Interview - Stan Day
Wie tickt die Fahrradwelt?
{b}In Deutschland ist der E-Bike-Markt gegenwärtig eine große Sache. Wie stellt sich der E-Bike-Markt aus der Perspektive eines global tätigen Unternehmens wie Sram dar? Wie ist Ihre Sichtweise des E-Bike-Marktes?{/b}
Meine Wahrnehmung des E-Bike-Marktes ist, dass dieses Segment schon vor einigen Jahren in Japan richtig in Fahrt gekommen ist. Von dort ist der Trend dann nach China rüber geschwappt, wo der E-Bike-Markt ein enormes Volumen erreicht hat. Aber die dort verkauften E-Bikes sind schwer und billig gemacht. Der europäische E-Bike-Markt ist quasi im Windschatten des asiatischen E-Bike-Marktes entstanden. Allerdings hat dort die Entwicklung eine ganz andere Richtung genommen. Der europäische E-Bike-Markt hat im Gegenzug zu Asien viele neue Technologien hervorgebracht. Die Performance der E-Bikes hat sich dadurch von Jahr zu Jahr enorm gesteigert. Das hat dem E-Bike-Segment viel Aufmerksamkeit in der Fahrradszene eingebracht. Ich denke, die nächste große Herausforderung für den E-Bike-Markt wird nun sein, diesen Erfolg über den Atlantik in den US-Markt zu exportieren. Der amerikanische Markt wird dabei auf einigen Entwicklungen aus Europa aufbauen können, genauso wie zuvor der europäische Markt von der Vorarbeit der japanischen Anbieter profitieren konnte.
{b}Ist der Erfolg dieses Segments in Ihrer Wahrnehmung nicht nur ein lokales Phänomen in einigen Ländern Mitteleuropas, sondern auch eine globale Chance?{/b}
Als Komponentenhersteller bewerten wir den E-Bike-Markt zunächst vor allem danach, welche Richtung unsere Kunden – die Fahrradhersteller – einschlagen. Gegenwärtig sitzen unsere allermeisten Kunden, die im E-Bike-Markt tätig sind, in Europa. In den USA gibt es hingegen mit Electra Bikes vorerst nur einen Hersteller, der im kommenden Modelljahr unser neues E-Matic-System einsetzen wird. Ich denke, dass wir erst dann von einem globalen Markt reden können, wenn auch der E-Bike-Markt in den USA eine gewisse Reife erzielt hat. Der wirtschaftliche Erfolg der großen amerikanischen Bike-Anbieter, wie Trek, Specialized, Cannondale oder Giant, ist sehr davon abhängig, dass sie weltweit eine einheitliche Modellstrategie anwenden können. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, an dem das E-Bike darin eine relevante Größe einnimmt, dann können wir von einem globalen Markt reden. Bis dahin ist der E-Bike-Markt eher noch ein regionales Phänomen.
{b}Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass der E-Bike-Markt in den USA noch in Gang kommt?{/b}
Ich denke, die Chancen dafür stehen sehr gut. Ich bin mir nur noch nicht sicher, in welcher Art der Markt sich entwickeln wird. Die meisten E-Bikes werden in den USA gegenwärtig noch von branchenfremden Anbietern verkauft. Viele Bikeshops in den USA haben sich mit dem E-Bike noch nicht angefreundet. Das war jedoch anfangs, als sich der E-Bike-Markt entwickelte, in Deutschland und anderen europäischen Ländern eine ganz ähnliche Situation. Durch die schon vorhandene Fahrradkultur in diesen Ländern, fand das Umdenken im Fachhandel aber schneller statt. Die Kollegen in den USA brauchen dafür wahrscheinlich ein wenig länger. Im Gegenzug wird der US-Markt davon profitieren, dass die Technologie und der Sachverstand in unserer Branche inzwischen schon sehr viel weiter sind.
{b}Können Sie mir eine Erklärung dafür geben, warum die etablierten Fahrradkomponentenhersteller wie Sram im E-Bike-Segment bislang so wenig Erfolg hatten? Im Gegensatz zu neuen Marktteilnehmern wie Bosch oder Panasonic.{/b}
Versucht haben wir es. Schon vor 13 Jahren haben wir unseren Sparc-Antrieb mit einem integrierten 5-Gang-Getriebe vorgestellt. Damit waren wir unserer Zeit wohl fast ein bisschen voraus. Das Sparc-System hat sehr gut funktioniert, aber der Markt dafür hat offenbar noch nicht existiert. Ich bin jetzt sehr gespannt, wie unser neues E-Matic-System vom Markt angenommen wird. Es füllt mit seiner sehr unkomplizierten, automatischen Steuerung eine Lücke im E-Bike-Segment, die beispielsweise von Bosch oder Panasonic noch nicht bedient wird.
Ich empfinde es aber übrigens als eine durchaus spannende und konstruktive Entwicklung, wenn Unternehmen wie Bosch oder Panasonic unseren Markt betreten und neue Ideen und ihre Erfahrungen in unsere Branche einbringen. Als Komponentenhersteller kann ich dennoch Produkte verkaufen, die etwa an einem Bosch-Bike verbaut werden. Das ist also für uns eine durchaus positive Entwicklung. Die Herausforderung für uns liegt vielmehr darin, Komponenten zu entwickeln, die zum Beispiel mit Bosch gut harmonieren.
{b}Wenn wir von boomenden Segmenten reden, kann dabei sicher aus globaler Perspektive auch der Rennradmarkt gezählt werden. In Ihrer Heimat, den USA, erlebt der Rennradmarkt bereits seit einigen Jahren einen noch nie dagewesenen Höhenflug. Und nun hört man auch aus Asien, dass der Rennradsport dort in vielen Ländern einen starken Zulauf erlebt. Rechnen Sie mit einem weiteren Wachstum des Rennradmarktes?{/b}
Ich glaube, dass der Rennradmarkt in Europa und den USA noch Potenzial zum Wachsen hat. Dieses Wachstum wird aber vor allem durch technische Innovationen ausgelöst werden. Neue Technologien, wie hydraulische Bremsen und 22-Gang-Schaltungen, sind für viele Verbraucher eine sinnvolle Entwicklung und werden dem Rennradmarkt deshalb in den nächsten Jahren neuen Schub geben. Wenn ich mich im Rest der Welt umschaue, sehe ich beispielsweise den südamerikanischen Rennradmarkt, der sich rasch entwickelt. Und ich bin absolut erstaunt über die Entwicklung in China und anderen asiatischen Ländern, wie Indonesien und Korea. China ist dabei für mich die größte Überraschung. Ich hätte nie gedacht, dass wir im Jahr 2013 auf chinesischen Straßen in großer Zahl Rennradfahrer sehen werden, die in Lycra gekleidet im Peloton unterwegs sind.
{b}Was hat diese unerwartete Entwicklung nach Ihrer Meinung ausgelöst?{/b}
Die Menschen in China haben in den vergangenen Jahren durch das enorme Wirtschaftswachstum einen gewissen Wohlstand erreicht. Um dir ein Rennrad leisten zu können, musst du dort jedoch an der Spitze der Gesellschaft stehen. Allerdings ist die Spitze der Gesellschaft bei einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen immer noch eine sehr große Gruppe. In China werden gegenwärtig bereits jährlich rund zwei Millionen Fahrräder in gehobener Qualität über spezialisierte Fachhändler verkauft. Das ist nicht mehr weit vom Marktvolumen in den USA entfernt, wo jährlich rund 2,5 Millionen Fahrräder im Fachhandel verkauft werden.
Dazu kommt noch, dass viele junge, erfolgreiche Menschen in China vom Radfahren fasziniert sind. Sie haben dabei nicht mehr das schwarze Einheitsfahrrad ihrer Eltern und Großeltern vor Augen, sondern erleben das Fahrrad in einem neuen Kontext. Nämlich als Sport- und Freizeitgerät. Und diese junge Generation nimmt vielleicht auch die Entwicklung in den USA oder Europa wahr, wo Rennradfahren auch ein Ausdruck eines gehobenen Status ist.
{b}Der amerikanische Rennradmarkt wurde in den vergangenen Jahren auch vom Erfolg einiger nationaler Radsporthelden angetrieben. Nun hat sich herausgestellt, dass einige dieser Stars – allen voran Lance Armstrong – vielleicht doch nicht so heldenhaft waren. Glauben Sie, dass dies den amerikanischen Markt nachhaltig beeinträchtigen wird?{/b}
Mein persönlicher Wunsch wäre, Lance Armstrong könnte weiter ein Held sein. Ich finde es traurig, was er getan hat. Und sicherlich wäre die Fahrradkultur in den USA ohne seine Fehler stärker. Ich denke aber auch, dass diese Wunden in der Radsportszene sehr schnell heilen werden. Rennradfahren ist ein Sport, den viele Menschen lieben. Diese Menschen suchen sich bereits neue Helden. Und es gibt im Profiradsport gegenwärtig einige spannende neue Persönlichkeiten.
{b}Haben sich die Amerikaner demnach also vom Profiradsport trotz der Enthüllungen in diesem Jahr nicht abgewendet?{/b}
Nein, das haben sie tatsächlich nicht. Und es muss auch nicht immer ein Local Hero sein, der die Menschen bewegt. Wenn Amerikaner sich ein besonders schönes Auto leisten wollen, dann kaufen sie sich eine Marke aus Deutschland. Mit der Beziehung zum Profiradsport ist das ganz ähnlich. Die amerikanische Kultur ist so gestrickt, dass sie sich nicht schwer damit tut, tolle Leistungen aus anderen Teilen der Welt anzunehmen und gut zu finden.
{b}Stan, Sie haben an anderer Stelle zuvor mal gesagt, dass Sram wahrscheinlich das breiteste Programm an Produkten für den Fahrradmarkt besitzt. Gibt es dennoch noch Produktsegmente, die Ihnen in Ihrem Sortiment abgehen? Oder ist das Line up von Sram bereits perfekt so wie es jetzt ist?{/b}
Wir werden sicher nie das Gefühl haben, dass unsere Produktlinien vollständig sind. Dafür entwickeln wir schlicht zu gerne neue Produkte. Wir sind in den letzten Jahren auch sehr gut darin geworden, neue Produkte zu entwickeln und diese im Markt einzuführen. Ich denke aber schon, dass wir mit Sram bereits einen sehr guten und breiten Umfang an Produkten und Technologien haben. Bis auf wenige Ausnahmen, wie Reifen, Sättel und Pedale, bieten wir alle Komponenten am Fahrrad an. Unsere Herausforderung liegt somit eher darin, unsere Position an der Spitze des Marktes mit Innovationen in den jeweiligen Produktsegmenten zu verteidigen. Dabei geht es uns insbesondere um Produkte, die für den Fachhandel relevant sind. Als Unternehmen wollen wir uns ausschließlich auf Produkte für den Fachhandel fokussieren.
{b}Nachdem Sram in den letzten Jahren einen respektablen Marktanteil im Rennrad- und Mountainbike-Segment erobert hat, haben Sie jüngst im Unternehmen die Parole ausgegeben, dass eine starke Position im urbanen Fahrradmarkt das nächste große Ziel für Sram ist. Welche Schritte sind aus Ihrer Sicht notwendig, um dieses Ziel zu erreichen?{/b}
Die wichtigste Aufgabe ist, dass wir für diesen Markt die richtigen Produkte anbieten. Wer sich unsere Neuheiten auf der Eurobike anschaut, wird feststellen, dass wir für den urbanen Fahrradmarkt mit dem neuen Modelljahr eine sehr starke Produktlinie geschaffen haben. Dazu zählen neue Getriebenaben mit einer Top-Performance, neue attraktive Kettenschaltgruppen, unsere Dual-Drive-Technologie und der neue E-Matic-Antrieb für E-Bikes. Mindestens genauso wichtig ist aber auch, dass die Fachhändler von unseren Produkten und unserer Marke überzeugt sind. Wir haben deshalb in jüngster Zeit einige Investitionen unternommen, um unser Support-Konzept Dealer Service Direct weiter auszubauen. Wir wollen unseren Händlern die bestmögliche Unterstützung in technischen Fragen geben. Dazu kommt noch als dritte Komponente neben den Produkten und dem Support unser »Dealer Excitement Program«, bei dem unser Team zu den Händlern rausgeht und diesen ein besseres Verständnis unserer Marke und unserer Technologien vermitteln soll.
{b}Um den Fahrradverkehr im Alltag voranzubringen, haben die Marktteilnehmer in Ihrer amerikanischen Heimat in den letzten Jahren mit der Branchen-Lobby Bikes Belong ein starkes Instrument geschaffen. Was könnte die europäische Fahrradindustrie noch aus den Erfahrungen mit Bikes Belong lernen?{/b}
Die wichtigste Erfahrung, die wir mit Bikes Belong gemacht haben, lautet: Wenn wir uns für eine bessere Infrastruktur für Radfahrer einsetzen, dann führt das ganz unmittelbar dazu, dass mehr Menschen Rad fahren. Mehr Menschen, die Rad fahren, sind nicht nur gut für uns als Fahrradbranche, sondern auch für die gesamte Gesellschaft und den einzelnen Menschen. Eine weitere wichtige Erfahrung, die wir in den USA mit Bikes Belong gemacht haben, ist, dass wir als Branche nicht nur Wettbewerber sind, sondern gemeinsam etwas bewegen können. Bikes Belong hat uns gelehrt, dass wir daran arbeiten sollten, dass der Kuchen für alle größer wird, statt nur um ein größeres Stück vom Kuchen zu kämpfen.
{b}Zeigt sich der Wille zur Zusammenarbeit in den USA nur bei der Lobbyarbeit? Oder ist durch Bikes Belong auch schon ein darüber hinausgehender Zusammenhalt in der Branche entstanden.{/b}
Ich glaube, dass wir mit Bikes Belong in den USA auch eine Atmosphäre im Markt geschaffen haben, in der immer mehr Unternehmen nach Wegen zur Kooperation untereinander statt eine Auseinandersetzung im Wettbewerb suchen. Ich stelle beispielsweise fest, dass Unternehmen eher mal bereit sind, für ihre Patente Lizenzen zu vergeben, statt deren Schutz nur mit juristischen Maßnahmen durchzusetzen. Natürlich gibt es immer noch Konkurrenz untereinander, aber es geht nicht mehr darum, diese immer in jedem Punkt auch auszutragen.
{b}Wir sitzen hier in Schweinfurt, wo noch vor kurzem die Getriebenaben von Sram vom Band liefen und die nun in Taiwan produziert werden. Ist Europa als Produktionsstandort für Sram nicht mehr zeitgemäß?{/b}
Taiwan ist zwar unser größter Produktionsstandort, wir stellen aber dennoch einige Produkte weiterhin auch in Europa und in den USA her. In Europa produzieren wir in Portugal beispielsweise Fahrradketten und künftig auch Laufräder. Die Frage, wo wir etwas herstellen, hängt nicht so sehr mit den Arbeitskosten zusammen, sondern vielmehr damit, wo die Kunden für das jeweilige Produkt sitzen. Ein weiterer Faktor, der mindestens ebenso wichtig ist und der vielleicht in der Betrachtung von außen leicht übersehen wird, sind unsere Zulieferer vor Ort und deren Leistungsfähigkeit. Und insbesondere unter diesem Aspekt ist Taiwan ein sehr guter Standort für uns.
{b}Sram produziert also zwar weiterhin auch in Europa, hat aber zumindest den Schwerpunkt der Produktion nach Taiwan verlagert. Ist das auch eine Entwicklung, die für die Fahrradteileindustrie insgesamt gilt?{/b}
Das ist absolut so. Als Komponentenhersteller müssen wir mit unserer Produktion dorthin gehen, wo unsere Kunden in der Erstausrüstung sitzen. Mit einer großen räumlichen Entfernung ist die notwendige Schnelligkeit und Flexibilität bei deren Belieferung nicht darstellbar. Dazu kommt, dass Asien auch als Endkundenmarkt immer spannender wird. Wir betreiben bereits einige Werke auch auf dem chinesischen Festland. Deren Zukunft sehe ich vor allem auch in der Produktion für den Binnenmarkt.
{b}Eine tolle Initiative, die aus ihrem Unternehmen heraus entstand, ist World Bicycle Relief, die mit Fahrrädern einen positiven Beitrag für das Leben und die Chancen von Menschen in unterentwickelten Regionen leistet. Gewinnt auch Sram durch dieses Engagement einen Vorteil?{/b}
Ja, auf jeden Fall. Es gibt natürlich für Sram keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Gewinn durch World Bicycle Relief. Bei Sram arbeiten weltweit jedoch rund 2500 Mitarbeiter. Und ich glaube, jeder von denen freut sich, dass wir unsere Erfahrung und Möglichkeiten als Unternehmen dafür einsetzen können, Menschen in Afrika eine Perspektive fürs Leben zu geben. Ein Fahrrad kann dort den Zugang zu Bildung, Gesundheit und Arbeit bedeuten. Dass wir daran mitwirken können, macht uns glücklich und stolz. Und das ist durchaus ein großer Nutzen für Sram.
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