Handel - Staub und Teer
Wie Instagram zum Anfassen
Die Karriere von Tobias Schwabe ist so ungewöhnlich wie das Geschäft, dessen Eingangstür er an diesem Donnerstagmorgen im Herbst aufschließt. In der Severinstraße im Herzen der Südstadt, wo Köln so kölsch ist wie nirgends sonst, tritt er durch eine holzgerahmte Ladenfront im denkmalgeschützten historistischen Gründerzeitgebäude, das zwischen 1880 und 1890 erbaut wurde. Hier, umgeben von Kneipen, Restaurants, Kiosks, vielen Ramsch- und manchen hochwertigeren Läden, leitet Schwabe seit dem vergangenen Jahr den Radhandel Staub und Teer. Es war ein Quereinstieg für ihn und ein ungewöhnlicher Schritt für seinen Arbeitgeber.
Denn für den 40-jährigen gelernten Fachkaufmann für Einkauf und Logistik ist dies der erste Karriereschritt in die Fahrradbranche. Schwabe hat einen internationalen beruflichen Werdegang in der Gastronomie und Hotellerie hinter sich, lebte mehrere Jahre auf den Malediven, machte ein Sabbatical in Spanien und Amerika, kam dann zu einer innovativen Kölner Pizzeria, ehe er als Projektmanager in einem Unternehmen für Modeschmuck sein Geld verdiente – und sich für einen Cut entschied. »Ich bin komplett ohne beruflichen Hintergrund ins Geschäft mit Fahrrädern eingestiegen, aber es war einfach der perfekte Zeitpunkt«, erinnert sich Schwabe.
Radsportler ist Schwabe schon lange, auch gut verdrahtet in der Kölner Szene. Er hatte sich zum Ziel gesetzt, ein Café für Radler aufzuziehen im szenigen Belgischen Viertel, doch dann hörte er von den Plänen des Kölner Großhändlers Traffic Distribution. Der wollte erstmals in den Einzelhandel einsteigen, eine spannende und mutige Idee. Das Unternehmen hatte bereits die Filiale in der Severinstraße gemietet und umgebaut, nur eingeräumt war das Geschäft noch nicht. Man suchte jemanden, der sich mit Einkauf und dem Thema Fahrrad auskannte. Schwabe war der Mann.
Seither ist ein gutes Jahr vergangen und es muss ein gutes Jahr für Tobias Schwabe gewesen sein, denn er wirkt glücklich über seine Entscheidung. »Es kommen auch ältere Nachbarn rein, die uns ermuntern, auch wenn sie nichts mit dem Radsport zu tun haben. Das ist ein schönes Gefühl«, sagt Schwabe. Und tatsächlich: Immer wieder bleiben Passanten vor dem Schaufenster stehen. Das ist interessant, das ist ungewöhnlich, steht in ihren Blicken. Schräg gegenüber eröffnete vor einigen Monaten eine Service-Werkstatt des renommierten Kölner Radhändlers Radfieber. Da habe sich die Nachbarschaft sogar besorgt gezeigt. »Für uns kein Problem, sie haben ein ganz anderes Modell«, beruhigte Schwabe.
Staub und Teer ist gewissermaßen ein begehbarer Katalog von Traffic Distribution. »Aber gleichzeitig wollten wir auch kein reiner Traffic-Laden sein, sondern zusätzliche Trends aufspüren und die Menschen in die Filiale locken mit spannenden Geschichten«, sagt Schwabe. Etwa 60-40 sei das Sortiment aufgeteilt, 40 Prozent der Waren würden also über andere Lieferanten bezogen. Gerade bei Textilien hat Schwabe einen eigenen Anspruch, die Mode muss die urbane Zielgruppe erreichen, Emotionen wecken und Individualismus unterstreichen. Das gilt natürlich auch für die Räder. Vorne im Schaufenster stehen vier Gravel-Räder. Zwei von Genesis, eines von Bombtrack und eines von Kona. Kona ist eine Marke, für die sich Schwabe über das Angebot von Traffic hinaus entschieden hat. »Wir wollen ganz bewusst etwas ergänzen, wollen Vielfalt bieten, die für die Kunden Sinn macht«, sagt er.
Wie der Name des Geschäfts schon sagt: Staub und Teer ist das Geschäft zum Graveltrend. Die Fahrräder dieser Kategorie sind hier am augenscheinlichsten. Und fast das gesamte Spektrum der Marke Bombtrack, die gerade für Gravel und Cross einen guten Namen hat, lässt sich hier betrachten. Bombtrack gehört denselben Eigentümern wie Staub und Teer, man ist also quasi der Showroom für Kunden, die die Fahrräder einmal Probe fahren wollen. »Allerdings geht es uns nicht nur ums Ausstellen, sondern auch ums Verkaufen. Diese Filiale muss sich schon rechnen«, sagt Schwabe. Das Segment, in dem Staub und Teer agiert, erfordert allerdings einen gewissen Umschlag. Eine dreistellige Anzahl an Rädern, sagt er, müsse im Jahr schon verkauft werden. Die Preisspanne liegt irgendwo zwischen 1.000 und etwas über 2.000 Euro. Pragmatisch und nicht auf Image aus ist man im Tagesgeschäft. Die kleine Werkstatt hinter einem Vorhang neben dem Ausstellungsraum nimmt auch Service-Aufträge aus der Nachbarschaft an – platte Reifen, Sattelwechsel. »Wenn wir Luft haben, helfen wir doch gerne«, sagt Schwabe.
Fairtrade-Kaffee mit eigenem Label
Einzelhandel ist natürlich keine triviale Sache: Wieso eröffnet man ein Geschäft für Fahrräder, wenn doch überall vom Siegeszug der Internet-Händler und den Schwierigkeiten für den Einzelhandel zu lesen ist? Gerade in der Kölner Severinstraße hat es einen jahrzehntelangen Niedergang gegeben, verschlimmert durch das Chaos beim noch längst nicht beendeten Bau der neuen Kölner U-Bahnstrecke, und der lokale Handel hat lange verzweifelt gegen das Absterben gekämpft. Doch seit einigen Jahren ist diese Gegend wieder im Kommen, es entstehen Geschäfte und kulturelles Leben mit dem Flair von Metropolen. Staub und Teer passt da bestens. Das erkennt man an der Kunst an den Wänden, am Fairtrade-Kaffee einer Kölner Rösterei, für den man sogar ein eigenes Label illustrieren ließ.
Die Kunden sollen anfassen
»Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit einem Einzelhandel erfolgreich sein können, wenn wir den Menschen Neues zeigen und sie glaubwürdig beraten«, sagt Schwabe. Dazu gehört eine Vielfalt ungewöhnlicher Waren, die man anfassen kann und nicht oder zumindest nicht günstiger im Internet findet. Wer ins Geschäft tritt, fühlt sich wie in einem Wimmelbild mit leuchtenden Farben, eingefasst von Metallgerippen an der Wand. Der Laden sei »Instagram zum Anfassen«, habe mal ein Kunde zurückgemeldet – für Schwabe ein perfektes Lob. Man soll das Geschäft durchstöbern, die bunten Socken in die Hand nehmen, sich mit den kolumbianischen »Bocadillos« für die Trikottasche auseinandersetzen und an der Reifenwand die Profile der verschiedensten Breiten auch einmal in die Hand nehmen können. Das, glaubt Schwabe, sind Stärken seines Geschäfts, mit denen er Kunden nicht nur interessieren, sondern binden kann.
»Ohne Instagram würde das aber alles nicht funktionieren«, sagt er. Der Aufbau eines eigenen Rufs im Digitalen, das Posten und Interagieren über die eigenen Themen gehört für ihn selbstverständlich zum Geschäft. »Wenn ich jetzt einen perfekt ausgestatteten Laden hätte und eine klassische Ausbildung im Fahrrad-Einzelhandel und dann nur auf Kunden warten würde, hätte ich hier keine Chance«, sagt er. Stattdessen merkt man Schwabes Laden an, dass er lebt, dass er von Leuten betrieben wird, die selbst auf Gravelbikes fahren. »Es geht um die Community.«
Diese Community ist der Humus für das Geschäft. Schwabe und sein Team organisieren jeden Donnerstagabend um 18 Uhr einen Gravel-Ausritt, den sie natürlich über die sozialen Medien ankündigen. Mit welchen Rädern die Teilnehmer ausgestattet sind, ist zweitrangig. Es geht darum, miteinander beim Sport ins Gespräch zu kommen. »Dann kommen automatisch Themen auf, etwa Tubeless«, sagt Schwabe. Beispiel: Bei einem Ausritt hatte ein Mitfahrender gleich zwei Platten. Kurz danach ließ er sich das Rad auf Tube-less umrüsten. »Da mussten wir gar keine Verkaufsgespräche führen«, erinnert sich Schwabe. Entscheidend für das Konzept von Staub und Teer sei aber, dass man die Kompetenz nicht nur aus einem Katalog auswendig lernt – sondern dass man dem Team abnehmen kann, dass es die Produkte aus eigenem Erleben kennt. »Noch besser ist manchmal sogar, wenn gerade ein Kunde im Laden steht, der dem anderen Kunden etwas über das Produkt sagen kann.« Interessant ist auch die Rückmeldung, die eine solche Filiale für den Großhandel und die Hersteller bieten kann. Schwabe spricht regelmäßig mit Bombtrack, natürlich gibt es enge Abstimmungen mit Traffic Distribution.
Schwabe glaubt fest an die Chance des Upsellings. Er zieht Kunden mit Gimmicks ins Geschäft, etwa mit bunten Fixplus-Bändern für Gepäck am Rahmen. An sich sei das natürlich kein Artikel, mit dem man Kasse machen kann. Aber man komme ins Gespräch. Zumal die Kunden ihre Räder mit ins Geschäft schieben dürfen. »Dann sehen wir vielleicht, dass der Steuersatz locker ist oder der Abstand für eine Tasche nicht ausreicht«, sagt Schwabe. Schon werde der Händler als Ratgeber wahrgenommen, nicht als Verkäufer. Wenn man Schwabe schwärmen hört, etwa vom Dirty Boar, einem Gravel-Event unterstützt von Bombtrack, hat man auch keinen Zweifel an seiner eigenen Passion. Hier ist jemand, der sein Hobby mit einem Einzelhandel in der Innenstadt zum Beruf gemacht hat.
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