Report - Bikapcking-Zubehör
Accessoires voller Abenteuer
Unsere besonders leichten und windschnittigen Produkte richten sich vor allem an Abenteurer, die nicht auf Geschwindigkeit verzichten möchten«, so Peter Ringel, der bei Paul Lange als PR-Manager auch die Marke Pro betreut. Diese Erklärung integriert vielleicht schon die wichtigsten Punkte, warum Bikepacking nach seinen ersten Jahren immer noch in vielen Rahmendreiecken steckt. Die Spezialisten sind leichter, windschnittiger und abenteuerlicher als Standardtaschen. Bikepacking ist damit Teil eines ungebrochenen allgemeinen Outdoor-Trends, so sehen es Marktbeobachter. Auch wenn detaillierte Zahlen zum Markt nicht zu haben sind, die Industrie ist sich weitgehend einig, dass dieser Trend nach der Pandemie langsam wieder nach oben zeigt.
Beliebtestes Accessoire auf dem Bikepacking-Markt: die Satteltasche, im Bikepacker-Jargon: Arschrakete.
Spätestens seit 2019 ist das Segment Bikepacking auch in den Medien immer wieder ein prominentes Thema. Doch die starke mediale Präsenz und der hohe Coolnessfaktor der Produkte spiegeln sich in der radfahrenden Praxis nicht unbedingt wider. Wie stark kommen die Produkte wirklich in der Realität zum Einsatz? Was sind die Trends, wer kauft was, und kann Bikepacking den Gepäcktaschen ein Stück vom Kundenkuchen stibitzen?
Schneller mit der Arschrakete
Wer bei Pro zum Thema Nachfrage nachhakt, bekommt die nicht verwundernde Antwort, dass die während der Pandemie nach oben schnellenden Verkäufe sich im letzten Jahr wieder auf ein »normales« Niveau stabilisiert haben. »Bikepacking ist aber ein Thema, das immer mehr Aufmerksamkeit genießt«, so Ringel, »erkennbar an der großen Auswahl an Fahrrädern und dem passenden Zubehör.« Die Klassiker wie Satteltaschen (»Arschrakete«), Taschen fürs Rahmendreieck und Lenkertaschen führe bei Pro die Verkaufszahlen an. Was die Modelle angeht, wird wenig Neues propagiert, wohl aber tut sich etwas bei den Materialien. Das besonders leichte und wetterfeste Material der »Team«-Tasche von Pro sei demnach derzeit die Spitze der Entwicklungen. »Die Klientel ist vor allem der sportliche Fahrer«, erklärt Ringel, »denn er legt Wert darauf, dass trotz des Mehrgewichts das Fahrverhalten des Rads gleich bleibt.«
Bikepacking bringt das Abenteuer ins Radfahren zurück: jenseits der Straße fahren und dort auch übernachten.
Außerdem spart man sich den nicht immer möglichen Anbau eines Gepäckträgers. Interessant ist, dass man bei Pro tatsächlich davon ausgeht, dass ein Teil der Gepäcktaschen-Nutzenden auf Bikepacking umsteigt. »Bikepacking ist flexibler und unauffälliger im Alltag«, so Ringel. Wo die klassischen Montagepunkte fehlen, bieten viele Bikepacking-Taschen eine Alternative für schnelle und werkzeuglose Anbringung. Doch es gibt eine Einschränkung. »Je länger die Touren werden, desto häufiger kommen die klassischen Taschen zum Einsatz«, so die Erfahrung bei Pro.
Flexibilität und Qualität zählen
»Gepäck flexibel auch an Fahrrädern anzubringen wird immer beliebter«, erklärt Jan-Philipp Schmitt, der bei RTI in Koblenz das Topeak-Produktmanagement innehat. Der Endverbraucher würde allerdings hier besonders auf Qualität und Preis-Leistungs-Verhältnis achten. Neben dem Gravelbike ist vor allem das MTB heute treibende Kraft, wenn es um Bikepacking geht. Renner bei RTI ist die kleine Lenkertasche Barbag Slim und, auch hier, die große Satteltasche. Hier mit Holster zum schnellen Herausnehmen der Innentasche. Als großen Vorteil sehen die Nutzer und Nutzerinnen laut Schmitt die meist werkzeuglose und sehr schnelle Montage oder Demontage der Bikepacking-Taschen. Bei RTI glaubt man allerdings nicht an ein breites Umrüsten von Gepäcktaschen auf Bikepacking-Taschen. Gerade im Rennlenker-Segment sind die Radreisenden aber auch mehrere Wochen mit den kleinen Taschen unterwegs, weiß man bei RTI. »Das erkennt man auch an Trends wie den Ultra-Rennen wie etwa der Tour Divide oder Bohemian Border Bash«, so Schmitt. Zu den Verkäufen nennt man zwar bei Topeak keine Zahlen, bezeichnet das Segment aber als die wichtigste Taschenserie im Angebot. Auch das gute Preis-Leistungs-Verhältnis dürfte dabei eine Rolle spielen, so Schmitt: »Keine Topeak-Bikepacking-Tasche kostet bei uns mehr als 100 Euro.«
Markenaffinität und kreative Impulse
Wie sieht der Handel aktuell den Bikepacking-Trend? Nico Thomas von Globetrotter in Hamburg definiert die Zielgruppe entscheidend anders als den Tourenradler. »Es geht bei Bikepacking nicht über glattes Terrain«, sagt er und beschreibt zwei Kundengruppen. Der Perfektionist »ist mit seinem teuren, leichten Rad schnell und mit wenig Gewicht unterwegs und kauft sich feines, leichtes Zubehör, Cyclit oder Adipura. Möglichst einheitlich, da diese Leute sehr markenaffin sind.« Geringes Gewicht spielt hier eine Rolle – »aber das ist ein spitzes Thema. Die Klientel, die hierfür wirklich viel Geld ausgibt, ist klein.«
Passend zum Trend integrierte Züge: Die Lenkertasche erlebt mit Bikepacking ein starkes Comeback.
Das Material Dyneema etwa, das eigentlich aus dem Segelsegment kommt, hat dazu im Bikepacking Einzug gehalten. Die andere Gruppe fährt ein Salsa oder Surely »und die klassische Arschrakete ist das wichtigste Zubehör. Funktion am Rad zählt mehr als Markentreue, hier geht’s nur um die Praxis. Die bauen sich auch mal eigene Lösungen, sind mit den Produkten auch kreativ. Sie lieben die Zeltmodelle mit gekürzten Zeltstangen, kämmen die Netzforen durch nach neuen Lösungen und Tipps.« Ganz von der Perspektive des Abenteuers also sieht diese Gruppe das Bikepacking. Vom Verkauf von Fahrradkomponenten nimmt Globetrotter Abstand. »Die blaue Wand im Laden, die ist nicht unser Ding. Wir bieten Hilfe und Beratung beim Anbau des Ortlieb-Gepäckträgers an, bei uns gibt’s auch verschiedene Pedale, aber sonst halten wir uns mit Komponenten zurück.« Die Preise, die während Corona wegen der Rohstoffkosten laut Thomas »durch die Decke« gingen, sind jetzt zum Teil sogar im Rückwärtsgang. Die Rad-Ausstattung mit vielen Ösen am Rad findet Thomas sinnvoll. »Sie erleichtern die Montage und das Abnehmen bei speziell darauf abgestimmten Komponenten, vor allem die Oberrohrtasche, und nichts ist beim Bikepacking unsinniger als ein Rucksack.« Lediglich die Hip Bags lässt er gelten – sie machen das Bikepacking einfacher. »Die Industrie ist gut im Austausch mit den Kunden, das schätzen diese. Was sie aber verschlafen, ist der USB-C-Standard – das sollte auch am Bike schon Standard sein.« Und die Dynamik? »Im Handel sollte bis zum Herbst die Stagnation beendet sein – dann sind wir wieder auf einem guten Niveau.«
Niveau – qualitativ und preislich
2020 ins Segment eingestiegen, aber schon lange Outdoor-Erfahrung mitgebracht hat man bei Cyclite, HighEnd-Anbieter aus dem Oberbayerischen. Sie stellen Taschen für die üblichen Montagepunkte außer den Gabelscheiden her. »Unsere Taschen sind die leichtesten auf dem Markt, aerodynamisch und zu 100 Prozent wetterfest«, erklärt Max Barnsteiner, Mitgründer von Cyclite, selbstbewusst. Dabei ist das Gewebe so dünn, dass sich bei heller Farbgebung der Inhalt deutlich abzeichnet. Wie bei manch anderen Packtaschen ist es hochfrequenzverschweißt. »Das Taschenmaterial (200D Nylon 6.6 HD Ripstop) haben wir speziell für die Anforderungen unserer Taschen entwickelt – sehr leicht, trotzdem stabil und hochfrequenzverschweißbar.« Seit der Markteinführung 2021 gäbe es jedes Jahr »ein sehr hohes Wachstum.«
»Es geht darum, das ideale persönliche Setup für die eigenen Ansprüche zu finden.«
Peter Wöstmann, Senior PR & Communications Manager Ortlieb
Besonders gut verkaufen sich auch hier Modelle, die für Ein- oder Zweitagestouren genutzt werden. Der Hersteller beobachtet auf dem Markt zwei gegenläufige Trends. Hochwertige, technisch sehr gut entwickelte Taschen einerseits und auf der anderen Seite sehr viele sehr günstige Taschen mit minderer Qualität.
Die eigene Klientel definiert man ziemlich breit, bis hin zum Profi, der Ultra-Distanz-Rennen fährt. In Bezug auf Distanzen gibt es keine Unterscheidung, hier zählt alles. Doch auch bei Cyclite glaubt man nicht daran, dass es viele Menschen gibt, die von Packtaschen auf Bikepacking umsteigen. »Eher sind es neue, jüngere Zielgruppen, die sich für Bikepacking entscheiden«, so Barnsteiner. Sie sind oft bereits vorerfahren und kaufen zu einem großen Teil online. »30 bis 40 Prozent der Verkäufe gehen aber auch über den stationären Händler.« Er könne mit den hochpreisigen Produkten und entsprechendem Einsatz sicher gute Gewinne erzielen.
Individuelle Transport-lösungen
Eine auf eher gemeinsame Ziele orientierte Wahrnehmung des Segments hat man bei Ortlieb. »Die Ausdifferenzierung der Spielarten beim Bikepacking ist abgeschlossen«, erklärt Peter Wöstmann. »Nun verweben sich die Welten der Radreise, des Pendelns und des Bikepackings.« Und das werde sicher noch so weitergehen. Dabei sieht man bei Ortlieb auch schnell montierbare Gepäckträger für Graveler stark im Trend. »Es geht darum, das ideale persönliche Setup für die eigenen Ansprüche zu finden.« Dazu sollten die Taschen, aber auch Träger schnell anzubringen sein – »das liegt momentan sehr im Trend«, so der Senior PR & Communications Manager. Durch den Nachhaltigkeitstrend würden Langlebigkeit und Reparierbarkeit der Produkte immer wichtiger. Und hier sieht man sich bei Ortlieb bereits gut aufgestellt. Die Zielgruppe wird entsprechend ihren Zielen immer heterogener. »Die einzelnen Welten verlieren ihre klare Abgrenzung – vor allem auch über die hohen Zuwachsraten im Gravel-Segment.«
Verkaufszahlen nennt man auch bei Ortlieb nicht, verweist aber darauf, dass Bikepacking ein sehr wichtiges Standbein im Bike-Taschen-Sortiment des Outdoor-Spezialisten darstellt. Es kannibalisiert die klassische Gepäcktasche dabei aber nicht, sprich, auch hier gibt es keine Entwicklung weg von der Gepäcktasche zum Bikepacking-Utensil. Über die Gewichtung von Online- und stationärem Verkauf kann man bei Ortlieb nichts sagen, da viele stationäre Händler auch online verkaufen.
Stark wachsende Zielgruppe
Vaude konnte die zweite Generation an Bikepacking-Taschen, genannt Trail, bereits 2022 auflegen. Sie unterscheidet sich vor allem in Details von der ersten Generation. Wie vom Nachhaltigkeits-Primus erwartet, setzt man auch hier auf PVC-freie Materialien und teilweise auch auf Recycling-Material, zum Beispiel ausgediente Fischernetze, das die Taschen oder Packsäcke nebenbei auch noch leicht und sehr robust macht. Trail nennt sich die speziell für Bikepacking entwickelte Modellreihe mit hohem Praxisnutzen. Als Bestseller nennt Benedikt Tröster von Vaude die Trail-Lenkertasche und, auch hier, die Arschrakete, die es seit 2023 auch in einer Compact-Variante gibt. »Die Verkaufszahlen entwickeln sich im Bereich überproportional gut«, sagt er. Sind gerade Vaude-Kunden gerne abenteuerlich unterwegs? Dieser Schluss liegt beim Allround-Outdoor-Ausstatter nahe. Dabei zielt das Bikepacking auf einen deutlich vom Reiseradler verschiedenen Einsatzbereich. Auch hier definiert sich der Unterschied deutlich durch das (asphaltarme) Terrain. »Gravelbikes schließen die Lücke zwischen Rennrad und MTB, daher sehen wir für die Zukunft noch ein großes Potenzial«, so der PR-Mann für Bike Sports bei Vaude. »Als Vollsortimenter, der auch Schlafsysteme und Zelte anbietet, ist das ein interessantes Marktsegment. Die Zielgruppe ist stark wachsend. Mikro-Abenteuer sind im Trend.« Aber auch er sieht »die Zahl derer, die mit einem Bikepacking-Setup zur Weltreise aufbrechen«, als klein an. Dennoch, das Segment ist stark wachsend und hat sich definitiv fest etabliert. Für den Kunden gehört Beratung dazu, denn die Vaude-Bikepacking-Produkte werden »hauptsächlich stationär verkauft«, so Tröster.
Die weiteren Aussichten
Ausdifferenzierung, Flexibilisierung und kreative Bikepacker aus allen Bereichen, so könnte man die derzeitige Sichtweise der Experten auf das Thema benennen. Wahrscheinlich ist allerdings auch, dass sich der Markt bei dem heutigen Angebot noch etwas bereinigen könnte. Auf welche Marken setzt da der Handel? Sicher ist hier Qualität ein guter Leitfaden. Ein weiterer die Klientel. Jung-dynamisch und sportaffin nutzt eher kleine, leicht anzubringende Taschen. Ältere Semester, die nicht auf dem Rennrad oder Graveler vorfahren, dürften neben den klassischen Packtaschen auch für Lenkerrollen und gegebenenfalls noch gabelbefestigte Taschen zu haben sein. Ob wirklich ganz zusammenwächst, was für manchen zusammengehört, also Packtaschen-Fahrer und Bikepacker, ist fraglich. Dass sich immer mehr Überschneidungen ergeben, eher nicht. Einen weiteren Fokus könnten Händler und Händlerinnen auf Taschen legen, die in puncto Befestigung auf Rahmen- und Gabelösen zurückgreifen. Die Radindustrie geht derzeit diesen Weg im Touren- und Pendler-Segment mit. Denn was für die Radfahrenden zählt, ist der Praxisnutzen. Wie einfach und schnell lassen sich die Taschen befestigen und abnehmen? Schließlich sollte sich der Handel im Touren- und Pendlerbereich auch eine weitere Frage stellen: Ist tendenziell der Bike-Rucksack oder das Bikepacking-Zubehör meine Schiene? Im Moment scheint die Antwort vielen leicht zu fallen – sie geht Richtung Bikepacking. //
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