Interview - KMS TEAM
Wie geht Marke?
{b}Wie würden Sie einem Laien wie mir erklären, was Branding ist? Und was eine Branding-Agentur macht?{/b}
Simon Betsch: Der Begriff »Branding« kommt historisch aus der Kennzeichnung von Eigentum. Nämlich indem man Güter oder Tiere mit Brandzeichen markiert hat. Daraus ist über die Jahrhunderte das heutige Verständnis von Marke entstanden, die nicht mehr nur Originalität und Herkunft kennzeichnet, sondern auch welche Werte mit einem Produkt verbunden sind. Die Marke stellt somit auch eine Differenzierung weitgehend baugleicher Produkte dar. Deswegen ist das Thema Marke gerade auch im Fahrradmarkt so spannend. Für den Laien wird es immer schwieriger, die Unterschiede zwischen zwei Modellen von verschiedenen Herstellern zu sehen.
{b}Ist Marke dann nur noch eine rein emotionale Angelegenheit?{/b}
Betsch: Teils, teils. Eine Marke funktioniert nur auf dem Fundament eines soliden und glaubwürdigen Angebots mit entsprechender Funktion. Die Marke beschreibt dabei im Idealfall alle Eigenschaften eines Unternehmens oder Produkts sowie auch einen emotionalen Mehrwert. Der Konsument ist bereit, für die Identifikation mit dem Unternehmen und der Marke einen höheren Preis zu bezahlen.
{b}Ist der emotionale Mehrwert somit der Produktbestandteil, der nicht austauschbar ist, der quasi ein beliebiges Produkt einzigartig macht?{/b}
Betsch: Überspitzt formuliert, mag das so stimmen. Jedes Unternehmen versucht sich zwar auch durch nachprüfbare Fakten zu differenzieren. Es gibt aber Märkte, wo das immer schwieriger wird. Nehmen Sie beispielsweise Mobilfunk oder Finanzdienstleistungen: Da werden die Produkte so abstrakt und schwer verstehbar, dass die Markenentscheidungen von Konsumenten viel eher auf einer emotionalen als auf einer faktischen Ebene ablaufen. Solche Fälle gibt es auch im Fahrradsegment. Carbon-Rahmen zum Beispiel, wo kaum ein Kunde die Qualitäts- und Funktionsunterschiede, die unter dem Lack stecken, benennen könnte.
{b}Ist Marke somit vor allem auch das Ergebnis von Marketing? Oder gehört noch mehr dazu, um Marken zu schaffen?{/b}
Betsch: Das wird in der Realität sehr unterschiedlich aufgefasst. Es gibt Kollegen, die sagen: Kein Marketing ohne Marke und keine Marke ohne Marketing. Man muss hier vielleicht aber ein wenig weiter ausholen. Der Begriff »Marketing« entstand ursprünglich als Management-Konzept. Da ging es darum, ein Unternehmen markt- und kundenorientiert zu führen. Heute hat sich das Verständnis von Marketing dann allmählich zum Oberbegriff für Kommunikation oder Werbung gewandelt. Die Wahrheit, wie Marketing heute in der Unternehmensrealität angewendet wird, bewegt sich irgendwo in diesem Spektrum. Und genauso ist auch das Spektrum von Marke zu sehen. Manche sagen, ich habe ein starkes Produkt und das ist die Marke. Andere wiederum sagen, mein Unternehmen als Gesamtheit ist die Marke.
Wir bei KMS raten unseren Kunden zum letzteren Weg. Wir sehen uns als Partner einer gesamtheitlichen Unternehmensführung. Erfolgreiche Markenführung greift nach unserer Vorstellung in alle unternehmerischen Prozesse ein, betrifft jeden Mitarbeiter und muss eine glaubwürdige Leitkultur des Unternehmens sein.
Markus Sauer: Es geht also nicht nur ums äußere Erscheinungsbild, sondern auch um die Haltung, die man als Unternehmen entwickelt hat. Man kann auch sagen: Marke steht für »Wer bin ich und warum?«, in gewisser Hinsicht für die Grundhaltung des Unternehmens. Und Marketing ist der Weg, um diese Werte zu transportieren.
{b}Weil die Marke dann nachhaltig und glaubhaft wird?{/b}
Betsch: Weil das Unternehmen als Gesamtheit dann an jedem Berührungspunkt mit der Außenwelt dieselbe Identität ausstrahlt. Wir glauben, dass das Unternehmen langfristig erfolgreich macht. Deshalb ist es auch wichtig, die Verantwortung für die Marke als Aufgabe des Top-Managements anzusiedeln und nicht zu delegieren.
Es gibt auch Marken, da wird das ganz anders gesehen. Nehmen Sie Konglomerate wie Procter&Gamble oder Unilever, da sind Ariel oder Knorr reine Produktmarken, die entsprechend gemanagt werden. Da weiß der Verbraucher auch meist nicht, welches Unternehmen hinter der Marke steht.
{b}Wahrscheinlich unterliegt eine Marke bei solchen Schnelldrehern auch anderen Gesetzen als bei hochwertigen Gebrauchsgütern…{/b}
Betsch: Das grundsätzliche Funktionsprinzip ist dennoch immer dasselbe. Nämlich, dass eine starke Marke die beste Kommunikation ist. Eine starke Marke löst viele Kommunikationsaufgaben, bevor überhaupt eine Frage entsteht. Als Konsument muss ich mich bei der Kaufentscheidung nicht mehr mit der Frage beschäftigen, ob beispielsweise Starbucks glaubwürdig für bestimmte Themen und Werte steht. Ich weiß als Konsument, bevor ich eine Filiale betrete, was ich von Starbucks zu erwarten habe. Dieser Kommunikationsvorsprung verschafft dem Kunden ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit und macht Marken zu den Orientierungspunkten unserer Zeit.
{b}Ist Marke ein Selbstläufer, wenn ich es als Anbieter einer Marke geschafft habe, deren DNA quasi tief im Unternehmen zu verankern?{/b}
Betsch: Nein. Unternehmen, die dachten, die Pflege der Marke wäre ab einem gewissen Punkt ein Selbstläufer, sind damit meist auf die Nase gefallen. Vor allem auch weil sich Verbraucherverhalten ändern. Ein weiser Spruch im Marketing lautet: »Es ist nicht, was du sagst, was es ist, sondern was deine Kunden sagen, was es ist.« Soll heißen: Marke entsteht im Dialog mit dem Kunden. Deshalb kann ich als Unternehmen nicht schlussendlich bestimmen, wofür ich stehe, und muss als Markenanbieter immer auch auf meine Umwelt achten und wie ich von ihr wahrgenommen werde.
{b}Sie beraten Unternehmen ganz unterschiedlicher Branchen. Da sind einige hochtrabende Namen darunter, aber auch Anbieter aus der Fahrradbranche. Inwiefern unterscheidet sich das Marketing von Marken im Fahrradmarkt von anderen Branchen?{/b}
Betsch: Der Fahrradmarkt ist, was das Marketing angeht, sehr erwachsen. Das liegt sicherlich auch daran, dass Radfahren und insbesondere der Radsport Aktivitäten sind, bei denen auch sehr viel Emotionalität im Spiel ist. Das macht es etwas leichter, Marken aufzubauen.
Der Fahrradmarkt unterscheidet sich beim Marketing am ehesten darin, dass man viele Dinge nicht so eng sieht wie in anderen Branchen. Da folgt die Markenführung vielleicht auch der Aktivität: Schlussendlich geht es ums Radfahren, es geht um Leidenschaft und Spaß. Das ist zumindest meine Erfahrung bei der Zusammenarbeit mit der Fahrradbranche.
Markenführung und -aufbau finden in der Fahrradbranche aber dennoch auf einem sehr professionellen Niveau statt. Nehmen Sie einen Anbieter wie Specialized: Dessen Auftritt als Marke ist an Professionalität kaum noch zu toppen.
Es gibt sicherlich auch einige Marken im Fahrradsegment mit weniger Strahlkraft. Ich glaube aber, dass der Anteil dieser Marken nicht anders ist als in anderen Märkten.
{b}Dazu kommt noch, dass der Fahrradmarkt ganz unterschiedliche Anwendungen und Zielgruppen bedient. Eine Alltagsradlerin mit Korb auf dem Fahrrad hat eine andere Markenwahrnehmung als ein passionierter Rennradfahrer…{/b}
Sauer: Wobei diese Alltagsradlerin durchaus auch Fahrradmarken kennt, nur halt andere als der Rennradfahrer.
{b}Wenn Sie sich die Markenstrategien von Fahrradanbietern ansehen, fallen Ihnen dann typische Fehler auf?{/b}
Betsch: Als wir vor sechs Jahren anfingen, mit Canyon zusammenzuarbeiten, haben wir uns den Fahrradmarkt sehr intensiv angesehen und tun das bis heute. Damals sind uns noch so ein paar typische Fehler aufgefallen. Zum Beispiel, dass der Umgang mit Markenzeichen zu locker gehandhabt wurde, was dann das Bild einer Marke oft verwässert hat. Auch wurde die Qualität von der Branche oft nicht ernst genug genommen. Dabei ist kompromisslose, standardisierte Qualität ein wesentliches Merkmal starker Marken.
Sauer: Ich kann mich noch daran erinnern, dass wir damals eine große Übersicht der Erscheinungsbilder und Inhalte von Marken im Fahrradmarkt erstellt haben. Die waren zu 90% untereinander austauschbar, da gab es kaum Differenzierungsmerkmale.
Betsch: Diese Dinge haben sich aber seitdem extrem gewandelt. Vor sechs Jahren waren solche Stellhebel noch eine Chance, um sich im Markt zu differenzieren. Was auch bei Canyon mit ein Grund für den Erfolg war. Aber heute merken wir schon, dass die Luft dünner wird. Die Spielräume, um sich als Marke im Fahrradmarkt zu positionieren, sind deutlich kleiner geworden. Umso wichtiger ist es geworden, das Unternehmen gesamtheitlich als Marke zu begreifen. Wenn ich mich nicht mehr alleine über das Visuelle oder die Sprache differenzieren kann, muss ich als Unternehmen weiter denken. Das kann die Vertriebsform sein, wie bei Canyon. Aber zum Beispiel auch die soziale Verantwortung, die ein Unternehmen im Auge des Verbrauchers besonders macht.
{b}Was sich in den vergangenen sechs Jahren auch geändert hat, ist, dass Marken immer mehr auch digitalen Einflüssen unterliegen. Machen Internet, Social Media und Co. die Führung von Marken einfacher oder eher anspruchsvoller?{/b}
Sauer: Die Anforderungen sind auf jeden Fall komplexer geworden. Es geht ja nicht mehr nur um den einen digitalen Kanal. Stattdessen muss heute eine Vielzahl von Kanälen online bespielt werden. Homepages müssen beispielweise auf ganz unterschiedlichen Plattformen funktionieren. Unternehmen brauchen zudem eine Strategie für Social Media. Das sind alles Aspekte, deren Bedeutung in unserer Arbeit in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Inzwischen beeinflusst zudem die Formensprache der digitalen Umgebungen immer mehr auch die Offline-Kommunikation.
{b}Hat durch das digitale Zeitalter auch die Zahl der potenziellen Fehlerquellen in der Markenführung zugenommen?{/b}
Sauer: Die Aufgaben für Unternehmen haben zugenommen und damit natürlich auch die Wahrscheinlichkeit, Fehler zu machen. Kommunikation und damit Markenführung ist durch digitale Medien zudem eine tägliche Aufgabe geworden. Es reicht heute nicht mehr, eine Website ins Netz zu stellen und diese dann ein paar Jahre laufen zu lassen. Eine Marke, die nicht ständig kommuniziert, wird als Marke wahrgenommen, die nicht lebt. Die Schlagzahl ist nicht zuletzt durch Social Media enorm gestiegen.
{b}Sind Marken dadurch fragiler geworden?{/b}
Betsch: Der Amerikaner Jeff Jarvis hat 2004 eine Erfindung gemacht, die die Kommunikation von Marken nachhaltig beeinflusst hat. Jarvis hat nämlich mit seinem Blog dellhell.net, der den Customer Service von Dell zum Opfer hatte, den »Shitstorm« erfunden. Der Blog wurde zunächst von Dell nicht ernst genommen, erntete aber bald so viel Aufmerksamkeit, dass in der Folge der Absatz des Unternehmens spürbar einbrach.
Ich würde aber nicht sagen, dass Marken durch die Verbreitung von Social Media generell angreifbarer geworden sind. Die Frequenz des Dialogs hat sich einfach erhöht. Digitale Medien sind schon länger die häufigsten Berührungspunkte zwischen Marken und Kunden. Durch Social Media ist das noch deutlicher geworden.
Ich bin als Marke vielleicht häufiger Zielscheibe für Kritik geworden; ich kann diese Kritik aber gleichzeitig auch nutzen, um mich schneller und präziser weiterzuentwickeln. Und darin sehe ich noch eine der großen Herausforderungen für Unternehmen in der Zukunft: Ich kann durch Social Media mit meinen Kunden auch ohne Direktvertrieb einen engeren Kontakt aufbauen
Das erfordert aber auch ein solides Selbstbewusstsein. Als wir vor fünf Jahren das neue Erscheinungsbild von Canyon auf der Eurobike erstmals vorgestellt hatten, gab es in den Internet-Foren der Mountainbike- und Rennrad-Szene schon nach ein paar Stunden mehrere tausend Einträge über Canyon. Und da haben nicht alle gejubelt. Es war eher so, dass viele sinngemäß gesagt haben, »die haben auf dem Oktoberfest wohl ein paar Maß zu viel getrunken«. Das Erscheinungsbild wurde also auch damals schon sehr leidenschaftlich diskutiert. Und ich persönlich glaube, dass diese Form des Dialogs noch deutlich zunehmen wird.
Um so einen Dialog sinnvoll führen und bewerten zu können, muss ich als Marke wissen, wofür ich stehe oder auch nicht stehe. Damit ich besser einschätzen kann, ob eine bestimmte Kritik ein Anlass ist, mich zu verändern, oder ob ich’s meinen Kunden anders erklären muss.
{b}Wir haben viel über die Beziehung von Marke und Verbraucher gesprochen. In den meisten Fällen steht hier immer noch auch ein Einzelhändler dazwischen. Sollte sich ein Einzelhändler selbst auch als Marke verstehen? Oder ist er quasi nur ein Durchlauferhitzer für die Marken in seinem Sortiment?{/b}
Betsch: Ich glaube absolut daran, das jedes Unternehmen, egal ob Bratwurstbude, Friseur oder Einzelhändler, von den Prinzipien der Markenbildung profitiert. Es geht darum, ein Angebot relevant und differenziert zu platzieren. Und diese Aufgabe stellt sich einem Händler ganz genauso. Die Frage für Händler ist dann nur, wie ich den Markenkern zusammensetze. Dabei können Sortimentskompetenz und die gute Markenauswahl im Laden neben anderen Leistungen wie Beratung oder Service durchaus eine relevante Aussage sein. Andere Händler wiederum stellen sich hingegen als Marke völlig in den Vordergrund, denken Sie an Amazon oder auch den starken Lebensmittelhandel in Deutschland zum Beispiel. Hier lassen sich die Grenzen, ob ein Unternehmen ein Hersteller oder Händler ist, auch nicht mehr genau ziehen. Wobei dies auch aus der Perspektive der klassischen Hersteller gilt: Ist Specialized in erster Linie noch Hersteller, wenn das Unternehmen mit immer mehr Concept Stores zunehmend vom Verbraucher auch als Händler wahrgenommen wird? Die Regeln des klassischen mehrstufigen Vertriebs haben meines Erachtens in Zukunft keine Bedeutung mehr. Jedes produzierende Unternehmen wird früher oder später den direkten Kontakt zum Kunden suchen. Im Idealfall wird der Einzelhandel dabei wie bei Specialized noch mit eingebunden sein.
{b}Wenn Ihre Vision zutrifft, dann stehen unserer Branche, die auch von der Dominanz des unabhängigen stationären Fachhandels geprägt ist, einige Umwälzungen bevor. {/b}
Betsch: Ich glaube, was der Handel noch nicht so wahrgenommen hat, ist der Einfluss der digitalen Entwicklung auf Kaufentscheidungen. Die Customer Journey eines Kunden im sportlichen Fahrradsegment beginnt inzwischen in den meisten Fällen im Internet. Die zehn erstgenannten Marken bei Google zu einem Thema nimmt der Kunde als relevant wahr. Und dann wird der Kunde über den Hersteller zum Händler kommen, der dadurch an Bedeutung verliert. Früher hingegen haben sich die Kunden meist erst im Laden für eine Marke entschieden.
Einzelhändler müssen deshalb aufpassen, wie künftig ihr Geschäftsmodell aussehen wird. Es ist durchaus denkbar, dass der Fahrradverkauf künftig als Kerngeschäft nicht mehr tragfähig ist. Wenn der Damm beim Kunden einmal gebrochen ist, dass ein Fahrrad für mehrere tausend Euro im Internet bestellt wird, dann kann diese Entwicklung sehr rasch eintreten.
Verknüpfte Firmen abonnieren
für unsere Abonnenten sichtbar.