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Umsatz mit Absatz
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Portrait - Heels on Wheels

Umsatz mit Absatz

2009 waren 51 Prozent der österreichischen Bevölkerung Frauen. Macht ein Fahrradgeschäft für Frauen, dass somit theoretisch 49 Prozent der Bevölkerung ausschließt, nicht einen großen Fehler? Laszlo Kruchio macht mit seinem Laden im Gegenteil sehr viel richtig.

Wollte man den Fahrradladen von Laszlo Kruchio in Graz mit nur drei Farben beschreiben, so würde man wohl diese wählen: grau, weiß – und bunt. Grau und fast unscheinbar wirkt er von außen. Nicht einmal ein Schild mit dem Namen des Ladens gibt einen Hinweis darauf, was sich im Inneren genau verbirgt. Wäre da nicht das Panorama-Schaufenster, dessen kunterbunte Auslage in krassem Kontrast zur dunkelgrauen Fassade des Hauses steht, man würde nicht ahnen, welche farbenfrohe Überraschung sich dahinter verbirgt. Hüter über all die bunten Schätze ist ein groß gewachsener Mann, schlanke Statur, dunkelblonder Kurzhaarschnitt. Trotz der jugendlichen Kapuzenjacke lässt die hohe Stirn ahnen, dass Laszlo Kruchio die Vierzig schon überschritten hat. Sein Gesicht wirkt freundlich, die aufmerksamen blauen Augen hinter der schmalen Brille passen gut zum strahlenden Lächeln. Und da ist es – das Weiß, das sein Lächeln so besonders macht. Geerbt seien die makellosen Zähne, meint der gebürtige Ungar, der mit 13 Jahren nach Österreich kam, fast schon ein bisschen entschuldigend.

Auf Umwegen zu den ­Fahrrädern

Dennoch könnten die vorbildhaften Zähne auch damit zu tun haben, dass Lazslo Kruchios Vater Zahnarzt von Beruf war. Eigentlich sollten die Söhne die Zahnarztpraxis des Vaters in der ehemaligen Grazer Vorstadt rechts der Mur übernehmen. Doch den einen Sohn zog es in die Ferne, den anderen immerhin in einen anderen Stadtteil von Graz, auf die linke, die gut-bürgerliche Seite der Mur. Auf dieser Seite findet man heute auch seinen Fahrradladen Heels on Wheels.
Zwölf Jahre sei er jetzt schon »bei den Fahrrädern«, erinnert sich Lazslo Kruchio, als könne er es selbst nicht so ganz glauben. Angefangen hat alles mit einem Studentenjob in einer Fahrradwerkstatt, den er neben seinem Studium der Zahnmedizin machte. Als ihn der Chef fragte, ob er seine Stunden nicht aufstocken wolle, hatte er bereits eine Entscheidung getroffen: gegen das Studium und für die Fahrräder. Er stieg also Vollzeit als Schrauber ein. 2007 war das. Seitdem hat er unter anderem bei den Sporthandelsketten Hervis und Sports Experts sowie der Fahrradwerkstatt Rebikel gearbeitet. Vier Jahre lang betreute er zusätzlich das Rennrad-Nationalteam der Frauen als Mechaniker. Auch wenn man von der Aufwandsentschädigung nicht reich wird, ist diese Zeit dem 44-Jährigen in guter Erinnerung geblieben. Nicht nur, dass er die Damen zu Rundfahrten und Rennen nach Italien, Frankreich, einmal sogar in die Türkei begleiten durfte. Auch von den anderen Mechanikern konnte er sich viel abschauen. Besonders beeindruckt hat ihn der japanische Kollege von Shimano. »Noch näher kann man nicht sein«, erinnert sich Laszlo Kruchio ein wenig melancholisch. Trotz seiner jahrelangen Erfahrung gibt es für ihn auch heute noch einiges dazuzulernen: »Nach einem Jahr in der Fahrradbranche habe ich gedacht: ›Jetzt bin ich voll der Meister und Chef‹ – wenn du tagtäglich zehn bis 20 Räder machst, bis du Routine hast. Nach zwei Jahren habe ich gedacht: ›Oh vor einem Jahr hast Du ja noch nichts gewusst.‹ Und das denke ich jetzt auch noch: ›Es gibt ja so viel, was du noch nicht weißt.‹«
Schuld daran mag auch die Tatsache sein, dass es in Österreich seit rund 40 Jahren keine geregelte Ausbildung zum Fahrradmechaniker mehr gibt. Sie sei zusammen mit der des Hufschmieds abgeschafft worden, erklärt der Inhaber von Heels on Wheels. Bestrebungen der österreichischen Fahrradhändler, den Lehrberuf Fahrrad­mechatroniker einzuführen, sind bisher gescheitert.

Das Ziel: Frauen glücklich machen

Auf der Website von Heels on Wheels erkennt man sofort, dass dieser Radladen keiner wie jeder andere ist. Hier wird mit Adjektiven wie »schön, schick, verblüffend bequem, stilvoll und elegant« geworben. Die Zielgruppe ist – ganz klar – weiblich. Um dies noch offensichtlicher zu machen, hat Laszlo Kruchio den Untertitel »Das erste Fahrradgeschäft in Graz – nur für Frauen« hinzugefügt. Zwar weise man auch männliche Kunden nicht ab, aber »natürlich ist unser oberstes Ziel Frauen glücklich zu machen – auf unsere Weise eben«, erklärt der Inhaber.
Die Idee zu dieser Spezialisierung hatte ein Schulfreund aus Ungarn – ein »Marketing-Guru«, wie Laszlo Kruchio ihn nennt. Und tatsächlich trägt dieses Alleinstellungsmerkmal – neudeutsch auch als »Unique Selling Point« oder kurz »USP« bezeichnet – dazu bei, dass sich Heels on Wheels von den anderen Radläden in Graz abhebt. Es ist nicht einfach nur ein Radladen mehr, sondern ein Ort, an dem Frauen sich in einer angenehmen Atmosphäre beraten lassen können und Fahrradzubehör finden, das aus der Masse heraussticht – und manchmal sogar pink ist.
Neben 100 Klingeln, einer Auswahl von ungefähr 40 verschiedenen Fahrradkörben, Fahrradtaschen von Basil, vielen verschiedenen Griffen, Helmen mit den unterschiedlichsten Farben und Prints, einer Regalwand voller Sättel, Fahrradflaschen und den dazugehörigen Halterungen, bunten Dekoblümchen gibt es auch Mäntel in allen Farben. Diese regenbogenfarbenen Ringe müssen eine Passantin vor einiger Zeit in die Irre geführt haben – kam sie doch tatsächlich in den Laden, den sie irrtümlicherweise für ein Fachgeschäft für Zirkuszubehör gehalten hatte, um dort nach einem Hula-Hoop-Reifen zu fragen. Nun, alle Frauenwünsche können selbst Laszlo Kruchio und seine vier Mitarbeiter nicht erfüllen.

Die Heels-on-Wheels-Edition und das gewisse Extra

Dennoch sind Chef und Belegschaft bemüht, den Kundinnen den bestmöglichen Service zu bieten. Dazu gehört etwa der »Batschn-Schnell-Service«: Innerhalb von zehn Minuten wird ein platter Reifen repariert, so dass die Kundin ihr Rad gleich wieder mitnehmen kann. Größere Reparaturen dauern in der Regel zwischen einem und drei Tagen – maximal 14 Tage, wenn es ganz hektisch zugeht. Während dieser Zeit können die Kundinnen eines der zehn kostenlosen Leihräder benutzen.
Dass bisher Zubehör und Service in den Vordergrund dieser Reportage über seinen »Rad«-Laden gestellt wurden, entspricht dem Konzept des Ladens. Über diese Produkte wird der Großteil des Umsatzes gemacht. Nur etwa 100 Fahrräder verkauft Laszlo Kruchio laut eigener Aussage im Jahr. Mit den angebotenen Marken deckt er die Preisklasse von 300 bis 500 Euro ab. »Das ist, was die Leute an dem Standort hier wollen«, denn die Diebstahlgefahr sei hoch, erklärt der Inhaber.
Zusätzlich zu Marken wie Adriatica, Cinzia, Excelsior, Zéfal und Panther werden auch drei Klassiker von BBF angeboten, bei denen das Preis-Leistungs-Verhältnis besonders stimmig ist. Das günstigste Modell ist die Heels-on-Wheels-Edition für 359 Euro mit 21-Gang-Schaltung. Die Räder werden vom Geschäft noch mit farbiger Klingel inklusive Heels-on-Wheels-Logo und Schloss in der passenden Farbe ausgestattet. Etwas teurer kommt das BBF-Mixte für 449 Euro mit sieben Gängen. Auch Fans von Lastenrädern werden hier fündig: Das BBF-Lastenrad in der Heels-on-Wheels-Edition gibt es für 1799 Euro, wahlweise mit 10-Gang- oder 8-Gang-Schaltung. Alle drei Räder kommen in einem schlichten Design und ohne Herstellerlogo. Sie lassen sich mit Zubehör aus dem Geschäft noch individualisieren.

Mehr als eine fixe Idee

Mit insgesamt sechs Vorführrädern ist Heels on Wheels in das Lastenradgeschäft eingestiegen. Damit antwortet Laszlo Kruchio, der als Vater eines mittlerweile sechsjährigen Sohnes seit drei Jahren selbst mit dem Lastenrad unterwegs ist, auf die Subventionsmaßnahmen der Behörden, die damit die Autos aus der Stadt verbannen wollen. Die Förderung der Stadt Graz für ­Lastenräder beträgt 1000 Euro, das Land Steiermark gibt noch einmal 500 Euro dazu, das Bundesumweltministerium erhöht auf insgesamt 1700 Euro.
Die Geschäfte laufen gut für den Grazer mit ungarischen Wurzeln. Er habe nie an einen zweiten Standpunkt gedacht, aber jetzt gibt er selbstbewusst zu: »Ich bin soweit, dass mir das Unternehmertum zu gefallen beginnt.« Aus diesem Grund hat er sich schon Immobilien in der Innenstadt angeschaut. Die Idee eines zweiten Ladens mit mehr Platz für Lastenräder und generell mehr Angebote für Familien ist mehr als eine fixe Idee in seinem Kopf.
Dafür muss aber eine Sache dringend her. Bisher konnte er seinen Laden noch ohne Warenwirtschaftssystem führen. Dennoch wird es immer schwieriger für ihn, ohne eine Software auszukommen. Gerade in der Vororderzeit kann er schlecht abschätzen, wie viele Pumpen er beispielsweise bestellen kann, um von den Rabatten der Hersteller zu profitieren. Und noch etwas wird dringend gebraucht –wie überall in Österreich und über die Grenzen der Alpenrepublik hinaus: Schrauber. Dominik, der bei ihm gerade eine Lehre zum Einzel­handelskaufmann absolviert und dabei natürlich auch das Schrauben lernt, wird er übernehmen. Die Zeichen stehen klar auf Expansio

3. Juni 2019 von Nadine Elbert
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