Studie - Radverkehrsförderung
Wer fährt nicht Fahrrad?
Unter dem Titel »RadAktiv: Identifizierung, Typisierung und Aktivierung von Nicht-Radfahrern« fördert das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur ein Projekt, das am Department für Geografie der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität angesiedelt ist. 226.019 Euro Bundesmittel fließen in das Projekt, die aus dem Topf zur Umsetzung des »Nationalen Radverkehrsplans 2020« genommen wurden. Das Projekt startete im Januar 2018 und läuft bis Ende dieses Jahres. Kern des Projektes ist es, die Heterogenität der Gruppe der Nicht-Fahrradfahrenden zu entschlüsseln und darauf aufbauend Maßnahmen zu entwickeln, die die potenziellen Radfahrer aktivieren und aufs Rad bringen. Das Ziel lautet, die Zusammensetzung des Verkehrs, den sogenannten Modal Split, zugunsten der Fahrradfahrenden zu verändern. Nun liegt ein erster Zwischenbericht zum Projekt vor. Dr. Johannes Mahne-Bieder ist der Ansprechpartner auf Projektebene.
Von wie vielen Nicht-Radfahrenden gehen Sie nach heutigem Stand aus? Ist diese Zahl im europäischen Vergleich außergewöhnlich?
Laut der aktuellen Studie »Mobilität in Deutschland« fährt die Hälfte der Deutschen sehr selten, also weniger als 1-mal im Monat oder nie, Fahrrad und gehört somit zu den Nicht-Radfahrenden. Vergleichbare internationale Zahlen liegen uns bisher nicht vor. Allerdings gibt es Zahlen zum Fahrradbesitz und es ist davon auszugehen, dass mit steigendem Fahrradbesitz auch die Nutzungshäufigkeit und der Anteil der Radfahrenden steigt. In Deutschland besitzen ca. 80 Prozent der Haushalte mindestens ein Fahrrad. In Großbritannien lediglich knapp 54 Prozent der Haushalte, in den Niederlanden ist hingegen sogar in rund 91 Prozent der Haushalte mindestens ein Fahrrad vorhanden.
Was hindert die Nicht-Radfahrenden vor allem daran, Rad zu fahren?
Die Barrieren der Nicht-Fahrradfahrenden standen im Vordergrund des durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) im Rahmen des Förderprogramms des Nationalen Radverkehrsplans 2020 geförderten Projektes »RadAktiv«. Hier konnten wir zeigen, dass Nicht-Radfahrende dieselben Barrieren nennen wie auch Radfahrende. So verhindern vor allem Umwelteinflüsse wie das Wetter oder auch fehlende Infrastruktur spezielle Fahrten. Nicht-Radfahrende haben jedoch im Gegensatz zu Radfahrenden ein höheres Sicherheitsbedürfnis. Diesem Umstand muss vor allem bei der Planung von Radinfrastruktur Rechnung getragen werden, sollen auch bisherige Nicht-Radfahrer und Radfahrerinnen dauerhaft auf das Fahrrad steigen.
Gibt es Bevölkerungsgruppen, die besonders wenig Rad fahren? Und wenn ja, woran liegt das?
Prinzipiell unterscheiden sich Nicht-Radfahrende von Radfahrenden dadurch, dass sie eine fahrradferne, meist autoaffine Mobilitätssozialisation durchlaufen haben. Da unser Verkehrsverhalten stark habitualisiert ist, wirkt diese meist in der Kindheit erfolgte Sozialisation bis in das Erwachsenenalter nach. Zudem bewegen sich viele Nicht-Radfahrende in einem fahrradfernen sozialen Umfeld. Damit ist gemeint, dass auch Kollegen und Bekannte sehr wenig bis gar nicht Radfahren. So entstehen auch keine externen Impulse, welche die Nicht-Radfahrenden ermuntern würden, auf das Rad zu steigen. Zu guter Letzt halten viele Nicht-Radfahrende das Fahrrad für ungeeignet für Besorgungen, Einkäufe oder den Weg zur Arbeit. Häufig wird das Fahrrad ausschließlich als Freizeitgerät wahrgenommen.
Am Ende des Projekts steht als konkretes Produkt ein Handlungsleitfaden, der neben Informationen zu typenspezifischen Barrieren der Radnutzung konkrete Empfehlungen für deren Überwindung liefert.RadAktiv uni-muenchen.de
Haben Sie Unterschiede zwischen dem städtischen und ländlichen Raum festgestellt?
Regional lassen sich durchaus große Unterschiede in der Fahrradnutzung ausmachen. So unterscheiden sich beispielsweise verschiedene Städte stark in ihrem Fahrradanteil am Modal Split. In unserer repräsentativen Befragung ließen sich jedoch keine prinzipiellen Unterschiede zwischen Städten und ländlichen Räumen ausmachen. Es kommt hier sehr auf den Einzelfall und die jeweiligen Rahmenbedingungen an.
Welche Gruppen der Nicht-Radfahrer ließen sich am ehesten für das Fahrradfahren begeistern und welche sind kaum oder nur schwer zu motivieren?
Bei Betrachtung der drei wirkmächtigsten Faktoren – Mobilitätssozialisation, soziales Umfeld und Zweckmäßigkeit des Fahrrads – lassen sich bereits mehrere Gruppen ausmachen. So treffen auf 29 Prozent der Nicht-Radfahrenden alle drei Faktoren in negativer Weise zu, sie haben also eine fahrradferne Mobilitätssozialisation durchlaufen, leben in einem fahrradfernen sozialen Umfeld und sehen das Fahrrad als ungeeignet für Besorgungen und den Arbeitsweg an. Diese Gruppe ist folglich am schwersten zu motivieren. Weitere 38 Prozent weisen zwei negativ ausgeprägte Faktoren auf und 26 Prozent lediglich einen. Am einfachsten zu motivieren dürften die 7 Prozent sein, die keinen der drei Faktoren in negativer Ausprägung aufweisen. Auch wenn diese Gruppe im Verhältnis relativ klein ist, so sprechen wir hier dennoch von rund 5 Millionen Menschen in Deutschland im Alter von 16+.
Welche Tipps würden Sie einem Fahrradhändler geben, der neue Zielgruppen für sich erschließen möchte? Wie sollte die Ansprache erfolgen?
Viele Nicht-Radfahrende sehen das Fahrrad nicht als zweckmäßiges Verkehrsmittel, sondern halten es allenfalls geeignet für die Freizeit. Somit fehlt es an Wissen und Erfahrungen über die Möglichkeiten, das Fahrrad auch darüber hinaus zu nutzen, zum Beispiel für Besorgungen oder den Arbeitsweg. Hier könnten Händler mit Demonstrationen und Testnutzungen von Fahrrädern und Zubehör, auch über längere Zeiträume hinweg, vom Fahrrad als Alltagsfahrzeug überzeugen. Gerade längere Testzeiten sind vielversprechend, da sich Mobilitätsmuster aufgrund ihrer Habitualisierung nur sehr langsam ändern und Vorteile erst mit einer gewissen Routine deutlich werden. Zwei bis drei Wochen gelten hier als magische Grenze. Solche Tests sollten im Idealfall für die potenzielle Kundschaft
kostenneutral ausfallen.
Anknüpfungspunkte für eine Neukundengewinnung können auch sogenannte Bike-Challenges darstellen, die bewusst auf eine Motivation zum Fahrradfahren durch das soziale Umfeld setzen. Bike-Challenges sind Events, bei denen Mitarbeiter z.B. motiviert werden, mit dem Rad zur Arbeit zu kommen, und auch Kollegen dazu motivieren sollen, das Rad zu nutzen. Mit Hilfe eines Punktesystems für gefahrene Tage oder motivierte Kollegen werden Belohnungen ausgelobt. Hier können Händler ansetzen und im Zeitraum des Events Fahrräder für die Nicht-Radfahrenden zum Testen zur Verfügung stellen, da gut 60 Prozent der Nicht-Radfahrenden in Deutschland kein funktionsfähiges Fahrrad besitzen.
Der hohe Anteil an Nicht-Radfahrenden ohne Zugang zu einem Fahrrad stellt insgesamt einen guten Ansatzpunkt dar. Hier ließe sich vor allem durch einen günstigen Einstieg, z.B. über Gebrauchträder, die relativ große Gruppe der Nicht-Radfahrenden ohne Fahrrad für den Handel als potenzielle Käufergruppe erschließen.
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