Report - Entwicklungsprozess Lastenrad
Von der Monsterjagd zum kompakten Lastenrad
Die Entstehungsgeschichte des GSD (kurz für »Get Stuff Done«) begann an einem sonnigen Wochenende in Taipeh: Tern-Gründer Josh Hon packte seine beiden Söhne in Kindersitze, die auf einer Lasten-Erweiterung von Xtracycle montiert waren. Und fuhr mit den beiden auf seinem Tern-Faltrad ans Ufer des Flusses Tamsui, um dort gemeinsam auf die Jagd nach Pokémon-Go-Monstern zu gehen. »Ob bei schnellen Richtungswechseln oder wenn wir von einem Bus überholt wurden: Die Kombination von Faltrad und per Schnellspanner montierter Lastenerweiterung war mit zwei Kindern als Zuladung bei Weitem nicht steif genug. Ich hatte wirklich alle Hände voll zu tun, um das Rad in der Spur und unter Kontrolle zu halten.«
Alltagsbedürfnisse als Anstoß
Mit dem »Cargo Node« bot Tern damals die Kombination von Faltrad und der Lastenerweiterung von Xtracycle als reguläres Modell an. »Hersteller wie Xtracycle oder Bicicapace waren bereits mit Fahrrädern auf dem Markt, die einzelne Elemente von dem boten, was ich für meinen Alltag mit der Familie brauchte«, blickt Josh Hon zurück. »Aber das komplette Paket war so noch nicht erhältlich, nämlich ein kompaktes, auf hohe Zuladung ausgelegtes Lastenrad mit elektrischem Hilfsantrieb und Platz für zwei Kindersitze auf dem Heckträger.« Wie so oft bei Tern stand die eigene Nutzung des Fahrrads im Alltag am Anfang der Entwicklung eines neuen Modells und in diesem Fall auch einer neuen Produktkategorie.
Aus der wenig erholsamen Ausfahrt ans Ufer des Tamsui resultierten die ersten Punkte im Pflichtenheft für ein neues Modell: Ein steifer Rahmen mit integriertem, überlangem Gepäckträger musste her. Diese Anforderung stellte das über Kalifornien, Finnland und Taiwan verteilte Design- und Entwicklungs-Team der Marke vor eine echte Herausforderung. Weil das neue Modell auf eine hohe Zuladung und den Transport von Kindern wie Gütern aller Art ausgelegt sein sollte, war nach einigen Diskussionen klar: Das Scharnier am Hauptrahmen musste als Schwachstelle weichen. Der sichere Transport schwerer Lasten hatte höhere Priorität als die Faltfunktion.
Entwicklung mit klaren Vorgaben
Auf der Basis von Terns erstem Falt-E-Bike »Vektron« baute darauf ein Entwicklungsingenieur heimlich einen Prototypen. Er verzichtete dabei auf Faltmechanismus oder überlangen Gepäckträger. Dieser Prototyp fuhr sich erstaunlich gut, aber der Gepäckträger bot nur Platz für einen Kindersitz. Damit fehlte ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal, das am Ursprung der Entwicklung gestanden hatte. Nach diesem ersten Versuch machte sich das Designteam um Joakim Uimonen an die Arbeit, um dem Prototypen einen überlangen Hinterbau und damit Platz für zwei Kindersitze zu verpassen. Um im urbanen Alltag seine volle Funktion entfalten zu können, musste das neue Modell klare Vorgaben einhalten.
Josh Hon ist der Mann hinter Hersteller Tern. Der Unternehmer entwickelt Produkte, die er selbst im Alltag und mit der Familie nutzen will und im Markt noch nicht zu finden sind.
»Ein Eckpunkt lautete, dass das komplette Rad nicht länger als 1,85 m werden durfte. Das entsprach der Länge des Laderaums eines VW Touran. Dieses Auto kannte ich von Uwe Weissflog, der mit seiner Agentur für Terns Marketing und PR in Europa verantwortlich zeichnet, und ich zog als Familienvater selbst für eine Weile einen Kauf in Erwägung«, erklärt Josh Hon. »Weil in Städten zunehmend verdichtet und in die Höhe gebaut wird, sollte das neue Modell zudem einfach in einen Aufzug passen.« Falten ließ sich beim GSD daher nur die Lenksäule. Trotz des beachtlichen Radstands passt das Rad so problemlos in einen gewöhnlichen Kombi und nicht nur in Vans.
Kleiner Fußabdruck, großer Nutzwert
Weil Stau- und Parkraum in Großstädten knapp sind, war eine klassische Longjohn-Konstruktion von Anfang an ausgeschlossen. Dafür stand außer einem kompakten Fußabdruck die Anforderung, das Rad sicher im Lift transportieren zu können, am Ursprung eines weiteren Merkmals des GSD: Da die Enden des verlängerten Gepäckträgers mit Gummipuffern versehen sind, lässt sich das Rad einfach vertikal hinstellen. Dies erlaubt auch das Verstauen auf kleinem Raum. »Auf den ersten Blick scheint das keine große Sache, aber so machten wir das Lastenrad für all jene zum Thema, deren Mietwohnung kaum Platz für ein Fahrrad bietet. Statt eine Nische in der Nische zu schaffen, konnten wir so zusätzliche Zielgruppen erschließen«, blickt Josh Hon zurück.
Mit den 20-Zoll-Laufrädern schaffte es ein Merkmal klassischer Falträder ans GSD. So ließ sich der Schwerpunkt absenken und zugleich die Trägheit kompensieren, da der lange Hinterbau das Handling zu beeinträchtigen drohte. Schließlich ist das kompakte Lastenrad für den Einsatz im Stadtverkehr gedacht, wo sich nicht nur das Tempo, sondern auch die Richtung oft ändert. Die variable, ohne Werkzeug rasch einstellbare Lenkzentrale und der flache Sitzwinkel sorgen dafür, dass sich das GSD einfach an Körpergrößen zwischen 1,50 und 1,95 Metern anpassen lässt. Getreu dem Motto von Tern, mehr Menschen aufs Fahrrad und dazu zu bringen, das Auto möglichst stehen zu lassen.
Drei Kontinente, ein gemeinsames Ziel
Auf dem Weg von der Idee bis zum kompakten Lastenrad brachten Akteure aus verschiedenen Kontinenten ihre Expertise ein. Eine Schlüsselrolle spielte dabei der finnische Chefdesigner Joakim Uimonen. Mit einem strengen Blick auf die Details sorgte zudem der Schweizer Fachhändler und Reiserad-Spezialist Thomas Lösch dafür, dass das Rad im Alltag wie in der Werkstatt keine Probleme macht, und Uwe Weissflog lieferte wichtige Rückmeldungen dazu, was der Markt in Europa verlangte. Die Amerikaner im Entwicklungsteam richteten ihr Augenmerk aufs Design und die Taiwaner darauf, dass sich das Rad zu sinnvollen Kosten im industriellen Maßstab fertigen ließ. Dazu kam die Expertise von EFBE, um die Konstruktion strukturell solide zu gestalten. Die ersten Reaktionen von Vertriebspartnern auf das GSD waren verhalten: Diese hätten sich von Tern zu der Zeit eher ein faltbares E-Bike mit tiefem Einstieg gewünscht, um so bei Besitzern von Yachten und Wohnmobilen zu punkten. Schließlich hatte sich die Marke seit der Lancierung im Sommer 2011 einen Namen als Spezialist für Falträder gemacht. Doch kurz vor der Eurobike sorgte Tern im Sommer 2017 mit einer Serie kurzer Videos für Aufsehen, welche die Vielseitigkeit des kompakten Lastenrads auf humorvolle Art demonstrierten. Dank dieser Videos, über die im Vorfeld der Messe verschiedene Fachmedien berichtet hatten, fiel das Interesse für das neue Modell auf der Messe weit größer aus als erwartet.
Erfolgsgeschichte nimmt ihren Lauf
Verschiedene Importeure vervielfachten darauf ihre zuvor vorsichtige Vororder für das ungewohnte, kompakte Lastenrad. Von da an nahm die Erfolgsgeschichte Fahrt auf: Die Orderbücher füllten sich schnell, und mit den Modellen »HSD«, »Quick Haul« und »Short Haul« brachte Tern bald weitere kompakte Lademeister auf den Markt, jeweils zu tieferen Preisen und im jüngsten Fall gar ohne elektrischen Hilfsantrieb. Und wie so oft, wenn jemand eine gute Idee hat, kreuzten auch bald Nachahmer auf, die ihrerseits Longtail-Lastenräder mit kleinen Laufrädern auf den Markt brachten.
Eine wichtige Zutat zum Erfolgsrezept der kompakten Lastenräder von Tern war von Anfang an das Zubehör, mit dessen Hilfe sich der gebotene Stauraum optimal nutzen lässt. Ob für den Transport von sperrigen Gütern, Paketen, Kindern oder Erwachsenen: Tern hat passendes Zubehör für jedes Wetter zur Hand. Dem Fachhandel bietet dies eine willkommene Gelegenheit für weitere Umsätze und den Kunden größeren Praxisnutzen. Denn mit diesem Zubehör lässt sich das Fahrrad Schritt für Schritt an die Lebensumstände anpassen. Schließlich soll so ein GSD rund zehn Jahre lang seinen Dienst als kompakter Lademeister verrichten. //
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