Report - Speedlimits
Zähes Ringen um mehr Tempo
Die Zahl der verunfallten älteren Verkehrsteilnehmer auf dem Fahrrad hat analog zu der gestiegenen Popularität von Elektrofahrrädern zugenommen. Experten sind sich darin einig, dass die höhere Geschwindigkeit für ungeübte Fahrer ungewohnt ist und entsprechend oft Verkehrssituationen falsch eingeschätzt werden. Das gilt übrigens auch für die Automobilfahrer, die es nicht gewohnt sind, dass rüstige Senioren mit der Geschwindigkeit eines E-Bikes unterwegs sind.
Auf der anderen Seite gibt es jüngere Fahrer, für die das E-Bike Lifestyle, Fahrfreude und schnelles Verkehrsmittel ist. Für diese Kunden sind 25 km/h oft zu wenig. In Fachkreisen wird deshalb nun die Einführung einer neuen Pedelec-Kategorie diskutiert. Diese sollte idealerweise die Vorzüge der 25er-Klasse (einfachere Typgenehmigungsanforderungen, Radwegenutzung erlaubt und eine tretkraftabhängige Unterstützung bis zum Faktor 4) mit der schnelleren Fortbewegung durch eine Fahrunterstützung bis 32 km/h vereinen.
Neue Kategorie als Lösung?
Die geltenden Geschwindigkeitsbegrenzungen haben durchaus ihre Vorzüge, wie etwa Siegfried Neuberger, Geschäftsführer vom Zweirad-Industrie-Verband erklärt: »Wir sehen das 25er-Limit positiv, weil es eine Geschwindigkeitsgrenze darstellt, die in ganz Europa harmonisiert ist. Das hat in der Vergangenheit sehr maßgeblich dazu beigetragen, dass wir in allen Ländern der EU Rechtssicherheit haben, was für die Industrie und die Marktentwicklung sehr wichtig ist.«
Würde das Thema Limits ernsthaft aufgegriffen, müsste wieder ganz Europa ins Boot geholt werden, wie Neuberger ausführt. »Jegliche Diskussion, die sich darum dreht, diese Grenze anzuheben, würde natürlich bedeuten, dass wir diese nicht nur in Deutschland, sondern europaweit führen müssen. Zum anderen müssen wir im Hinterkopf behalten, dass der wichtigste Erfolgsfaktor die straßenverkehrsrechtliche Einstufung als Fahrrad ist. Bei einem höheren Geschwindigkeits-Limit sehen wir diese Einstufung als stark gefährdet an.«
Versicherungen beobachten die Entwicklung
Dass die Anhebung der Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht offensiver von der Fahrradlobby angegangen wird, mag auch damit zu tun haben, dass man sich davor scheut, die Versicherungslobby aufzuwecken. Bereits jetzt sind aus deren Richtung gelegentlich Begehrlichkeiten zu beobachten, für Pedelecs eine Versicherungspflicht zu erzielen. Würden Pedelecs künftig schneller im Straßenverkehr unterwegs sein, dürften solche Stimmen noch lauter vernehmbar werden, insbesondere wenn zusätzlich die Unfallzahlen steigen sollten.
Das Worst-Case-Szenario für das Elektrorad lässt sich wohl analog zum Kleinkraftrad der siebziger Jahre zeichnen: Immer schnellere Fahrzeuge führten damals in Kombination mit vielen unerfahrenen Fahrern zu hohen Unfallzahlen. Der Höhepunkt war 1977 erreicht, als 198 Schadensfälle pro 1000 abgeschlossenen Versicherungen gezählt wurden. In dieser Zeit wurde die Helmpflicht eingeführt und ab 1980 per Verwarnungsgeld auch verfolgt. Nur wenig später war dieses Segment in der Bedeutungslosigkeit versunken.
Auch beim Thema Tuning haben viele Marktteilnehmer bereits den Eindruck, dass sich Geschichte wiederholt. Genaue Zahlen zum Tuning im E-Bike-Segment gibt es aufgrund des illegalen Charakters naturgemäß nicht. Hohe Schätzungen gehen davon aus, dass bereits jedes dritte Pedelec in irgendeiner Form modifiziert wurde; andere widersprechen solchen Zahlen entschieden und setzen das Problem viel niedriger an. Trotzdem sind die Tuner ein ernstes Problem. Sie sind offensichtlich so unzufrieden mit der Geschwindigkeit, dass sie gravierende versicherungs- und straßenverkehrsrechtliche Probleme in Kauf nehmen. Ob diese Gruppe ein Maßstab sein kann, ist allerdings fraglich, wie Siegfried Neuberger vom ZIV erklärt: »Ich bin mir nicht sicher, ob wir das Thema Tuning mit einer neuen Kategorie lösen können. Das Problem wird es immer geben, dass versucht wird, die Fahrzeuge schneller oder leistungsfähiger zu machen. Wichtig ist, dass wir Fachhändler und Endverbraucher auf die schwerwiegenden rechtlichen Konsequenzen des Tunings hinweisen.«
Die Probleme von 45 km/h
Für Kunden, die ein schnelleres Pedelec und rechtlich auf der sicheren Seite sein wollen, hätte die Branche mit den S-Pedelecs auch ohne Tuning eine Lösung parat. Seit es S-Pedelecs gibt, konnten diese sich jedoch auf dem deutschen Markt nicht durchsetzen. Und dafür gibt es neben der Helm- und Versicherungspflicht oder dem Radwege-Bann noch einen weiteren Grund: Zum einen sind die genannten 45 km/h eine Geschwindigkeit, die der S-Biker keineswegs mühelos erreicht, zum anderen ist er, selbst wenn er diese Geschwindigkeit erreicht, gerade schnell genug, um zu langsam zu sein auf Straßen, die für 50 km/h freigegeben sind und in der Praxis eher noch etwas schneller befahren werden. Das 45er-Limit kam im Rahmen der Anpassung von EU-Vorschriften zustande: In einigen Ländern galt für Kleinkrafträder eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 40 km/h, in anderen 50 km/h. Das Patt wurde nach dem Motto »In der Mitte liegt die Wahrheit« aufgehoben und 45 km/h zur neuen Norm gemacht. Noch weniger als Radfahrer sind übrigens die Motorradverbände mit dieser Lösung zufrieden. 50 km/h empfände man dort für Kleinkrafträder als Schritt in die richtige Richtung, »noch lieber wären uns 60 km/h«, erklärt der Ressortleiter Technik Christoph Gatzweiler vom Industrie-Verband Motorrad Deutschland. Erst bei dieser Geschwindigkeit könnten Kleinkrafträder im Verkehr mitschwimmen und wären nicht unablässig gefährlichen Überholmanövern ausgesetzt.
Sind Änderungen in Sicht?
Die aktuellen Diskussionen zu dem Thema lassen ahnen, dass am 25er-Limit bis auf weiteres nicht gerüttelt werden wird. Und das mit guten Gründen, wie Neuberger erklärt: »Bei 25er-Pedelecs zeigt uns die Marktentwicklung der letzten Jahre, wie attraktiv diese Produkte sind. Sonst würden ja keine 720.000 Stück allein im letzten Jahr in Deutschland verkauft werden. Natürlich muss man sich immer überlegen, wie man die rechtlichen Rahmenbedingungen positiv weiterentwickeln kann. Aber das ist ein längerer Prozess, weil man da alle anderen Länder der EU mitnehmen muss.«
Auch die Veränderung der 45 km/h ist trotz aller Versuche auf absehbare Zeit wenig wahrscheinlich. Aktuell gibt es keine zwingenden Initiativen, die genug Druck entwickeln könnten, um etwas zu bewegen. Auch die Motorradwelt hat derzeit wenig Aussichten, Veränderungen durchzusetzen. Die Geschwindigkeiten des innerstädtischen Automobilverkehrs bleiben damit außer Reichweite und das schnelle Pedelec ein Fremdkörper. Mehr Chancen hat eine Änderung der Radwegebenutzungspflicht. Dieser Punkt ist für Radfahrer mit mehr Leidensdruck verknüpft.
Markus Riese, Geschäftsführer bei Riese und Müller, ist in der Branche bekannt für seinen Einsatz für bessere Geschwindigkeitsregelungen für E-Bike-Fahrer. Sein Vorschlag zielt auf situationsbedingt angepasste Limits: »Alle Radwege müssten auch mit schnellen E-Bikes genutzt werden dürfen. Die Geschwindigkeiten müssten insgesamt harmonisiert werden. Eigentlich regelt §1 der StVO hierzu schon alles. Um trotzdem mehr Klarheit zu schaffen, sollte man aber ein Geschwindigkeitslimit den entsprechenden Radwegen zuordnen. Der E-Bike-Nutzer kann sich dann entscheiden, entweder auf Radwegen in der Geschwindigkeit der Radfahrer zu fahren oder in der Mitte der Straße in der Geschwindigkeit der Autos zu fahren. Eine harmonisierte Geschwindigkeit würde gefährliche Differenzgeschwindigkeiten und Überholmanöver verhindern. Daraus folgere ich persönlich: Auf Fußwegen ca. Schrittgeschwindigkeit, auf Radwegen ca. Fahrradgeschwindigkeit und das Tempolimit der schnellen E-Bikes muss der Regelgeschwindigkeit in den Städten angepasst werden.« Bis es zu einer solchen Lösung kommen kann, wird allerdings noch viel Überzeugungsarbeit notwendig sein.
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