Markt - Gravel & Co.
Trend auch ohne »E«
Ob nun das Cross-Rad als Gravel Bike »sexy« gemacht wurde oder das Rennrad über die Station der komfortableren Endurance Bikes »waldtauglich« liegt im Auge des Betrachters. Denn unabhängig von den Wurzeln, soviel sei vorweggenommen: Diese neue Bike-Kategorie ist ein Trend und kein neuerliches Strohfeuer ähnlich dem Fat Bike. Da ist man sich seitens der Anbieter bereits einig. »Der Gravel-Trend ist viel nachhaltiger als beispielsweise das Fat Bike, welches zwar einen hohen Coolness-Faktor besitzt, aber einen sehr begrenzten Einsatzbereich hat«, sagt etwa Thorben Kriener von Sports Nuts.
Crossrad, Klassiker mit Potenzial
Viele Radsport-Fans erinnern sich noch an Querfeldein-Legenden wie Klaus Peter Thaler und Mike Kluge. Beide wurden Weltmeister in dieser Disziplin. Das war jedoch bereits in den Achtziger- und Neunzigerjahren. Seitdem ist der Radcross, mehr oder weniger, aus der Wahrnehmung der Deutschen verschwunden. Einzig die erfolgreichste deutsche Crosserin Hanka Kupfernagel sorgte mit ihren fünf Weltmeistertiteln (zuletzt 2008) dafür, dass dieser Sport hierzulande nicht völlig in Vergessenheit geriet.
Es gibt inzwischen Bemühungen, dieser spannenden Variante des Radsports in Deutschland eine neue Plattform zu geben, und auch der BDR spricht von einem neuen Boom. Dies ist jedoch kein Vergleich zu unseren belgischen Nachbarn, wo Cross-Rennen gefeiert werden wie hierzulande Fußballspiele.
Ähnlich ergeht es sich mit dem Sportgerät Crosser. Es ist ein sehr speziell für den Einsatzbereich konzipiertes Fahrrad, leicht und wendig, mit mehr Bodenfreiheit am Tretlager sowie einer kürzeren Sitzposition als beim klassischen Rennrad. Und als solches wird es auch von den Herstellern angeboten und im Markt wahrgenommen. »Die Anzahl der verkauften Crossräder stieg zwar in den letzten Jahren etwas an, der Cross/Querfeldeinsport wird aber unter den derzeitigen Bedingungen weiterhin eine exklusive Nische bleiben, sowohl im Radsport, als auch im Fahrradhandel«, weiß Thorben Kriener, der neben seiner Rolle als Marketingleiter bei Sports Nut auch die Plattform
www.radcross.de
betreibt.
Technologie-Transfer vom Mountainbike
Dabei sind Querfeldeinräder, besonders bedingt durch die große Auswahl an möglichen Reifenbreiten, das »Schweizer Taschenmesser« unter den sportiven Bikes. Erst recht, seit im Jahr 2010 die UCI die Benutzung der vom Mountainbike stammenden Scheibenbremsen in Wettkämpfen erlaubte. Das war schließlich Anlass für die Fahrradausrüster, mit Nachdruck entsprechende Systeme zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Mit den neuen Scheibenbremssystemen und passenden Montage-Standards wurde es wiederum möglich, auch am Rennrad auf die klassischen Bremszangen zu verzichten und Platz für breitere Reifen zu schaffen. Zudem wurde die ebenfalls dem Mountainbike entliehene Tubeless-Technologie mit all ihren Vorteilen für das Konzept Gravel übernommen. Peter Krischio vom Reifenhersteller Schwalbe glaubt sogar, dass die Tubeless-Technologie beim Trend Gravel Bike »eine entscheidende Rolle« spiele. Denn diese Reifen können mit weniger Luftdruck gefahren werden, haben dadurch mehr Grip, bei besserer Pannensicherheit. Diese Eigenschaft und ein geringeres Gewicht sind auch hier maßgebend für den Fahrspaß.
Stefan Scheitz von Sport Import, in Deutschland unter anderem Vertreiber des Felgenherstellers Stan’s NoTubes, sagt: »Durch diesen Technologietransfer werden die klassischen, feststehenden Fahrradkategorien aufgeweicht und der Fahrspaß des Rennrads in unwegsameres Gelände übertragen. Plötzlich haben auch Straßenradsportler die Möglichkeit der Erkundungstouren im heimischen Wald«.
Ein Trend, viele Namen
Ein weiteres Ergebnis dieser Technik-Ehe von Rennrad und MTB ist das Gravel Bike – alias Adventure Bike, Beyond Road und noch einiger weiterer Namen. Bei der Namensgebung ist man sich in der Fahrradindustrie aktuell offenbar noch nicht so einig, wie bei der Frage, ob es ein Trend ist.
»Bei Giant verfolgen wir seit mehr als drei Jahren konsequent das Thema, welches wir ›Adventure‹ nennen und die Einsatzmöglichkeiten dieser Bikes besser beschreibt als Gravel«, sagt Oliver Hensche, Geschäftsführer der deutschen Giant-Niederlassung. Der Fahrradhersteller sieht sich selbst als einer der Wegbereiter dieser Gattung: »Vor dreieinhalb Jahren haben wir das Modell ›Anyroad‹ der Öffentlichkeit vorgestellt, und haben, auch auf Druck der Endkunden, das Thema ›Adventure‹ weiter ausgebaut. Inzwischen bieten wir für die Modelle Anyroad und Toughroad jeweils eine Extended-Version an, die dem Wunsch der Pendler und Vielfahrer nach einer zuverlässigen Beleuchtung mit Nabendynamo nachkommt«, so Hensche. Zudem hat man bei Giant festgestellt, dass im Bereich der klassischen Trekkingräder gegenwärtig die größten Verschiebungen stattfinden: Der typische Trekkingradkunde wählt nun entweder ein E-Trekkingrad oder, wenn er ohne Unterstützung fahren möchte, ein Adventure-, also Gravel-Modell. Zudem verschiebe sich das untere bis mittlere Preissegment bei Rennrädern in Richtung Adventure. »Wir beobachten für diese Räder also Zulauf aus zwei Richtungen. Für 2018 wird das Thema ›Adventure‹ noch weiter ausgebaut, mit zusätzlichen Varianten. Die Querfeldein-Sportler sprechen wir weiterhin mit den Performance orientierten TXC-Modellen an. Für uns ist das klar der parallele Trend zum E-Bike«, erklärt Hensche.
Auch bei Merida steht das Thema Gravel auf der Tagesordnung. Und auch bei dem taiwanischen Fahrradhersteller ist die Namensfindung noch ein diskussionswürdiger Punkt: »Gravel ist insgesamt ein Trendbegriff, doch trifft er nicht zu 100 Prozent die Kategorie Fahrrad, die bei uns entwickelt wird«, sagt Unternehmenssprecher Tristan Zerdick. Für Merida gehe es dabei um eine deutliche Erweiterung des klassischen Rennrads, welche durch eine Komfort-Geometrie, spezielle Parts und breitere Reifenfreiheit mehr Freiheiten bieten soll. »In erster Linie denken wir dabei an einen klassischen deutschen Radweg, der in einem Moment noch aus Asphalt besteht, dann aber zu Schotter oder Feldweg wechselt. Ein Gravel Bike soll dabei die Leichtigkeit des Rennradfahrens auf solchen Wegen fortführen, ohne dass man Plattfüße oder mangelnden Grip befürchten muss«, erklärt Zerdick die Intention des Herstellers. Bei Merida ist man sich sicher, dass in vielen Menschen das Bedürfnis steckt, sich einfach aufs Rad zu setzen und loszufahren, ohne vorher großartige Planung zu betreiben. Genau für solche Momente sei das Gravel Bike genau das Richtige. Der Fahrradhersteller sieht hier zudem Potenzial, Kunden zu gewinnen, die noch keine traditionellen Rennradkunden sind, und den Markt dadurch zu erweitern, ohne ihn weiter zu segmentieren.
Skeptischer Handel
Mit Blick auf die Anstrengungen der etablierten Bike- und Zubehör-Hersteller sowie das Entstehen kleinerer, auf Gravel Bikes spezialisierter Anbieter wie Bombtrack oder Rondo ist spürbar, dass wieder Bewegung in das nicht elektrifizierte Fahrrad kommt. Denn egal ob für die kurze Feierabendrunde, die RTF am Wochenende oder den Bikepacking-Kurztrip: Das Gravel Bike kann liefern. Pendler haben zudem ein schnelles Rad , das die Freiheit bietet, nach Belieben Schutzbleche, Beleuchtung und den Träger für die Laptop-Tasche zu montieren.
Doch wie bei vielen neuen Ideen der Fahrradindustrie reagiert der deutsche Handel erstmal verhalten. Neuheiten fassen auf dem oft als skeptisch beschriebenen deutschen Markt schwerer Fuß. Händler, aber auch viele Verbraucher hegen hierzulande gerne den Argwohn, bei einer vermeintlichen Innovation nur einem Marketing-Trick zu erliegen. »Der US-amerikanische Markt ist da lockerer. Dort achten Radsportler stärker auf den Lust-Nutzen und heißen neue Trends schneller willkommen«, sagt der Rennradjournalist Caspar Gebel. »Höchstwahrscheinlich ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis sich das Gravel Bike auch in Deutschland durchsetzen kann, da auf Dauer die Vorteile wie die vereinfachte Nutzung und der erweiterte Einsatzzweck überwiegen. Dann werden auch sicherlich mehr und mehr Skeptikern die Zweifel genommen«, so die Meinung von Gebel.
Indes gibt es durchaus Händler, die an den Trend glauben und das Potential erkannt haben. »Aktuell entsteht im Handel eine regelrechte Sub-Kultur, es gibt immer mehr Händler, die sich dem Thema Gravel, Bikepacking und Beyond Road widmen«, beschreibt Jörn Gersbeck, Vertriebsleiter bei Marin Deutschland, das Bild im deutschen Handel, und macht hierbei zudem ein deutliches Nord-Süd-Gefälle aus. »Ab der Mitte aufwärts hat das Gravel Bike mehr Bedeutung für uns als Hersteller als im Süden der Republik«, stellt Gersbeck fest. Marin kategorisiert seine »Drop Bar Bikes« bereits in: »Beyond Road«, »Utilitour« und »Urban« und spezialisiert damit die »Gravels« für die unterschiedliche Spielarten.
Wunsch nach großer Freiheit
Neben den etablierten Herstellern sind es oft auch kleinere Bike-Schmieden die neben der Hardware vor allem das Lebensgefühl Gravel vermitteln. Und das ist am besten umschrieben mit: Biken, wann und wo ich will. Zwei dieser Markteilnehmer sind Rondo und Bombtrack.
Universell und trotzdem sportlich präsentiert sich die junge Marke Rondo dem Handel. Eine Geometrieverstellung durch geänderten Lenkwinkel und Nachlauf erlaubt es dem Biker, ein und dasselbe Rad von einem wettkampforientierten, aggressiven Cross-Bike in einen komfortablen Abenteurer mit stabilem Geradeauslauf zu verwandeln. Und bei Bombtrack ist es Teil der Marketingstrategie, den uneingeschränkten Einsatzbereich der eigenen Modelle und die damit verbundenen Wünsche nach der großen Freiheit in den Vordergrund zu stellen.
Dieser Ansatz eint die Hersteller und bildet die Basis dieses Trends. Denn welcher Rennradfahrer hatte noch nicht den Wunsch einfach mal in den Wald abzubiegen und den Straßenverkehr hinter sich zu lassen? Der Mountainbiker wiederum kennt das Gefühl, wenn sich seine Stollen auf Asphalt gegen ein Vorankommen sträuben. Mit Gravel finden nun zwei Welten zu-
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