ausschlusskriterium? Für die große Mehrheit eher abschreckend. Konsumenten und Freizeitsportler lieben angesichts begrenzter Zeit und Kondition trotz aller gewünschter Erlebnisqualität, Selbst- und Grenzerfahrung vor allem Entlastung und Komfort. Kein Wunder also, dass sich die spritzig-rasanten E-Mountainbikes nach anfänglichem Fremdeln inzwischen über alle Generationen und Kundengruppen hinweg einer ebenso rasant zunehmenden Beliebtheit erfreuen.
Neuer Schub für Mountainbikes
Den neuen Kundenbedürfnissen angepasst haben sich Hersteller und Industriezweige aus praktisch allen Bereichen. In Bezug auf den Tourismus vor allem die Skigebiete, die im Winter immer leistungsfähigere und komfortablere Infrastrukturen, bis hin zu mit Windschutz und Sitzheizung versehenen Liften bieten und sich nach dem Motto »Bike follows Ski« im Sommer mehr und mehr den Gästen auf zwei Rädern widmen. Mit Verleih- und Kursangeboten und einer hervorragenden Infrastruktur, bis hin zu kompletten Bikeparks. Vergleiche zum Skifahren zieht auch Max-Phillip Schmitt, der zusammen mit seinem Bruder Robin das mit über 28.000 Unique Visitors (August 2014) ebenso erfolgreiche wie rasant wachsende »E-Mountainbike-Magazin« als reines Onlinemedium betreibt. »E-Mountainbiken hat das Potenzial, das Skifahren des Sommers zu werden«, ist sich der Selfmade-Mann sicher. »E-Mountainbikes werden die Mountainbike-Branche stärker beeinflussen und verändern als jegliche Mountainbike-Entwicklungen der letzten zehn Jahre. Es besteht die einmalige Möglichkeit, eine wahre Zielgruppenerweiterung vorzunehmen, anstatt immer nur weitere Produkte für die gleiche Zielgruppe auf den Markt zu bringen.«
In die gleiche Richtung gehen auch die Gedanken beim Unternehmen Derby Cycle, wo man den Markt aufmerksam beobachtet und im sportlichen Bereich national wie international vor allem auf die Marke Focus setzt. »E-MTBs sprechen nicht nur eine jüngere, sondern ganz unterschiedliche Zielgruppen an«, so Focus Brand Manager Andreas Krajewski. »Von der Frau, die gerne wieder mit ihrem Mann zusammen in die Berge fährt, über den weniger leistungs- als mehr spaßorientierten Fahrer, bis hin zum Mountainbike-Besitzer, der sein Rad eher als Ausdruck seiner Persönlichkeit sieht. Dazu kommt natürlich auch der klassische Mountainbiker, der seinen Hausberg mit deutlich höherer Geschwindigkeit aber gleicher Anstrengung und einem breiten Grinsen auf den Lippen bewältigen will.«
Technische Entwicklung als Wachstumstreiber
Zentrale Erfolgsfaktoren sind aber nicht nur die Bedürfnisse und Erwartungen der Kundschaft, sondern vor allem die Produkte selbst. Und auch hier hat sich inzwischen viel getan. Schaut man genau hin, so kann man von einem Paradigmenwechsel sprechen, der inzwischen alle großen E-Bike-Hersteller erfasst und auch vor gesetzten Unternehmen wie Biketec nicht haltmacht. Hier verjüngt der neue CEO Simon Lehmann gerade das brave »Audi-100-Miet-Bike-Image« der Marke Flyer mit rassigen Sportgeräten und arbeitet zusammen mit Panasonic intensiv am Abschied vom »Milchkännchen-Akku«. Ausschlaggebend für diese Entwicklung ist laut Simon Lehmann und Andreas Krajewski, dass sich nach den Erfolgen bei Urban- und »kann man auch für Sport nutzen«-Bikes seit kurzem Entwicklungsexperten aus dem Performance-Sportbereich der Produktkategorie E-Bike annehmen. »Damit gibt es jetzt ein sehr breites Angebot von Mountain-E-Bikes mit speziellen Geometrien und Komponenten, die explizit für den Trail gebaut werden«, so Krajewski. Einen wesentlichen Beitrag leistet dabei auch die Entwicklung bei den Antriebssystemen: »Für den E-MTB-Bereich ist der Erfolg von Mittelmotoren, die ideal für starke Steigungen geeignet sind und eine gutes Ausbalancieren des Bikes ermöglichen, ein Segen«, erläutert der Focus-Mann. Das bestätigt auch Claudia Wasko, Regional Business Unit Leader für Nordamerika bei Bosch eBike Systems: »Innovative Mittelmotor-Konzepte für Pedelecs revolutionieren die E-Bike-Erfahrung und sind Wegbereiter vor allem für eine neue Generation von E-MTBs.«
Das erste globale Elektrorad?
Unbestritten ist der deutsche E-Bike-Markt im Hinblick auf die Produktqualität und Innovationen inzwischen weltweit führend. Bislang haben sich die Unternehmen auf wichtigen Absatzmärkten außerhalb Europas allerdings schwer getan. Mit E-MTBs könnte sich das schnell ändern. Davon ist nicht nur Claudia Wasko überzeugt. »Diese noch relativ junge E-Bike-Kategorie wird nicht nur die Anzahl von MTB-Fahrern erhöhen, sondern es auch MTB-Enthusiasten ermöglichen, ihrer Leidenschaft auch mit zunehmendem Alter zu folgen – nicht nur in Europa, sondern global – zum Beispiel in den USA, wo Fahrrad ohnehin mehr Synonym für Sport, Fitness und Freizeit als ein Transportmittel ist.« Große Chancen für E-Bikes als Sportgerät sieht auch Ed Benjamin, Senior Managing Director, eCycleElectric Consultants LLC und amerikanischer E-Bike-Experte der ersten Stunde. »Die Einführung hochfunktionaler E-Mountainbikes passt nahtlos in unsere Fahrrad-Kultur. Es ist wichtig festzuhalten, dass diese E-Bike-Facette augenblicklich für große Aufmerksamkeit in der Industrie und bei Konsumenten gesorgt hat.« Den Markterfolg vorantreiben könnte die Tatsache, dass laut Benjamin US-amerikanische Konsumenten zwar nicht so häufig fahren, wie in Europa, dafür öfter ein neues Fahrrad kaufen. »Insbesondere die Gruppe der Baby-Boomer (Anm. d. Red.: Der Ausdruck bezeichnet in den USA die Mitte der 1940er- bis Mitte der 1960er-Jahre geborenen) gibt dabei aktuell mehr Geld für Fahrräder aller Arten aus, als jede andere demographische Gruppe in der Geschichte der Menschheit.«
Den amerikanischen E-MTB-Markt im Aufbruch sieht auch Larry Pizzi, CEO des US-Unternehmens Currie Technologies, das seit Anfang 2012 zur Accell-Gruppe gehört und unter anderem Haibike in Nordamerika vertreibt. »Diese Sport-/Performance-Kategorie hat echtes Interesse bei statusbewussten Käufern von Luxusprodukten geweckt und auch Fahrradenthusiasten sind nicht nur interessiert, sondern von der Qualität, Zuverlässigkeit und Performance der Produkte beeindruckt.«
Imagewechsel und Run aufs neue Sportgerät
E-MTBs nur als Mountainbikes mit Hilfsmotor anzusehen, greift angesichts der neuesten Produkte, die sich sowohl in Bezug auf die Optik als auch die technischen Details wie elektronische Federung, Bordcomputer mit Navigationsfunktion oder Smartphone-Anbindung deutlich Richtung High-Tech und High-Performance entwickeln, wohl zu kurz. Statt nur Unterstützung zu bieten, markieren die neuesten Modelle eine eigene Produktkategorie – ein neues Sportgerät, das von Jung und Alt gleichermaßen begeistert aufgenommen wird. Das zeigen regelmäßig Veranstaltungen wie das Sea Otter Classic in Monterey, Kalifornien, das Bike Festival in Riva am italienischen Gardasee oder eben auch der Demo Day auf der Eurobike, wo ein regelrechter Run auf geländegängige Räder mit Motor zu beobachten war. Einen Imagewechsel beobachtet auch der Handel. Entgegen aller Vorurteile verkaufen sich gerade Performance-E-MTBs extrem gut. So gut, dass es bei vielen Modellen wiederholt bereits zu Beginn der Saison heißt »Ausverkauft – keine Nachorder möglich«. Die eigentlich erzielbaren Absatzzahlen lassen sich in dieser noch sehr jungen Kategorie damit bislang kaum realistisch einschätzen. Das Potenzial ist da. Bei allen Kundengruppen, wie zum Beispiel Jan Gathmann von der Zeitschrift Radtouren berichtet, deren Zielgruppe den E-Bike-Boom bislang eher kritisch beobachtete. »Nach einigen internen Diskussionen haben wir uns in der traditionell starken Frühjahrsausgabe erstmals mit E-Mountainbikes beschäftigt und waren erstaunt, wie positiv das Thema bei unseren Lesern und Anzeigenkunden aus dem Tourismussektor aufgenommen wurde.« Dabei ist die positive Resonanz eigentlich kein Wunder. Längere Strecken, mehr Höhenmeter, mehr Spaß und eine neue »Gleichheit« in den Bergen, mit der man fast jede Steigung meistern und mit dem Partner oder der Gruppe mithalten kann, sind Argumente, denen man sich nur schwer entziehen kann. Zudem: Die neue Kategorie passt zu den Trends unserer Zeit, in der röhrende Motoren und Benzingeruch als gestrig erscheinen und Umweltbewusstsein, Naturnähe, Gesundheit, Fitness und Leistung bis ins hohe Alter, Individualität und Erleben in der Gemeinschaft einen immer höheren Stellenwert einnehmen. Würde heute der Film »Zurück in die Zukunft« neu aufgelegt, dann könnte ein neuer Michael J. Fox in den kalifornischen Bergen seinem Alter Ego auf einem E-MTB begegnen. Mountainbike-Legende Gary Fisher hätte an dem Gedanken sicher seine Freude.
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